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Du & ich
In einem liegen wir gerade lachend im Schnee, in einem anderen lehnt dein Kopf an meinem. In einem bist du Papst und ich dein Leibwächter, in einem anderen sind die Rollen vertauscht.
Ich laufe mit Ulli durch ein großes Gebäude. An nichts ist zu erkennen, was das für ein Bau ist, für mich fühlt es sich nach einer Klinik an. Wir gehen zu einem Fahrstuhl, locker-leicht, fahren eine Etage nach oben, steigen aus. Unser Ziel scheint eine Gruppentherapie zu sein, aber auch das fühlt sich recht ungewiss an. Ulli sieht in einem Nebengang Kinderspielzeug. Ausgelassen springt und läuft er in diese Richtung, so wie er zu Schulzeiten hin und wieder aus seinem Ernst ausgebrochen war. Ich gehe schmunzelnd weiter, freue mich, wie kindlich-unbeschwert er ist. Mir geht durch den Kopf: „Ich bin mit Ulli hier.“
Doch so, wie ich mich von ihm Schritt für Schritt entferne, schlägt der Gedanke um: „Ulli ist tot! Er ist nicht hier. Aber ich bin mit ihm hier, mit seiner Geschichte.“ Tränen setzen sich in Bewegung.
Ich werde leicht wach, die Tränen laufen auch in der Realität über meine Wangen. Obwohl ich eher schlafe als wach bin, nimmt mich dieser Traum mit.
Als ich am Morgen auf dem Klo sitze und an den Traum denke, kommen sofort wieder die Tränen, beim Gedanken: „Ich bin mit seiner Geschichte hier.“ Der Satz klingt kitschig und furchtbar treffend zugleich.
Dieses Hier ist tatsächlich eine psychosomatische Klinik. Hier soll herausgefunden werden, warum mein Körper seit 6 Jahren zu immer weniger zu gebrauchen ist. An Wanderungen 6-8 km täglich wie noch 6 Jahre zuvor ist jetzt überhaupt nicht mehr zu denken, selbst ein halber Kilometer aller zwei Tage lässt meine Muskeln erschöpfen wie nach einem langen Marsch. Genauso schnell erschöpfen die Arme, fühlen sich nach dem Pinseln einer kleinen Fläche an, als hätte ich reichlich Gewichte gestemmt.
„Was der Kopf nicht verarbeiten kann, muss der Körper ausbaden.“ So sagt es mir meine Psychologin. Messbares werde man wohl nicht finden. Zu viel erlebt, zu viel gehört, zu viel an negativen Gefühlen, Emotionen. Zu viel Trauer, zu viel Enttäuschung, zu viel Hilflosigkeit, zu viel Ungerechtigkeitsempfinden. Und von all diesen Gefühlen zu viele weggedrückt, was viel Energie verbraucht.
In den 10 Jahren zuvor hatte ich viel zugehört und fühlte mich robust, das alles wegstecken zu können. Dutzende Geschichten von kaputten Kindheiten, die in psychische Erkrankungen führten. Es schien keinen Menschen zu geben ohne Depressionen, bipolare Störung, Selbstverletzungen, Suizidgedanken, narzisstischer Persönlichkeitsstörung, Angststörungen, Zwangsstörungen …
Nur bei Dir, Ulli, war alles anders. Dachte ich. 2018 sah ich Dich im Freibad. Mit muskelbepacktem Körper stiegst Du aus dem Wasser, mit gewinnendem Lächeln wie David Hasselhoff in „Baywatch“. Ich hab Dich beneidet: Als Chirurg hattest Du einen guten Job, dank dem Du Dir sicher keine finanziellen Sorgen machen brauchtest, Du hattest Familie und diesen Body. Dir stand die Welt offen. Wenn es einer aus unserer Klasse auf die Sonnenseite des Lebens geschafft hatte, dann ganz sicher Du. Aber klar, Du kamst aus einem Elternhaus mit Chirurg und Lehrerin, also gute Startbedingungen. Dachte ich.
Zwei Jahre später hieß es im Dorfklatsch, Du seist tot, Suizid auf dem Gelände vom Freibad. Du, der doch auf der Sonnenseite warst. Auch wenn der Buschfunk teils wild danebenliegt – irgendwann war Dein Tod Tatsache. Ich habs nicht verstanden. Suizide haben eine lange Vorgeschichte, das war mir durch das Zuhören bei vielen Geschichten klar. Aber was soll bei Dir schon schiefgelaufen sein?!
Ich fragte mich, warum Du mit Mitte 40 immer noch Wert gelegt hast auf diesen durchtrainierten Körper. Brauchtest Du ihn für Dein Ego? Es kostet gerade mit zunehmendem Alter viel Energie und Zeit, um so auszusehen, also muss es einen Grund gegeben haben. Wenn wir unseren Körper aufpeppen, ob durch Muskeln, Tattoos, OPs, Klamotten oder anderweitig, liegt so gut wie immer der Selbstwert im Argen. Aber Du warst doch auf der Sonnenseite?!
Deine Schwester erzählte mir von eurer Kindheit – und da fand sich kein Fünkchen Sonnenseite. Gewalt, Manipulation, Leben unter zwei narzisstischen Elternteilen. Dein Suizid war Deine erste freie Entscheidung, so schrieb sie mir. Mit Bodybuilding hast Du als Teenager angefangen, um eine Chance gegen die Gewalt Deines Vaters zu haben. In der Zeit drückten wir die Schulbank, ich hielt Dein Fitnessprogramm damals einfach nur für „Das ist halt ein echter Kerl“.
Auf Deinen Tod hab ich fassungslos reagiert, aber ohne Tränen. Das Jahr zuvor hatte mich in einen gefühlsmäßigen Sarkophag gesteckt, eine Serie von fünf dicken Einschlägen war zu viel für meinen Kopf. Trauer, Wut, Enttäuschung, Hilflosigkeit – alles wurde immer wieder getriggert. Fünf Monate nach Dir starb mein Onkel. Bei der Beisetzung fühlte ich mich völlig deplatziert. Während alle um mich herum tief bewegt waren, lief ich herum mit dem Gedanken: „Tja, so ist das Leben.“
„Ulli ist tot! Er ist nicht hier!“ – Dieser Traum riss den Sarkophag für eine kurze Zeit auf, drei Jahre nach Deinem Tod. Am Tag nach dem Traum brauchte ich nur an diese beiden Sätze denken und sofort regten sich die Gefühle. „Ich bin mit seiner Geschichte hier.“ Als ich in der realen Gruppentherapie von dem Traum erzählte, waren die Tränen schnell wieder da.
Deine Schwester hatte zu der Zeit schon so einige Gruppen- und Einzelsitzungen hinter sich. Sie konnte Deine Geschichte nicht von sich aus in ihrer Gruppe erzählen. Das, was sie mir über euch geschrieben hatte, hatte ich in ein Kapitel meines Buches über die Entstehung von psychischen Erkrankungen gepackt. Durch das Vorlesen dieses Kapitel konnte sie doch noch das erzählen, was in euren Kinderzimmern passiert war.
Seit Deinem Tod sind nun fünf Jahr vergangen. In fünf Jahren Schule haben wir eine Menge gelernt, Schreiben, Rechnen. Wenn ich an Deinem Grab stehe, wenige Meter entfernt von der Friedhofskapelle, sage ich Dir: „Wir haben nichts aus Deinem Tod gelernt.“ Rein gar nichts. Keiner fragt, wie Dein Tod hätte verhindert werden können. Du hattest halt irgendwelche Probleme mit Dir selbst.
In einer Gruppentherapiesitzung hatte ich gesagt, dass werdende Eltern ab dem Zeitpunkt der Feststellung einer Schwangerschaft psychologisch betreut werden sollten bis das Kind 16 oder 18 ist. Die Mitpatienten waren alle in der Klinik, weil sie als Kind auf irgendeine Weise von ihren Eltern verletzt wurden; Gewalt, Vernachlässigung, „Er war nicht da“. Um die Kindheit und um die Eltern drehte sich praktisch alles. Sie alle wussten also, an welchem Ort Depressionen, Selbstzweifel usw. geboren werden, all die Dinge, die ihnen das Leben schwer bis nicht lebenswert machen. Die Reaktionen auf meinen Lösungsvorschlag: Entsetzen. Offenbar hat jede Generation aufs Neue das Recht, die eigenen Verletzungen aus der Kindheit eigenen Kindern zu vererben.
Klar, Narzissmus gilt als schwer bis nicht „heilbar“. Auch wenn eure Eltern von Psychologen über viele Jahre unter die Lupe genommen worden wären und es Therapieversuche gegeben hätte, hättet ihr wohl Narben abbekommen. Narzissten machen keine Fehler, da wären sich unsere Väter wohl sehr nah gewesen. Auch beim abwertenden Umgang mit Frauen und den eigenen Kindern hätten sie sich bestens verstanden. Empathie war für beide ein völliges Fremdwort. Sie haben beide ihre Vorgeschichte. Die Verletzungen in der Kindheit meines Vaters kenne ich in Umrissen, bei euren Eltern wird es ebenfalls eine Vorgeschichte geben. Ziel sollte es sein, von Generation zu Generation weniger Narben zu vererben. Aber wir machen nichts. Rein gar nichts.
Stattdessen bekommen Kopien unserer Väter viel Beifall. Männer, die von jeglicher Empathie befreit sind, niemals eigene Fehlern sehen und despotisch herrschen, übernehmen immer mehr die Macht in dieser Welt. Und Frauen, bei denen es ebenfalls enorm nach starkem Narzissmus riecht, machen tatkräftig mit. Ich beneide Dich, dass Du Dir das nicht mehr antun brauchst. Ich weiß nicht, ob es Dich bewusst oder unterbewusst so triggern würde wie mich. Stell Dir vor, 50% der US-Bevölkerung hätten einen unserer Väter zum Präsidenten gewählt, freiwillig. Wir hätten ihnen sagen können, dass diese Männer Gift sind, was sie alles angerichtet haben – die 50% hätten in ihnen trotzdem kein Problem gesehen, sie als Macher gefeiert, in ihnen Problemlöser gesehen und nicht Menschen, denen es einzig und allein um sich selbst geht.
Dieses Augen öffnen funktioniert auch nicht innerhalb meiner Familie. Wieder werden Kinder in toxischen Beziehungen gezeugt. „Jetzt bin ich dran, glücklich zu werden! Ich hab aus meiner Kindheit gelernt und mache bestimmt nicht die gleichen Fehler.“ Ich sehe in meiner Familie keinerlei Willen, sich überhaupt mit dem Thema zu befassen. Schließlich sind da die kleinen Püppchen, mit denen man spielen kann. „Endlich ist da die Tochter, die ich nie hatte.“ Verdrängung, Unwissenheit, Lernunfähigkeit.
In unserer Kindheit gab es die Bezeichnung „toxische Beziehung“ noch lange nicht, aber wir sind das Ergebnis eben solcher. Wir wissen, was das mit Kindern macht, wie kalt es sich anfühlt, wie es sich auf das ganze Leben auswirkt, wie es einen kaputtmachen kann.
Aber Du weißt ja selbst, auf welche Weise Frauen sich ihren Kinderwunsch erfüllen. Du wolltest nie Kinder, weil Du davon ausgegangen bist, angesichts Deiner Kindheit kein guter Vater werden zu können. Hinterlassen hast Du drei Halbwaisen. Sie tragen nun die neuen Narben durch Deine Abwesenheit. Und sie tragen Narben durch ihre Mütter, die heimlich die Pille abgesetzt haben oder die Dich auf andere Weise zum Vater machten. Klar, Du hättest einfach nur die Finger oder andere Körperteile von ihnen lassen brauchen, Du hättest einfach nur vernünftig sein müssen. Das würden Dir eine Menge Menschen sagen, die selbst die unvernünftigsten Dinge machen und nichts aus ihrer eigenen Geschichte gelernt haben. Dass Du vielleicht einfach nur die Leichtigkeit des Seins gesucht hast nach dieser tonnenschweren Kindheit – egal.
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention rät zum vorsichtigen Umgang mit dem Thema Suizid: „So wichtig der Investigativ-Journalismus ist, der Schutz von Leben hat stets Vorrang vor einer umfassenden, alle Fakten und Facetten beschreibenden Berichterstattung.“
Das erinnert mich an Sätze am Anfang der Corona-Pandemie. Da hieß es immer wieder von Politikern: „Nichts ist so wichtig wie die Gesundheit der Menschen.“ So wie mit psychisch Erkrankten umgegangen wird, empfinde ich den Satz immer wieder als Höchstmaß des Zynismus.
In der Klinik lernte ich Meggie kennen. Seit wenigen Wochen ist sie wieder stationär, wegen akuter Suizidgedanken. Der Umgang mit ihr in der Klinik ist recht unterschiedlich. „Der Schutz von Leben hat stets Vorrang“ scheint nicht von allen so geteilt zu werden. Ich sehe kein übermäßiges Interesse, dass sie noch lange unter den Lebenden bleibt. Würde sie es Dir gleichtun, dann wäre es halt so. Man kann ja nicht alle retten.
Nein, wir haben nichts gelernt und ich sehe auch keinen Willen, die Kurve zu kriegen. Dadurch ist es für mich sehr schwer, meinem Buch mit eurer und meiner Geschichte und denen vieler anderer doch noch Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Auch wenn ich mir meiner Sache extrem sicher bin – sonst hätte ich es nicht veröffentlicht: Ich habe Angst vor dem Abwinken, vor „So schlimm ist das ja nicht“, vor dem Verdrängen, vor „Erziehung ist Privatsache, da hat sich der Staat rauszuhalten.“
Es ist aber keine Privatsache. Die Rettungskräfte, die Dich gefunden haben, werden die Bilder wohl noch immer vor Augen haben, wenn auch inzwischen verschwommener. Deine Kinder werden auf irgendeine Weise zu Tätern an sich selbst und/oder an anderen werden und ihre Narben weiterreichen. Nur wenn sie auf einer einsamen Insel, jedes für sich, aufwachsen würden, wäre es Privatsache. Deine Schwester wird weiter mit den Narben ihrer Kindheit zu kämpfen haben, genauso mit den Narben, die mit Deinem Tod entstanden sind.
Also bleibt mein Plan trotz aller Befürchtungen: Ich werde per Crowdfunding Geld für Werbung sammeln, um dem Buch Aufmerksamkeit zu verschaffen und vielleicht doch etwas in Bewegung zu setzen, die Lernbehinderung zu beenden. Wenn ich an Deinem Grab stehe, ist der Kampfgeist deutlich größer als wenn ich am Computer sitze und die Aktion starten könnte. Vielleicht finde ich Menschen, die mir Arme und Beine stärken. Die müssen nicht so muskulös sein wie Deine. Irgendwo sitzt gerade sicher wieder ein Teenager im Kraftraum, pumpt sich auf. Wieder werden andere glauben, er mache das nur, um zu posen. Wieder kann die wahre Geschichte dahinter eine ganz andere sein. Wieder kann die Geschichte eines Tages vorzeitig enden. Wieder würden Narben vererbt. Wieder würde ein Grabstein stehen. Wieder würde an dem Grab jemand stehen, voller Wut, Trauer, Ungerechtigkeitsempfinden, Hilflosigkeit. Wieder würde jemand all diese Gefühle unterdrücken müssen, um nicht die ganze Welt zusammenzuschreien, so dass die Ohren bluten.
Falls Du jetzt in einem Paralleluniversum unbeschwert durch die Gegend läufst und springst und irgendwelche Fäden zu diesem Universum hier hast: Zieh bitte paar davon, um mich zu unterstützen. Falls das egozentrisch klingt: Meine Therapeutin sagte, ich soll mehr an mich selbst denken.
Falls Du einfach nur Asche bist: Es hätte nicht sein müssen.
Crowdfunding für das Buch „Verrückt – ein Aufschrei“
In einem liegen wir gerade lachend im Schnee, in einem anderen lehnt dein Kopf an meinem. In einem bist du Papst und ich dein Leibwächter, in einem anderen sind die Rollen vertauscht.
Du hattest alles – außer einer kindgerechten Kindheit. Du schienst auf der Sonnenseite, doch der Schein trog. Aus Deinem Tod hätten wir lernen können, haben wir aber nicht.
Wenn du Gefühle nicht mehr aushältst, leg einen Sarkophag darüber. Doch was, wenn der bricht?
Du wartest. Und wartest. Das Warten tut dir weh, dennoch wartest du weiter.
Jeder hat so sein Päckchen zu tragen – für mich ein furchtbarer Spruch. Ich sehe dabei immer ein Schulterzucken, als wäre es ein Naturgesetz, dass jede Generation der nächsten Steine in den Rucksack packt.
Was macht dich glücklich, mein Kind? Was fehlt dir? Was hast du damals vermisst, was willst du heute nachholen? Würde es mir damit besser gehen?
Du trägst mich auf deinen Schultern durch gute und schlechte Zeiten. Wir haben keine Liebesbeziehung, sind eine Zweckgemeinschaft mit gewissen Vorzügen.
In mitten des Ozeans sinkt nach heftigen Stürmen ein Boot ganz langsam. Der Mann darin ist erschöpft, er bekommt den Kahn einfach nicht mehr leer, so sehr er sich bemüht.Ein zweites Boot nähert sich, der Mann schöpft Hoffnung – Rettung in Sicht nach langer Zeit.Der andere Mann kommt immer näher, grüßt kurz, schaut: „Ich bin […]
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Würdest du das kleine Mädchen, das du einst warst, vor all den Scherben bewahren, durch das es laufen musste? Nein.
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Vor mir liegt ein Stein. Kein kleiner Kiesel. Er lässt mich nicht vorwärts kommen – oder schützt er mich?
Wir hatten es selten leicht miteinander, du und ich. Von Liebesbeziehung konnte kaum die Rede sein, mein liebes Leben.
Wenn dein Ego nie wachsen konnte, ist es dir eben egal, wie ehrlich ein „Ich liebe dich“ ist. Hauptsache, du bekommst es zu hören.
„Die langen Ärmel ihrer Bluse rutschten nach unten, als sie in ihrer Freude die Hände noch oben riss.
Er sah ihre Narben am Handgelenk …“ – Wie geht es wohl weiter?
„Wie konnte sie nur? Ja, ihr ging es dreckig, aber was sollten wir denn machen? Mein tiefempfundenes Beileid. Sag´ Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Jetzt muss ich erstmal los.“
Im dunklen Wasser des kleinen Sees versinken Nachtgedanken, heißt es. Doch aus ihm können auch zauberhafte Wesen steigen.
Ich hab´s geschafft: Ich bin tot. Endlich kann ich machen, was mir Freude am Leben gibt.
Jeder Mensch hat zwei Ohren. Nur was wir damit anfangen, ist recht unterschiedlich. Umso erleichternder ist es in Krisenzeiten, wenn du jemanden findest, der zuhören kann. In den letzten Jahren lernte ich, dass dies wohl meine Superkraft ist. Diese biete ich Dir hier an.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
2020 (2) 2022 (2) 2024 (2) Aluthutträger (2) Aurelie Joie (10) Ballast (2) beileid (1) bipolare störung (3) bipolare Sörung (2) corona (3) Covidioten (2) Depression (4) einsamkeit (1) falsche Vorbilder (1) fightforlove (1) freiheit (2) geduld (1) gefühle (10) gendern (4) Hass (3) hilflosigkeit (3) Journalismus (5) Kindheit (5) liebe (2) macht der worte (1) manie (3) meinestimmegegenignoranz (19) missbrauch (2) mitgefühl (1) narzisst (5) Politiker (3) psychische Erkrankungen (11) selbstbewusstsein (1) selbstverletzung (2) selbstzweifel (2) suizidgedanken (1) tot (3) trauer (2) Vater & Sohn (2) verrückt (22) verschwörungsmythen (3) verständnis (4) vertrauen (1) wird nicht besser (3) zu spät (1)
Du bist Journalist, Blogger, Influencer oder hast auf anderen Wegen Reichweite, dank der Du mein Buch ins Blickfeld möglichst vieler Menschen rücken kannst? Oder überlegst Du, mich per Crowdfunding zu unterstützen? Aber Du bist Dir unsicher, was mich zu einer glaubhaften, seriösen Quelle macht? Fragst Du Dich, was mich zum Experten macht?
Nichts. Ich habe keine Sekunde Psychologie oder ähnliches studiert, kein einziges Buch über psychische Erkrankungen oder Kindesentwicklung gelesen. Alles, was ich schreibe, sind Beobachtungen und Ergebnis von Zuhören. Aber hör bitte an der Stelle nicht gleich auf mit dem Lesen, ich fahre ein paar schwere Geschütze auf 🙂
In der Schulzeit konnte ich nicht verstehen, wieso viele Mitschüler an Textaufgaben scheiterten. Man braucht doch einfach nur aus den entscheidenden Zahlen und Fakten eine Formel aufstellen und sie lösen?! Dafür war ich im Sport ein echter Grobmotoriker und wusste nicht, was ich beim Springen, Werfen und Rennen falsch mache.
Mit ca. 20 kaufte ich mir für 5 DM ein Buch bei Karstadt mit Intelligenztests, verfasst von einem Professor für Psychologie. Bei Test 1 landete ich bei einem IQ von 133, bei Test 2 war das Ergebnis 147. Wo genau mein IQ lag und was davon heute, 30 Jahre später, noch übrig ist, weiß ich nicht. Genutzt hat er mir nicht wirklich viel. Vielleicht konnte ich mich schneller durch all die Formalitäten schlagen, mit denen ich nach dem Schlaganfall meines Vaters 2019 zu kämpfen hatte. Für eine große Karriere hatte es auf jeden Fall nicht im Ansatz gereicht. IQ-Tests sind darauf ausgelegt, Muster schnell zu erkennen. Was in der Mathematik funktioniert, kann bei Menschen genauso klappen.
In einem Partnersuch-Portal sollte ich die Frage beantworten, was ich unter „emotionaler Intelligenz“ verstehe. Meine erste Reaktion war: „Wow, da hat sich ja mal wieder jemand ein supertolles Wort einfallen lassen, was ganz schlau klingt.“ Für mich gehörte das in die Kategorie „Superfood“ für einen einfachen Apfel. Auch wenn ich „Mindset“ lese oder höre, muss ich meinen Augenbrauen zurufen, dass sie bitte unten bleiben sollen. Man kann sich mit der Verwendung solcher Wörter fix einen klugen Anstrich geben, aber oft erscheinen mir die auf solche Wörter folgenden Sätze als heiße Luft, die keinem Praxistest bestehen.
Heute sehe ich „emotionale Intelligenz“ gelassener. Ja, vielleicht würde das einfache Wort Empathie schon völlig ausreichen. In meinem 5-DM-Intelligenztest-Buch gibt es neben den allgemeinen Tests auch je einen für Sprache, für Zahlenlogik und für räumlich-visuelle Vorstellung. Das heißt, es gibt auch sprachliche Intelligenz, zahlenlogische und räumlich-visuelle.
Und damit kann es ja auch emotionale Intelligenz geben: Wie gut und schnell (die Intelligenztests waren alle auf 20 Minuten beschränkt) kann ich das Gefühlsleben eines anderen Menschen verstehen? Gibt es ein Muster zu früheren Begegnungen? Das, was dir ein Mensch erzählt, kannst du auch als Textaufgabe sehen. Wenn du anfängst mit Mathe, stehen dir nur ein paar Zahlen zur Verfügung, dazu ein + und dann ein -. Damit kommst du nicht weit, du musst weiter Erfahrungen sammeln.
Erzählt dir ein Mensch zum ersten Mal von Selbstverletzungen und du hattest vorher keine Erfahrungen damit, auch keine ganz eigenen, dann bleibt dir eigentlich nur, ihm zuzuhören, Erfahrung zu sammeln, Fragen zu stellen: Was macht das mit dir?
Mir ging es so mit Sophie. Sie war knapp 18, als sie mich das erste Mal anschrieb. Uns trennten 35 Jahre. Anfangs dachte ich, jemand will mich in eine Falle locken. Für Sophie wurde ich zu einem Menschen, dem sie als so ziemlich einzigen vertrauen konnte. Ihre Eltern und ihr Bruder hatten dafür gesorgt, dass Sophie schon mit 12 sprungbereit war, um das Leben hinter sich zu lassen. Depressionen waren die Folge, wohl auch Borderline und die Selbstverletzungen. Mit 23 bekam sie einen Schlaganfall. Ob sie noch lebt, weiß ich nicht.
Wenige Jahre später begegnete ich Meggie. Es dauerte nicht lange, bis sie mir von ihren Selbstverletzungen erzählte, obwohl sie diese ansonsten nur selten zum Thema macht aus Angst vor den Reaktionen. Ich erzählte Meggie von Sophie und auch von einer anderen Frau, die über ihre Selbstverletzungen gesagt hatten: „Sie zeigen mir, dass ich lebe“. Ich fragte Meggie, ob das bei ihr auch so ist. Sie bejahte. Ich konnte also durch meine Erfahrungen die Textaufgabe von Meggie besser lösen, dadurch konnte sie sich wieder besser von mir verstanden fühlen, weiteres Vertrauen gewinnen, was sehr erleichternd sein kann.
Emotional unintelligent wäre es gewesen, den Frauen zu sagen: „Was für ein Blödsinn, lass doch den Scheiß einfach sein!“ Dann hätte ich auch Menschen, die sich in ihren depressiven Phasen zurückziehen, sagen können: „Geh doch einfach unter Leute, dann bist du nicht mehr traurig!“ Oder ich hätte Menschen in manischen Phasen sagen können: „Du Idiot, dieses Lied im Radio ist doch nicht für dich geschrieben worden! Und die Chinesen kommen nicht morgen!“
Meine Erfahrungen sagen aber: Das funktioniert so nicht. Ein Mensch mit Realitätsverlust kann nicht durch Faktenchecks in die Realität zurückgeholt werden. Die Hormonstörung in der Depression kann nicht mit „Geh doch mal unter Leute“ glattgebügelt werden. Und für jede Selbstverletzung gibt es eine Ursache, genauso wie für jede Sucht und auch gegen die kommt kein „Zigaretten gefährden aber deine Gesundheit!“ an.
Eine Frau, Mitte 40, schrieb mir: „Danke, vor allem fürs Verstehen … Als mein Freund mich vorhin fragte, was los sei, hab ich es ihm nicht sagen können… Weil er mich nicht versteht. Nicht verstehen kann… Ich erreiche ihn mit meinen Worten und Gedanken gar nicht. Und du bringst es nach einmal Lesen auf den Punkt… So offen reden kann ich grad nur mit dir.“
Wir waren zweimal zu Wanderungen unterwegs, ansonsten chatteten wir, ohne dass da irgendwelche Herzchen hin- und herflogen. Zum Zeitpunkt des Zitats kannten wir uns vielleicht zwei Jahre, mit ihrem Freund war sie deutlich länger zusammen. Warum fühlte sie sich von mir wesentlich besser verstanden als von ihm, obwohl er ihre Emotionen tagtäglich live studieren konnte inklusive Körpersprache? An dem Punkt macht „emotionale Intelligenz“ für mich Sinn – aber vielleicht ist es eben doch „einfach nur“ Empathie.
Immer wieder fühlten sich Menschen von mir recht schnell verstanden, ob 18-jährig oder Ü70. Immer wieder vertrauten sie mir Dinge an, über die sie sonst schwer bis gar nicht mit anderen Menschen reden konnten. Offenbar mache ich beim Zuhören etwas richtig. Das, was ich an Fragen stelle und aus Erfahrung erkläre, scheint oft ins Schwarze zu treffen, was mein Gegenüber immer wieder so überrascht wie mich selbst.
Ich stelle keine neuen Theorien auf, habe keine Studien durchgeführt, forsche nicht. Ich gebe einfach nur das wieder, was Menschen erzählen, was Psychologen, Neurologen, andere Ärzte und Forscher sagen. Wenn die Theorie mit der Praxis zusammenpasst, dann gebe ich es so wieder.
Wenn der kanadische Arzt Gabor Maté die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Forschung zusammenfasst und dabei sagt, dass wohl jede Suchterkrankung durch Verletzungen und Traumata in der Kindheit entsteht und ich immer Suchterkrankte mit mehr oder weniger heftiger Kindheit begegne, dann ist die Lösung der Textaufgabe: Wenn du Sucht bekämpfen willst, musst du Kinder vor Verletzungen schützen. Die emotionale Intelligenz sagt mir: Wenn ich jemandem vorwerfen würde, an der Flasche oder der Nadel oder an exzessivem Sport oder Arbeit zu hängen, dann würde ich ihm vorwerfen, dass seine Eltern ihn nicht die Zuneigung geschenkt hatten, die ein Kind braucht.
Wenn Psychologen bei jedem hilfesuchenden Erwachsenen in der Kindheit graben, um die Ursache des psychischen Ausnahmezustandes ausfindig zu machen, dann sagt mir die Logik: Jede psychische Erkrankung ist das Ergebnis von Verletzungen in der Kindheit. Wer die Erkrankungen bekämpfen will, muss Kindern das verletzungsfreie Aufwachsen ermöglichen.
Wenn Psychologen sagen, dass 100% der psychisch Erkrankten Wut in sich tragen und ich etwas gegen Wut in der Gesellschaft unternehmen will, muss ich psychische Erkrankungen eindämmen, womit wir wieder beim verletzungsfreien Aufwachsen sind.
Wenn ich das Abwerten von Ausländern, von Gläubigen, von Blondinen, von Wissenschaftlern, Aluhutträgern, SUV-Fahrern, Fahrrad-Fahrern, Eliten, Bürgergeldempfängern, alten, weißen Männern, der Gen Z usw. immer bei Menschen sehe, die in ihrer Kindheit einiges mitmachen mussten und die als Erwachsene nicht wirklich mit sich klarkommen, dann kann ich versuchsweise Begriffe wie Ausländerfeindlichkeit, Homophobie, Antisemitismus usw. weglassen und das Abwerten als einfachen Versuch ansehen, den nie gesund gewachsenen Selbstwert aufzuwerten. Warum ist der Selbstwert nie gesund gewachsen? In 99,9% der Fälle landet man wieder bei den Eltern. Warum konnten die Eltern den Selbstwert ihres Kindes nicht gesund entwickeln lassen? Erfahrung sagt: Weil sie selbst ohne diesen aufgewachsen waren. Lösung der Textaufgabe: Wer Hass bekämpfen will, muss Kindern ermöglichen, von ihren Eltern einen gesunden Selbstwert auf die Reise mitzubekommen.
Um mein Buch in aller Munde zu bringen, soll über den Inhalt berichtet werden. Aber was gelten meine Worte, wenn unter den Artikel nicht geschrieben werden kann: „Sonnestrant hat Psychologie studiert, arbeitete lange als Psychotherapeut, später mit eigener Praxis, engagiert sich in der Suchtforschung und betreibt den Podcast „Lass Sonne in Dein Herz“?
Meine Gegenfrage wäre: Was qualifiziert eine Frau als Expertin für Putins Krieg, die vier Tage vor dem offiziellen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine mit ihrer üblichen Art der Unfehlbarkeit erklärt hatte, dass Russland nie in die Ukraine einmarschieren werde? Warum darf diese Frau trotz ihrer völligen Fehleinschätzung regelmäßig bei Markus Lanz und in anderen Formaten Putin als rationalen Menschen einstufen, mit dem man ja nur auf Augenhöhe verhandeln bräuchte? Was macht sie zu einer Expertin, deren Worte mehr Gewicht haben als die vom Malermeister um die Ecke?
Kam in ihrer Einschätzung Putins jemals das Wort „Narzisst“ vor? Hat sie jemals laut darüber nachgedacht, dass Narzissten nichts mit rationalem Denken zu tun haben, sondern es ihnen immer um Macht, Einfluss, Besitz, Aufmerksamkeit geht? Schickt ein rational denkender Mensch aus angeblicher Angst vor der NATO-Erweiterung vorsorglich hunderttausende seiner Landsleute in Tod und Verstümmelung? Kann man deshalb dessen Argument, er wolle ja nur die weitere Erweiterung verhindern, immer wieder als Kriegsgrund wiederholen? Oder sind einem solchen Menschen aus dem für Narzissten typischen Fehlen von Empathie Menschenleben egal, Hauptsache er schreibt für immer seinen Namen in die Geschichtsbücher neben andere große Eroberer? Eroberer, die am Ende alles wieder verloren hatten, was die von ihnen in den Tod geschickten Menschen eingenommen hatten?
Es ist erschreckend, wie sich die Geschichte wiederholt: Hitler wollte sein Heimatland Österreich befreien und der notleidenden Bevölkerung zu Hilfe kommen – damit begründete er den Einmarsch ins Alpenland im März 1938. Mit einer Volksabstimmung ließ er rückwirkend die Annexion rechtfertigen. Hitler wollte auch die Verfolgung deutscher Landsleute in der Tschechoslowakei und Polen stoppen – das gab er als offizielle Gründe an für den Einmarsch in diese Nachbarländer.
Putins anderer offizieller Kriegsgrund neben der angeblichen Angst vor der NATO-Erweiterung: den angeblichen Genozid an den in der Ukraine lebenden Russen stoppen. Mit Abstimmungen ließ er die Annexionen als „richtig gemacht“ besiegeln.
Hitler ging es aber nicht um das Wohlergehen von Menschen. Wenn mir Menschenleben am Herzen liegen, dann schicke ich keine Soldaten in den möglichen Tod, sofern ich nicht selbst angegriffen werde. Hitler wollte erobern, die Pläne dafür lagen bereit und er wollte endlich loslegen. Warum sieht die Frau, die überall auftreten darf, Putin nicht in Hitlers Tradition: dem Eroberer? Warum glaubt sie an seine Verhandlungsbereitschaft? Was in seinem Wesen gibt ihr Anlass zu diesem Glauben?
Vor allem der britische Regierungschef Chamberlain hatte mehrmals mit Hitler direkt gesprochen, in der Hoffnung, ein Krieg könne vermieden werden. Er wollte ihm entgegenkommen, Rüstungsabkommen schließen, deutsche Interessen in Mittel- und Südosteuropa anerkennen. Er unterzeichnete im September 1938 das Münchener Abkommen, was Deutschland berechtigte, das Sudentenland zu annektieren. Er tat dies im Glauben, einen weiteren Weltkrieg verhindern zu können. Und er schien sich sehr sicher, den Frieden in Europa gesichert zu haben.
Ein halbes Jahr später, im März 1939, marschierten deutsche Truppen in Prag ein. Prag hatte nichts mit dem Sudentenland zu tun. Chamberlain wurde nun klar, dass er Hitler auf den Leim gegangen war und er startete die Aufrüstung Großbritanniens. Mit Polen und anderen Staaten schloss er Verträge, die diesen Staaten Sicherheiten geben sollten, so wie die Ukraine 1994 im Budapester Memorandum Sicherheitsgarantien von Russland, den USA und wieder von Großbritannien bekam. Im Gegenzug gab die Ukraine die auf ihrem Gebiet stationierten Atomwaffen ab. Hätten die Ukrainer auch die Abschusscodes in den Händen gehabt, wären sie die drittstärkste Atommacht dieser Zeit gewesen.
Hitler überfiel die Staaten trotz der Sicherheitsgarantien der Briten, Putin kackte auf das Abkommen von Budapest. Am Ende half gegen den Eroberer Hitler keine Beschwichtigung, sondern nur geballte militärische Stärke: Panzer, Schiffe, Flugzeuge, Bomben, Granaten, Gewehrkugeln, Millionen Soldaten. Briten und Amerikaner warfen in ihrer Wirtschaft alles in die Waagschale, was an Rüstung möglich war. 1943 bauten die USA u.a. 2654 Kriegsschiffe und 54100 Kampfflugzeuge. Hätten sie viel eher erkannt, was Hitler vorhat, wären die Opferzahlen wohl geringer ausgefallen und der hinterlassene Schutthaufen wäre kleiner gewesen.
Und selbst als die Lage für Hitler längst aussichtslos war, alle gewonnenen Gebiete wieder verloren waren, das einstige Kernland zum Großteil von Briten, Franzosen, Russen und Amerikanern besetzt war, sagte der Eroberer nicht: „War ´ne dumme Idee, tut mir leid um die vielen Opfer.“ Nein, der Eroberer schickte Jugendliche und Alte an die Front. Erst mit seinem Suizid war der Weg frei für Frieden. Ergebnis: Millionen Tote für rein gar nichts. Die in diesen Jahren erlittenen Traumata haben sich vererbt auf die nächsten Generationen und wirken auch heute noch in unterschiedlichsten Varianten nach.
Die Lehre aus dieser Geschichte sollte sein: Ein Narzisst ist nicht mit Verhandlungen, Zugeständnissen, Respekt o.ä. zu stoppen, wenn er erobern will. Narzissten erkennen zielsicher die Schwächen ihres Gegenübers und können diese perfekt für ihre Zwecke nutzen. Hat das Gegenüber Angst vor einem militärischen Konflikt? Perfekt! Dann kann ich mir ein Land nach dem anderen holen und mich darauf verlassen, dass die andere Seite mir immer wieder nur sagen wird: „Damit ist es jetzt aber genug, sonst … Lass uns jetzt verhandeln.“
Diktatoren sind praktisch immer Narzissten, so las ich es von einem Psychologen. Putin wurde von einem ehemaligen CIA-Psychologen als Narzisst eingestuft. Warum soll Putin anders ticken als Hitler? Weil wir nicht mehr 1939 haben, sondern 2025?
Die Auswirkungen von Narzissmus werden immer die gleichen bleiben – genauso wie die Ursache: Verletzungen in der Kindheit, durch die sich kein gesunder Selbstwert aufbauen kann. Das ist bei Putin so, bei Trump ebenso, der von Dutzenden Psychologen als Narzisst eingestuft wurde. Hitlers Vater war ein Despot. Genauso sehe ich meinen eigenen Vater, der seinen Erzeuger nie kennengelernt hatte – auch hier spielte Hitler eine Rolle. Zuneigung war von meinem Vater nicht zu erwarten, genauso wenig wie Anerkennung. Entsprechend gering war mein Selbstwert jahrzehntelang. Ich hätte mich im Leben nicht mit einem Buch an die Öffentlichkeit gewagt, in der ich Dinge erkläre, die ich nicht studiert habe. Außer dem IQ hatte ich doch keine Stärken, so meine Wahrnehmung.
Mein Glück war wohl, dass meine Mum gegensätzlich zu meinem Vater tickte, was Empathie und Mitgefühl angeht. Das half mir zwar nicht zu einem besseren Selbstbewusstsein, aber ich hatte nie das Bestreben, mich über andere stellen zu müssen, um mich aufzuwerten. Ich brauche keine anderen Länder erobern, um meinen Selbstwert zu steigern. Ich könnte nicht zehntausende Leben opfern, nur damit mein Name irgendwann auf einem Straßenschild in einer eroberten Hauptstadt steht.
Wenn wir sagen :„Nie wieder Krieg!“, dann heißt das für mich: „Nie wieder Narzissten“ und das heißt: Nie wieder Kinder ohne gesunden Selbstwert aus den Kinderzimmern gehen lassen. DAS wäre für mich die richtige Lehre aus der Geschichte jedes Krieges und jedes Möchtegern-Diktators.
Er soll Dir helfen, ein Gespür zu entwickeln. Vergleiche die Frau, die in jeder Polit-Talkshow gern gesehen ist und mich. Wir sind beide keine Experten für Kriege oder Menschen. Wessen Einschätzung ist für Dich nachvollziehbarer? Von wem würdest Du Dir in Zukunft eher den Wahnsinn in dieser Welt erklären lassen (ohne dass Du diese Erklärung dann für die einzig richtige halten brauchst)? Wenn diese Frau so viel Sendezeit bekommt, ohne Expertin zu sein, wäre es dann so verkehrt, wenn auch ich zu Wort kommen würde? Was ist mit all den anderen Politikern, die ebenfalls über die Dinge sprechen dürfen, bei denen ihnen eine fachliche Eignung fehlt?
Der Vorteil an dem, was ich schreibe: Du kannst Deinen ganz eigenen Faktencheck machen. Blättere Deine eigene Geschichte durch bis zum Anfang: Waren Deine Eltern für Dich da? Hast Du Zuneigung von beiden Elternteilen bekommen? Anerkennung, Liebe, Aufmerksamkeit?
Wenn nicht: Auf welche Weise versuchst Du seit dem Verlassen Deines Kinderzimmers Anerkennung, Liebe, Zuneigung, Aufmerksamkeit zu bekommen? Machen diese Versuche Dich glücklich oder stressen sie Dich? Versuchst Du weiterhin, ein nettes Wort Deiner Mutter oder Deines Vaters für Dein Dasein zu hören? Wie viel Aufwand betreibst Du dafür und tut Dir das gut?
Wie sieht Dein Selbstwert aus? Von was ist er abhängig? Von Deinem Aussehen? Von Deinem Fleiß auf Arbeit? Deinem Besitz? Von der Aufmerksamkeit Deines Partners oder von der, die Du in sozialen Netzwerken bekommst? Hängt Dein Selbstwert davon ab, dass Du andere abwertest? Was würdest Du in Deinen eigenen Augen morgen wert sein, wenn Du aus irgendwelchen Gründen nur noch zu Hause sitzen könntest, ohne Aufmerksamkeit, Arbeit, Besitz, Aussehen, Einfluss, Macht? Wärst Du dennoch mit Dir zufrieden oder würden die alten Wunden beginnen zu bluten? Wie ehrlich kannst Du in all diesen Fragen zu Dir selbst sein? Was lässt Dich der blinde Fleck nicht sehen, den jeder Mensch hat?
Wenn Du jetzt sehr nachdenklich auf den Bildschirm schaust, durch ihn hindurch, Du sehr still wirst, dann habe ich etwas in Dir bewegt, ohne Experte zu sein. Und darum geht es mir mit dem Buch: Etwas in Gang bringen. Ich stelle mich nicht hin und sage: „Alles ist richtig, was ich behaupte!“ Aber ich fühle mich mit dem Gesagten sehr dicht an der Realität, auch durch das positive Feedback jener Menschen, mit denen ich mich ganz privat unterhalten habe und nicht aus Recherche-Zwecken.
Konnte ich Dich überzeugen? Dann nutze Deine Macht, Deinen Einfluss, Deine Aufmerksamkeit, Deinen Besitz gern dazu, mein Buch auf Bestseller-Listen zu bringen und es zum Thema auf allen Kanälen zu machen. Die Weltuntergangsuhr wurde Anfang 2025 von 90 auf 89 Sekunden vor 12 Uhr gestellt. Die eine Sekunde ist nicht zuletzt dem nächsten Narzissten in einer Machtposition zu verdanken, der mit Eroberungen droht. Eigentlich wäre es höchste Zeit, über die Folgen kaputter Kindheiten zu sprechen und etwas dagegenzusetzen. Eigentlich wäre es höchste Zeit, endlich aus der Geschichte zu lernen. Also packen wir es gemeinsam an!
Crowdfunding für das Buch „Verrückt – ein Aufschrei“
Du bist Dir unsicher, was mich zu einer glaubhaften, seriösen Quelle macht? Fragst Du Dich, was mich zum Experten macht? Nichts.
Sophie lebt – und ist tot. Was besser ist für sie? Ich weiß es nicht.
„Da war nichts.“ Meggie hatte eine schöne Kindheit, dennoch geht es ihr schlecht. Warum?! Dann erwacht der Elefant.
„Ich habe mich gefreut, wenn Papa fünf Minuten Zeit für mich hatte.“ Jens hat den Arbeitseifer seines Vaters geerbt und wird in sechs Jahren sterben.
Elon Musk, Kanye West, Mel Gibson – denen ist doch allen der Erfolg zu Kopf gestiegen! Die spinnen doch einfach nur! Willst du mit ihnen tauschen?
„Warum hat er mich nicht lieb? Bin ich einfach ein Nichts?“ Diese Fragen stellt sich Katis jüngerer Sohn und denkt dabei an seinen Vater.
Suizid kann Freiheit bedeuten. 2020 hat Ulli die erste freie Entscheidung seines Lebens getroffen. Dieser Neubeginn bedeutete seine Freiheit. Und sein Ende.
Saskia gibt mit Ü40 die Hoffnung nicht auf, von ihrer Mum ein nettes Wort für ihr Dasein zu hören. Bettina bekam mit 20 ein Kind, um ihrem Elternhaus zu entkommen – und lebt seitdem in den gleichen Verhältnissen.
Natascha Kampusch als Hassobjekt?! Das macht keinen Sinn – doch beim Zuhören erklärt sich auch beim Thema Hass, wie sich unsere „Special Effects“ entwickeln.
Annie ist 16, 1,70 m, 40 kg. Ihr Vater versteht nicht, warum sie nicht einfach mehr isst. Er selbst steckt jeden Monat 500 Euro in sein Onlinespiel. Annies Mutter vermeidet Diskussionen mit ihm über ihr Rauchen. Verstehen des jeweils anderen? Fehlanzeige.
Die einen waschen ihre Firma grün, die anderen leben beim Yoga ihren Narzissmus aus. Was steckt hinter dem Gendern?
Wer Frauen sichtbar machen will, muss das komplette Bild ins Scheinwerferlicht rücken – auch die Schattenseiten.
Wo in der Geschichte sind die ganz konkreten Beispiele dafür, dass Appelle an die Vernunft etwas zum Guten verändern? Mein Vater kann nicht gemeint sein.
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Knapp 18 Mio. Menschen werden pro Jahr wegen psychischer Erkrankungen behandelt. So etwas können Parteien doch nicht ignorieren, oder?
Frage: Was muss passieren, damit diese Welt weniger verrückt ist? Antwort: Wir müssen zuhören lernen. Oder wir verbieten das Kinderkriegen.
Jochen wäre fast ertrunken, der Vater zerrte ihn wieder ins Wasser. Opfer und Täter, weiß und schwarz. Doch ist es wirklich so einfach?
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Und wieder glauben wir, Erwachsene umerziehen zu können – und wieder haben wir nichts aus der Geschichte gelernt.
Er verfolgt dich, er bespitzelt dich, er glaubt dir nicht, du machst Schluss mit ihm. 10 Jahre später sitzt du mit ihm und euren beiden Kindern am Frühstückstisch.
In dieser Welt passiert vieles, was aufgedeckt gehört. Gibt es jedoch zu einem Ereignis 101 unterschiedliche Wahrheiten, dann werde ich nachdenklich.
Die Welt wird von einer unsichtbaren Macht geleitet – sagen nicht nur Verschwörungsanhänger, sondern Milliarden Menschen.
Er baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Sie spricht vom Angriff der Roboter. Wenn du ihre Geschichten kennst, wirst du sie verstehen.
„Als ich Krebs hatte, bekam ich Mitleid, Zuspruch und Unterstützung. Als Depressionskranke war ich immer die faule Sau.“
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Als Robert Enke durch Suizid starb, herrschte große Trauer. Doch längst jagen wir seine Nachfolger Richtung Abgrund.
Jeder Mensch hat zwei Ohren. Nur was wir damit anfangen, ist recht unterschiedlich. Umso erleichternder ist es in Krisenzeiten, wenn du jemanden findest, der zuhören kann. In den letzten Jahren lernte ich, dass dies wohl meine Superkraft ist. Diese biete ich Dir hier an.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
2020 (2) 2022 (2) 2024 (2) Aluthutträger (2) Aurelie Joie (10) Ballast (2) beileid (1) bipolare störung (3) bipolare Sörung (2) corona (3) Covidioten (2) Depression (4) einsamkeit (1) falsche Vorbilder (1) fightforlove (1) freiheit (2) geduld (1) gefühle (10) gendern (4) Hass (3) hilflosigkeit (3) Journalismus (5) Kindheit (5) liebe (2) macht der worte (1) manie (3) meinestimmegegenignoranz (19) missbrauch (2) mitgefühl (1) narzisst (5) Politiker (3) psychische Erkrankungen (11) selbstbewusstsein (1) selbstverletzung (2) selbstzweifel (2) suizidgedanken (1) tot (3) trauer (2) Vater & Sohn (2) verrückt (22) verschwörungsmythen (3) verständnis (4) vertrauen (1) wird nicht besser (3) zu spät (1)
Mit meinem ehemaligen Mitschüler Ulli laufe ich durch ein großes Gebäude. An nichts ist zu sehen, was das für ein Bau ist, für mich fühlt es sich nach einer Klinik an. Wir gehen zu einem Fahrstuhl, locker-leicht, fahren eine Etage nach oben. Unser Ziel scheint eine Gruppentherapie zu sein, aber auch das fühlt sich recht ungewiss an. Ulli sieht in einem Nebengang wohl Kinderspielzeug, ausgelassen springt und läuft er in diese Richtung, so wie er zu Schulzeiten hin und wieder aus seinem Ernst ausgebrochen war. Ich gehe schmunzelnd weiter, freue mich, wie unbeschwert er ist. Mir geht durch den Kopf: „Ich bin mit Ulli hier.“ Doch so, wie ich mich von ihm entferne, schlägt der Gedanke plötzlich um: „Ulli ist tot! Er ist nicht hier. Aber ich bin mit ihm hier, mit seiner Geschichte.“ Tränen setzen sich in Bewegung.
Ich wachte leicht auf, die Tränen liefen auch in der Realität über meine Wangen. Obwohl ich eher schlief als wach war, nahm mich dieser Traum heftig mit.
Als ich am Morgen auf dem Klo saß und an den Traum dachte, kamen wieder die Tränen, der Gedanke: „Ich bin mit seiner Geschichte hier.“ Der Satz klang kitschig und furchtbar treffend zugleich.
Dieses Hier war eine psychosomatische Klinik. Hier sollte herausgefunden werden, warum mein Körper seit 6 Jahren zu immer weniger zu gebrauchen ist. An Wanderungen 6-8 km täglich wie noch 6 Jahre zuvor war jetzt überhaupt nicht mehr zu denken, selbst ein halber Kilometer aller zwei Tage ließ meine Muskeln erschöpfen wie nach einem langen Marsch. Für mich war klar, dass es eine greifbare Diagnose geben muss, an Blutwerten oder anderen Messwerten ablesbar.
„Was der Kopf nicht verarbeiten kann, muss der Körper ausbaden.“ So sagte es mir meine Psychologin irgendwann. Messbares werde man wohl nicht finden. Zu viel erlebt, zu viel gehört, zu viel an negativen Gefühlen, Emotionen. Zu viel Trauer, zu viel Enttäuschung, zu viel Hilflosigkeit, zu viel Ungerechtigkeitsempfinden.
In den 10 Jahren zuvor hatte ich viel zugehört und fühlte mich robust, das alles wegstecken zu können. Dutzende Geschichten von kaputten Kindheiten, die in psychische Erkrankungen führten. Es schien keinen Menschen zu geben ohne Depressionen, bipolare Störung, Selbstverletzungen, Suizidgedanken, narzisstischer Persönlichkeitsstörung, Angststörungen, Zwangsstörungen …
Nur Ulli war anders. Dachte ich. 2018 sah ich ihn im Freibad. Mit muskelbepacktem Körper stieg er aus dem Wasser, mit gewinnendem Lächeln. Er war Chirurg, hatte Familie, war sicher finanziell gut abgesichert. Wenn es einer aus meiner Klasse auf die Sonnenseite des Lebens geschafft hatte, dann ganz sicher Ulli. Aber gut, er kam auch aus einem Elternhaus mit Chirurg und Lehrerin, als gute Startbedingungen.
Zwei Jahre später nahm sich Ulli aus dem Leben. Seine Schwester erzählte mir von der Kindheit der beiden – weitab der Sonnenseite. Gewalt, Manipulation, Leben unter zwei narzisstischen Elternteilen. Ullis Suizid sei seine erste freie Entscheidung gewesen, so seine Schwester.
Auf seinen Tod reagierte ich fassungslos, doch ohne Tränen. Das Jahr zuvor hatte mich in einen gefühlsmäßigen Sarkophag gesteckt, eine Serie von fünf dicken Einschlägen war zu viel für meinen Kopf. Trauer, Wut, Enttäuschung, Hilflosigkeit – alles wurde immer wieder getriggert. Fünf Monate nach Ulli starb mein Onkel. Bei der Beisetzung fühlte ich mich völlig deplatziert. Während alle um mich herum tief bewegt waren, lief ich herum mit dem Gedanken: „Tja, so ist das Leben.“
Du kannst nicht dauerhaft trauern, hilflos sein, enttäuscht vom Leben, wütend auf den, der deine Biografie so verfasst hat und auf jene, die den gleichen Scheiß der vorherigen Generationen einfach wiederholen. Also schaltet der Kopf auf „Annahmeschluss“ um. Die Gefühle und Emotionen werden weggedrückt – der Körper muss es ausbaden, weil es viel Energie frisst, den Sarkophag zu tragen.
„Ulli ist tot! Er ist nicht hier!“ – Dieser Traum ließ den Sarkophag brechen. An diesem Morgen brauchte ich nur an diese beiden Sätze denken und sofort regten sich die Gefühle.
Im Traum war ich mit Ulli gefühlt auf dem Weg in die Gruppentherapie. In der Realität stand diese an diesem Morgen tatsächlich auf dem Plan. Am Anfang fragte die Psychotherapeutin jedes Mal: „Wie geht es Ihnen heute?“ Meist setzte danach lange Stille ein, trotz um die zehn Menschen im Raum. Ich zögerte sehr lange, ob ich von dem Traum erzählen sollte. Mir war klar, dass das Erzählen vor zehn Leuten nicht ohne Tränen ablaufen würde. Vor den Tränen hatte ich weniger Angst als vor einem möglichen starken Dammbruch. Als Vierter rang ich mich nach langer Stille im Raum durch.
Ab dem Satz „Ich bin mit Ulli hier“ ging es nur noch unter Tränen weiter. Ja, ich war mit ihm hier und mit den Geschichten all der anderen. Was der Kopf nicht verarbeiten kann, muss der Körper ausbaden. Als ich am Abend aufschrieb, was der Tag so gebracht hatte, wurden die Augen bei diesem Satz wieder ordentlich feucht.
Beim Schreiben versuchte ich mir selbst zu erklären, warum mich dieser Satz so mitnahm. Ich hatte viele Geschichten über die Jahre gehört, die ähnlich zum Kopfschütteln waren wie die von Ulli. Doch ihn kannte ich und wir hätten uns als Kinder darüber unterhalten können, dass uns ein wenig angenehmes Elternhaus verbindet. Damals glaubte ich, uns trennen Welten. Bei Ulli war auch der Kontrast zwischen dem, was man bei ihm sah – „Der MUSS auf der Sonnenseite des Lebens sein“ – und dem, was man nicht sah, am Größten.
All diese Geschichten hatten mich dazu gebracht, das Buch „Verrückt – ein Aufschrei“ zu schreiben. In dieses Buch packte ich jene Gefühle, die ich abseits davon unter dem Sarkophag aus Beton eingepackt hatte: „Guckt doch hin! Hört zu! Dann wisst ihr, was in dieser Welt kaputt ist und repariert werden muss!“ Doch für das Buch fand sich kein Verlag. Und Ullis Tod veränderte nicht das Geringste. Kurz etwas Betroffenheit bei einigen Menschen und dann zurück zum Alltag. Keine Strafe für seine Eltern. Kein Lerneffekt für die nächsten Generationen. Selbst in meiner eigenen Familie werden neue Kinder in toxischen Beziehungen auf die Reise in Selbsthass, Depression, Selbstverletzung, Suizidgedanken geschickt. Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt, soll Gandhi gesagt haben.
2014 hatte ich ein Foto von mir entdeckt, das mir ebenfalls Tränen in die Augen getrieben hatte. Auf dem Bild war ich vielleicht 4 Jahre alt, wirkte unbeschwert. Beim Betrachten dachte ich: „Wenn du wüsstest, was in den nächsten Jahren auf dich zukommt …“ Ich wollte dieses Kind beschützen, doch natürlich war es dafür zu spät. Genauso wenig kann ich heutige Kinder beschützen. In der ersten Gruppentherapie hatte ich gesagt, dass werdende Eltern ab dem Zeitpunkt, an dem die Schwangerschaft feststeht, psychologisch betreut werden sollten: Gibt es Auffälligkeiten, die einem Kind schaden werden? Die Mitpatienten stöhnten entsetzt auf. Mitpatienten, die alle in der Klinik waren, weil mindestens ein Elternteil in der Kindheit es aufgrund der eigenen psychischen Schieflage an Anerkennung, Zuneigung, Liebe vermissen ließ. Mitpatienten, denen regelmäßig die Tränen kamen, wenn sie über die eigenen Eltern sprachen – wenn überhaupt. Offenbar hat jede Generation aufs Neue ein Recht, die nächste Generation kaputtzumachen. Klar, weil ICH es ja bei MEINEN Kindern viel besser mache! Da brauche ich keinen Psychologen, der mich überwacht! Aus Opfern werden Täter.
Ulli ist tot. Er hat drei Kinder hinterlassen. Wer wird dafür sorgen, dass sie diesen Einschlag verkraften? Das regelt sich schon irgendwie, oder? Und wenn nicht, dann bleibt der Gang in die Klinik, wo sie sagen können: „Ich bin mit meinem Vater hier. Mein Vater ist tot.“
In einem liegen wir gerade lachend im Schnee, in einem anderen lehnt dein Kopf an meinem. In einem bist du Papst und ich dein Leibwächter, in einem anderen sind die Rollen vertauscht.
Du hattest alles – außer einer kindgerechten Kindheit. Du schienst auf der Sonnenseite, doch der Schein trog. Aus Deinem Tod hätten wir lernen können, haben wir aber nicht.
Wenn du Gefühle nicht mehr aushältst, leg einen Sarkophag darüber. Doch was, wenn der bricht?
Du wartest. Und wartest. Das Warten tut dir weh, dennoch wartest du weiter.
Jeder hat so sein Päckchen zu tragen – für mich ein furchtbarer Spruch. Ich sehe dabei immer ein Schulterzucken, als wäre es ein Naturgesetz, dass jede Generation der nächsten Steine in den Rucksack packt.
Was macht dich glücklich, mein Kind? Was fehlt dir? Was hast du damals vermisst, was willst du heute nachholen? Würde es mir damit besser gehen?
Du trägst mich auf deinen Schultern durch gute und schlechte Zeiten. Wir haben keine Liebesbeziehung, sind eine Zweckgemeinschaft mit gewissen Vorzügen.
In mitten des Ozeans sinkt nach heftigen Stürmen ein Boot ganz langsam. Der Mann darin ist erschöpft, er bekommt den Kahn einfach nicht mehr leer, so sehr er sich bemüht. Ein zweites Boot nähert sich, der Mann schöpft Hoffnung – Rettung in Sicht nach langer Zeit. Der andere Mann kommt immer näher, grüßt kurz, schaut: […]
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Würdest du das kleine Mädchen, das du einst warst, vor all den Scherben bewahren, durch das es laufen musste? Nein.
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Vor mir liegt ein Stein. Kein kleiner Kiesel. Er lässt mich nicht vorwärts kommen – oder schützt er mich?
Wir hatten es selten leicht miteinander, du und ich. Von Liebesbeziehung konnte kaum die Rede sein, mein liebes Leben.
Wenn dein Ego nie wachsen konnte, ist es dir eben egal, wie ehrlich ein „Ich liebe dich“ ist. Hauptsache, du bekommst es zu hören.
„Die langen Ärmel ihrer Bluse rutschten nach unten, als sie in ihrer Freude die Hände noch oben riss.
Er sah ihre Narben am Handgelenk …“ – Wie geht es wohl weiter?
„Wie konnte sie nur? Ja, ihr ging es dreckig, aber was sollten wir denn machen? Mein tiefempfundenes Beileid. Sag´ Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Jetzt muss ich erstmal los.“
Im dunklen Wasser des kleinen Sees versinken Nachtgedanken, heißt es. Doch aus ihm können auch zauberhafte Wesen steigen.
Ich hab´s geschafft: Ich bin tot. Endlich kann ich machen, was mir Freude am Leben gibt.
Jeder Mensch hat zwei Ohren. Nur was wir damit anfangen, ist recht unterschiedlich. Umso erleichternder ist es in Krisenzeiten, wenn du jemanden findest, der zuhören kann. In den letzten Jahren lernte ich, dass dies wohl meine Superkraft ist. Diese biete ich Dir hier an.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
2020 (2) 2022 (2) 2024 (2) Aluthutträger (2) Aurelie Joie (10) Ballast (2) beileid (1) bipolare störung (3) bipolare Sörung (2) corona (3) Covidioten (2) Depression (4) einsamkeit (1) falsche Vorbilder (1) fightforlove (1) freiheit (2) geduld (1) gefühle (10) gendern (4) Hass (3) hilflosigkeit (3) Journalismus (5) Kindheit (5) liebe (2) macht der worte (1) manie (3) meinestimmegegenignoranz (19) missbrauch (2) mitgefühl (1) narzisst (5) Politiker (3) psychische Erkrankungen (11) selbstbewusstsein (1) selbstverletzung (2) selbstzweifel (2) suizidgedanken (1) tot (3) trauer (2) Vater & Sohn (2) verrückt (22) verschwörungsmythen (3) verständnis (4) vertrauen (1) wird nicht besser (3) zu spät (1)
Nicht zuletzt durch die Serie „The Big Bang Theory“ ist sie zur berühmtesten Katze der Welt geworden, die nie ein Mensch gesehen hat: Schrödingers Katze. Das Tier sitzt in einem Karton, zusammen mit tödlichem Gift. Das Gift kann jederzeit freigesetzt werden. Solange du nicht in den Karton schaust, weißt du nicht, ob die Katze noch lebt. Du stehst daneben und auch wenn du weißt, dass das Tier entweder lebt ODER tot sein muss, ist die Katze für dich eigentlich beides: tot UND lebendig.
Im Gegensatz zur Katze in diesem Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger lebt Sophie tatsächlich – oder sie lebte. 2015 lernte ich sie kennen, sie schrieb mich auf einer Plattform an, bei der es ums Unterhalten geht, aber die vor allem zur Suche nach dem passenden Deckel genutzt wird. Ihr Name war mit einer Warnung versehen: Ich sollte darauf achten, dass Sophie noch nicht 18 ist. Als sie mich – zu dem Zeitpunkt war ich 43 – anschrieb, glaubte ich an eine Falle: Wollte mich jemand in irgendetwas locken und mich zu erpressen?! Warum würde eine 25 Jahre jüngere Frau Kontakt zu mir suchen?! Doch es war keine Falle, Sophie war echt, knapp 18.
Sie lebte rund 300 km entfernt von mir – oder sie lebt noch immer dort. Warum die Frage offen ist bei einer so jungen Frau? Weil sich viel Gift im Karton mit Sophie befand. Mit 12 stand sie auf dem Balkon, sprungbereit. Vier Briefe hatte sie zuvor geschrieben. Ihr Karton war die Familie, die eigentlich ein sicherer Raum sein sollte. Ihr Gift waren ihre Eltern, ihr Bruder. Ein halbes Jahr hatte dieser Sophie immer wieder geschlagen. Die Eltern wussten davon, doch es war ihnen egal. Und so stand Sophie auf dem Balkon, zum Abschied bereit. Liebe, Zuneigung, Anerkennung fand sie bis dahin weder bei ihrer Mutter noch bei ihrem Vater. Entsprechend winzig war ihr Selbstwert. Wenn dich deine eigenen Eltern mobben, kannst du nichts wert sein.
Sophie sprang nicht. Doch sie glaubte, sie würde nicht älter als 27. In dem Alter starben Musiklegenden wie Janis Joplin, Kurt Cobain und Amy Winehouse. Sophie war nicht krank – nicht körperlich. Ihre Psyche war jedoch schon früh ein Trümmerfeld, sturmreif geschossen von jenen, die sie in diese Welt gesetzt hatten.
Entsprechend viel Kraft verlangte ihr die Ausbildung zur Altenpflegerin ab, aber auch das Leben an sich. Immer wieder tauchte sie länger ab, um sich dann mit einem neuen Account zurückzumelden. Zeitweise zog sie bei ihren Eltern aus und bei ihrer Oma ein. Diese schien der einzige Halt in der Familie für Sophie, wurde aber irgendwann „wunderlich“, teils giftig, vielleicht eine Alterserscheinung.
Immer wieder gab es psychische Einbrüche, Selbstverletzungen. Wirklich gut ging es ihr nie. Einem Kumpel zuliebe ging Sophie für kurze Zeit zu einer Psychologin. Doch diese kam ihr irgendwann „zu nah“. Mit ihren Fragen drohte die Therapeutin offenbar eine Tür bei Sophie zu öffnen, die diese aber geschlossen lassen wollte. Was genau sich hinter der Tür verbarg, konnte sie nicht sagen, es war ein absolut ungutes Gefühl und so brach Sophie die Besuche ab.
Für mich war Sophie wie eine Begegnung mit meinem 18-jährigen Ich. Ich stellte mir immer wieder vor, was ich hätte in diesem Alter gebraucht, um mein Schneckenhaus verlassen zu können. Erst mit 38 hatte ich erstmals das Gefühl, von einer Frau als Mann wahrgenommen zu werden, nicht nur als der gute Kumpel, der so gut zuhören kann. Diese kopfinterne Veränderung von einem Neutrum hin zu einem Mann bewirkte viel, löste eine Kettenreaktion aus, die ich mir rückblickend viel eher gewünscht hätte. So versuchte ich Sophie, nicht als Teenager, sondern als Frau wahrzunehmen und ihr das auch so zu vermitteln.
Anfang 2020 tauchte sie nach langer Stille wieder auf. Ohne Worte schickte sie mir das Foto eines Briefs, in welchem ihr zur bestandenen Prüfung zur Altenpflegerin gratuliert wurde. Ich fühlte mich versetzt in die Rolle ihres Ersatzvaters und gab mein Bestes, um ihren durchschimmernden Stolz auf den Abschluss und das Durchhalten der Ausbildung zu bestärken und ihr mageres Selbstbewusstsein ein wenig zu füttern. Wenn sie über ihre Arbeit schrieb, war immer wieder ein „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe“ zu spüren. Mein Vater war zu dieser Zeit selbst in einem Pflegeheim, wodurch ich ein klein wenig Einblick in die Arbeit des Personals hatte und Sophies Schaffen besser nachvollziehen konnte.
In den Tagen darauf präsentierte sie mir ihre neuen Schuhe, ganz in weiß. Auffällige Farben trug Sophie schon in den Jahren zuvor nicht. Auffallen wollte sie nie, lieber unsichtbar sein.
„Hab 5 Kilo abgenommen“ – mit ihrem Gewicht war sie nie glücklich, mit ihrer Figur kam sie nicht klar. Trotzdem hatte sie mir 2015 Fotos geschickt, von einem Kumpel gemacht. Einerseits fühlte ich mich damals geschmeichelt, denn solche Bilder hatte mir zuvor keine Frau geschickt. Andererseits hoffte ich, dass sie mit diesen Fotos nicht leichtfertig umgehen würde, auch wenn ihr Wunsch nach positivem Feedback verständlich war, so wie die Anerkennung im Elternhaus gegen Null ging.
Wer sein Kinderzimmer ohne gesundes Selbstbewusstsein verlässt, betritt Umwege zum Glück, die immer Wege ins Unglück sind. Du willst endlich Aufmerksamkeit, einen Hauch von Zuneigung, Liebe – all das, was du bisher nie bekommen hast.
Dafür nimmst du Sachen in Kauf, die dir am Ende nicht gut tun, ob toxische Beziehung, Sucht oder andere Umwege zum Glück. Wann immer es um Sophies Figur ging, versuchte ich vorsichtig, ihre großen Selbstzweifel ein wenig geradezurücken, brachte dabei die Bilder von 2015 in Erinnerung. Doch das Selbstbild hing dank ihres Elternhauses verdammt schief, mit langen Nägeln festgeklopft. Sie wolle bloß nicht so dick werden wie viele Pflegerinnen, denen sie begegnet war. Ihre Essgewohnheiten schwankten zwischen Magerkost und Pizza nebst Energy-Drink. Als Fan von geregelten Mahlzeiten wünschte ich ihr jemanden an die Seite, mit dem sie eine Balance finden konnte – beim Essen wie im ganzen Leben.
Und einen potentiellen Kandidaten hatte Sophie inzwischen gefunden. Er wohnte nicht weit weg von ihr, sehr ländlich. Ihrem Hang zu mehr oder weniger älteren Männern war sie treugeblieben, 10 Jahre trennten beide. „Dieses Jahr kriegst du den Antrag, damit wir nächstes Jahr heiraten“, zitierte Sophie ihren Freund. Er wolle ein Kind, wenn es ein Junge wird, soll er Finn heißen. Sophie bevorzugte „Jonas“. Ich schrieb zwischendurch: „Gut, dass ihr es nicht eilig habt.“ Zu meiner leichten Beruhigung trat Sophie selbst etwas auf die Bremse: „Lass irgendwas sein und man merkt, das Zusammenleben funktioniert nicht …“
Bis zu dieser Zeit Anfang 2020 hatte ich reichlich Geschichten gesammelt mit dem Muster „Ich will ein Kind und Familie, dann wird endlich alles gut.“ Nur wurde es nie gut. Babys sind nicht die Lösung deiner Probleme, sie werden zum Erbe deiner Probleme. Ja, diese süßen Gesichter scheinen jeden Schmerz vergessen lassen zu können. Eine Frau, die als Teenager von ihrem Vater missbraucht worden war, ging diesen Weg. Auch sie glaubte, mit einem Kind werde alles gut. Das Kind war da, der Partner im Streit weg und die Frau merkte immer mehr, dass die alten Wunden nicht durch ein Kind geheilt werden.
Sophie hatte in den 5 Jahren zuvor immer wieder davon gesprochen, so bald wie möglich Mutter werden zu wollen – gleichzeitig glaubte sie, nicht älter als 27 zu werden. Ich gönnte ihr jedes Glück der Welt, aber ich gönnte keinem Kind, unter diesen Umständen geboren zu werden. Wer mit sich selbst nicht klarkommt, kann einem Kind nicht vorleben, wie es mit sich selbst klarkommt. Wer keinen Selbstwert hat, kann keinen Selbstwert weitergeben. Und so wünschte ich Sophie, dass sie von ihrem neuen Freund gut behandelt wird, aber dass sich die Familiengründung noch weit in die Zukunft verschieben würde.
Mitte Februar 2020 tauchte Sophie wieder ab. Im Gegensatz zu früher versuchte ich dieses Mal, ihr Verschwinden positiv zu sehen. „Wenn sie sich nicht melden, geht es ihnen gut.“ Ich glaubte, dass nun der neue Freund meine „Aufgaben“ übernommen hatte und Sophie so glücklich wäre, wie es unter ihren Umständen möglich war.
Anfang September 2020 war sie wieder da – und sie klang alles andere als glücklich. Sie sei wieder Single. Meine Antwort: „Autsch. Woran ist es mit dem jungen Mann auf dem Lande gescheitert? Hoffentlich nicht wieder so ne Nummer mit ner anderen wie der eine.“
Sophie: „Er ist nun Papa seit knapp nem Monat.“
Ich: „Ääähm, dank dir?!“
Sophie: „Nein. Ähnliche Situation wie 2017… Nicht getrennt, aber schon mit einer anderen zusammen. Ich ziehe sowas wohl magisch an. Aber es in Ordnung.“
Nichts war in Ordnung. Der Sohn wurde im Juli geboren – von der Ex des Freundes, von dem mir Sophie im Februar geschrieben hatte. Die Ex war damals ungefähr im 4. Monat schwanger – und der Freund schmiedete gleichzeitig mit Sophie Pläne über eine Familie, schwafelte von Heirat.
„Ich befinde mich derzeit in der schwierigsten Downphase, die ich bisher hatte … Ursache? Ich weiß es nicht“, schrieb Sophie. „Ich bekam im März dann auch Schlafprobleme bis Anfang August … wenns gut lief insgesamt 2-3 h geschlafen. 2-3 Tage wach war nicht mehr unnormal … abschalten ging nicht mehr. Ab 12 Uhr gearbeitet meist bis 23 Uhr… – freiwillig Juli, dann Diagnose Burnout die ich hinnahm aber ehrlich? … ich glaube nicht dran. Ja ich bin nicht mehr wirklich leistungsfähig bzw. belastbar aber es liegt größtenteils daran das ich kaum Zeit für einen Ausgleich habe und hier sowieso alleine lebe und jetzt nach knapp 12 Monaten anfange, den Ort kennenzulernen.“
Für mich stand außer Frage, dass die Trennung und vor allem die erneute heftige menschliche Enttäuschung die Gründe waren für die Schlafprobleme und Sophies rauschende Talfahrt. 2010 erlebte ich selbst drei Monate, in denen ich maximal 1-3 Stunden pro Nacht schlief. Genau wie bei Sophie ging eine extreme menschliche Enttäuschung voraus. Immer wieder dachte ich beim versuchten Einschlafen: „Wie kann ein Mensch so falsch sein …“
Doch Sophie wollte keinerlei Zusammenhang sehen zwischen dem „Übrigens werde ich Papa mit meiner Ex“ und den schlaflosen Nächten: „Es lag definitiv nicht an der Trennung. Hingenommen und alleine weiter gemacht. Mir ist das ehrlich gesagt alles Schnuppe und ich bin sehr gleichgültig geworden was auch okay ist.“
Mein Schlaf kehrte 2010 erst zurück, als ich mir sagte: „Ach egal, ob ich diese Nacht schlafe, leg ich mich halt tagsüber hin … Scheiß drauf …“ Meine Selbstständigkeit machte dies möglich, Sophie musste weiterhin auf Arbeit funktionieren. Ohne Gleichgültigkeit hätten sich meine Schlafstörungen immer weiter gezogen, weil ich weiterhin im Stressmodus gewesen wäre: „Du musst doch endlich mal wieder schlafen!!!“ Stresshormone verjagen aber Schlafhormone. Als der Schlaf zurückkam, blieb eine Leck-mich-am-Arsch-Einstellung, offenbar ein Selbstschutz der Psyche. Genauso blieb eine permanente Benommenheit bis heute, als würde man nachts um 2 aufstehen: Man funktioniert, aber irgendwie ist man nicht klar da.
Und es zeigten sich in der Zeit nach den schlaflosen Monaten zwei Autoimmunerkrankungen. In meinem Blut fanden sich Antikörper, die die Schilddrüse angreifen können und verschiedene Stellen meiner Haut wurden nicht mehr braun im Sommer, Diagnose: Vitiligo. Und auch hier sollte sich bald eine Parallele finden zu Sophie, nur dass es sie deutlich heftiger erwischte.
Wieder verschwand Sophie, dieses Mal nur einen Monat. Anfang Oktober 2020: „War heute beim Arzt… Verdacht auf Blutarmut… richtig nett.“
14 Tage später: erhöhte Entzündungwerte. Sophie beschrieb nun auch Symptome, die sie seit der Schlafentzug-Phase hatte: Schwindel, kraftlose Beine, unwillkürliche Zuckungen, neuerdings „zeitweise Blindfisch“: „Ich falle ab und zu um, vors Waschbecken, gegen Küchenschränke, vors Sofa, auf dem Weg zum Klo. Montag lag ich halb aufm Sofa und wurde hochgezogen, weil ich am Zucken war. Ich bin dann sofort wieder ansprechbar und kann reagieren. Passiert meist 1 bis 2 Mal am Tag. Licht aus und Tschüss.“
Wieder zwei Wochen später: Sophie schickte mir Fotos von der Kardiologie-Abteilung – nicht als Pflegerin, sondern als Patientin: „Es liegt wahrscheinlich eine Verengung der Halsschlagader vor. Am Mittwoch geht es wohl auf die Neurologie, Schädel-MRT war auffällig, Verdacht auf Multiple Sklerose.“
Vier Tage später: „MS konnte ausgeschlossen werden, dafür wurde eine hochgradige Gefäßwandentzündung festgestellt. Da bekomme ich demnächst Kortison. Macht ja nur das Immunsystem kaputt xD Nach der Entlassung gibts engmaschige Kontrolle beim Gefäßdoc. Ultraschall auch erledigt, um zu sehen, ob die Gefäße sich geweitet haben. Ist eher selten mit dieser Gefäßwandentzündung im europäischen Raum. Die Ärzte können es sich nicht erklären, da ich weder rauche, nur selten Alkohol trinke und relativ gut auf meine Ernährung achte. Drogen auch nicht. Und trotzdem Aneurysma im Kopf … Durch das bin ich umgekippt, weil das Hirn nicht richtig versorgt wird. Am Hals verengte Schlagadern, da bekomme ich Stents eingesetzt. Bluthochdruck am Bein, zu niedriger Blutdruck in den Armen. Gutartige Zyste am Eierstock, paar Gallensteine. Weiter arbeiten in der Pflege wird mir abgeraten, Ausbildung alles umsonst. Bekomme hier einige Mitleidsblicke.“
Zwei Tage später: „Bleibe länger. Ultraschall ergab, das es zwar eine Verbesserung gab aber auch gleichzeitig eine Verschlechterung. Irgendwann schaltest du ab und verdrängst, was der Doc zu dir sagt und lässt nur noch zu. Nach der Entlassung komme ich wenige Wochen später nochmal für einige Tage her … um dann kurz darauf ambulant weiterzumachen. Wurde heute entschieden.“
Einen Tag später: „Diagnose steht fest: Vaskulitis.“
Bei dieser Autoimmunerkrankung greifen körpereigene Zellen die Wände der Adern an. Die Gefäßwandentzündungen bei Sophie, die sich die Ärzte bis dahin nicht erklären konnten, waren nun kein Rätsel mehr – aber ein großes Problem. Autoimmunerkrankungen sind bisher nicht heilbar, man kann nur versuchen, die Symptome abzufedern. Und es gibt immer wieder Schübe, also Phase, in denen der Körper sich selbst stärker angreift. Bei Vitiligo wird dann das optische Problem größer, bei Adern wird es lebensgefährlich.
Wir hatten also beide eine heftige menschliche Enttäuschung, anschließend drei Monate massive Schlafstörungen und wenig später tauchten Autoimmunerkrankungen auf. Schwer zu glauben, dass die Erkrankungen auch ohne die Enttäuschungen aufgetaucht wären.
Einen Monat später, Mitte Dezember 2020, meldete sich Sophie kurz von Zuhause und beschrieb den nächsten Klinikaufenthalt: eine Infusion, welche die Autoimmunerkrankung in Schach halten soll und das Setzen der Stents in die linke Halsschlagader – „die rechte ist ja nicht mehr zu retten, Gefäße zu sehr betroffen, das dort ein Eingriff wenig Sinn macht. Option Bypass.“
Einen Tag vor Weihnachten postete sie ein Bild von sich bei Facebook, wieder aus der Klinik: Schlaganfall. Die Folge: eine Dysphasie: „Ich weiß was ich sagen möchte, aber kann nicht.“ Mit dem Lesen war sie schnell überfordert. In den drei Wochen danach antwortete Sophie selten und nur mit ein, zwei Wörtern. Auf meine Frage „Wie ist die Lage?“ kam: „Geht es …“ Auf meine Antwort bekam ich keine Reaktion mehr.
Heute, fast vier Jahre später, ist Sophie für mich gleichzeitig lebendig und tot, wie Schrödingers Katze. Ich weiß nicht, wie es weiterging. Und ich weiß nicht, was ich mir wünschen soll, wie es weiterging. Ich könnte ihre Schwester anschreiben und fragen, ob Sophie noch lebt und wenn ja wie. Aber ich weiß nicht, welche Antwort ich erhoffen soll.
Wenn Sophie über die Misshandlungen durch ihre Familie schrieb, über die psychischen Folgen, wenn sie mir Bilder ihrer Selbstverletzungen schickte und ihre Suizidgedanken andeutete, wünschte ich mir für sie einen riesigen Stinkefinger, den sie ihrer Familie hätte zeigen können: „IHR bekommt mich nicht klein! Ich werde leben! Ich werde älter als 27!“
Andererseits schien mir das Leben für sie ein einziger Kampf zu sein, den sie nie und nimmer gewinnen konnte. Wie so viele andere suchte sie doch noch Zuneigung in ihrer Familie – wie bei so gut wie allen wäre das ein sich nie erfüllender Wunsch geblieben. Mit ihrem kaputtgeschlagenen Selbstbewusstsein würde sie immer wieder bei Typen landen, die sie früher oder später enttäuschen. Wo auch immer sie Halt suchte, landete sie hart auf dem Boden. Mit der Gefäßentzündung hätte sie wohl immer zwischen Leben und Tod gestanden – oder sie steht. Ist Sophie Geschichte? Ist ihre Geschichte zu Ende? Ging sie weiter?
Für mich lebt sie und ist gleichzeitig tot. Wie Schrödingers Katze. So kann ich glauben, sie wäre von allen Sorgen befreit oder hat doch noch eine Chance, glücklich sein zu können. Vielleicht liegt sie nach weiteren Schlaganfällen dauerhaft in einem Bett, betreut von einer Altenpflegerin in Ausbildung, so wie Sophie einst eine war. Diese Fortsetzung der Geschichte würde ich ungern lesen, aber sie würde zu Sophies Leben passen. Und so werde ich es wohl dabei belassen: Der Karton bleibt geschlossen.
Sophies Geschichte wird mich zusammen mit all den anderen Geschichten immer dafür eintreten lassen, dass werdende Eltern ab dem Zeitpunkt, zu dem die Schwangerschaft feststeht, psychologisch betreut werden bis das Kind 18 ist. Ziel der Betreuung soll sein, Persönlichkeitsstörungen und Verletzungen aus der Kindheit der Eltern zu erkennen und zu behandeln, so dass das Kind eine viel bessere Chance hat, das Kinderzimmer mit einem gesunden Selbstwert zu verlassen. Ein solcher Mensch wird weder eine toxische Beziehung eingehen müssen, noch mit seinem selbstsüchtigem Verhalten einen anderen Menschen so krank machen wie Sophie.
Das letzte Wort überlasse ich ihr, „meinem Küken“, wie ich sie manchmal kopfintern bezeichnete. Vielleicht steckt ja auch darin des Rätsels Lösung, warum ich nichts mehr von ihr höre. Ein Jahr nach unserem ersten Kontakt hatte die mir damals 18-Jährige geschrieben: „Du bist fast der Einzige dem ich alles erzähle…Die Fragen stellen. Um Rat / Hilfe bitte. Und das länger wie nur 3 Monate oder so… Mein Kreis ist so klein, weil ich irgendwann nicht mehr mit Personen zurecht komme. Irgendwas stört mich dann und dann bin ich gestresst … Ende ist meistens dann der Kontaktabbruch.“
Den Blick hinter die Gardinen mit 80 weiteren Biografiesplittern gibt es in meinem Buch:
Wer Menschen verstehen will, muss ihnen zuhören, sie beobachten, hinter die Fassade schauen: Warum heiraten wir? Sind Frauen von Natur aus gute Mütter? Was erlebt man bei der Partnersuche? Wem verdanken Elon Musk und Kanye West ihre Erfolge? Was treibt andere Prominente an – und was ist dein eigener Antrieb? Fallen psychische Erkrankungen vom Himmel? Warum steht jemand 5 Stunden unter der Dusche? Wieso glaubt Käpt´n Crazy, die Chinesen würden kommen? Sind Krankenhäuser tatsächlich Hurenhäuser? Warum verheimlicht eine 50-Jährige, dass ihr Vater soff?
Mit den Antworten auf diese Fragen wird unerklärliches Verhalten entzaubert. Kein Hashtag, kein Gendern und keine Kampagne wird diese Welt retten können. Erst wenn wir einsehen, wie wir ticken, kann sich etwas verändern. Komm mit auf eine Reise, die Dich verändern wird!
Das Buch gibt es bei bod.de, bei Amazon, genauso bei allen anderen Onlinehändlern. Du kannst aber auch beim Buchhändler um die Ecke danach fragen. Die ISBN: 9783 7557 0721 9. (Da sich bisher kein Verlag interessiert hat, werden keine Exemplare zum Mitnehmen rumliegen, deshalb bitte vorerst direkt im Laden bestellen.)
Du bist Dir unsicher, was mich zu einer glaubhaften, seriösen Quelle macht? Fragst Du Dich, was mich zum Experten macht? Nichts.
Sophie lebt – und ist tot. Was besser ist für sie? Ich weiß es nicht.
„Da war nichts.“ Meggie hatte eine schöne Kindheit, dennoch geht es ihr schlecht. Warum?! Dann erwacht der Elefant.
„Ich habe mich gefreut, wenn Papa fünf Minuten Zeit für mich hatte.“ Jens hat den Arbeitseifer seines Vaters geerbt und wird in sechs Jahren sterben.
Elon Musk, Kanye West, Mel Gibson – denen ist doch allen der Erfolg zu Kopf gestiegen! Die spinnen doch einfach nur! Willst du mit ihnen tauschen?
„Warum hat er mich nicht lieb? Bin ich einfach ein Nichts?“ Diese Fragen stellt sich Katis jüngerer Sohn und denkt dabei an seinen Vater.
Suizid kann Freiheit bedeuten. 2020 hat Ulli die erste freie Entscheidung seines Lebens getroffen. Dieser Neubeginn bedeutete seine Freiheit. Und sein Ende.
Saskia gibt mit Ü40 die Hoffnung nicht auf, von ihrer Mum ein nettes Wort für ihr Dasein zu hören. Bettina bekam mit 20 ein Kind, um ihrem Elternhaus zu entkommen – und lebt seitdem in den gleichen Verhältnissen.
Natascha Kampusch als Hassobjekt?! Das macht keinen Sinn – doch beim Zuhören erklärt sich auch beim Thema Hass, wie sich unsere „Special Effects“ entwickeln.
Annie ist 16, 1,70 m, 40 kg. Ihr Vater versteht nicht, warum sie nicht einfach mehr isst. Er selbst steckt jeden Monat 500 Euro in sein Onlinespiel. Annies Mutter vermeidet Diskussionen mit ihm über ihr Rauchen. Verstehen des jeweils anderen? Fehlanzeige.
Die einen waschen ihre Firma grün, die anderen leben beim Yoga ihren Narzissmus aus. Was steckt hinter dem Gendern?
Wer Frauen sichtbar machen will, muss das komplette Bild ins Scheinwerferlicht rücken – auch die Schattenseiten.
Wo in der Geschichte sind die ganz konkreten Beispiele dafür, dass Appelle an die Vernunft etwas zum Guten verändern? Mein Vater kann nicht gemeint sein.
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Knapp 18 Mio. Menschen werden pro Jahr wegen psychischer Erkrankungen behandelt. So etwas können Parteien doch nicht ignorieren, oder?
Frage: Was muss passieren, damit diese Welt weniger verrückt ist? Antwort: Wir müssen zuhören lernen. Oder wir verbieten das Kinderkriegen.
Jochen wäre fast ertrunken, der Vater zerrte ihn wieder ins Wasser. Opfer und Täter, weiß und schwarz. Doch ist es wirklich so einfach?
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Und wieder glauben wir, Erwachsene umerziehen zu können – und wieder haben wir nichts aus der Geschichte gelernt.
Er verfolgt dich, er bespitzelt dich, er glaubt dir nicht, du machst Schluss mit ihm. 10 Jahre später sitzt du mit ihm und euren beiden Kindern am Frühstückstisch.
In dieser Welt passiert vieles, was aufgedeckt gehört. Gibt es jedoch zu einem Ereignis 101 unterschiedliche Wahrheiten, dann werde ich nachdenklich.
Die Welt wird von einer unsichtbaren Macht geleitet – sagen nicht nur Verschwörungsanhänger, sondern Milliarden Menschen.
Er baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Sie spricht vom Angriff der Roboter. Wenn du ihre Geschichten kennst, wirst du sie verstehen.
„Als ich Krebs hatte, bekam ich Mitleid, Zuspruch und Unterstützung. Als Depressionskranke war ich immer die faule Sau.“
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Als Robert Enke durch Suizid starb, herrschte große Trauer. Doch längst jagen wir seine Nachfolger Richtung Abgrund.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
2020 (2) 2022 (2) 2024 (2) Aluthutträger (2) Aurelie Joie (10) Ballast (2) beileid (1) bipolare störung (3) bipolare Sörung (2) corona (3) Covidioten (2) Depression (4) einsamkeit (1) falsche Vorbilder (1) fightforlove (1) freiheit (2) geduld (1) gefühle (10) gendern (4) Hass (3) hilflosigkeit (3) Journalismus (5) Kindheit (5) liebe (2) macht der worte (1) manie (3) meinestimmegegenignoranz (19) missbrauch (2) mitgefühl (1) narzisst (5) Politiker (3) psychische Erkrankungen (11) selbstbewusstsein (1) selbstverletzung (2) selbstzweifel (2) suizidgedanken (1) tot (3) trauer (2) Vater & Sohn (2) verrückt (22) verschwörungsmythen (3) verständnis (4) vertrauen (1) wird nicht besser (3) zu spät (1)
Anfang 2022 hatte ich es endlich geschafft: Ich schmiss mein Buch „Verrückt – ein Aufschrei“ auf den Markt, an dem ich Monate bis Jahre gesessen hatte. All die Geschichten derer, für die sich kein Schwein interessiert, füllten 700 Seiten – mehr waren von der Druckerei her nicht möglich. Die Moral all dieser Geschichten: Jede psychische Erkrankung entsteht durch einen Einschlag in der Kindheit. Ich bin nicht der Entdecker dieser Erkenntnis, sie ergibt sich aus dem Zuhören und dem Vorgehen der Psychologen. Bei ihnen geht es immer um die Kindheit. Nicht, weil sie gern lustige Geschichten von kleinen, süßen Zwergen hören möchten, sondern weil sie eben aus Erfahrung wissen, wo der rote Faden anfängt, der sich in Depressionen, Zwangsstörungen, Selbstverletzungen, Sucht, Selbstzweifel usw. fortsetzt.
Im Sommer 2024 konnte ich dies aus erster Hand recherchieren. Mein Körper machte in den Jahren zuvor immer weniger das, zu was er eigentlich in der Lage gewesen sein sollte. Während ich 2016 jeden Tag bei Wind und Wetter 6, 7, 8 km wanderte, schaffte ich inzwischen keine 500 m mehr aller paar Tage, ohne dass sich die Muskeln im Nachhinein darüber beschwerten. Um herauszufinden, wo der Hase im Pfeffer liegt, ging ich in eine psychosomatische Klinik. Für mich war es schwer vorstellbar, dass es keine organische Ursache gibt, dass alles „nur“ von der Psyche kommt. Ja, meine Kindheit war reich an Einschlägen und auch als Erwachsener hagelte es unregelmäßig Fäkalien in die Trompete. Aber wieso sollte ich deshalb kaum noch laufen können?
„Was der Kopf nicht verarbeiten kann, muss der Körper ausbaden“, so sagte es mir meine Psychologin in der Klinik. Hmm. Da ich inzwischen alles Mögliche an Diagnostik der Organe ohne Befund hinter mir hatte, fing ich an, diesen Satz zu glauben. „Sie müssen sich mehr um sich selbst kümmern“, war ein weiterer Satz, der in den Therapiesitzungen fiel. Ich hatte von einem ziemlich kleinen Teil jener Menschen erzählt, deren Geschichten ich über die Jahre zuvor gesammelt, ihnen zugehört hatte. Geschichten, die Psychologen täglich zu hören bekommen, aber sie haben ihre Techniken, damit es sie mit der Zeit nicht erschlägt. In mir steckten diese Geschichten nebst meiner eigenen. In meinem Buchtitel heißt es nicht umsonst „… – ein Aufschrei“. Das Buch war mein Versuch der Selbstreinigung, des Alarmschlagens, des „Hört doch endlich mal zu!“ – doch weder Journalisten noch Buchverlage wollten davon etwas wissen. Also muss mein Körper das ausbaden, was der Kopf nicht verarbeiten kann.
In der Klinik stellte ich mich deshalb in den Mittelpunkt meines Denkens – ich war aber auch einfach zu platt fürs weitere Zuhören. Und so fragte ich Mitpatienten keine Löcher in den Bauch über deren Geschichten, blieb so gut es ging bei mir.
Mit drei Mitpatienten (zwei Männer, eine Frau) erlebte ich lustige Abende. Wir saßen meist im Speiseraum zusammen und spielten. Unsere inneren Kinder kamen dabei nicht zu kurz. Jene Kinder, die in ihrer Kindheit nicht das bekamen, was Kinder bekommen sollten: Zuneigung, Anerkennung, Liebe von BEIDEN Elternteilen.
„Wie die Kinder“ ging es unter uns vieren auch zu, als eine neue Patientin auf Station kommen sollte. Sie wurde mit Anfang 30 angekündigt. Mein Hang zu ganz leicht jüngeren Frauen war allseits bekannt – auch, dass ich mich bis Mitte 40 erfolgreich von Frauen jeglichen Alters hatte fernhalten können. Und so hieß es von meinen Spielgefährten: „Die Meggie setzen wir im Speiseraum neben dich!“
Dutzende, furchtbar kindische Witze später saß sie dann neben mir. Ich war heilfroh, dass keiner dieser netten Leute nun einen dieser Witze neu auflegte und wir uns nicht vor Lachen auf den Boden legen mussten. Wer in eine solche Klinik kommt, hat äußerst selten ein stabiles Selbstbewusstsein und wenn du als „Die Neue“ dann scheinbar ausgelacht wirst, könntest du schnell wieder deinen Koffer packen, nur weil so ein paar Kinder im Alter von 30 bis 50 anwesend sind.
Doch Meggie wurde schnell warm mit uns Kindern. Gleich am ersten Tag war sie dabei bei einem weiteren Spieleabend. Die Kinder waren inzwischen ins Jugendalter gekommen und spielten „Flaschen drehen“. Eine Menge von eher eindeutigen als zweideutigen Fragen wartete auf Antworten: „Wie viele Menschen hast du leidenschaftlich geküsst?“ bis „Welches ist deine Lieblingsstellung?“ Nirgends geht es lustiger zu als in einer psychosomatischen Klinik.
Meggie machte mit, sie wirkte nicht peinlich berührt, ergriff nicht die Flucht – was ich durchaus verstanden hätte. Oft hatte sie ein spitzbübischen Lächeln auf den Lippen. Und immerhin hatte sie damit das Schlimmste hinter sich, denn meine drei Spielkameraden verließen zwei Tage später die Station.
Jede psychische Erkrankung entsteht durch einen Einschlag in der Kindheit. Das sagte ich auch Meggie in einem unserer ernsteren Gespräche. Sie kam mit der Diagnose Borderline in die Klinik, war zuvor auch schon in einer anderen. Borderline war für mich Neuland, ich hatte bis dahin niemanden, der mir aus seinem eigenen Leben darüber etwas erzählt hatte – zumindest glaubte ich das.
Meggie sagte mir, dass sie schwer neue Kontakte halten kann. Nach ca. drei Monaten lässt sie neue Verbindungen meist einschlafen. Das erinnerte mich sofort an eine Frau, mit der ich fünf Jahre zuvor immer mal wieder Kontakt hatte. Anne war 18, als sie mich anschrieb – ich verstand nicht, was sie mit mir altem Knochen wollte. Mit der Zeit wurde das Bild rund. In ihrer Familie hatte sie nur Gegner, Anne war der Sandsack für alle und schon mit 12 stand sie auf dem Balkon, zum Absprung bereit.
Ca. vier Jahre nach unserem ersten Kontakt schrieb sie mir: „Du bist fast der Einzige, dem ich alles erzähle…Die Fragen stellen. Um Rat / Hilfe bitte. Und das länger wie nur 3 Monate oder so… Mein Kreis ist so klein, weil ich irgendwann nicht mehr mit Personen zurecht komme. Irgendwas stört mich dann und dann bin ich gestresst … Ende ist meistens dann der Kontaktabbruch.“ Ich las Meggie diese Sätze vor und sie konnte es 1:1 nachvollziehen. Es sei typisch bei Borderline.
Als ich sagte, dass Anne mir ein Foto geschickt hatte, auf dem ein geritzter Unterarm zu sehen war, sprach Meggie von ihren eigenen Selbstverletzungen. Auch diese seien bei Borderline typisch. Normalerweise spreche sie nicht mit anderen darüber, weil sie bisher meist nur verständnisloses Kopfschütteln erntete. Ich erinnerte mich an einen Satz einer Verwandten, den auch eine Frau von einem Onlinedate mir gesagt hatte bezüglich ihrer Selbstverletzungen: „Der Schmerz zeigt, dass ich lebe.“ Auch dies konnte Meggie unterschreiben. Ja, diese Selbstverletzungen seien völlig sinnlos, das würde ihr natürlich auch jedes Mal klar, nachdem es passiert ist. Aber in dem Moment, wo es passiert, sei es wie eine Sucht und jegliche Vernunft hat in dieser Minute keine Chance.
Hätte ich anderen nicht zugehört, dann hätte ich nichts gewusst über all das, was Meggie mir erzählte und ich hätte vermutlich so reagiert, wie viele reagieren: Kopfschütteln. Nur weiß ich heute: Alles hat einen Grund, so unvernünftig es auch sein mag und dieser Grund ist immer in der Kindheit zu finden.
„Da war nichts.“ Meggie zuckte mit den Schultern und schien sich ein klein wenig über meine großen, ratlosen Augen zu freuen. Sie zerriss einfach mal so die 700 Seiten, an denen ich so hart gearbeitet hatte. „Meine Eltern sind selbst unter gewalttätigen Eltern groß geworden und sie wollten ihren eigenen Kindern das nicht antun. Sie haben uns Kindern viel Freiraum gelassen, haben uns auch aus dem größten Blödsinn rausgeholt, ohne uns danach die Ohren langzuziehen. Ich hatte eine schöne Kindheit.“
700 Seiten. Für die Tonne. Ich schrieb einer Freundin: „Wenn Meggie nicht irgendwas aus ihrer Kindheit extrem verdrängt hat, kann man bei ihr nicht sagen: An der Stelle haben die Eltern versagt und dort ist die Ursache für die Erkrankungen.“
Immerhin war ich mit Meggie in einem Punkt vereint: Auch sie suchte nach der Ursache für ihre körperlichen Probleme, von denen es eine Menge gab und die sie arbeitsunfähig machten.
In einem weiteren „Küchengespräch“ erzählte Meggie vom Tod ihrer Oma, als Meggie 15 war. Die Eltern hatten ihr nicht gesagt, dass es mit ihrer Oma zu Ende geht, so dass Meggie nicht Abschied nehmen konnte, was sie ihren Eltern stark verübelte. „Na dann ist das vielleicht der Grund für deine Probleme?“, stellte ich den Raum. Ganz geschlagen wollte ich mich mit meiner Einschlag-Erkenntnis nicht geben. Dass Meggie mir die Geschichte um ihre Oma unter Tränen erzählte, zeigte, dass die Wunde da war. Von ihrer Therapeutin bekam sie als Hausaufgabe, einen Abschiedsbrief an ihre Oma zu verfassen, um darin all das zu sagen, was sie ihr noch hätte sagen wollen. Auch sollte sie mit ihren Eltern über die Enttäuschung sprechen, die durch das Verschweigen entstanden war und wohl noch immer rumorte.
Aber reicht das für Borderline, für Selbstverletzungen? Reicht das für diese ständigen Selbstzweifel, das ständige „Ich bin schuld“ bei jeglichem Anlass, von dem Meggie mir erzählte? Hatte sie schlechte Gene, die aus einer großen Mücke einen Elefanten gemacht hatte?
„Als ich 9 war, hat mein Vater uns verlassen für eine andere.“ Meggie sagte dies fast beiläufig, als wir wieder zusammensaßen. „Ich war sooo wütend auf ihn. Und ich dachte, dass das ganz klar meine Schuld ist.“
Ich sah Meggie wie versteinert an: „Ähm, in deiner Kindheit ist also nichts passiert?!“ Sie musste grinsen und mir rauschten diverse Felsbrocken von meinem Herzen: Ich brauchte die 700 Seiten doch nicht einstampfen. Nach einem Jahr kehrte ihr Vater in die Familie zurück, bereute seinen Irrweg, aber klar, der Einschlag war da. In der Schule erlebte Meggie Mobbing, war aber zunächst auch selbst Täterin.
Auf jeden Fall: Rätsel gelöst.
Meggie wirkte meist eher unbeschwert, das spitzbübische, fast schon kindliche Lächeln auf den Lippen, wenn es ihr gut ging. Wenn es ihr mies ging – und sie es nicht überspielen konnte, war es deutlich zu sehen. Sie war inzwischen vielleicht zwei Wochen in der Klinik, als sie mit verheultem Gesicht zum Mittagessen kam. Auch während des Essens konnte sie sich nicht beruhigen. Ich versuchte, meinem Plan treu und bei mir selbst zu bleiben. Doch wenn neben mir jemand so mit sich kämpft, kann ich nicht einfach mit meinem Tablett aufstehen und gehen. Als die meisten Mitpatienten aus dem Raum waren, fragte ich leise, was los ist.
„Ich sehe ein Bild vor mir seit ein paar Tagen …“ Meggies Stimme war kaum zu hören und mit dem Kampf gegen die Tränen, die weiterhin liefen, überlagert. Auf meine Frage, was sie sieht, konnte sie nur sagen: „Ich sehe einen Raum, verschwommen … Jeden Tag wird das Bild ein bisschen deutlicher.“
Ob sie sagen könne, wie deutlich das Bild in Prozent sei, raunte ich.
„Vielleicht 60% heute.“
Meggie konnte keine Details nennen, nur, dass es eher dunkel sei und sie ein Kind war. Ich stellte mir ein Kellerabteil vor, fragte aber nicht nach solchen Details. Schon das, was sie jetzt sah, schien mehr als genug für sie zu sein. So, wie dieses verschwommene Bild in ihr arbeitete, blieb ich bei einer einzigen Vermutung hängen. Diese sprach ich nicht aus, ich war kein Fachmann, sondern Laie und nur wegen „Ich sehe einen Raum“ und den Tränen einen „Tipp“ abzugeben, schien mir völlig unangebracht, auch wenn ich mit meiner Intuition selten danebenliege.
Das Bild wurde mit jedem Tag etwas deutlicher und Meggies Kampf ging jeden Tag in eine neue, härtere Runde. Seit Jahren konnte sie nachts kaum schlafen, immer erst gegen 4 bis 6 Uhr, die Gründe waren unbekannt. Weder Körper noch Kopf bekamen in all der Zeit die Erholung, die es braucht. Und jetzt raubte dieses schärfer werdende Bild Energie, die in Meggie kaum vorhanden war. Die feuchten Augen und die kämpfenden Mundwinkel wurden häufiger, unbeschwerte Momente seltener.
Mit einem Mitpatienten versuchten wir, Meggie ein wenig Halt zu geben, sie ab und zu für ein paar Minuten auf andere Gedanken zu bringen, ohne dass es krampfhaft wurde. Auf dem Klinikgelände gab es einen Feldhasen, der eine gute innere Uhr zu haben schien. Gegen 20 Uhr tauchte er an einem Baugelände auf, manchmal mit Anhang, wir tauften ihn den 8-Uhr-Hasen. Mit Meggie und dem Mitpatienten gingen wir auf „Hasenjagd“. Wir Männer schwärmten von Hasenbraten, entwickelten Rezeptideen, während Meggie Meister Lampe um jeden Preis verteidigen wollte. Ich überlegte laut, ob mir eine Hasenpfote zu Liebesglück bei einer Mitpatientin verhelfen könnte und dass der Hase damit sicher einverstanden wäre, weil er mir jegliches Glück gönnen würde – Meggie sah das anders.
Natürlich ersetzte die Hasenjagd keine Therapieminute. Bei ihrer Psychologin konnte Meggie das Bild, das jeden Tag deutlicher wurde, nicht ansprechen. Sie hatte Angst, dass in dem Moment der komplette Staudamm in sich zusammenstürzen und Meggie in den Wassermassen ertrinken würde. Noch immer war nicht das Wort ausgesprochen worden, um welches es zu gehen schien. Noch immer hielt ich mich selbst beim Aussprechen zurück, auch wenn ich mir inzwischen sicher war, um was es geht. Ich hoffte, Meggie würde es als Erste über die Lippen bringen. Und ich hatte Angst, dass ich den Staudamm einreiße, wenn ich das Wort in den Mund nehme. Meggie wirkte eh schon jeden Tag näher am Ertrinken, ohne dass der Damm brach, der 20 Jahre unerschütterlich zementiert stand.
Nur irgendetwas musste passieren. Meggie ging zu ihrer Therapeutin, sie sprachen über Oma und Eltern – aber nicht über den gigantischen Elefanten. Dabei war ER es ja, der alles erklären würde. Er war der Einschlag in der Kindheit. Wegen ihm war sie hier – und wusste 20 Jahre nichts von ihm.
Sie vermied das Wort weiterhin, was ich problemlos verstehen konnte. Ich ging dazu über, „M-Wort“ zu sagen, wenn es um den Elefanten ging. Der Versuch, ein paar Steinchen vom Damm zu lösen, ohne dass er sofort explodiert. Für Meggie schien das in Ordnung zu sein und ich glaubte, dass es für sie auch befreiend sein müsse, wenn für uns klar war, um was es geht, ohne dass sie Einzelheiten nennen musste. Von denen gab es eh keine. Aus dem Bild des Raums wurde kein Video mit Handlung und Ton, es tauchte kein Akteur auf. Aber Meggie wusste, was in dem Raum auf dem Dachboden passiert war, auch das Haus kannte sie. Das Bild habe sie immer wieder ganz vage begleitet und irgendwie Unbehagen in ihr ausgelöst, aber den Grund erfuhr sie erst jetzt, 20 Jahre später.
An einem weiteren Sommerabend ging mein Mitpatient und ich zum Garten der Klinik, unweit des Hasen-Reviers, Meggie wollte hinterherkommen. Wir saßen auf einer Bank in der Sonne, als sie mit müden Beinen angeschlichen kam, wieder feuchte Augen und Wangen. Ihr Zustand war einfach übel, ein totaler Zusammenbruch schien nur eine Frage von Tagen. Noch immer wussten nur wir beiden Männer von dem, was in ihr so unglaublich arbeitete.
Später erfuhr Meggie, dass gerade Traumatisierte einen inneren Kreis von Menschen haben, denen sie sich anvertrauen können. In diesen Kreis passen oft nur ein, zwei Personen hinein. Einerseits ehrte es uns ja, dass Meggie ausgerechnet zwei Männern so sehr vertrauen konnte, obwohl sie damit bisher immer Probleme hatte – der Grund war nun klar. Andererseits konnten wir nicht helfen und Hilfe war dringendst nötig.
Wir stellten uns in den Garten, grübelnd, wie es weitergehen kann. Ich fragte Meggie, ob es für sie in Ordnung wäre, wenn wir für sie das Eis brechen würden. Der Plan war, der diensthabenden Schwester zu sagen, dass Meggie mit ihr reden müsste. Mit dieser Schwester kam sie gut klar, sie gehörte zu jenen, die über Empathie verfügen. Es sollte der kleine Schubs werden, der „die Sache“ ins Rollen bringt. Wenn die Schwester erst mal weiß, worum es geht, wird es die Therapeutin erfahren und diese hätte genug Erfahrung, wie ab da weiter zu verfahren ist.
Nach einem Besuch beim 8-Uhr-Hasen gingen wir wie die drei Musketiere Richtung Klinikgebäude. Okay, es fühlte sich schon arg seltsam an, Meggies Beine waren eher weich wie gekochte Nudeln statt stahlhart wie ein Säbel, Stress pur in ihr. Der Schwester kam es ein bisschen wie Kasperletheater vor, als wir drei vor ihr standen, wie wir später erfuhren. Aber wir hatten bis dahin keine Übung darin, wie man einem Missbrauchsopfer helfen kann, das Ende des Verdrängungsprozesses zu starten. Meggie sprach lange mit der Schwester, unter vielen Tränen. Diese trockneten auch danach nicht so schnell, aber Meggie war froh, dass der Elefant nun einen Namen hatte.
Das M-Wort kam ihr weiterhin nicht über die Lippen. Ich fragte sie, ob es für sie ein Anfang wäre, wenn sie „Ich bin ein Missbrauchsopfer“ sagt statt „Ich wurde missbraucht“, dann wäre ganz klar, wer Täter und wer Opfer war. Meggie gab sich andauernd die Schuld für alles Mögliche und mir gefiel der Gedanke überhaupt nicht, dass sie sich auch für das, was ihr mit 10 passiert war, Schuld zuschreiben könnte. Über die Jahre hatte ich immer wieder gehört, dass Opfer sich mit „Ich war daran schuld“ rumschleppen. Meggie konnte mit der Idee leben, doch es sollte dauern, bis sie es sagen konnte.
Jede psychische Erkrankung entsteht durch einen Einschlag in der Kindheit. So, wie ich Meggie weiterhin und zunehmend leiden sah, hätte ich sie gern als Gegenbeispiel genommen. Dann gibt es eben in einem von 100 oder 60 Fällen keinen Beginn des roten Fadens im Kinderzimmer. Mein Buch wäre trotzdem nicht gleich für die Tonne gewesen. In ihm findet sich die Geschichte von Claire. Mit 9 Jahren bekam sie erste Angstanfälle. Mit Männern schlief sie als Erwachsene nie aus Liebe oder aus eigenem Bedürfnis. Immer tat sie es, weil sie meinte, man erwarte dies von ihr und sie müsse es tun, damit der Mann zufrieden ist. Machte einer sie an, stieg in ihr das Schuldgefühl auf, ihm zu Willen sein zu müssen. Entsprechend groß wurde die Zahl der Männer, mit denen sie ins Bett ging.
Dieses von ihr selbst als gestört empfundene Verhalten war für Claire ein völliges Rätsel – bis ihr ein Mann über den Weg lief, als sie sich mit ihrem Sohn in einem Geschäft umsah. Mit einem Schlag war der Film wieder da, der in der Kindheit entstanden und bis zur Begegnung mit diesem Mann tief im untersten Fach ihres Unterbewusstseins hinter dicken Türen lag. Für Claire stand fest: Dieser Mann war Täter an ihr. An dem Tag, an dem Claire im Freien zum Opfer wurde, herrschte Wind. Als Erwachsene fiel Claire immer wieder um, wenn sie in Zugluft stand. Jetzt war für die Ärzte der Grund klar. Wind bedeutete Gefahr: „Gleich passiert was Schlimmes, also abschalten.“
Dass ich jemals selbst live dabei sein würde, wenn bei einem Missbrauchsopfer der alte Film aus dem Giftschrank des Unterbewusstseins geholt wird, hatte ich nicht im Geringsten erwartet. Wie oft kommt das schon vor, dass ein solcher Einschlag so lange verdrängt werden kann zum vermeintlichen Schutz des Opfers? Häufiger, als ich denke, aber es ist kein Thema, wie so vieles bei psychischen Erkrankungen? Wenn wir schon mit Depressiven nicht umgehen können, wie soll das erst aussehen bei Claire, bei Meggie?
Im Buch zitiere ich eine Frau, die 14 Jahre nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall so im Arsch war wie nie zuvor. Ihre Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung. Wann immer sie ihre Geschichte erzählte, hörte sie als Reaktion: „Aber nach xx Jahren musst du das doch mal hinter dir lassen können?!“ Vielleicht hätte Hanna das gekonnt, wenn beim Unfall nicht ihre 4 Wochen alte Tochter auf dem Rücksitz gesessen und nicht wie tot gewirkt hätte. Für Hanna war klar, dass ihr Kind tot ist, doch Constanze hatte einfach tief geschlafen. 14 Jahre später: In Hannas Träumen stirbt Constanze auf unterschiedlichste Weisen noch immer. Wie sollst du etwas hinter dir lassen, wenn die Bilder dich ständig verfolgen?
„Siehst du den Täter?“, fragte ich Meggie irgendwann – „Oder würdest du ihn überhaupt sehen wollen?!“
Meggie verneinte beides. „Wenn ich wüsste, wer das war, dürfte meine Papa das nicht wissen, er würde den umbringen.“
Aber irgendwie hatten wir beide das beklemmende Gefühl, dass auch das Gesicht des Täters irgendwann auftauchen würde, so, wie es sich bis dahin gesteigert hatte. Für Meggie hoffte ich, dass mit dem Wachwerden der Bilder nun immerhin das Trauma bearbeitet werden kann. Der Gegner stand fest, also ran an die Arbeit, ihr Psychologen!
„Es wird Ihnen erst mal schlechter gehen, bevor es besser wird.“ So prophezeite es Meggies Psychologin aus ihrer Erfahrung.
„Noch schlechter?!“, fragte ich entgeistert. Meggie schien schon jetzt auf blutrotem Zahnfleisch zu kriechen. Wie sollte es ihr denn noch schlechter gehen?!
Nach 8 Wochen verabschiedete ich mich aus der Klinik, wenige Tage nach meinem Mitpatienten, der mit mir zu Meggies innerem Kreis gehörte. Als er ging, heulte Meggie und ich bekam einen Vorgeschmack, wie der Abschied zwischen uns aussehen würde. An meinem Entlasstag versuchte ich, schon im Vorfeld etwas Wind aus dem Segel zu nehmen und irgendwann versiegt jeder Tränenvorrat vorübergehend, wenn man im Tal der Tränen sitzt. Klar gab es feuchte Augen, aber ich war ja nicht komplett aus der Welt.
In den nächsten zwölf Monaten traf ich mich drei Mal mit Meggie, ansonsten schrieben wir. Mit den Monaten verstand ich, was die Psychologin meinte mit „Es wird Ihnen erst mal schlechter gehen, bevor es besser wird.“ Meggie konnte nicht mehr allein mit fremden Männern sein, ob Arzt, Anwalt, Psychologe. Sie bekam Anflüge von Panikattacken im Beisein mancher Männer, echte Panikattacken traten auch auf. Sie konnte nicht mehr mit anderen in einem Zimmer schlafen, auch nicht mit ihrer Schwester. Der Schlaf blieb eine Katastrophe – und wenn sie schlief, dann landete sie immer wieder in Albträumen. Aus dem verschwommenen Bild vom Anfang wurde ein Film, auch mit Ton. Das Gesicht des Täters tauchte auf.
Dissoziationen kamen hinzu. Diese beschreibt Meggie so: „Jeder kennt ja, dass man mal dasitzt und so vor sich hin träumt. So kannst du dir Dissoziation vorstellen. Du kannst dich normal mit mir unterhalten und dann kann es passieren von jetzt auf gleich, dass ich weg bin. Dann kann es passieren, dass ich einfach umfalle oder vom Stuhl kippe. Es gibt unterschiedliche Formen: Bei einer kannst du vor mir stehen, mit den Fingern schnipsen und alles machen, Witze erzählen – ich reagiere aber nicht mehr.
Normalerweise, wenn ein Mensch nicht mehr mit dir reden will, bewegt er ja trotzdem seine Augen, er hat Mimik, reagiert auf sein Gegenüber. Aber ich bin dann wie erstarrt. Das kann kurz sein, wo ich dann bewusstlos werde, wenn z.B. Männer im Raum sind. Da merke ich, wie mein Kopf immer weiter nach unten sinkt und ich versuche, mich aufzuraffen, mit Kühlakku, die mir jemand bringt. Eine Mitpatientin hat mich immer wieder mal angefasst, mich angesprochen, die konnte damit umgehen. Ich kann dir danach sagen, was du gesagt hast, also ich höre und sehe alles, kann aber nicht reagieren. Manche Schwestern haben da mit mir gesprochen und ich hätte die in der Luft zerreißen können wegen ihrer Ahnungslosigkeit. Wenn ich so dissoziiere, hab ich keine Kontrolle über meinen Körper. Wenn ich wieder zu mir komme, brauche ich ne ganze Weile, bis ich wieder alles bewegen kann. Hände und Beine sind da wie gelähmt, das ist typisch. Manche Schwestern haben meine Finger oder Füße bewegt. Durch Kühlakkus kommt Gefühl zurück.
Eine Mitpatientin hat eine andere Form der Dissoziation. Keiner darf sie anfassen, bis auf eine Ärztin und eine Schwester, sonst fällt sie um und ist weg. In der Gruppentherapie fällt sie immer wieder vom Stuhl, knallt dann richtig auf den Boden, ungebremst. Aber sie versteht dich auch. Wenn sie wieder zu Bewusstsein kommt, krampft sie, es schüttelt sie, sie knallt mit dem Kopf irgendwo dagegen. Da muss man dann schnell was zum Polstern haben. Sie kann dann länger nicht laufen, hat Schmerzen durch den Krampf. Ich hoffe, dass das nicht so wird bei mir. Die Ärztin sagte, am Anfang ist Dissoziation milde, kann dann schlimmer werden.“
„Sie haben noch Freunde?!“, fragte ihre Psychologin überrascht nach einigen Monaten. Normalerweise würden sich in dieser Phase die sozialen Kontakte stark ausdünnen. Die Selbstverletzungen gerieten in immer mehr Phasen außer Kontrolle, konnten sich dann für einige Zeit legen, bis es wieder suchtartig und nahezu unkontrollierbar wurde.
Stress bekämpfte sie u.a. mit Zucker, was ihr Übergewicht verstärkte. Der Blick in den Spiegel wurde dadurch noch mehr zum Verzweifeln. Als ich in dieser Zeit die Meinung einer Influencerin las, dass Übergewichtige an den Folgekosten beteiligt werden sollten, wenn es keinen medizinischen Grund gibt, wusste ich nicht, was ich denken sollte. Diese Frau hatte selbst mit Magersucht zu kämpfen. Warum sie diese Erkrankung hatte, dürfte ihr in einer ihrer sicher stattgefundenen Therapien klargeworden sein. Warum ging sie dann davon aus, dass Esssucht entweder etwas Organisches als Ursache haben muss und wenn nicht, dann ist das einfach nur fehlender Wille?! Ich konnte es nur darauf schieben, dass diese Influencerin einmal mehr nach jener Aufmerksamkeit aus war, die sie in ihrer Kindheit vermisste und zu ihrer Magersucht geführt hatte. Aber vielleicht ist es bei ihr ja einfach nur ein medizinisches Problem. Über Selbstzweifel könnte sie sich aber ganz sicher mit Meggie unterhalten. Bei dieser waren die Zweifel schon vor dem Wachwerden der Bilder Stammgast und wurden nun nicht weniger.
In der Klinik war unter Therapeuten und Patienten vom inneren Kritiker oder Richter die Rede, der einem ständig in den Ohren liegt, was mit einem alles nicht stimmt. Meggie hatte keinen Kritiker oder Richter in sich, sondern einen Henker. Ohne langen oder kurzen Prozess stand das Urteil immer schon fest: „Schuldig!“ Auch jetzt, wo sie wusste, dass sie Null schuld an ihrer Schieflage hatte, bekam sie keine mildernden Umstände. Schuldig, schuldig, schuldig. Nichts wert. Gegen Suizidumsetzungen musste sie sich immer mehr wehren, Versuche gab es.
Ich war schon bei Hanna, der Frau mit dem Unfall, nicht gut darin, einem Menschen mit Suizidgedanken zu erklären, dass sich das Leben aus diesem oder jenem Grund doch lohnt. Wenn ein Mensch derart leidet und immer mehr leidet, bringe ich es nicht übers Herz, zu sagen: „Aber guck mal, heute ist es sonnig und da vorn gibts Eis!“ Vor allem bringe ich solche Durchhalteparolen nicht über die Lippen, wenn ich sehe, wie mit Menschen dicht am Abgrund umgegangen wird. Das, was wir als Gesellschaft bezeichnen, ist unglaublich gut darin geübt, sich empathisch, solidarisch, bunt, ökologisch, weltoffen, gutmenschelnd zu präsentieren. Seltsamerweise bin ich noch keinem Menschen begegnet, der das Leben lieber hinter sich gehabt und gesagt hätte: „Aber ich fühle mich so gut aufgehoben unter meinen Mitmenschen, dass ich bleiben will.“
Viel mehr erlebte ich bei diesen Menschen, wie sie von Behörden – möglichst in Gendersprache – mit Papierbergen zugeschüttet wurden. Wie sie von Kranken-, Rentenkassen und Versicherungen unter sehr einfühlsamen Firmenslogans hin- und hergeschickt wurden nach dem Motto: „Wir wollen nicht zahlen, sollen die anderen machen! Wie Sie bis dahin über die Runden kommen?! Nicht unser Problem.“ Seltsamerweise fühlen sich dann Menschen nah am Abgrund genau wie psychisch Erkrankte ohne Suizidabsichten überflüssig, hilflos, entkräftet, ernüchtert, enttäuscht, einsam. Und ich soll unter solchen Umständen Meggie sagen: „Ach, das Leben kann doch schön sein. Jetzt gehst du halt paar Jahre durchs tiefste aller Täler, aber danach wird bestimmt die Sonne scheinen“?! Nee, das kann ich nicht.
Der Satz „Verdrängen heißt nicht vergessen“ stammt von einer Frau, die ich 2011 online kennengelernt hatte und die mich aus meinem Schildkrötenpanzer holte. Sie war die erste Frau in meinem Leben, bei der ich mich als Mann wahrgenommen fühlte, nicht als der Typ, der so gut zuhören kann. Wir schrieben viel über Gott und die Welt, über die Einschläge, die es auch bei ihr reichlich gab.
Wir kannten uns ca. ein Jahr, als sie mir schrieb, dass da noch „ein Hammer“ sei, bei dem sie überlegt, ob sie mir davon schreibt. Ich reagierte mit einem lachenden „Oh je“ und wartete gespannt, was da kommt. Das Lachen verschwand ganz schnell, als sie den Hammer auspackte: Missbrauch mit 10, 11 Jahren. Also so ziemlich im gleichen Alter wie Meggie. Während Meggie sich mit Partnerschaften sehr schwer tat, war die Frau, die mich wachgeküsst hatte, verheiratet mit zwei Kindern.
Doch von Normalität konnte auch bei ihr nicht die Rede sein. Ihr Mann hatte in meinen Augen narzisstische Züge, was sie selbst nicht so sah. Übergewicht, vor allem durch reichlich Eis essen, war auch bei ihr Thema. Auf schwierige Lebensphasen reagierte sie mit Flucht in die Arme anderer Männer. Kurz nach dem völlig überraschenden Tod ihres Mannes ging sie auf Flirtversuche eines anderen ein, der sein Glück schon ein Jahr lang versucht hatte, als der Ehemann noch lebte. Bis dahin hatte sie die Nase über Frauen gerümpft, von denen ich ihr erzählte und die immer wieder neue Partner haben mussten: „Wie kann eine Frau denn bitte so verzweifelt sein?!“
Nach dem Tod ihres Mannes legte ich ihr dringendst ans Herz, zu einem Psychologen zu gehen. Neben dem Missbrauch im Kindesalter gravierte sich der frühere Tod ihres Vaters und der Suizid eines Freundes nach der Trennung in ihren Lebenslauf, zu dem Zeitpunkt war sie 20. Ihre Tochter verhielt sich als Kind aus meiner Sicht sehr auffällig, immer wieder gab es massive Wutausbrüche. Wenn Eltern ihre Traumata nicht bearbeiten, werden die Kinder meist zu den Erben dieser Einschnitte auf irgendeine Weise. Bücher über vererbte Traumata gibt es.
Vor allem zum Wohle ihrer Kinder legte ich ihr den Gang zum Psychologen ans Herz. Den Tod ihres Mannes hatte sie mitverfolgen müssen, Geräusche der Wiederbelebungsversuche blieben in ihrem Ohr – das nächste Trauma war perfekt. Als sie mir 9 Monate nach dem Tod ihres Mannes schrieb, sie werde nicht zum Psychologen gehen und der neue Mann werde im kommenden Jahr bei ihr einziehen, beendete ich den Kontakt. Für mich war es, als hätte ich zugucken sollen, wie ein Betrunkener ins Auto steigt mit den Worten: „Ich fahre jetzt mal schnell durch diese kurvige Allee.“ Klar, das kann gutgehen. Aber mir ging es zu dem Zeitpunkt schon körperlich mies und ich wollte nicht warten, was diese Fahrt bringt.
Als ich nun bei Meggie das Ende der unabsichtlichen Verdrängung erlebte und diese anhaltende Talfahrt, fragte ich mich, ob es nicht doch besser ist, wenn die alten Bilder im Archiv hinter Stahltüren bleiben. Ich sah keinen Nutzen für Meggie und verstand nicht, warum die Bilder gerade ab unserer Begegnung in der Klinik wach wurden. Bei Claire war es die Begegnung mit dem vermeintlichen Täter, der alles wachwerden ließ, aber bei Meggie schien es keinen Trigger zu geben, der den Staudamm zum Brechen brachte.
Ihre Psychologin sagte, dass die Psyche es wohl jetzt für den richtigen Zeitpunkt hält. Aber auch das leuchtete mir nicht ein. Meggie war nicht kraftstrotzend mit überflüssiger Energie in die Klinik eingerückt. Da gab es keine Reserven, um mit ihnen einfach mal für paar Wochen ein Trauma anzugehen. Meggie hatte das, was ihr mit 10 passiert war, überlebt. Die Psyche hätte doch sagen können: „Ja, das war Scheiße, aber seitdem ist nichts mehr passiert, also lass uns das Leben ab heute genießen.“ Nein, das Bild musste raus, es musste zum Film werden mit allen Details. Wozu?
Zu meinem Erstaunen sah und sieht Meggie das Ende der nie beabsichtigten Verdrängung als notwendiges Übel an, auch nach einem Jahr. Sie sagt nicht: „Ach wäre doch alles wie in den Tagen, bevor das Bild deutlicher wurde.“ Klar, wirklich gut ging es ihr auch da schon nicht, von normalem Leben war sie ein ordentliches Stück weit weg.
Wir waren und sind uns einig, dass das Trauma nie verarbeitet sein wird im Sinne von „Da ist jetzt alles tippitoppi.“ Traumata sind nicht heilbar, sie können nicht aus dem Lebenslauf radiert werden. Die Narbe wird immer da sein. Für Meggie geht es um eine Bearbeitung, um eines Tages von den stärksten Folgen befreit sein zu können. Es wird auch dann immer wieder Momente geben, in denen sie sich seltsam verhält, weil da ein Gesicht auftaucht, ein Geruch, ein Wort. Doch es wird sie nicht mehr so lange und heftig aus der Bahn werfen – hoffentlich.
Wer auch immer mit gut gemeinten Ratschlägen zu Meggie kommt, der sollte zuvor eintausend Mal Danke sagen, nicht in ihrer Lage zu sein.
Ihr Wunsch, eines Tages Mutter zu sein, ist wohl ihre stärkste Versicherung vor einem selbstgewählten Tod. Ob diese Versicherung ewig hält, bleibt abzuwarten. So, wie die „Gesellschaft“ mit ihr umgeht, würde ich nicht mein bisschen verbliebenes Geld darauf wetten. Im Frühjahr ´24 war sie wieder in der Klinik, so wie sie es nun in regelmäßigen Abständen sein wird. Versprochen wurde ihr ein Einzelzimmer, weil sie eben inzwischen nicht mehr mit anderen im gleichen Raum schlafen kann. Gelandet ist sie in einem Zweibettzimmer. Sie solle so versuchen, ihre Ängste zu überwinden. Dabei mangelt es Meggie nicht an innerem, hochgradigem Dauerstress. Jede Minute Schlaf würde ein Krümel Hilfe sein. Doch so wanderte sie eben nachts über den Flur mit innerer Panik, versuchte mit der Zeit, auch im Zimmer zu bleiben, der Puls hoch.
Versprochen wurden ihr 12 Wochen Aufenthalt. Kurz vor Ablauf der achten Woche wurde ihr der Entlasstermin für den übernächsten Tag mitgeteilt, für Meggie ein weiterer Schlag gegen den Kopf. Einige Schwestern zeigten sich absolut einfühlsam in Meggies Ausnahmezustand, andere Schwestern schienen Spaß daran zu haben, mit der Bombe zu spielen.
Ein Gutachten zu einer von Ärzteseite klar verpfuschten Rücken-OP mit drastischen Folgen fiel zugunsten der Klinik aus, der Prozess sollte eingestellt werden. Ein Mensch, der in seiner Kindheit großes Unrecht erfahren musste, erfährt als Erwachsene großes Unrecht wegen Geld – genau so macht man Menschen kaputt, jagt sie auf Brücken. Nein, einfach macht man es Meggie nicht.
„100% aller psychisch Erkrankten haben Wut in sich.“ Das sagte eine Psychologin, von der mir erzählt worden war. „Die meisten kommen aber nicht an diese Wut ran.“ Unterdrückte Gefühle waren auch Thema während meines Klinikaufenthalts. Vor allem bei Trauer und Wut reagierte mein Körper deutlich, dazu ein hohes Maß an Ungerechtigkeitsempfinden. Meggie kann die Wut nicht rauslassen, die auch in ihr kocht. Sie kann nicht in den Wald gehen und schreien, in der Klinik hatte sie es mit einem Therapeuten versucht, aber sich nicht getraut. Und ich merkte bei mir, dass man Energie braucht, um Wut rauslassen zu können. Energie dafür hat aber aber weder sie noch ich. Wenn überhaupt, dann richtet Meggie auch die Wut gegen sich selbst.
Nur ein Ventil scheint für sie greifbar, angeboten von Rechtspopulisten. Eine Partei, in deren Wahlprogramm psychisch Erkrankte nur vorkommen, wenn es um importierte Messerstecher geht. Eine Partei, in der Meggie am wenigsten Verständnis finden würde für ihre Problematik – von anderen Parteien wäre allerdings nicht haufenweise mehr Einfühlungsvermögen zu erwarten. Macht das Sinn? So wenig wie Selbstverletzungen – aber alles hat einen Grund. Auch das Rauslassen von Wut ist selten ein mit Vernunft verbundener Akt. Wer Parteien entzaubern will, die von Wut/Hass auf andere leben, muss dafür sorgen, dass Kinder psychisch gesund ihr Elternhaus verlassen können.
„Ich hoffe, dass wir in paar Jahren sagen können: War das eine irre Zeit damals …“, schrieb ich Meggie ein Jahr nach unserer ersten Begegnung. „Damals haben wir Flaschen drehen gespielt mit ziemlich eindeutigen Fragen und du warst mit dabei. Heute würdest du wohl nicht mitmachen, oder?“
„Nein.“
Ihr Leben hat sich extrem verändert – dabei ist ihr in diesen 12 Monaten nichts Dramatisches passiert. Nur ein 20 Jahre altes Bild wurde wach. Nur.
„Nach so vielen Jahren musst du das doch abhaken können?!“ Wer das sagt, sollte nach den Einschlägen in der eigenen Kindheit Ausschau halten und den roten Faden zu heutigen, seltsamen Verhaltensweisen suchen. Sie sind ganz sicher da. Jede psychische Erkrankung entsteht durch einen Einschlag in der Kindheit. Das braucht nicht Missbrauch sein, auch nicht andere Formen von Gewalt, kein Einsperren im Keller.
„Haben Ihre Mutter und Ihr Vater die Bedürfnisse nach Zuneigung, Sicherheit, Geborgenheit, Anerkennung erfüllt?“, so ist das Grundprinzip jeder Therapie. Stell dir diese Frage selbst, suche nach der Antwort. Wenn sie „Nein, meine Mutter/mein Vater waren nicht da für mich“ lautet, dann wirst du auch den roten Faden finden können, der aus deinem Kinderzimmer hin zu deinen heutigen „Special Effects“, also deinen Eigenheiten führt. Deinen Schuldgefühlen, deinen Schamgefühlen, deinen Ich-bin-nichts-wert-Gefühlen, deinen Ängsten, deiner Wut, deinem Hass, deinem Drang nach Aufmerksamkeit, deiner toxischen Beziehung, deinem Narzissmus, deiner Sucht, deinen Depressionen, deinem Borderline, deiner bipolaren Störung. Du kannst nichts davon einfach mal abhaken und damit nicht das, was in deiner Kindheit passiert ist.
Und stell dir die Frage: Wie hättest du ohne Verletzungen dein Kinderzimmer verlassen können? Was wäre dazu nötig gewesen, ganz praktisch? Die Antwort darauf würde dir sagen, was du heute selbst machen solltest, wenn du Kinder hast oder welche planst. Und wenn deine Antwort einfach nur lautet: „Ich hätte die Anerkennung von Mum/Dad gebraucht“, dann frage dich, ob deine Eltern einen Schalter hatten, mit dem man Empathie, Fürsorge, Zuneigung, Liebe ein- und ausschalten kann. Lautet die Antwort darauf „Nein, den Schalter gab es nicht“, dann suche weiter nach einer wirklich praktischen Antwort. Wenn diese anders ausfällt als „Sie hätten zum Psychologen gemusst, um ihre eigenen Verletzungen/Traumata zu bearbeiten“, dann lass es mich bitte wissen. Bis dahin bleibt meine einzige Lösung: Sie hätten das machen müssen, was Meggie macht.
Ich schreibe für mein Leben gern, der Umgang mit Worten erzeugt ein gutes Gefühl in meinem Hirn. Nur würde ich viel lieber Geschichten schreiben voller knisternder Erotik zwischen Menschen auf Augenhöhe, ohne Abhängigkeiten aus Kindheitsenttäuschungen. Das Verherrlichen toxischer Beziehungen inklusive wundersamer Selbstheilung von Narzissten wirst du von mir niemals lesen, auch nicht in 50 Schattierungen von Grau. Ich würde gern Geschichten schreiben zum Schieflachen. Geschichten über Paralleluniversen, wo mein Parallel-Ich ohne Hasenpfote doch noch die Frau aus der Klinik bekommt und mit ihr zu zweit Flaschen drehen spielt. Geschichten über die Leichtigkeit des Daseins. Aber Meggie existiert und ihre Geschichte ist die Geschichte vieler Menschen, für die sich kein Schwein interessiert und deren Leben ein Gang auf Messerspitzen ist.
„Kann es sein, dass Sie Frauen retten wollen?“, fragte mich meine Psychologin. So, wie sie es mir erklärte, klang es nachvollziehbar: „Sie haben in Ihrer Kindheit eine schwache Frau – Ihre Mutter – erlebt, die unter einem despotischen Mann – Ihrem Vater – zu leiden hatte. Eigentlich hätte Ihre Mutter SIE retten müssen, aber als Kind glaubten Sie, dass Sie Ihre Mutter beschützen müssten. Und deshalb kümmern Sie sich heute so um Frauen, vergessen sich dabei aber selbst völlig und sind dadurch so im Arsch.“
So plausibel das klang, bin ich inzwischen etwas anderer Ansicht. Ich möchte nicht Frauen retten, sondern Kinder davor bewahren, den gleichen Scheiß durchmachen zu müssen wie ich und wie andere. Bei erwachsenen Frauen, die gerettet werden müssten, ist das Kind ja schon längst im Brunnen gelandet, sie hätten genauso wie ich als Kind andere Umstände gebraucht, um heil das Kinderzimmer verlassen zu können.
Und wann immer sich heute Prominente, die einzig und allein nach Aufmerksamkeit zu gieren scheinen, mit Babys zeigen, überkommt mich starkes Mitleid mit diesen Kindern. Genauso geht es mir mit Kindern, die in vergifteten Beziehungen geboren werden. In meiner Kindheit gab es den Begriff „toxische Beziehung“ noch lange nicht, aber er trifft auf meine Eltern absolut zu. Eine Beziehung weit weg von Augenhöhe. Ich weiß, wie es sich als Kind in einem solchen Klima lebt und wie laut das Echo ist weit in die Zeit des Daseins als Erwachsener.
Aus Opfern werden Täter. Auch das sollten uns die Geschichten real existierender Menschen lehren. Dazu brauche ich mir nur die Geschichte meines Vaters ins Gedächtnis rufen. Wer keine Opfer will, muss dafür sorgen, dass es keine Täter gibt. Warum fing Meggie mit ca. 12 an, andere zu mobben, zwei Jahre nach dem Missbrauch? Einfach nur Pubertät? Oder musste die erlittene Verletzung „raus“, die Wut? Wollte sie hart sein, um nicht selbst wieder verletzt zu werden?
Wenn Meggie ihre Trauma-Bearbeitung überlebt, wird sie – hoffentlich – keinen Partner brauchen, der ihren schwachen Selbstwert schamlos ausnutzt, was das Markenzeichen toxischer Beziehungen ist. Meggie wird – hoffentlich – den inneren Henker los und ihn durch einen Berater ersetzen, der ihr Tipps ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit gibt. Die Selbstverletzungen werden verschwinden – hoffentlich restlos. Mit dem Abschied vom Henker wird sie – hoffentlich – weniger Zucker brauchen, weil weniger Stress anfällt. Sie wird abnehmen, der Blick in den Spiegel wird angenehmer. Sie wird Komplimente annehmen können, wenn auch am Anfang dezente. Die langsame Veränderung wird ihr guttun, kleine Rückschläge nicht ausgeschlossen. Männer werden in ihr nicht mehr pauschal Angst auslösen. Ob jener, der heute sehr geduldig wartet, dann noch im Rennen sein wird, bleibt abzuwarten. So wie sie ihn beschreibt, scheint er zu den sehr wenigen Menschen (m/w/d) zu gehören, die beziehungstauglich auf Augenhöhe sind.
Wenn Meggie ihre Trauma-Bearbeitung überlebt und eine Beziehung auf Augenhöhe eingehen kann, wird sie deutlich weniger Ballast an ein eigenes Kind vererben und dem Kind ein angenehmes, giftfreies Kinderzimmer bieten können. Die Gefahr, dass dieses Kind eines Tages Täter wird, wäre deutlich geringer – z.B. ein Täter wie der an Meggie. Sie hat in ihrer Hand, ob ein Erbe ihrer Geschichte irgendwann jemandem etwas Ähnliches antut wie ihr angetan wurde. Würde jeder seine Traumata bzw. schmerzhaften Erfahrungen aus der Kindheit bearbeiten unter professioneller Hilfe, anstatt sie der nächsten Generation in die Wiege zu werfen, sähe die Welt deutlich anders aus. Eigentlich sollten wir heilfroh sein, dass Meggie sich das antut. Eigentlich. Und eigentlich sollten wir ihr auf diesem Weg sämtliche Steine wegräumen, anstatt neue hinzuschmeißen. Eigentlich.
Den Blick hinter die Gardinen mit 80 weiteren Biografiesplittern gibt es in meinem Buch:
Wer Menschen verstehen will, muss ihnen zuhören, sie beobachten, hinter die Fassade schauen: Warum heiraten wir? Sind Frauen von Natur aus gute Mütter? Was erlebt man bei der Partnersuche? Wem verdanken Elon Musk und Kanye West ihre Erfolge? Was treibt andere Prominente an – und was ist dein eigener Antrieb? Fallen psychische Erkrankungen vom Himmel? Warum steht jemand 5 Stunden unter der Dusche? Wieso glaubt Käpt´n Crazy, die Chinesen würden kommen? Sind Krankenhäuser tatsächlich Hurenhäuser? Warum verheimlicht eine 50-Jährige, dass ihr Vater soff?
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Sophie lebt – und ist tot. Was besser ist für sie? Ich weiß es nicht.
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„Warum hat er mich nicht lieb? Bin ich einfach ein Nichts?“ Diese Fragen stellt sich Katis jüngerer Sohn und denkt dabei an seinen Vater.
Suizid kann Freiheit bedeuten. 2020 hat Ulli die erste freie Entscheidung seines Lebens getroffen. Dieser Neubeginn bedeutete seine Freiheit. Und sein Ende.
Saskia gibt mit Ü40 die Hoffnung nicht auf, von ihrer Mum ein nettes Wort für ihr Dasein zu hören. Bettina bekam mit 20 ein Kind, um ihrem Elternhaus zu entkommen – und lebt seitdem in den gleichen Verhältnissen.
Natascha Kampusch als Hassobjekt?! Das macht keinen Sinn – doch beim Zuhören erklärt sich auch beim Thema Hass, wie sich unsere „Special Effects“ entwickeln.
Annie ist 16, 1,70 m, 40 kg. Ihr Vater versteht nicht, warum sie nicht einfach mehr isst. Er selbst steckt jeden Monat 500 Euro in sein Onlinespiel. Annies Mutter vermeidet Diskussionen mit ihm über ihr Rauchen. Verstehen des jeweils anderen? Fehlanzeige.
Die einen waschen ihre Firma grün, die anderen leben beim Yoga ihren Narzissmus aus. Was steckt hinter dem Gendern?
Wer Frauen sichtbar machen will, muss das komplette Bild ins Scheinwerferlicht rücken – auch die Schattenseiten.
Wo in der Geschichte sind die ganz konkreten Beispiele dafür, dass Appelle an die Vernunft etwas zum Guten verändern? Mein Vater kann nicht gemeint sein.
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Knapp 18 Mio. Menschen werden pro Jahr wegen psychischer Erkrankungen behandelt. So etwas können Parteien doch nicht ignorieren, oder?
Frage: Was muss passieren, damit diese Welt weniger verrückt ist? Antwort: Wir müssen zuhören lernen. Oder wir verbieten das Kinderkriegen.
Jochen wäre fast ertrunken, der Vater zerrte ihn wieder ins Wasser. Opfer und Täter, weiß und schwarz. Doch ist es wirklich so einfach?
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Und wieder glauben wir, Erwachsene umerziehen zu können – und wieder haben wir nichts aus der Geschichte gelernt.
Er verfolgt dich, er bespitzelt dich, er glaubt dir nicht, du machst Schluss mit ihm. 10 Jahre später sitzt du mit ihm und euren beiden Kindern am Frühstückstisch.
In dieser Welt passiert vieles, was aufgedeckt gehört. Gibt es jedoch zu einem Ereignis 101 unterschiedliche Wahrheiten, dann werde ich nachdenklich.
Die Welt wird von einer unsichtbaren Macht geleitet – sagen nicht nur Verschwörungsanhänger, sondern Milliarden Menschen.
Er baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Sie spricht vom Angriff der Roboter. Wenn du ihre Geschichten kennst, wirst du sie verstehen.
„Als ich Krebs hatte, bekam ich Mitleid, Zuspruch und Unterstützung. Als Depressionskranke war ich immer die faule Sau.“
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Als Robert Enke durch Suizid starb, herrschte große Trauer. Doch längst jagen wir seine Nachfolger Richtung Abgrund.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
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„Hi. Kann ich mich zu dir setzen?“
„Okay.“
„Was machst du hier?“
„Ich warte auf Post.“
„Oh, dann ist es wohl was Wichtiges.“
„Kann man so sagen.“
„Ein Liebesbrief?“
„Post von Papa.“
„Ah, cool. Schreibt er oft?“
„Nein.“
„Aber er hat dir Bescheid gegeben, dass er schreibt?“
„Nein.“
„Oh. Wie lange wartest du schon?“
„Hmm … Seit ich Kind war.“
„Autsch. Dann hast du wohl viel Geduld.“
„Eigentlich nicht.“
„Was macht dich optimistisch, dass er noch schreibt?“
„Naja … Er ist mein Papa.“
„Verstehe. Kann er schreiben?“
„Was?!“
„Naja, kann ja sein, dass er gar nicht schreiben kann und du wartest und wartest und hoffst. Du siehst nicht wirklich glücklich aus.“
„Hmm …“
„Eigentlich könnten wir hier zusammen warten auf Post von unseren Vätern. Seltsamerweise habe ich nie auf einen Brief von meinem gewartet. Ich hab glaube schon als Kind eingesehen, dass er nicht schreiben kann. Seit paar Jahren weiß ich auch warum. Seinen Vater hat er nie kennengelernt, seine Mutter ging viel arbeiten und hatte kaum Zeit übrig – und auch nicht wirklich viel Liebe für ihre Kinder. Mein Vater hat dadurch nicht gelernt, wie man schreibt. Ich verstehe, dass ich nie Post von ihm bekam – was nicht heißt, dass ich Verständnis dafür habe im Sinne von Sein Verhalten entschuldigen.“
„Und was hast du davon?“
„Naja, ich denke, es hat mich frei gemacht.“
„Wie das?“
„Ich kann rumsitzen, ohne auf etwas zu warten. Ich hatte 20 Jahre keinen Kontakt zu ihm, hab ihn dann wiedergesehen und gemerkt, dass er sich Null geändert hat. Er hätte nicht mal ansatzweise verstanden, wieso ich mir Post von ihm gewünscht hätte, wieso das wichtig sein soll. Und so läuft das bei so ziemlich allen Menschen. Wir lernen das Schreiben nicht, nur weil wir älter werden. Und wir lernen auch nicht einfach so, wie wichtig es ist, seinen Kindern mal zu schreiben – selbst wenn uns selbst ein Brief als Kind gutgetan hätte.“
„Hmm …“
„Was würde passieren, wenn dein Vater doch noch schreibt?“
„Es wäre einfach schön.“
„Du hast doch sicher auch Post von anderen bekommen?!“
„Ja. Wobei …“
„Was?“
„Ich hab viel dafür getan, dass sie mir schreiben.“
„Zu viel?“
„Denke ja. Hat viel Energie gekostet.“
„Hat es sich wenigstens gelohnt?“
„Hmm … Nicht wirklich.“
„Weiß dein Vater, dass du wartest? Also hast du ihm gegenüber auch viel getan, damit er doch noch schreibt?“
„Als Kind ja. Hat aber nicht geholfen.“
„Wenn ich erraten könnte, was du dir in dem Brief zu lesen erhoffst und ich würde dir das ehrlichen Herzens so schreiben: Würde das Sinn für dich machen?“
„Wie meinst du das?“
„Du hast dir die Briefe, die du bisher bekommen hast, immer hart erarbeitet. Wenn dann jemand von sich aus Ähnliches schreibt, ohne dass du vorher die Welt aus den Angeln heben brauchst: Würde dir das was geben?“
„Gute Frage …“
„Oder würde eine Stimme in dir sagen: Nee, nee, du hast so einen Brief gar nicht verdient, wenn du dir vorher nicht den Allerwertesten aufreißt?“
„Hmm …“
„Sorry für die vielen Fragen, ich geh wohl lieber wieder, will dich nicht nerven. Ciao.“
„Moment. Würdest du mir schreiben?“
„Klar. Aber nur, wenn du eine Sache machst.“
„Hmm, okay.“
„Du reißt dir nicht den Allerwertesten auf dafür.“
„Du bist doof.“
„Und du kannst ganz gut lächeln.“
In einem liegen wir gerade lachend im Schnee, in einem anderen lehnt dein Kopf an meinem. In einem bist du Papst und ich dein Leibwächter, in einem anderen sind die Rollen vertauscht.
Du hattest alles – außer einer kindgerechten Kindheit. Du schienst auf der Sonnenseite, doch der Schein trog. Aus Deinem Tod hätten wir lernen können, haben wir aber nicht.
Wenn du Gefühle nicht mehr aushältst, leg einen Sarkophag darüber. Doch was, wenn der bricht?
Du wartest. Und wartest. Das Warten tut dir weh, dennoch wartest du weiter.
Jeder hat so sein Päckchen zu tragen – für mich ein furchtbarer Spruch. Ich sehe dabei immer ein Schulterzucken, als wäre es ein Naturgesetz, dass jede Generation der nächsten Steine in den Rucksack packt.
Was macht dich glücklich, mein Kind? Was fehlt dir? Was hast du damals vermisst, was willst du heute nachholen? Würde es mir damit besser gehen?
Du trägst mich auf deinen Schultern durch gute und schlechte Zeiten. Wir haben keine Liebesbeziehung, sind eine Zweckgemeinschaft mit gewissen Vorzügen.
In mitten des Ozeans sinkt nach heftigen Stürmen ein Boot ganz langsam. Der Mann darin ist erschöpft, er bekommt den Kahn einfach nicht mehr leer, so sehr er sich bemüht. Ein zweites Boot nähert sich, der Mann schöpft Hoffnung – Rettung in Sicht nach langer Zeit. Der andere Mann kommt immer näher, grüßt kurz, schaut: […]
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Würdest du das kleine Mädchen, das du einst warst, vor all den Scherben bewahren, durch das es laufen musste? Nein.
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Vor mir liegt ein Stein. Kein kleiner Kiesel. Er lässt mich nicht vorwärts kommen – oder schützt er mich?
Wir hatten es selten leicht miteinander, du und ich. Von Liebesbeziehung konnte kaum die Rede sein, mein liebes Leben.
Wenn dein Ego nie wachsen konnte, ist es dir eben egal, wie ehrlich ein „Ich liebe dich“ ist. Hauptsache, du bekommst es zu hören.
„Die langen Ärmel ihrer Bluse rutschten nach unten, als sie in ihrer Freude die Hände noch oben riss.
Er sah ihre Narben am Handgelenk …“ – Wie geht es wohl weiter?
„Wie konnte sie nur? Ja, ihr ging es dreckig, aber was sollten wir denn machen? Mein tiefempfundenes Beileid. Sag´ Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Jetzt muss ich erstmal los.“
Im dunklen Wasser des kleinen Sees versinken Nachtgedanken, heißt es. Doch aus ihm können auch zauberhafte Wesen steigen.
Ich hab´s geschafft: Ich bin tot. Endlich kann ich machen, was mir Freude am Leben gibt.
Jeder Mensch hat zwei Ohren. Nur was wir damit anfangen, ist recht unterschiedlich. Umso erleichternder ist es in Krisenzeiten, wenn du jemanden findest, der zuhören kann. In den letzten Jahren lernte ich, dass dies wohl meine Superkraft ist. Diese biete ich Dir hier an.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
2020 (2) 2022 (2) 2024 (2) Aluthutträger (2) Aurelie Joie (10) Ballast (2) beileid (1) bipolare störung (3) bipolare Sörung (2) corona (3) Covidioten (2) Depression (4) einsamkeit (1) falsche Vorbilder (1) fightforlove (1) freiheit (2) geduld (1) gefühle (10) gendern (4) Hass (3) hilflosigkeit (3) Journalismus (5) Kindheit (5) liebe (2) macht der worte (1) manie (3) meinestimmegegenignoranz (19) missbrauch (2) mitgefühl (1) narzisst (5) Politiker (3) psychische Erkrankungen (11) selbstbewusstsein (1) selbstverletzung (2) selbstzweifel (2) suizidgedanken (1) tot (3) trauer (2) Vater & Sohn (2) verrückt (22) verschwörungsmythen (3) verständnis (4) vertrauen (1) wird nicht besser (3) zu spät (1)
Seit Kindertagen trägst du ihn mit dir herum. Wer dir die Steine in den Rucksack legte, ist dir klar. Und wenn du sein Gesicht nicht erkennen kannst, dann weißt du immerhin, wodurch die Steine zu deinem Ballast wurden. Sie werden dir auch morgen aus dem Rucksack auf die Füße fallen und nicht weniger werden, nur weil ein neues Jahr beginnt, so schön es auch wäre.
Du wirst, wenn du es bisher so gemacht hast, die Schmerzen der aus deinem Rucksack fallenden Steine ertragen, weil diese Schmerzen nicht so schlimm sind, als wenn du den Rucksack abnehmen, ihn dir anschauen würdest mit der Frage, wie genau er auf deinen Rücken kam. Wenn du Glück hast, wird deine Verdrängung dich lebenslänglich begleiten – wobei du nicht wirklich glücklich sein kannst, weil du über die Steine, die dir auf die Füße fallen, immer wieder stolperst, sie deinen Weg in Richtungen bewegen, auf denen neue Schmerzen warten. Wenn du Pech hast, wird dir der Rucksack aus dem scheinbaren Nichts irgendwann vom Rücken gerissen, dir vor die Augen geworfen. Die Bilder, wie er auf deinen Rücken kam, werden wach und die Schmerzen sind ungleich größer, als die der fallenden Steine. Dieses Pech muss jedoch nicht das Ende des Weges sein, sondern kann der Beginn eines neuen werden.
Oder du kehrst immer wieder zu jenen Menschen zurück, die dir in deiner Kindheit die Steine in den Rucksack schmissen. Du hoffst, dass sie sich verändern, dir Steine abnehmen, dir beim Tragen helfen – doch du verlässt jedes Mal ihr Haus mit neuen Steinen.
Oder dich hat ein riesiger Stein erwischt, du musstest all deine Energie aufbrauchen, um ihn von dir rollen zu können und jetzt fehlt sie dir, um den Rucksack aus der Kindheit wie zuvor tragen zu können. Das Gewicht zwingt dich in die wackligen Knie, du kannst die Füße kaum heben, um große Schritte über die aus dem Rucksack fallenden Steine zu machen.
Was auch immer der Rucksack mit dir macht: Fürs neue Jahr wünsche ich dir Menschen, die dir beim Tragen helfen, beim Weg über die Steine, beim Wegrollen selbiger. Menschen, die dir nicht erklären wollen, wie du zu laufen hast, wenn sie über ihre eigenen Steine ständig stolpern. Menschen, die deinen verlangsamten Gang nicht ausnutzen wollen für ihre ganz eigenen Zwecke. Menschen, in deren Hand du deine legst, weil du ihnen vertrauen kannst, dass sie dich beim Stolpern auffangen werden. Menschen, die dir nicht deren eigene Steine vor deine Füße schmeißen. Menschen, die mit dir Steine bemalen oder sie zu kleinen Kieseln zermahlen, so dass der Weg leichter wird. Menschen, die da sind, wenn die Steine dich zu erschlagen drohen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Menschen, die das Tragen erträglicher machen.
Das wünsche ich mir selbst genauso.
In einem liegen wir gerade lachend im Schnee, in einem anderen lehnt dein Kopf an meinem. In einem bist du Papst und ich dein Leibwächter, in einem anderen sind die Rollen vertauscht.
Du hattest alles – außer einer kindgerechten Kindheit. Du schienst auf der Sonnenseite, doch der Schein trog. Aus Deinem Tod hätten wir lernen können, haben wir aber nicht.
Wenn du Gefühle nicht mehr aushältst, leg einen Sarkophag darüber. Doch was, wenn der bricht?
Du wartest. Und wartest. Das Warten tut dir weh, dennoch wartest du weiter.
Jeder hat so sein Päckchen zu tragen – für mich ein furchtbarer Spruch. Ich sehe dabei immer ein Schulterzucken, als wäre es ein Naturgesetz, dass jede Generation der nächsten Steine in den Rucksack packt.
Was macht dich glücklich, mein Kind? Was fehlt dir? Was hast du damals vermisst, was willst du heute nachholen? Würde es mir damit besser gehen?
Du trägst mich auf deinen Schultern durch gute und schlechte Zeiten. Wir haben keine Liebesbeziehung, sind eine Zweckgemeinschaft mit gewissen Vorzügen.
In mitten des Ozeans sinkt nach heftigen Stürmen ein Boot ganz langsam. Der Mann darin ist erschöpft, er bekommt den Kahn einfach nicht mehr leer, so sehr er sich bemüht. Ein zweites Boot nähert sich, der Mann schöpft Hoffnung – Rettung in Sicht nach langer Zeit. Der andere Mann kommt immer näher, grüßt kurz, schaut: […]
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Würdest du das kleine Mädchen, das du einst warst, vor all den Scherben bewahren, durch das es laufen musste? Nein.
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Vor mir liegt ein Stein. Kein kleiner Kiesel. Er lässt mich nicht vorwärts kommen – oder schützt er mich?
Wir hatten es selten leicht miteinander, du und ich. Von Liebesbeziehung konnte kaum die Rede sein, mein liebes Leben.
Wenn dein Ego nie wachsen konnte, ist es dir eben egal, wie ehrlich ein „Ich liebe dich“ ist. Hauptsache, du bekommst es zu hören.
„Die langen Ärmel ihrer Bluse rutschten nach unten, als sie in ihrer Freude die Hände noch oben riss.
Er sah ihre Narben am Handgelenk …“ – Wie geht es wohl weiter?
„Wie konnte sie nur? Ja, ihr ging es dreckig, aber was sollten wir denn machen? Mein tiefempfundenes Beileid. Sag´ Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Jetzt muss ich erstmal los.“
Im dunklen Wasser des kleinen Sees versinken Nachtgedanken, heißt es. Doch aus ihm können auch zauberhafte Wesen steigen.
Ich hab´s geschafft: Ich bin tot. Endlich kann ich machen, was mir Freude am Leben gibt.
Jeder Mensch hat zwei Ohren. Nur was wir damit anfangen, ist recht unterschiedlich. Umso erleichternder ist es in Krisenzeiten, wenn du jemanden findest, der zuhören kann. In den letzten Jahren lernte ich, dass dies wohl meine Superkraft ist. Diese biete ich Dir hier an.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
2020 (2) 2022 (2) 2024 (2) Aluthutträger (2) Aurelie Joie (10) Ballast (2) beileid (1) bipolare störung (3) bipolare Sörung (2) corona (3) Covidioten (2) Depression (4) einsamkeit (1) falsche Vorbilder (1) fightforlove (1) freiheit (2) geduld (1) gefühle (10) gendern (4) Hass (3) hilflosigkeit (3) Journalismus (5) Kindheit (5) liebe (2) macht der worte (1) manie (3) meinestimmegegenignoranz (19) missbrauch (2) mitgefühl (1) narzisst (5) Politiker (3) psychische Erkrankungen (11) selbstbewusstsein (1) selbstverletzung (2) selbstzweifel (2) suizidgedanken (1) tot (3) trauer (2) Vater & Sohn (2) verrückt (22) verschwörungsmythen (3) verständnis (4) vertrauen (1) wird nicht besser (3) zu spät (1)
„Na, Kleiner, wie gehts dir?“
Das Kind guckt mich neugierig an: „Wer bist du?“
„Das würdest du mir nicht glauben. Verrätst du mir, wie alt du bist?“
„Drei.“
„Und dein Name?“
„Thorben. Und deiner?“
„Ich heiße auch Thorben.“
Das Kind staunt still, zeigt dann die Straße entlang bergab: „Da fahren Züge!“
„Ich weiß. Siehst du gern Züge fahren?“
„Ja, die Dampfloks!“
„Die machen viel Rauch. Aber die sind auch laut, oder?“
„Ja, das mag ich nicht.“
„Ich weiß. Wir können ja hier warten, bis wieder ein Zug kommt. Oder wollen wir näher ran?“
Das Kind schaut mich an.
„Wenn du möchtest, nehm ich dich an die Hand und wenn es dir zu laut wird, halten wir dir die Ohren zu.“
„Aber nur ein Stück, ja?“
„Na klar.“
„Mein Papa macht das nicht.“
„Ich weiß.“
„Kennst du den?“
„Ja.“
„Wohnst du hier?“
„Ja, früher schon, als ich so alt war wie du und seit fast 20 Jahren auch wieder.“
„Kennst du meine Mutti auch?“
„Ja.“
Der Kleine grinst überrascht, ich lächle zurück.
„Da kommt ein Auto, wir gehen an den Rand. Weißt du, was das für eins ist?“
Der Kleine schüttelt den Kopf.
„Das ist ein Trabant. Und dort drüben … Wenn ich es richtig lesen kann, ist das ein Moskwitsch.“
Der Junge lacht.
„Komisches Wort, oder? Mooooskwiiitsch.“
„Moooskiiiitschhhh. Mein Papa hat auch ein Auto.“
„Weißt du, was für eins?“
„Ein grünes, aber so komisch.“
„Tschitscheringrün.“
Wieder lacht der Kleine.
Ich grinse zurück: „Ich weiß, aber die Farbe heißt wirklich so. Das ist ein EMW, den hat nicht jeder. Dein Opa hat auch so einen, oder?“
„Ja, der ist aber schwarz.“
„Hey, guck, die Schranken gehen runter. Siehst du dort oben in dem kleinen Haus den Mann? Der kurbelt sie runter und wenn der Zug durchgefahren ist, dann kurbelt er sie wieder hoch. Jetzt müssen wir glaube zehn Minuten warten, wenn ich es noch richtig weiß.“
„Sooo lange?“
Ich grinse: „Ja. Wir können ja nochmal die Straße hoch und runter laufen, wenn du willst.“
„Oder rennen! Mal sehn, wer schneller ist.“
„Rennen?! So hab ich dich nicht in Erinnerung. Aber fall nicht … Ach, renn einfach.“
„Bis da hoch!“
„Und du bist wirklich Thorben?!“
Lachend spurtet der Zwerg vor mir her.
Auf halber Strecke bleibt der Lockenkopf in seinem dunkelblauen Anorak stehen, dreht sich zu mir um, das Gesicht zeigt sich unbeschwert. Alles ist genau wie auf einem Bild aus meinem Fotoalbum. Mit 40 hatte ich es durchgeblättert und blieb an diesem Bild hängen. „Wo ist das Lachen hin?“, hatte ich mich gefragt. Schon bei dieser Frage war ich den Tränen nahe. „Wenn du wüsstest, wie die nächsten Jahre so werden“, hatte ich meinem jungen Ich in Gedanken zugeflüstert. Ich hatte mich nie depressiv gefühlt, aber als ich das Lachen dieses kleinen Jungen sah, fiel es mir schwer, ihn und mich zusammenzubringen. Ich fühlte Mitleid mit diesem Jungen, weil ich seine Zukunft kannte. Er würde in den nächsten Jahren sein so unbeschwertes Lachen verlieren. Es war, als hätte ich ihn vor seiner Zukunft warnen und beschützen wollen, war aber komplett hilflos, da seine Geschichte schon längst geschrieben war. Es waren noch viele andere Bilder in meinem Fotoalbum aus der Kindheit, aber nur dieses eine hatte diese Wirkung auf mich.
Der Junge rennt weiter, ich gebe mich geschlagen. Als ich ihn erreiche, fragt er mich, warum ich weine.
„Ach, nichts.“ Und in der nächsten Sekunde höre ich die Stimme in meinem Kopf: „Ah ja, du drückst also wieder Gefühle weg, die dann deinen Körper zerfressen. Schönes Vorbild.“ Aber soll ich diesem Kind erzählen, was alles passieren wird, ohne es vor all dem beschützen zu können?
„Kommt der Zug gleich?“
Ich wische meine Wangen trocken und biete dem Jungen meine Hand an: „Wir gehen einfach wieder zu den Schranken, die Dampflok hören wir ja schon von weitem.“
Seine kleine Hand greift zögernd nach meiner: „Papa macht das nicht.“
„Ich weiß. Aber du magst das auch nicht so sehr, oder?“
Er schaut mich ratlos an.
Ich grinse: „Na alles weiß ich auch nicht mehr über dich. Deine Mama sagt, dass du kein Kuschelkind bist. Aber vielleicht fängt das erst später an, dass du dir Küsse schnell von der Wange wischst und so.“
Sein Blick bleibt fragend.
„Okay, da kommen wir nicht weiter, kein Problem. Wobei mich schon interessieren würde, wann das angefangen hat und warum. Ob es Kinder gibt, die von Natur aus so distanziert zu ihren Eltern sind. Oder ob das was mit Vater zu tun hat, weil er dich so gut wie nie auf den Arm getragen hat, dich heute nicht in die Arme nimmt, streichelt usw. Ob es was damit zu tun hat, dass du nicht zu heulen hast. Oder darfst du weinen? Sagt der Papa dann was?“
Der Junge legt die Stirn in Falten und bleibt still.
„Sagt er nicht: Hier wird nicht geheult? Oder kommt das erst später?“
Die Antwort bleibt offen.
Wir stehen schweigend abseits der Schranke, von weitem ist der Zug zu hören. Der Junge lässt meine Hand los, hebt die Hände langsam hoch, Richtung Ohren. In der ersten Silvesternacht seines Lebens bekam er hohes Fieber durch die Knallerei draußen. Laute Geräusche wird er auch später als Erwachsener möglichst meiden. Bei nahen Gewittern wird er sich die Ohren zuhalten. Die lauten Geräusche, die er als Kind in den nächsten Jahren in der Wohnung hören wird ohne Feuerwerk und Donner, wird er nicht durch zugehaltene Ohren ausblenden können. Und er wird sich alleingelassen fühlen mit all seinen Ängsten. Sein Vater wird ihm nicht die Ohren zuhalten, ihn behutsam an etwas heranführen, was dem Kleinen unheimlich erscheint.
Der Zug rauscht vorbei. Die wuchtigen Stöße des Dampfkessels lassen die Luft vibrieren und ergreifen die Körper. Ich lege meinen Arm um den Jungen, der die Hände auf die Ohren presst. Seine Augen sind groß und lassen nicht erkennen, ob es Angst ist oder Neugier – und ob Stolz in ihm aufkommt, sich so nah herangetraut zu haben.
Die ersten drei Lebensjahre eines Kindes sind die wichtigsten. Wir kommen völlig hilflos auf die Welt und sind völlig abhängig von unseren Eltern. Sie müssen unsere sämtlichen Bedürfnisse erkennen und erfüllen. Wir können nicht über die Wiese laufen und uns ein paar Grashalme abpflücken, wenn wir Hunger haben. Wir können uns kein Fell wachsen lassen, dank dem wir nicht frieren. Wir können nicht sagen, was uns weh tut, was wir gerade brauchen, was uns quer liegt. In den Momenten können wir nur losheulen. Ignorieren unsere Eltern diese Hilferufe, weil es sie einfach nicht interessiert oder sie es nervt, beginnt das Lernen: Meine Bedürfnisse sind nicht wichtig. Wenn ich es kann, muss ich mich selbst darum kümmern. Wenn ich es nicht kann, bleiben sie unerfüllt, ob das Bedürfnis nach Fürsorge, Wärme, Zuneigung oder Anerkennung. Und nimmt dir niemand die Angst, bleibt sie dein treuer Begleiter.
„Na, alles gut?“
Der Zug steht am Bahnhof, weit genug entfernt, so dass der Junge seine Hände von den Ohren nehmen und mit dem Kopf nicken kann. Sein Gesicht sagt: Er ist glücklich.
„Guck mal, da kommt jemand.“
Ich drehe mich um, sehe einen Jungen mit glatten Haaren und Brille. Er läuft langsam, der Blick nach unten. Nur flüchtig sieht er zu uns auf, will die Straßenseite wechseln. Langsam gehe ich auf ihn zu, setze mein vertrauenerweckendstes Gesicht auf. Wieder versucht er, mir auszuweichen, also spreche ich ihn mit leiser Stimme an: „Du bist Thorben, nicht wahr?“
Er schaut mich an, seine Mimik verrät nichts, außer Unsicherheit. Ich gehe weiterhin langsam auf ihn zu: „Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich und den kleinen Mann hier kennen wir beide.“
Die Sonne kommt raus, die Temperatur klettert spürbar. An den Straßenrändern stellen sich die Grashalme auf, atmen ein sattes Grün ein, während Blumen zwischen den Halmen ihre Blüten nach oben recken. Die kahlen Bäume ziehen sich grüne Blätter im Übermaß an. Der Kleine fragt, ob er seinen Anorak ausziehen darf, ich helfe ihm. Als ein Marienkäfer auf seinem Arm landet, reagiert er ängstlich. Ich lege meinen Finger neben das Insekt, bis es auf ihn krabbelt: „Brauchst keine Angst zu haben. Marienkäfer können nicht wie Bienen stechen, es kitzelt nur, wenn sie auf dir laufen.“
Argwöhnisch schaut der Kleine, wie der Käfer weiter auf meine Hand wandert.
„Ängste …“, sage ich mit leiser Stimme zu dem älteren Jungen, der sich auch jetzt nichts anmerken lässt. Auch nicht, als ich murmele: „… kennen wir, was?“
Er bleibt still, seine Augen verfolgen den Kleinen, der ein Stück abseits herumläuft und die Blumen betrachtet.
„Wie gehts dir?“, frage ich den Älteren, in der Hoffnung, damit das Eis brechen zu können, doch er zuckt nur mit den Schultern.
Meine Stimme bleibt leise: „Siehst müde aus. Nicht gut geschlafen?“
Er schüttelt kurz mit dem Kopf.
„Weil du Angst im Dunkeln hattest? Oder …?“
Keine Reaktion.
„War Stimmung?“
Seine Augen wandern schnell zur Seite.
„Was für ein Tag ist heute? Sonnabend?“
„Sonntag.“
„Ah. Ist dein Bruder nachts besoffen von der Disko heim und Vater war noch munter, auch besoffen?“
„Mhmh.“
„Okay, und dann war Stimmung … Du durftest alles vom Bett aus mit ansehen …“
Er nickt, kaum sichtbar.
„Wie alt bist du?“
„Elf.“
Ich merke, wie Stress in mir aufsteigt: „Welchen Monat haben wir?“
Er schaut ungläubig: „August?!“
„Also August ´84?“
„Ja“ – seine Stirn bleibt in Falten.
Der Stress in mir nimmt weiter zu, mein Körper fühlt sich an, als würde immer mehr Strom durch ihn fließen: „Vater und dein Bruder sind sich angegangen im Kinderzimmer, Mutti hat dich aus dem Bett geholt, dann habt ihr im Korridor gestanden, Vater hat versucht, Mutti einen leeren Wassereimer über den Kopf zu stülpen, dann ist sie mit dir raus aus der Wohnung und runter vors Haus mit dir?“
Er nickt, kaum sichtbar.
„Und dann standet ihr da im Dunkeln, sie wusste nicht, wohin, ob in den Garten da drüben, aber da hättet ihr auf der Bank übernachten müssen, weil es keine Laube gibt?“
Wieder nickt er.
„Dann kam Vater raus, hat euch klargemacht, wieder reinzukommen, damit niemand was mitbekommt?“
„Ja.“
„Und niemand kam zu Hilfe …“
„Ja.“
„Wie gehts dir?“
Er zuckt kurz mit den Schultern, als wäre fast nichts passiert.
„Du hast nicht geheult, richtig?“
„Nein.“
„Weil es ähnlich schon paar Mal so vorher war?“
„Ja.“
„Es ist irgendwie normal, oder? Du kennst es nicht anders?“
„Ja.“
„Aber die letzte Nacht war nochmal schlimmer?“
Er zuckt mit den Schultern.
„Und keinen interessiert, wie es dir geht … Weil ja niemand weiß, was passiert ist. Also musst du deine Gefühle wieder mit dir selbst ausmachen. Oder sie wegdrücken.“
Er schweigt.
„Und nach den Ferien gehst du wieder in die Schule und bist das Mamasöhnchen und der Streber …“
Stille.
„Im November fährst du fünf Wochen in die Pionierrepublik am Werbellinsee bei Berlin und du wirst nicht verstehen, warum die anderen wieder nach Hause wollen. Dich zieht nichts in diese Wohnung.“
In seinem Gesicht stehen Fragezeichen, aber auch der Ausdruck des Verstandenwerdens.
„Du solltest nachts schlafen können und nicht auf der Straße stehen müssen. Kein Kind sollte das. Dass das eigentlich Wahnsinn ist und alles andere als normal, wirst du erst spät in deinem Leben sehen. Bis dahin wirst du immer wieder allein im Dunkeln stehen, ohne dass dir jemand zu Hilfe kommt. Und immer wieder wird deine Geschichte nicht zählen. Das, was du letzte Nacht erlebt hast, wird sich wiederholen. Nicht auf diese Weise, aber das Muster. Und immer wieder musst du das, was du fühlst, mit dir selbst ausmachen, bis es eines Tages zu viel wird. Dann beginnt dein Körper zu leiden, weil der Kopf es nicht mehr schafft.“
Eine Träne setzt sich auf der Wange des Jungen in Bewegung, genau wie auf meiner.
„In paar Tagen werdet ihr in den Urlaub fahren, Mutti fährt aber nur mit dir und deinem Bruder. Und sie wird sich scheiden lassen wollen wegen der letzten Nacht und allem, was davor war.“
Keine erkennbare Reaktion.
„Vater wird aber erst in 5 Jahren ausziehen, weil sich das mit der Scheidung hinziehen wird, ER sie einreichen muss, weil in seiner Welt nur Männer so was dürfen und weil es nicht so schnell eine Wohnung für ihn geben wird.“
Ich bin mir nicht sicher, ob ich einen Hauch von Resignation bei dem Jungen erkenne.
„Ich weiß, lange Zeit … Kein Plan, wie ich dir helfen kann. Diese Nacht wird dir immer in Erinnerung bleiben, auch deiner Mutti. Sie wird immer bereuen, nicht auch deinen Bruder mit raus aus der Wohnung genommen zu haben. Aber das hätte auch nichts geändert … Diese Nacht hätte einfach niemals passieren dürfen, genau wie die anderen Nächte. Dein Bett ist nicht der Ort, wo du zur Ruhe kommen kannst, so wie es eigentlich sein sollte. Schon deine Angst im Dunkeln, die dir niemand nimmt, weil keiner davon weiß und sich keiner darum kümmert … Und dann wird das Bett regelmäßig zum Sitzplatz für dieses Theater … Hattest du letzte Nacht Angst, also als es so … wurde?“
„… Ich weiß nicht.“
„Irgendwie glaub ich dir das. Aber bei so vielen Ängsten, die du hast, wäre es eigentlich klar. Du magst eh nicht das Laute …“
Stille.
„Scheiß Situation … Spätestens mit dieser Nacht fängt es wohl an, dass wir Wut, Trauer, Hilflosigkeit, Ungerechtigkeitsempfinden wegdrücken müssen. Gegen Vater kommst du nicht an, da müsste deine Wut schon auf Amoklauf-Niveau sein. Ach, du weißt nicht, was Amokläufe sind, oder? Die Welt ist in der Richtung noch etwas heil, auch wenn sie alles andere als gesund ist. Ich will dich da auch nicht auf dumme Ideen bringen. Auf jeden Fall kommst du im Moment nicht gegen Vater an, erst in ein paar Jahren wirst du ihm ab und zu Kontra geben und nicht mehr komplett alles schlucken. Mutti ist viel zu sehr damit beschäftigt, die Wogen zwischen den anderen glätten zu wollen: zwischen Vater und deinem Bruder, zwischen Vater und seinen Schwiegereltern. Eigentlich wollte sie vor Vater verheimlichen, dass dein Bruder aus dem Wohnheim seiner Lehrstelle fliegen könnte, weil er zu einer vom Personal mehrmals pampig wurde. Vater hat es aber zwangsläufig erfahren und wollte mit deinem Bruder in der letzten Nacht darüber diskutieren – funktioniert ja nur, wenn er besoffen ist. Dass dieses Verheimlichen immer wieder nichts bringt, wird dich übrigens zu einem Menschen machen, der brachial ehrlich ist. Das mag super klingen, aber ab und zu solltest du es lassen, weil du dir damit schaden wirst. Du selbst gibst dir heute schon größte Mühe, nirgends Ärger zu machen, damit es nicht noch mehr Theater gibt und deine Mum zu leiden hat. Und obwohl du eigentlich alles richtig machst, bekommst du so viel ab … Und während die anderen untereinander mit sich beschäftigt sind, stehst du allein da mit deinen Gefühlen, Bedürfnissen. Du wirst irgendwann sagen, dass du nebenbei großgeworden bist, weil deine Familie für dich gar keinen Blick hatte, weil sie eben so mit sich beschäftigt ist.“
Er schaut mich an, wieder ohne wirkliche Regung.
„Die Flucht auf die einsame Insel klappt auch nicht, richtig?“
Ein fragender Blick.
Ich schmunzle: „Ich meine Michaela. Du bist doch schon jetzt in sie verliebt, oder?“
Zum ersten Mal weichen sich die Gesichtszüge des Jungen auf: „Ähm, naja.“
„Ah, doch schon so früh. Ich wusste es nicht mehr. Mit Ende 10 verliebt man sich 1984 eher selten. Du fängst jetzt die fünfte Klasse an und sie kommt in die dritte, klingt verdammt früh. Und im November am Werbellinsee lernst du Daniela kennen und wirst hin und weg von ihr sein.“
Seine Augen werden groß.
„Japp. Sie wird abends mit anderen Mädels auf ihrem Zimmer versuchen, Beulen am Kopf zu bekommen, damit sie wieder heim können und du wirst inständig hoffen, dass sie bleibt. Eigentlich dürfen die Jungs abends nicht hoch zu den Mädchen, aber du machst es natürlich und sie verstecken dich im Schrank, du Casanova.“
Die Augen werden nicht kleiner.
„Ja, stille Wasser können manchmal ziemlich tief sein. Du bekommst Post von Michaela – so jung und stehst zwischen zwei Frauen …“
Er grinst.
„Sie sind deine Hoffnung darauf, auch mal was Schönes erleben zu können, oder? Deshalb verliebst du dich so früh? Nicht wenige Erwachsene flüchten ans Meer, um die Welt um sich herum vergessen zu können. Dir reicht es, in ihre Augen zu schauen. Und zu hoffen, dass die Sonne aufgeht.“
„Und …“
„Du willst wissen, wie es weitergeht mit den beiden?“
„Naja … Ja.“
Ich verziehe mein Gesicht: „Wirklich?“
Die Schultern des Jungen fallen wieder nach unten: „Hmmm.“
Ich überlege. „Also … Ich weiß, wie sehr du an ihnen hängen wirst, wie groß deine Hoffnungen sein werden und wie … naja, enttäuscht du sein wirst. Sie werden nicht deine rettenden Inseln. Sie sind nicht der kleine oder größere Tupfen Leichtigkeit zur sonstigen Schwere. Am Ende werden sie alles nur noch ein bisschen schwerer machen. Wegen Michaela wirst du dein erstes, kleines Buch schreiben, in glaube vier Jahren. Du wirst dabei hoffen, sie doch noch von dir überzeugen zu können, weil du glaubst, dass Liebe etwas mit inneren Werten zu tun hat, also dass du ein guter Mensch sein musst, damit sich jemand in dich verlieben kann. Michaela wird aber bei einem landen, der einen Laden überfallen wird. Du wirst vorher denken, dass sie schon sehen wird, was sie an dir gehabt hätte und der Überfall wird dir gefühlt Recht geben – aber sie wird es trotzdem nie bedauern. Ist wohl zu früh, dir das jetzt genauer erklären zu wollen, auch wenn du ein helles Köpfchen bist. Schreib trotzdem das Büchlein, wenn dir danach ist. Das Schreiben wird dir helfen, mit deinen Gefühlen umzugehen, sie wenigstens auf Papier rauslassen zu können. Das ist nicht ideal, aber besser, als dass du noch mehr runterschluckst. Das Büchlein wirst du „M.“ nennen und du wirst dich in deinem Leben noch in mindestens … vier Frauen verlieben, deren Name mit M beginnt.“
„VIER?!“
„Ja, und auch noch hintereinander. Du wirst dich manchmal selbst wundern, was es so für Zufälle gibt.“
„Und …?!“
„Hmm, es wird fast jedes Mal so sein wie mit deiner ersten M. Nur mit einer M wirst du für zwei Monate die Leichtigkeit des Lebens kennenlernen dürfen, wobei … Ach, wundere dich einfach nicht, wenn sie anfängt, dich zu verletzen. Lies dann ihre alten Mails – das sind Briefe, nur nicht auf Papier, sondern …, ach lass dich überraschen. Wenn du liest, was sie mal über sich selbst geschrieben hatte, wirst du verstehen, warum sie sich plötzlich so verwandelt und dich verletzt. Merk dir mal bipolare Störung, das wird dich öfters verfolgen. Dann kannst du diese M schnell abhaken und die schönen Erinnerungen bleiben trotzdem.“
Jetzt arbeitet es deutlich in dem Jungen.
„Kipp mir nicht aus den Latschen. Ich würde dir ja gern mit auf den Weg geben, dass du dich in keine M verlieben solltest, weil es nichts bringt. Aber du wirst es trotzdem, wenn alles so läuft, wie es bei mir gelaufen ist. Liebe ist keine Entscheidung der Vernunft, die man ein- und ausschalten kann. Hmm, sollte ich mit einem Elfjährigen echt darüber reden? Ich würde dich einfach gern beschützen wollen. Du hast jetzt schon ganz andere Narben, vor denen ich dich noch viel lieber beschützt hätte. Dein Selbstbewusstsein ist ziemlich bei Null, obwohl du voriges Jahr bei der Kreis-Matheolympiade Dritter warst, immer zu den Klassenbesten gehörst oder der Beste bist, seit einem Jahr Gitarre spielst und als einer von fünfen aus dem Kreis in diesem Jahr an diesen Werbellinsee fahren wirst. Eigentlich solltest du nicht mit gesenktem Blick durch die Gegend laufen müssen. Aber von Vater gibts nur Kopfnüsse, wenn du einen Fehler gemacht hast. Oder hast du in den Ohren, dass er mal gesagt hat: Junge, ich bin echt stolz auf dich?“
Er grinst.
Auch ich lächle, wobei es mir im nächsten Moment einfriert: „Schon schräg: Du erwartest das nicht mal, weil du ihn kennst … Du wirst später Menschen begegnen, die mit 30, 40, 50, 60 noch immer darauf hoffen, von Vater oder Mutter ein Ich bin echt stolz auf dich zu hören und sie werden es nie bekommen. Aber der Mann, der da in unserer Wohnung mit uns lebt, erweckt ja nicht mal den Hauch des Anscheins, dass er unser Vater ist, oder?“
Der Junge schaut mich nachdenklich an.
„Mach dir keinen Kopf darüber. Es wird viel Zeit vergehen, bis dir das klar wird. Du wirst ganz glücklich damit sein, dass du den Mann da so siehst, weil du eben nicht wie viele andere diesem ewigen Traum hinterherhängen musst, wenigstens ein kleines Zeichen von Anerkennung oder gar Zuneigung von ihm zu bekommen. Allerdings … Du wirst das alles fast schon stolz einer Psychologin so erzählen, also dass du den Mann da gar nicht als Vater empfunden hast, weil er immer auf Abstand zu dir blieb, außer wenn er dir eine Kopfnuss geben wollte oder du ihm die Hand morgens und vor dem Bettgang schütteln musstest. Du wirst keine einzige Umarmung, kein Händchenhalten, kein Streicheln, kein „Wie gehts dir? Alles gut?“ von ihm in Erinnerung haben. Er hat dich in die Welt gesetzt, er bringt das Geld nach Hause und damit ist sein Job erledigt. Um die Bedürfnisse seiner Kinder hat sich Mutti zu kümmern, auch wenn ja alle Weiber eigentlich dämlich sind in seiner unendlichen Weisheit.“
„Selbst zu dumm, um Tütensuppe zu kochen …“
„Ah, die Szene gabs also schon. Keine Angst, du wirst Frauen später nicht so behandeln. Du schlägst eigentlich ins Gegenteil aus, willst ihnen auf Augenhöhe begegnen, sie nicht bevormunden, nicht befehlen, nicht verletzen, sie annehmen, wie sie sind. Das wird dich zu einem angenehmen Mitmenschen für Frauen machen, aber … Ach, lieber nicht. Weißt du, dass du doch irgendwann den Satz Ich bin stolz auf dich hören wirst?“
Der Junge schaut verdutzt.
„Ja! Natürlich nicht von Vater, sondern von einem Mann, der dich kaum kennt, wenn du fast 50 bist. Wird ein Gartennachbar sein. Er wird sehen, wie du dich um Mutti kümmerst und wie du dich sonst so verhältst. Und der wird sagen, dass er stolz auf dich ist. Du wirst dich überrascht bedanken und dich später fragen, wie jemand auf etwas stolz sein kann, was er gar nicht … gebaut, geschaffen, wie auch immer hat. Aber du verstehst schon, was er meint.
Und paar Monate später wirst du in einer Klinik landen, weil du kaum noch laufen kannst und niemand dir bis dahin sagen kann, warum. Wäre jetzt eine zu lange Geschichte, wieso du so kaputtgehst. Jedenfalls wirst du dort 8 Wochen sein und wenn du die Klinik verlässt, werden dir zwei deutlich jüngere Frauen lange in den Armen liegen und dir Sachen über dich sagen, die du vorher nie gehört hast. Und eine Frau um die 60 wird einen Mann um die 60 andächtig fragen, ob er schon mal einem Menschen wie dir begegnet ist. Er wird überlegen und leise „Nein“ sagen. Und eine andere Frau um die 30 wird sagen: „Der Thorben ist einmalig, den gibt es nicht noch einmal so.“ Dann fährst du mit der Straßenbahn zum Bahnhof und deine Sonnenbrille wird ein paar Tränen verdecken, weil du immer wieder dran denken musst, was sie gesagt haben – dabei bist du einfach nur die ganze Zeit DU gewesen. Vielleicht kannst du ja jetzt schon ein bisschen stolz auf dich sein. Ich weiß aus vielen Geschichten: Eigentlich braucht jedes Kind von Mutter UND Vater die ehrliche Anerkennung, damit Selbstbewusstsein wachsen kann. Wenn Mutti ab heute Vater dazu nötigen würde, dir Anerkennung zu geben – es würde nichts nutzen, weil du das Schauspiel durchschauen würdest. Das muss schon ehrlich sein.
In dieser Klinik wirst du auch zum ersten Mal erleben, dass Menschen an dem, was heute passiert ist, Anteil nehmen. Deiner Psychologin wirst du von der Nacht erzählen, auch wie Vater sonst war. Wenn ihr euch eine Woche später wieder gegenüber sitzt, wird sie sagen, dass sie bei deinem Erzählen mächtig Wut in sich spürte auf Vater und du hast alles so erzählt, als wäre es nichts Außergewöhnliches gewesen. Auch andere Patienten werden sagen, dass sie diese Wut in sich merkten auf Vater, wenn du davon erzählst.“
„So lange?“
„Ja. Aber wenn ich es richtig weiß, wirst du es vorher auch niemandem erzählen, ist ja eigentlich lange her und du kennst es nicht anders, es ist Normalität. Erst da merkst du, dass du diese Nacht als Rucksack mit Steinen ständig mit dir rumträgst.
Ach, nochmal wegen der Mädels: Lass dich nicht zu sehr runterziehen, wenn es jetzt nicht klappt. Versuch trotz aller Liebe nicht eine zu übersehen, von der du wohl wirklich Signale bekommst, sie geht in deine Klasse. Und wenn du dann in die EOS gehst nach der 10. Klasse, dann wirst du eine Antje kennenlernen und von ihr hin und weg sein. Lustigerweise wird sie dir irgendwann erzählen, dass sie in einen Typen verliebt war, der hier in der Stadt wohnt – und der Gleiche ist, der Michaela bekommen wird. Aber bei Antje wirst du wirklich Chancen haben! Sie wird später mit ihren Eltern in den Westen ziehen – ach so, in fünf Jahren wird es eine Revolution hier geben und danach dürfen alle überall hin reisen. Du fährst dann mit Opa auch mal rüber, auch nach Hamburg und Westberlin. Jetzt guck nicht so, bis dahin mach einfach die Wandzeitungen der Schule über die Überlegenheit des Sozialismus und 1989 tust du überrascht.
Zurück zu Antje, das ist wichtiger: Also sie wird in den Westen ziehen, du wirst ihr Briefe schreiben und in einem wird sie erklären, dass du Chancen bei ihr gehabt hättest. Sie wird manchmal einen früheren Bus nehmen, damit sie zusammen mit dir zur Schule fahren kann – das wirst du aber bis zu dem Brief nicht wissen und erst recht nicht ahnen können. Ein Mädchen macht so was wegen DIR?! Kann nicht sein! Du wirst jeden Morgen eine Stunde zeitiger aufstehen, dir die Haare waschen, damit dieses Kraut, was dir dann wild durcheinander auf dem Kopf wächst, wenigstens nach ETWAS aussieht – und am Ende wirst du wieder fluchen, weil es ein einziges Chaos ist. Und das machst du, damit du deine Chancen bei Antje erhöhst – an die du nicht so wirklich glauben wirst, aber wie immer hoffst du und hoffst. Spar dir das Aufstehen: Sie würde dich auch so nehmen.
Und lass dir vom Frisör einfach die Haare kürzer schneiden, damit es nicht so ein Chaos gibt. Ja, Mutti wollte als zweites Kind ein Mädchen und bisher bist du viel öfters für eines gehalten worden, als dass dich jemand für einen Jungen gehalten hätte, stimmts?“
Er nickt mit einem Lächeln.
„Sie wird kurze Haare an dir auch dann nicht mögen, wenn du 50 bist. Aber so sehr du immer Rücksicht auf sie nehmen willst: Lass den Frisör mal was riskieren, damit du bisschen männlicher aussiehst. Ansonsten wirst du dich ziemlich lange nicht wie ein Mann fühlen, wobei es da wohl auch noch andere Gründe gibt. Die Männer um dich herum taugen ja Null als Vorbilder.
Zurück zu Antje. Also, du wirst Chancen bei ihr haben, das steht fest. Jetzt ist nur die Frage, wie du die letzte Meile zu ihr überwindest …“
„Letzte Meile?!“
„Ja, das ist unser großes Problem für laaange Zeit. Wir sind Körperkontakt nicht gewohnt, außer eben Kopfnüsse und Händeschütteln. Du wirst sie nicht morgens im Bus mit einer Umarmung empfangen können … Immerhin wird sie mal auf deinen Schultern sitzen, wenn ihr zu dritt zu einem Konzert fahrt. Du wirst dich aber nicht trauen, einfach mal deinen Arm über ihre Schulter zu legen oder um ihre Hüfte, wenn sie neben dir läuft. Oder kannst du dir das vorstellen? Denn wenn du es in 5 Jahren nicht machst, dann wirst du das erste Mal einen anderen Menschen umarmen, wenn du 40 bist und das wird dann nach dem Ende der Beisetzung von Tante Lucie sein.“
„Was?!“
„Ich will dir keinen Druck machen, aber … Deshalb wäre es so extrem wichtig, dass du selbstbewusst wirst, wenigstens ein Stück, ein, zwei Millimeter raus aus dem Schneckenhaus, dem Leben damit wenigstens eine Chance geben kannst, dass was passiert im positiven Sinne. Das andere, also der ganze Mist, kommt alles von allein. Ansonsten wird dein Hunger nach Leichtigkeit absurd groß, wenn du 50 bist und enorm viel Scheiße vorher passiert ist. Und dann wirst du ein paar Momente erleben können, aber die nächste kalte Dusche steht da schon bereit und wird dich erstarren lassen. Du bräuchtest bis dahin immer mal wieder Phasen, wo das Leben sich leicht anfühlt, so wie du nach dieser Nacht sicher umso mehr Sehnsucht nach Flucht auf die einsame Insel mit Michaela hast.
Aber sie wird nicht die sein, die Leichtigkeit bringt. Und eben auch nicht Daniela. Das hat nichts damit zu tun, dass du nichts wert bist. Mit 50 wirst du lernen, dass Menschen nur so viel Liebe annehmen können, wie sie sich selbst lieben können und du wirst bis dahin festgestellt haben, dass es verdammt wenige gibt, die sich in einem guten Maß lieben. Die meisten mögen sich wenig bis gar nicht, weil sie wie du eben von den Eltern keinen gesunden Selbstwert mit auf den Weg bekommen haben. Andere lieben sich über alle Maßen, die nennt man Narzissten. Du wirst dich in Frauen verlieben, die von Partnern links liegengelassen, gestalkt, geschlagen, anderweitig mies behandelt wurden …“
„Was ist gestalkt?!“
„Stimmt, kannst du noch nicht wissen. Das ist, wenn ein Mensch einen anderen rund um die Uhr beobachten will, ihn verfolgt, ihn angreift – das Leben mehr oder weniger zur Hölle macht. Diese Menschen betrachten Partner als Eigentum, das nicht abhanden zu kommen hat. Du wirst eine Verwandte haben, die mit einem solchen Mann zusammen sein wird und mit ihm ein Kind in die Welt setzen wird.“
„Was?!“
„Ja. Und das wird dich neben anderen Dingen weiter fertigmachen, weil du weißt, dass dieses Kind eines Tages auch im Dunkeln auf der Straße stehen wird und keiner hilft. Nicht unbedingt so, wie du es in der Nacht erlebt hast. Man kann Kinder auf sehr viele Arten kaputtmachen. Am Ende reicht ja schon der Vater, der keinerlei ehrliche Zuneigung für sein Kind zeigen kann.“
„Wie kann man nur …“
„Eben. Deine Verwandte wird von ihrem Vater keine Zuneigung bekommen. Damit wird sie sich nicht selbst lieben können, was sie in ihren Teenagerjahren im Internet in ihren Texten zeigen wird. Ach je, das Internet … Stell dir vor, du schreibst einen Brief und alle auf der Welt könnten ihn am Fernseher sehen. Ich weiß, das klingt wie aus einer anderen Welt, lass dich auch davon überraschen.
Zurück zu deiner Verwandten: Sie wird sich also nicht selbst lieben können und Menschen, die sich nicht selbst lieben, sehen in allem, was nur ein klein bisschen nach Zuneigung aussieht, einen echten Beweis dafür – so verlogen diese Zuneigung auch sein mag. Dann dürfen diese Partner ihre Freundin auch als verlogene Schlampe bezeichnen – sie wird ihn trotzdem als Menschen mit guten Eigenschaften ansehen, weil er ihr etwas gibt, was sie nie hatte. Und davon braucht sie nicht viel, weil „ganz wenig“ ist besser als „nichts“.
Du wirst Frauen niemals so behandeln wollen, weil du deine Mum leiden siehst und du über verdammt viel Empathie verfügst. Das ist, wenn man sich in die Gefühlslage eines anderen Menschen reindenken kann. Und damit ist deine Art, wie du einer Frau Zuneigung zeigst, langweilig für so einige. Sie sind aus ihrer Kindheit Drama gewohnt. Sie werden nicht sagen, dass sie das in einer Beziehung brauchen, sondern sie werden sagen, dass sie einen Mann mit guten inneren Werten möchten. Aber wenn du dich in sie verliebst, werden sie lange Beziehungen mit Männern hinter sich haben, die sie wie Dreck behandelt haben. Und wenn sie zwischen ihnen und dir hätten wählen können vor Beginn dieser giftigen Beziehungen, hätten sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht DICH genommen, sondern den Stalker, Schläger oder den Typen, für den seine Freundin schnell uninteressant wird.
Du wirst immer mal wieder von Frauen hören: Ich verliebe mich wegen der inneren Werte. Irgendwann explodiert es in dir und du würdest dem Nächsten, der diesen Satz sagt, fünf Meter Vorsprung geben, weil du ihn nicht mehr hören kannst. Der Satz wird auch von einer kommen, bei der du mal wieder auf Leichtigkeit hoffst. Sie wird dir einen Korb geben, du wirst durchhängen, auch wenn sie dir immerhin Klarheit gibt und du nicht ewig hoffen brauchst.
Aber dir wird in dieser Zeit bewusst, dass es schon auf innere Werte ankommt – aber nicht auf GUTE innere Werte. Wenn dem so wäre, hättest du mit 50 nicht nur zwei Monate Beziehung hinter dir und die ganzen Stalker, Schläger, Narzissten wären nicht jahrelang verheiratet. Du wirst damit hadern, dass solche gruseligen Typen Beziehungen haben durften mit Frauen, neben denen du gern sitzen und in deren Augen du gern gucken würdest, mit denen du endlich diese Leichtigkeit des Seins erleben möchtest. Sie werden dann aber diese Beziehungen hinter sich haben und sehr vorsichtig sein, was du ihnen nicht vorwerfen kannst, aber woran du trotzdem mittelschwer verzweifelst.
Mit 50 wird dir eine Psychologin sagen, du würdest immer wieder Frauen retten wollen, weil du Mum nicht helfen konntest, auch in der letzten Nacht nicht. Dabei hätte sie DICH retten müssen. Die Psychologin wird sagen, dass du eine schwache Frau und einen übermächtigen Mann erlebt hast in deiner Kindheit und damit ein verzerrtes Bild von den Geschlechtern entwickelt hast, so dass du eigentlich immer nur mit Frauen befreundet sein kannst – und sie retten willst. Aber eigentlich geht es dir darum, Kindern solchen Scheiß zu ersparen, wie du ihn jetzt wieder erlebt hast. Du wirst Frauen zuhören, die noch viel Heftigeres über sich ergehen lassen mussten, ziemlich genau in dem Alter, in dem du jetzt bist. Denk deshalb aber nicht, dass du im Vergleich dazu so gut wie gar nichts durchgemacht hast. Wenn dem so wäre, würdest du nicht diese Nacht als eine von sehr wenigen Momenten aus deiner Kindheit in Erinnerung behalten. Und du wirst dich an praktisch keinen Moment so wirklich erinnern, wo die Kindheit schön war. Andere erzählen, wie sie lustige Sachen mit ihren Eltern im Urlaub erlebt haben oder wie Papa ihnen dies und das beigebracht hat. Da wird nichts sein, was du in dieser Richtung noch vor Augen haben wirst.
Und glaub nicht daran, dass du dich in Frauen verliebst, um sie retten zu können. Du wirst dich in sie verlieben, ohne zu wissen, was sie so durchgemacht haben. Sie werden einfach alle ähnlich aussehen wie Michaela und Daniela und Antje. Nennt man optisches Beuteschema. Wenn du diese beiden Wörter gegenüber Frauen aussprichst, werden sie mit der Nase rümpfen und dir erklären wollen, dass sie sich eben wegen dieser berühmten inneren Werte verlieben und damit meinen sie positive Werte. Die ein oder andere wird dann aber mit der Zeit feststellen, dass der Ex dem Neuen doch ähnlich sieht. So wie bei dir Mädchen bzw. Frauen keine Chance haben werden, die anders aussehen als die Mädels jetzt, so wirst du mit deinem Gesicht nicht bei jeder ins Schwarze treffen können. Der Geruch spielt übrigens auch noch eine sehr wichtige Rolle beim Suchen und Finden.
Und dann kommt eben die Sache mit den inneren Werten dazu, also mit den wenig angenehmen Werten. Mit 50 wirst du viele Geschichten aus deiner Familie und dem Umfeld gehört haben, wie Beziehungen entstehen – und du wirst keine einzige davon haben wollen. In der Familie wird es eine Frau geben, die unbedingt eine Familie will und sie nimmt dafür einen Mann in Kauf, vor dem der Freundeskreis warnt und über den sie später sagen wird, sie habe ihn eigentlich nie wirklich geliebt – er war halt nützlich. Die gemeinsame Tochter wird das mit Magersucht und langer Therapie bezahlen müssen. Der Mann wird weitere Beziehungen haben, obwohl er phasenweise immer wieder sehr verletzend sein wird.
Eine Kumpeline wird knapp 20 Jahre in einer Beziehung sein mit einem Mann, der ihr den Kopf abschlagen wollte bei einer Trennung. Jetzt kann man sagen: „Der war früher, als sie ihn kennenlernte, bestimmt noch unauffällig und lieb.“ Sie fand in der Matratze ihres Wohnheim-Zimmers ein Babyfon, über das er für kurze Zeit mithören konnte, mit wem sie und was sie spricht – sie hat ihn trotzdem als Partner genommen.
Ein Typ hier im Ort wird erfahren, dass seine Freundin mit zahlreichen Männern schlief in den 3 Jahren Beziehungen. Er verlässt sie – und geht drei Monate später zurück: „Ich bekomme ja eh keine andere.“ Die Freundin bedroht Frauen, die sich an ihren „Freund“ ranmachen. Aber auch diese Frau hatte eine langjährige Beziehung.
Du wirst mit der Leiterin eines Pflegeheims sprechen. Sie wird erzählen, wie ihr Mann sie in die geschlossene Psychiatrie gebracht hat. Er hat sie verfolgt, wenn sie mit dem Auto irgendwohin fuhr, erklärte ihr in der Kneipe, sie solle auf den Teller schauen und sich nicht umgucken. Er selbst hatte mehrere Geliebte – und auch er war mehrere Jahrzehnte in mehreren gleichzeitigen Beziehungen.
Und so sammelst du über die Jahre mehrere Dutzend solcher Beziehungsgeschichten, die dir zeigen: Beziehungen haben sehr selten was mit Zuneigung zu tun, sondern sind das Ergebnis von Kindheitstraumata. Menschen erzählen, was sie bei einem anderen Menschen suchen und das klingt immer wieder ganz toll. Aber was sie am Ende finden, was sie anzieht und lange hält, hat oft damit nicht im Entferntesten was zu tun. Offenbar kann man auch Beziehungen verwenden für Selbstverletzungen.
Und du brauchst ja nur deine Eltern angucken. Würdest du eines Tages so fies wie Vater werden, hättest du deutlich größere Chancen, eine Frau zu bekommen. Klingt irre, ich weiß. Aber siehst du ja, er ist seit 17 Jahren mit Mum verheiratet. Ein Typ, der Null von Frauen hält, der alle Frauen als dämlich bezeichnet. Dieser Typ hat eine Beziehung seit zwei Jahrzehnten … Und er darf seine Kinder kaputtmachen … Und er wird mit knapp 50 Jahren ein Testament verfassen, in dem steht, dass seine Kinder erst 4 Wochen nach seiner Beisetzung von seinem Tod erfahren sollen und sie nur den Pflichtteil erben sollen. Er wird Unmengen an billigem Zeug kaufen, damit bei seinem Tod nicht viel Geld auf seinem Konto ist, damit seine Kinder, also du und dein Bruder, noch weniger erben können. Er stirbt übrigens 2021.“
„Echt?!“
„Ja. Du wirst keinerlei Trauer empfinden und er will eh sterben. Du wirst die Beisetzung organisieren, einen Teil der Rede verfassen, weil du kein Geheuchel hören willst. Es werden nur vier Leute da sein, einschließlich dir und Mum. Sie wird dich in dieser Zeit unterstützen, obwohl sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Vorher liegt Vater knapp zwei Wochen auf der Intensivstation durch einen dicken Herzinfarkt. Er wird nur noch im Bett liegen, manchmal wird er dich angucken, die Hände heben, seinen ganzen Körper bewegen wollen. Du wirst nicht wissen, was er noch mitbekommt, ob er dich versteht, ob er weiß, wer du bist. Und du wirst seine Hand halten.“
„Ich?!“
„Ja. Seltsame Vorstellung heute, oder? Gerade nach dieser Nacht. Hat aber nichts damit zu tun, dass du am Ende seines Lebens doch noch ein Zeichen von Zuneigung von ihm haben willst. Du würdest auch der Frau, die im anderen Bett vor sich hin stirbt, die Hand halten, weil du dir denkst, dass Menschen in diesem Zustand auf der Schwelle zum Tod Angst haben und eben eine Berührung ganz gut tut, die ein bisschen Sicherheit gibt. Da sind wir wieder beim Thema, was? Die haltende Hand im Sturm.“
Der Junge lässt den Kopf hängen.
„Du wirst, wenn du seine Hand hältst, stolz auf dich sein. Weil du eben damit zeigst, ganz anders geworden zu sein als er. Du wirst ein Foto davon machen, wie du überhaupt viele Bilder im Laufe deines Lebens knipsen wirst. Schöne Bilder übrigens, darauf wirst du auch stolz sein können, aber recht spät.
2019 wird Vater einen Schlaganfall haben. Wenn du ihn im Krankenhaus siehst, wird es das erste Wiedersehen nach 22 Jahren sein, weil du ihn nicht sehen willst. Du denkst bis dahin, dass du ihn erst wiedersehen wirst, wenn er im Sarg liegt. Er wird das nie verstehen, dass seine Kinder keinen Kontakt mit ihm mehr wollen nach der Scheidung und seinem Auszug.
Du wirst ihm, wenn du um die 20 bist, einen Brief schreiben, nachdem er sich über den wenigen Kontakt mit dir bei Mum beschwert. In dem Brief lässt du alles raus, was sich bis heute und die nächsten Jahre aufstaut. Du wirst ihn fragen, wozu er denn Zeit mit dir verbringen will, wo es doch Null Gemeinsamkeiten gibt: keine Hobbys, keine Interessen. Ob ihr euch eine Stunde schweigend hinsetzen sollt. Du wirst ihm seine Fehlerlosigkeit spiegeln, die er in seinen Augen hat und dass nur seine Meinung richtig ist. Wie er mit Mum umgegangen ist, wie er Latschen nach ihr warf. Wie dein Bruder während Handgreiflichkeiten mit Vater Verbrennungen mit dem Lötkolben abbekam. Wie Vaters Blicke waren, bei denen man sich jede Sekunde auf das Schlimmste gefasst machen musste. Und du schreibst von Ohrfeigen, die Mutti und du letzte Nacht bekommen haben, als er euch von der Straße reinholte. Du erinnerst dich also nicht erst mit 50 an diese Nacht … Du wirst auf Vaters Aussage zur Scheidung zurückkommen, dass er nur „Sohn Thorben“ darin geschrieben hat und kein „mein …“ Ja, dort explodierst du das erste und einzige Mal ihm gegenüber, wenn auch wie immer auf Papier. Aber sagen bräuchtest du ihm das alles eh nicht, da würde ich dir nach dem ersten Satz das Wort abschneiden.
Diesen Brief wird er laminieren und du findest ihn zu deiner großen Überraschung wieder, wenn du ca. 25 Jahre später nach seinem Schlaganfall die Wohnung aufräumst. Er wird ihn sicher nicht aufheben, weil er ein schlechtes Gewissen hat, sondern um immer zu wissen, wie böse DU DICH verhalten hast.
Bekomm keinen allzu großen Schock, wenn du zum ersten Mal seine Wohnung betrittst. Der Mann, der seine Kinder mit Nachdruck zur Ordnung anhält, wird ein zugemülltes Schlafzimmer und einen zugemüllten Keller haben.“
Dem Jungen fallen die Augen fast raus.
„Ja. Er wird es immer verstehen, nach außen wie ein ganz netter Mensch zu wirken, völlig unauffällig. Selbst seiner Lieblingsnichte wird der Mund offen stehen, wenn sie das Schlafzimmer betritt, obwohl sie zu den Geburtstagen bei ihm sein wird. Dort lässt er aber nie jemanden rein. Wenn du ihr von deiner Kindheit erzählst, wird sie sehr staunen, denn das alles hätte sie ihrem Onkel niemals zugetraut. Die fliegenden Latschen kennt sie von ihrem eigenen Vater.
Nach dem Schlaganfall wirst du auch auf Menschen außerhalb der Familie treffen, die mit Vater zu tun hatten. Seine Bibliothekarin wird sagen: „Ach je, na das hat er nicht verdient.“ Er wird jedes Jahr Urlaub in Österreich machen, immer in der gleichen Pension. Die Frau dort wird ihn als hochanständig bezeichnen, wenn du mit ihr telefonierst. Er sei einer von sehr wenigen Männern, bei dem sie sich nicht eingeschlossen hat, wenn er da war. Hätte sie erlebt, was du letzte Nacht erlebt hast, würde sie wohl doch den Schlüssel rumdrehen.“
„Der Wolf im Schafspelz …“ – die Schultern sacken wieder nach unten.
„Genau. Und wir haben keine Beweise, dass das Schaf in Wahrheit ein Wolf ist. Wenn Vater heute in den Garten dort drüben geht, wird er alle ganz freundlich grüßen, der hochanständige Mann. Unsere Geschichte zählt nicht, wir stehen allein im Dunkeln …“
„In den Garten können wir heute nicht, wir gehen in den Geburtstag zu Onkel und Tante.“
„Du liebe Zeit, und da wird wieder die heile Familie gespielt … Deiner Cousine wirst du auch nichts sagen, oder?“
Keine Reaktion.
„Klar, was könnte sie schon machen, ist ja noch jünger als du. Wer könnte überhaupt helfen? Deshalb wirst du fast immer still sein, wenn du schreien möchtest. Ach, dann ist heute der 5. August 1984?“
„Ja.“
„Oh Mann, das fällt mir jetzt erst auf. In 35 Jahren wird er genau zu dieser Zeit im Krankenhaus wegen des Schlaganfalls liegen. Und heute in exakt 35 Jahren wirst du einen Koffer für ihn in seiner Wohnung packen und den Koffer ins Krankenhaus schaffen, damit er zur Reha fahren kann. Das ist wieder verdammt schräg … Und nach der letzten Nacht wirst du dir das überhaupt nicht vorstellen können. Wenn mir das so bewusst gewesen wäre mit dem Datum, hätte ich … Hmm, keine Ahnung.“
Der Junge schaut zum Boden, dann zum Kleinen: „Da ist die Welt noch in Ordnung … irgendwie. Der kann noch lächeln …“
„Japp. Irgendwann wirst du dein Fotoalbum durchblättern und viele ernste Gesichter von dir darin sehen. Brauchst dir nur das Foto angucken in deinem Pionier-Ausweis oder im Handball-Ausweis. Der kleine, scheinbar unbeschwerte Junge taucht dort nicht mehr auf …“
Tränen laufen.
„Du wirst nie den Wunsch spüren, selbst Kinder haben zu wollen und ich kann dir das nicht wirklich erklären. Für andere mit noch viel mieserer Kindheit sind eigene Kinder DAS Lebensziel. Dein fehlender Kinderwunsch kann also nichts damit zu tun haben, dass du am Kindsein überhaupt nichts Positives sehen kannst. Von einer Frau, die durch ihren Vater Widerliches durchgemacht hat, wirst du hören, dass sie glaubte, mit einem Kind werde das Leben endlich besser – und sie wird sagen, dass es doch nicht so einfach läuft.
Eine andere wird dir sagen, dass sie Kindergeschrei nie leiden konnte und eigentlich keine Kinder will, aber die Familie und die Gesellschaft würden ja von einer Frau erwarten, Kinder zu bekommen. Und sie wird auch eins bekommen, obwohl sie am besten weiß, wie es ist, wenn man ohne Liebe in die Welt gesetzt wurde. Ihre eigene Mutter hat die Pille heimlich abgesetzt und ihren Freund vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Frau wird dir leise sagen, dass es kein schönes Gefühl ist, auf diese Weise auf die Welt gekommen zu sein – und am Ende macht sie es ähnlich. Bei anderen Frauen wirst du vermuten, dass sie ein Kind bekommen haben, damit endlich ein Wesen für sie da ist, das sie bedingungslos liebt und mit denen sie von anderen Menschen endlich Aufmerksamkeit bekommen. Kinder kriegen scheint eine ziemlich egoistische Sache sein zu können.
Dir werden Kinder nicht egal sein, eher im Gegenteil. Du wirst einen ziemlichen Drang entwickeln, anderen Kindern ersparen zu wollen, dass sie mitten in der Nacht allein auf der Straße stehen müssen. Oder dass sie von ihrem Bett aus mit ansehen müssen, wie sich die Familie an die Gurgel geht – von anderen Dingen ganz zu schweigen. In der Klinik, wo du länger sein wirst, wirst du sagen, dass Eltern ab dem Tag, an dem eine Schwangerschaft feststeht, unter psychologische Begleitung kommen sollten, bis die Kinder erwachsen sind. Du wirst in entrüstete Gesichter gucken – aber es wird keine Gegenvorschläge geben, wie man sonst Kindern ein kindgerechtes Aufwachsen ermöglichen kann. Du wirst dich fragen, ob den anderen ihre Kindheit, so schlimm sie auch war, am Ende gefallen hat oder ob sie nicht wie du den Wunsch hätten, im Nachhinein das Kind, was sie mal waren, beschützen zu wollen. Klar, an Vater wäre wohl jeder Psychologe gescheitert …“
„Was ist ein Psychologe?“
„Das ist jemand, der das reparieren soll, was in der Kindheit kaputtgemacht wurde.“
„Ändert er sich, wenn er älter wird?“
„Vater?! Dieses Mit dem Alter wird man weiser ist so eine Lebensweisheit, die du immer mal wieder hören wirst, genauso wie dieses Ich verliebe mich wegen guter innerer Werte. Das sind Weisheiten, für die es keine Beweise im wahren Leben gibt. Nein, er wird mit 75 genauso ein uneinsichtiger Sturkopf sein wie der, der da heute oben in der Wohnung in seinem Sessel sitzt und sich keiner Schuld bewusst ist, was er angerichtet hat. Schuld sind bei ihm immer andere. Immer. Dass dein Bruder so ist, wie er ist, ist in Vaters Augen auch allein die Schuld von Mums Eltern. Auch mit 75 wird er so sein. Nach dem Schlaganfall wird er ironischerweise weitgehend auf Frauen angewiesen sein, ob im Krankenhaus, bei der Reha oder im Pflegeheim – also den dämlichen Weibern.“
Er schmunzelt, allerdings nur leicht.
„Ich glaube, uns hätte selbst ein Psychologe nicht geholfen. Vielleicht hätte er Mum erklären können, dass dieser Mann seine Kinder vergiften wird, wenn sie mit ihm zusammenbleibt. Aber du wirst an deiner Verwandten sehen, dass man solche Beziehungen nicht mit guten Argumenten verhindern kann. Du wirst später immer wieder von toxischen, also giftigen Beziehungen hören. Davon gibt es sehr viele. Es sind eben die, wo einer den anderen kontrolliert, misshandelt, wie Dreck behandelt. Diese giftigen Beziehungen vergiften die Kinder aus diesen Beziehungen und diese Kinder reichen das Gift dann an ihre eigenen Kinder weiter, wenn niemand dazwischengeht. Du weißt nichts über die Kindheit von Vater, richtig?“
Kopfschütteln.
„Du erfährst das auch erst von deiner Mum, wenn du fast 50 bist und er den Schlaganfall hatte. Er hat seinen eigenen Vater nie kennengelernt. Seine Mutter, also unsere Oma, die wir nie kennengelernt haben, hatte im Sommer 1943 kurz mal was mit einem während eines Rummels, ein gelernter Steinmetz, der nördlich von Leipzig gewohnt hat. Ihr Mann war im Krieg gestorben. Vater wurde vor allem von seinem 11 Jahre älteren Bruder betreut, die Mutter ging viel arbeiten und hatte laut Mum wohl auch nicht wirklich was Mütterliches. Der Bruder wurde mit 20 zum zweiten Mal Vater, da war unser Vater 9. Spätestens ab da wird sich der Bruder auch nicht mehr viel um Vater gekümmert haben. Um seine Bedürfnisse als Kleinkind und Kind bezüglich Anerkennung, Zuneigung hat sich also auch kein Vater gekümmert und die Mutter sehr dezent. Er stand genauso allein da wie du letzte Nacht. Und so wie du hat er nie erlebt, wie es ist, einen wirklichen Vater zu haben.
In der Schule wurde er gehänselt, weil er ein Bastard war, also ein Kind, das von einem außerhalb der Familie gezeugt wurde. Nach dem Schlaganfall wirst du ihn danach fragen, wie er in der Schule behandelt wurde. Durch den Schlag kann er nicht verständlich sprechen, auch wenn er glaubt, man versteht ihn. Deshalb wird er fragen, ob du und seine Lieblingsnichte dämlich seid und er wird glauben, du willst ihn nicht verstehen, damit du ihn ins Heim abschieben kannst. Das wird dir ziemlich zusetzen. Du wirst keine Dankbarkeit von ihm erwarten für all das, was du für ihn machst, weil du ihn eben kennst. Aber diese Arschtritte bekommst du in einer Zeit, wo du eh schon die größte Schwere in deinem Leben erleben wirst. Diese Schwere wird sich über anderthalb Jahre ziehen und dazu beitragen, dass du eines Tages kaum noch laufen kannst.
Na jedenfalls wird Vater, wenn du ihn nach dessen Schulzeit fragst, die Hände hochnehmen und zu Fäusten ballen und dir mit Stolz erklären wollen, dass er sich so gegen die Mobber gewehrt hat. Ach, Mobber sind Menschen, die andere immer wieder ärgern, niedermachen. Kennst du ja. Vater hat also als Kind gelernt, sich nicht alles gefallen zu lassen, nicht alles runterzuschlucken wie wir. Er hat seinen Weg gefunden, nicht mehr Opfer zu sein: dominantes Auftreten und keine Schwäche zeigen, auch nicht in Gefühlen. Niemand hat eingegriffen, kein Psychologe, weder als er Kind war noch als klar war, dass er Vater wird. Und nun stehst du hier mit müden Augen, weit weg von der Leichtigkeit des Kleinen da. Und schon bei ihm wird das Gift wohl anfangen zu wirken.“
„Können wir nichts machen für ihn?“
„Hmm … Ich rede mich euch, weil ich herausfinden soll, was ihr gebraucht hättet und was mir selbst heute fehlt. Das nennt man das innere Kind. Es lebt in jedem Erwachsenen, auch wenn wir glauben, unsere Kindheit wäre längst Geschichte. Aber mit 18 wird kein Schalter gedrückt, dank dem wir alles vergessen können, was vorher war und wir werden ein komplett neuer Mensch. Viele dieser Erwachsenen erzählen anderen, dass sie doch keine Kinder mehr sind und das, was war, abhaken sollen. Dabei merken sie nicht, wie sie selbst auf den Gleisen unterwegs sind, die ihnen in der Kindheit einbetoniert wurden. Die einen jagen weiter der Anerkennung ihrer Eltern nach, bauen sich ein Geschäft auf, in der Hoffnung, dadurch im Wert bei Mutter oder Vater zu klettern. Andere schämen sich für Dinge, für die sie sich gar nicht schämen bräuchten, z.B. vor anderen Menschen zu gähnen – weil sie als Kind beigebracht bekamen, dass man das nicht macht. Solche Geschichten gibt es zu Dutzenden. Das, was als Kind passiert ist, bleibt ein Rucksack, den man sehr schwer loswird.
Und ich weiß nicht, was ich mit euch Kindern machen soll, was ihr mir sagen sollt und könnt. Ich weiß nicht, ob ich auf Vater wütend sein sollte, ob ich um meine Kindheit trauern soll, ob irgendwas helfen würde, damit ich wieder auf die Beine komme. Wenn der Kopf Gefühle nicht mehr verarbeiten kann, leidet der Körper. Aber es ist so viel an Trauer, Wut, Hilflosigkeit, Ungerechtigkeitsempfinden, Enttäuschungen zusammengekommen – das konnte nicht gutgehen. Das Wegdrücken von Gefühlen kostet angeblich verdammt viel Energie und die fehlt mir absolut, genauso wie die Glücksmomente als Gegengewicht zu all dem Mist.
Wirklich helfen würde wohl nur, wenn ich dir jetzt die Weiche anders stellen könnte, genauso wie unserem Kleinen da. Eigentlich wirst du trotz dem, was letzte Nacht und sonst so passiert ist, ein ziemlich guter Mensch – oder eben gerade deswegen. Wenn alle so wären wie du es wirst, läge die Welt sich in 40 Jahren nicht so an der Gurgel. 2023 wirst du feststellen, dass die Welt eigentlich genauso ist wie letzte Nacht: Jeder gegen jeden und du stehst daneben. Es macht überhaupt keinen Sinn, wie diese angeblichen Erwachsenen miteinander umgehen, du willst Harmonie, keine Lautstärke – aber das, was du dir wünschst, geht nicht in Erfüllung. Wer laut ist, der bekommt dann die meiste Aufmerksamkeit, wie im Kindergarten. Die einen führen Kriege, die anderen beleidigen, wieder andere glauben an ihre ganz eigenen Wahrheiten. Menschen lassen sich bis zur Unkenntlichkeit Gesicht und Körper operieren und mit Farbe zukleistern, um im Mittelpunkt zu stehen oder um sich einen Schutzpanzer anzuschaffen. Sie fressen im Fernsehen Würmer, sie breiten ihre Beziehungen und Trennungen in aller Öffentlichkeit aus und ziehen gleichzeitig über andere her, die auf andere Weise nach Aufmerksamkeit schreien.
Und du stehst still da, allein wie letzte Nacht. Weil du weißt, wie sich das anfühlt, wirst du für andere da sein, ihnen zuhören, so wie du es heute bräuchtest. Dir werden Menschen ihre Geschichten erzählen, die sie kaum jemandem sonst erzählen. Eine 70-Jährige wird sagen, dass sie gern einen Sohn wie dich hätte, weil ihre Kinder sie mit ihrer Depression nicht verstehen. Eine 18-Jährige wird dich, wenn du Mitte 40 bist, als so ziemlich einzigen sehen, dem sie sich anvertrauen kann. 5 Jahre später wirst du nichts mehr von ihr hören, den Grund verrate ich dir lieber nicht.
Bei all dem wirst du dich selbst ziemlich vergessen. Aber klar: Du wirst immer wieder daran scheitern, die Leichtigkeit des Daseins erleben zu dürfen, also machst du halt wenigstens anderen das Dasein für einige Momente leichter und bekommst dadurch ein gutes Gefühl, genau wie es Mum machen wird. Sie hilft auch immer Menschen, denen sonst keiner hilft – und steht allein da, wenn sie selbst Hilfe braucht. Ist auch so innerhalb der Familie, sei nicht zu enttäuscht, wenn dir das irgendwann klar wird. Dich braucht niemand fragen, ob du hilfst, du siehst einfach, wenn es jemandem beschissen geht. Mit 50 wird dir in der Klinik jemand sagen, dass du dein eigenes Ich viel mehr nach vorn schieben sollst – und du hast keinen Plan, was dieses Ich überhaupt sein soll. Du wirst dich irgendwann fragen, ob du nicht für deine Eltern viel mehr da warst als sie für dich. Du wirst dich fragen, ob dieser Gedanke ungerecht ist. Du wirst denken, dass du das Aschenputtel bist, welches die Scherben der anderen alle die Jahre wegräumen muss, aber nie zum Ball gehen darfst, um den Prinzen bzw. die Prinzessin zu treffen. Und du fragst dich, ob du überhaupt zum Ball möchtest, wo so viel Schein ist, der blendet.
Ich weiß, das ist für dich vermutlich alles viel zu viel. Aber du bist in der Pubertät oder kommst demnächst da rein, dann wird das Gehirn neu verdrahtet und bevor du all diese leeren Lebensweisheiten da reingesteckt bekommst, wäre es gut, wenn du weißt, wie der Hase läuft. Du sollst nicht glauben, dass du so, wie du bist, nicht würdig für Michaela oder Daniela oder wie sie heißen werden sein wirst. Dein Ego braucht nicht noch mehr auf den Deckel, im Gegenteil. Du wirst lange glauben, du stündest unterhalb aller anderer Menschen und es wird dann 30 Jahre brauchen, bis dir klar wird, dass fast alle anderen sich genauso klein vorkommen wie du bis dahin. Einige fühlen sich ganz groß, die sind aber auch nicht gesünder als du. Du wirst immer anders ticken als andere Kinder, du wirst Dinge anders wahrnehmen wie sie. Sie werden nicht verstehen, warum du nicht in die Disko mitgehst. Sie wissen nicht, dass du es nicht laut magst und du um Menschen, die Alkohol trinken, einen großen Bogen machst, weil du zu Hause erlebst, dass Besoffene nichts Gutes an sich haben.
Also kannst du auch Antje nicht in die Disko einladen, du brauchst einen Plan B. Frag mich nicht, wie der aussieht, ist ja nicht viel los hier im Dorf. Frag sie einfach, ob ihr mal wandern gehen wollt. Ja, klingt lahm, aber vielleicht ist sie davon begeistert, weil DU mit ihr wandern gehen willst. Wenn sie mitkommt, dann guck, ob du ganz unauffällig Körperkontakt herstellen kannst. Biete ihr deine Hand an, wenn ihr über eine Pfütze müsst oder wenn der Weg matschig ist oder Äste im Weg sind. Streichel ihr über die Schulter und sag: „Da war was“ und lächle dabei verschmitzt. Nutze deinen Ideenreichtum. Du wirst dich das alles niemals trauen, wenn du dich für chancenlos bei ihr hältst. Wenn sie dann wegzieht, wird dein Herz wohl einen ordentlich Knick bekommen, aber das wird auch passieren, wenn du nichts wagst – bzw. wenn du herausfindest, dass sie mit einem Kumpel von dir heimlich schreibt. Sei schneller als er! Der Vorteil nach Antje wird dann sein: Du weißt, dass du durchaus Chancen bei Frauen haben kannst und du lernst, wie du die letzte Meile überwinden kannst. Vater wird dir das nie erklären, ihm geht dein Liebesleben so am Allerwertesten vorbei wie deine sonstige Gefühlswelt.
Ist halt blöd, dass es gerade jetzt so eskaliert ist und die Scheidung mittenrein in deine Pubertät fällt. Auch das macht was mit Menschen. Keine Ahnung, ob uns einfach Testosteron von Natur aus fehlt oder ob uns die Rebellion gegen unsere Eltern fehlt, damit die Pubertät richtig funktionieren kann und die Männer-Hormone in Gang kommen. Es wird dir Ewigkeiten vorkommen, bis du dich das erste Mal rasieren brauchst. Und so wirst du bei Frauen, die viel Testosteron im Geruch eines Mannes brauchen, auch keine Chance haben, tut mir leid. Die landen dann bei den Sportskanonen, so wie Michaela. Bei welchen Mädels bzw. Frauen, die dich die Schwere des Lebens vergessen lassen, du Chancen haben wirst, kann ich dir auch nicht sagen. So wie du nicht mit der Sprache rausrücken kannst aus Angst vor Zurückweisung, so geht es den anderen eben auch. Da haben es die Typen einfacher, die einfach fragen können: Willste f… ähm, Möchtest du mit zu mir kommen? So billig das auch rüberkommt: Die Masche hat Erfolg. Ist wie Fischen mit Dynamit. Dir wird das aber nichts geben. Lieber sitzt du den ganzen Tag mit einer Angel am Teich und gehst ohne Fang nach Hause. Dort sitzt du dann, träumst wieder von der Leichtigkeit und schreibst Bücher darüber, wie leicht es eigentlich zwischen Menschen sein könnte, wenn sie nicht in Massen als Kinder kaputtgemacht worden wären und dann ihre eigenen Kinder kaputtmachen.“
„Schreib ich wirklich Bücher?“
„Kommt drauf an. Wenn alles genauso läuft, dann ja. Jedes Buch wird mit einer Frau verbunden sein, mit der du dir sonnige Tage erhoffst, bei der du aber am Ende im Regen stehen wirst. Du wirst dir sagen: Je unglücklicher der Künstler, desto besser seine Werke. In den Büchern und anderen Texten verarbeitest du deine Gefühle, deine Wünsche und wenn du sie nach ein paar Jahren liest, werden dir an vielen Stellen Tränen kommen. Falls du es schaffst, bei Antje mutig zu sein – wer weiß, wie es dann weitergeht. Während der Studienzeit lernst du eine Anja kennen und wirst sie all die Jahre still anbeten. Keine Ahnung, ob du bei ihr Chancen haben wirst. Du wirst auf jeden Fall ein Bild im Kopf behalten, wie du ihr beim Eis essen gegenüber sitzt und sie dabei lächelt. Wenn du bei Antje ein bisschen raus aus dem Schneckenhaus kommen kannst, dann kannst du bei Anja auch mutiger sein, weil du dann weißt, wie es gehen kann und weil du ein Erfolgserlebnis hattest. Ein Mal mutig sein können, kann deinen ganzen Lebensweg verändern. Klar, wenn du einen Korb bekommst, wird es wieder weh tun und du kannst ihr für den Rest des Studiums nicht aus dem Weg gehen. Vielleicht hast du dann aber den Blick für eine andere frei, die ich übersehen hatte. Vielleicht hing eine wegen mir die ganze Zeit durch und ich hab sie ignoriert, weil ich völlig auf Anja konzentriert war. Liebe ist eine Katastrophe, sag ich dir …
Egal wie: Dein Leben würde anders, wenn du dich nicht als so winzig empfinden würdest – also nicht körperlich, da schaffst du es auf 1,87 m. Deine Eltern werden dir nicht helfen können. Vater vernichtet jegliches Selbstbewusstsein durch seine Dominanz und Mutti ist das Mauerblümchen, das erst jetzt nach dieser Nacht wirklich aufwacht und sich emanzipiert. Deine Eltern können dir keinen guten Selbstwert mit auf den Lebensweg geben, sie haben selbst keinen.
Und ich wüsste nicht, wer dich sonst an die Hand nehmen könnte, um dir Ängste zu nehmen. Du hast zwar einen älteren Bruder, aber auch nur auf dem Papier, so wie es mit Vater ist. Wunder ist es keins: Dein Bruder wurde von den Großeltern wie ihr Sohn aufgezogen, den sie nie hatten. Omas jüngerer Bruder ist mit 16 zu Hitlers Kanonenfutter geworden, vermutlich hat auch das ein Trauma hinterlassen und sich dann vererbt. Dein Bruder durfte bei Oma und Opa als kleines Kind alles – und zu Hause wartete mit Vater das komplette Gegenteil. Er hat rebelliert, schon als Kind, in der Schulzeit Lehrerinnen zum Heulen gebracht und nun die Nummer mit dem Wohnheim. Das ist eben sein Weg durch und raus aus der Kindheit unter diesen Eltern. Er kassierte dafür Vaters Handgreiflichkeiten, ich „nur“ Kopfnüsse und Ignoranz. Bloß gut, dass ich in diesen Handgreiflichkeiten kein Zeichen von Zuwendung für meinen Bruder gesehen habe und später von einer Frau so behandelt werden wollte als Zeichen von Zuneigung. Dann wäre ich wohl beziehungsfähig gewesen, nur was für Beziehungen das dann geworden wären …“
„Klingt nicht so schön, was mich noch erwartet …“
„Ich weiß. Eigentlich wäre es besser, wenn du nichts davon wüsstest, was auf dich noch zukommt. Und dabei hab ich dir noch wenig davon erzählt. Es ist kein Wunder, dass mir die Tränen kamen, als sich der Kleine da zu mir umdrehte. Ich will nicht, dass er zurück in diese Wohnung gehen muss. Ich will auch nicht, dass du wieder reingehen musst und noch mehr Narben sammelst, dich noch mehr einschließt, du von anderen verletzt wirst, weil sie nicht wissen, was du durchmachst. Aber ich hab keinen Plan, wie das funktionieren soll. Wir werden sehr gut darin, anderen zu helfen, aber wir sind furchtbar schlecht, Hilfe anzunehmen.“
„Weil mir jetzt keiner hilft?“
„Gut möglich. Wenn dir in dieser Nacht niemand zu Hilfe kam, warum soll es dann jemand in anderen Nächten?“
„Haben die Bücher, die ich schreibe, ein Happy End?“
„Du wirst bei deinem ersten Buch sagen: Ich gönne den Lesern erst eins, wenn ich selbst eins erleben durfte.“
„Also …“
„Sagen wir es so: In einem Buch gehen am Ende er und sie Hand in Hand zu ihr nach Hause. Das ist doch ein gutes Ende, oder?“
Er grinst: „Naja, schon. Aber …“
„Das Verkleistern der Augen überlässt du anderen. Also dieses Dann heirateten sie, bekamen fünf glückliche Kinder und wenn sie nicht gestorben sind … Du wirst mit 50 von keiner langen Beziehung gehört haben, die du für dich haben wollen würdest. In deinen Büchern wirst du wieder sehr ehrlich sein, Finger in Wunden legen und nicht einfach ein Pflaster drauf kleben. Du hoffst, dass du den Menschen damit einen Spiegel vor die Nase halten kannst, dass die Welt alles andere als heil ist, dass es sehr viele Menschen gibt, die im Dunkeln alleingelassen werden, warum so viele Menschen kaputt sind, dass man ihnen schon in der Kindheit zu Hilfe hätte kommen müssen.“
„Und das lesen viele?“
„Ich sag dir Bescheid, wenn es so weit ist.“
„Hmmm.“
„Genau. Und wie bekommen wir jetzt für unser Treffen ein glückliches Ende hin?“
„Ich bin 11, woher soll ich das wissen?“
„Na das Büchlein, dass du in wenigen Jahren wegen und für Michaela schreiben wirst, wird zeigen, wie viel Fantasie du jetzt schon hast. Die hat sich vielleicht auch nur deshalb so entwickelt, damit wir flüchten können oder es sind einfach gute Gene, keine Ahnung. Du schreibst doch jetzt schon Aufsätze, die aus der Reihe tanzen oder kommt das später? Okay, eher in den nächsten Jahren. Ach, du wirst übrigens auch Reden halten vor der gesamten Schule.“
„ICH?!“
„Japp. Du wirst bei den Thälmann-Pionieren und in der FDJ in der Schulleitung sitzen und dann darfst du die Reden halten – und schreiben. Dir wird das Null Spaß machen, aber du musst ja … Und dass du das überhaupt machst, sollte dein Selbstbewusstsein eigentlich stärken.“
„Tut es das?“
„Ich glaube, zu Hause wird davon niemand was wissen, zumindest wird es kein großes Thema sein. Vater wird dir nicht auf die Schulter klopfen. Ich denke, dass ihm deine Intelligenz unheimlich ist. Er selbst ist in der achten Klasse abgegangen mit sehr durchschnittlichen Zensuren. Trotzdem glaubt er, alles am besten zu wissen. Solchen Menschen wirst du später reichlich begegnen. Versuch niemals, ihnen die Welt mit Fakten erklären zu wollen. Sie haben alle ihre eigene Kindheitsgeschichte und würdest du sie kennen, würdest du wohl verstehen, warum sie so ticken. Aber das wird eine Zeit sein, in der kaum einer dem anderen mehr zuhört. Alle sprechen und halten sich dabei die Ohren zu. Sei froh, dass du keinen Kinderwunsch haben wirst. In diese kranke Welt wirst du keins gesetzt haben wollen, weil du es nicht beschützen könntest, außer du würdest es rund um die Uhr begleiten. Selbst wenn du alles richtig machen würdest, ihm alle Bedürfnisse erfüllst, dabei aber auch Leitplanken setzt – es käme in die Schule und würde wohl fertiggemacht. Oder später dann als Erwachsener.“
„So schlimm wird es?!“
„Ja.“
„Kein Happy End?“
„Wenn du dir eine Hütte im Wald leisten kannst und keine Nachrichten guckst und du dich mit möglichst wenig Menschen unterhältst, dann bekommst du vielleicht nicht mit, wenn neue Atombomben fliegen. Du wirst mir nicht glauben können, wie sich die Welt technisch entwickeln wird. Science Fiction kommt schneller als du denkst und du wirst von der Technik eigentlich ziemlich begeistert sein. Und wenn du Mitte 40 bist, wirst du schreiben: Wir haben einen wunderbaren Planeten unter unseren Füßen. Wir haben alle technischen Möglichkeiten, um die Zeit, in welcher wir auf dieser Erde wandern, sorgenfrei zu erleben. Wir haben alle Chancen, um glücklich zu sein, ob allein oder mit einem Wesen an unserer Seite. Wir sind die fortgeschrittendste Art im Umkreis von Lichtjahren. Nur eines können wir offenbar nicht: aus der Geschichte lernen.“
„Warum sind Menschen so?“
„Frag deine Eltern.“
„Hmm …“
„Jetzt sag du mir, was den Kleinen da glücklich macht, du bist mit dem Alter viel näher dran.“
Er sieht ihn an, überlegt lange. „Naja, er scheint sich über nichts Sorgen zu machen, ist neugierig, vorsichtig. Es muss ihm halt jemand ruhig erklären, dass er nicht vor Marienkäfern weglaufen braucht. Aber Vati erklärt ja nichts.“
„Stimmt. Seine zweite große Lebensweisheit neben Weiber sind alle dämlich: Entweder man kann etwas oder man kann es nicht. Also braucht er seinen Kindern auch nichts beibringen – entweder du kannst es oder du kannst es nicht.“
„Dann brauche ich ja nach den Ferien gar nicht mehr zur Schule?!“
„Genau. Und mit 18 setzt du dich in sein Auto. Entweder du kannst fahren oder es landet am Baum.“
„Wie soll man dann wissen, was man kann, wenn er mir nicht zeigt, wie was geht?!“
„Frag ihn.“
„Lustig.“
„Japp. Wie sollst du merken, was du gut kannst, wenn du dich nicht ausprobieren kannst? Wie sollst du dann merken, dass du Stärken hast? Er ist nur zur Stelle, wenn du scheinbar Schwäche zeigst – aber nicht, um zu sagen Hey, ich zeig dir, wie das geht.“
Der Blick des Jungen geht zurück zum Kleinen: „Er wird nicht sofort glauben, dass der Marienkäfer ihm nichts tut, da braucht man Geduld. Was braucht er sonst? Einfach für ihn da sein. Mit ihm rumalbern. Dass er einfach Kind sein darf, mit einer Familie, bei der er sich zu Hause fühlt. Sicher. Wo man Rücksicht nimmt auf seine … Meisen. Wo er auch mal heulen darf, ohne „Reiß dich zusammen!“ zu hören. Wo er auch Angst haben darf, wenn er abends in den Keller gehen muss und wo er sich das zu sagen trauen darf. Wo man ihm zuhört. Wo er sich nicht unsichtbar fühlt. Wo man ihn fragt, wie es ihm geht. Wo er Fehler machen darf, ohne Kopfnüsse zu bekommen. Kinder machen nun mal Fehler. Wo er für Sachen gelobt wird, die er gut macht. Wo das Leben einfach Spaß macht. Eigentlich ist das nicht viel, oder?“
In einem liegen wir gerade lachend im Schnee, in einem anderen lehnt dein Kopf an meinem. In einem bist du Papst und ich dein Leibwächter, in einem anderen sind die Rollen vertauscht.
Du hattest alles – außer einer kindgerechten Kindheit. Du schienst auf der Sonnenseite, doch der Schein trog. Aus Deinem Tod hätten wir lernen können, haben wir aber nicht.
Wenn du Gefühle nicht mehr aushältst, leg einen Sarkophag darüber. Doch was, wenn der bricht?
Du wartest. Und wartest. Das Warten tut dir weh, dennoch wartest du weiter.
Jeder hat so sein Päckchen zu tragen – für mich ein furchtbarer Spruch. Ich sehe dabei immer ein Schulterzucken, als wäre es ein Naturgesetz, dass jede Generation der nächsten Steine in den Rucksack packt.
Was macht dich glücklich, mein Kind? Was fehlt dir? Was hast du damals vermisst, was willst du heute nachholen? Würde es mir damit besser gehen?
Du trägst mich auf deinen Schultern durch gute und schlechte Zeiten. Wir haben keine Liebesbeziehung, sind eine Zweckgemeinschaft mit gewissen Vorzügen.
In mitten des Ozeans sinkt nach heftigen Stürmen ein Boot ganz langsam. Der Mann darin ist erschöpft, er bekommt den Kahn einfach nicht mehr leer, so sehr er sich bemüht. Ein zweites Boot nähert sich, der Mann schöpft Hoffnung – Rettung in Sicht nach langer Zeit. Der andere Mann kommt immer näher, grüßt kurz, schaut: […]
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Würdest du das kleine Mädchen, das du einst warst, vor all den Scherben bewahren, durch das es laufen musste? Nein.
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Vor mir liegt ein Stein. Kein kleiner Kiesel. Er lässt mich nicht vorwärts kommen – oder schützt er mich?
Wir hatten es selten leicht miteinander, du und ich. Von Liebesbeziehung konnte kaum die Rede sein, mein liebes Leben.
Wenn dein Ego nie wachsen konnte, ist es dir eben egal, wie ehrlich ein „Ich liebe dich“ ist. Hauptsache, du bekommst es zu hören.
„Die langen Ärmel ihrer Bluse rutschten nach unten, als sie in ihrer Freude die Hände noch oben riss.
Er sah ihre Narben am Handgelenk …“ – Wie geht es wohl weiter?
„Wie konnte sie nur? Ja, ihr ging es dreckig, aber was sollten wir denn machen? Mein tiefempfundenes Beileid. Sag´ Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Jetzt muss ich erstmal los.“
Im dunklen Wasser des kleinen Sees versinken Nachtgedanken, heißt es. Doch aus ihm können auch zauberhafte Wesen steigen.
Ich hab´s geschafft: Ich bin tot. Endlich kann ich machen, was mir Freude am Leben gibt.
Jeder Mensch hat zwei Ohren. Nur was wir damit anfangen, ist recht unterschiedlich. Umso erleichternder ist es in Krisenzeiten, wenn du jemanden findest, der zuhören kann. In den letzten Jahren lernte ich, dass dies wohl meine Superkraft ist. Diese biete ich Dir hier an.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
2020 (2) 2022 (2) 2024 (2) Aluthutträger (2) Aurelie Joie (10) Ballast (2) beileid (1) bipolare störung (3) bipolare Sörung (2) corona (3) Covidioten (2) Depression (4) einsamkeit (1) falsche Vorbilder (1) fightforlove (1) freiheit (2) geduld (1) gefühle (10) gendern (4) Hass (3) hilflosigkeit (3) Journalismus (5) Kindheit (5) liebe (2) macht der worte (1) manie (3) meinestimmegegenignoranz (19) missbrauch (2) mitgefühl (1) narzisst (5) Politiker (3) psychische Erkrankungen (11) selbstbewusstsein (1) selbstverletzung (2) selbstzweifel (2) suizidgedanken (1) tot (3) trauer (2) Vater & Sohn (2) verrückt (22) verschwörungsmythen (3) verständnis (4) vertrauen (1) wird nicht besser (3) zu spät (1)
Was treibt dich dazu, wirtschaftlich erfolgreich zu sein und deinen Besitz vorzuzeigen? Und was lernt dein Kind daraus?
Jens ist 36, selbstständig mit mehreren Angestellten. Seit 16 Jahren hat er die gleiche Freundin, doch sie leben nach wie vor getrennt. Arbeit geht vor für Jens. Dadurch ist es für ihn extrem schwierig, nach der Aufnahme in der Psychiatrie drei Wochen ohne Handy und Laptop auskommen zu müssen. Doch in dieser Einrichtung gehört das Abschalten zum Therapieplan.
Auch nach den drei Wochen sind die Patienten angehalten, auf den Kontakt nach außen und damit das Ablenken/Verdrängen zu verzichten. Doch Jens ist sofort wieder aktiv, denn ohne ihn läuft seine Firma nicht, da ist er sich sicher. In die Klinik brachte ihn totale Überarbeitung. Absolut nichts ging mehr. Wäre noch minimal etwas gegangen, wäre er nicht in die Psychiatrie gegangen.
Seiner Therapeutin fällt Jens´ Haut auf trotz ständig langer Kleidung im Sommer: überall Schuppenflechte. Sie sagt, dass sich Dauerstress immer wieder auf den Zustand der Haut auswirkt. Demnach muss Jens unter heftigem Dauerstress stehen. Doch Jens muss schaffen. Mitpatienten vertröstet er immer wieder, wenn sie eigentlich gemeinsam etwas vorhatten. Stattdessen sitzt er an Laptop und Handy, gekleidet in Klamotten, die er sicher auch in der Firma trägt. Dass er Patient ist, sieht man ihm überhaupt nicht an.
Wie wird man so ein Arbeitstier? Durch Ehrgeiz? Sind solche strebsamen Menschen nicht genau das, was wir brauchen zur Wahrung unseres Wohlstandes? Menschen, die ihr Privatleben zurückstellen und etwas aufbauen? Ist dieser Arbeitseifer angeboren oder legt auch für diesen wieder die Kindheit die Weichen?
„Wenn Sie entlassen werden, können Sie Ihr Leben nicht so führen wie bisher – es sei denn, Sie wollen genauso kurz wie Ihr Vater leben.“ Als Jens diesen Satz hört, schaut er bedröppelt. Eigentlich hatte er gedacht, er könne sich in der Psychiatrie ein paar Wochen erholen und käme mit neuem Schwung in seine Firma zurück.
Jens wird in sechs Jahren sterben. Zumindest, wenn er auch in diesem Punkt der Linie seines Vaters treu bleibt und sich totarbeitet. Diese Linie des Vaters sieht Jens aber überhaupt nicht als Problem an, erst recht nicht für sich selbst. Zumindest nicht im ersten Anlauf. Probleme anderer analysiert er sofort und treffsicher – nur bei seinen eigenen funktioniert das nicht, wie bei so vielen. Erst wenn Therapeutin und Gruppe ihn die Augen mit deutlichen Worten öffnen, überlegt er und nickt nachdenklich.
In den Therapien geht es immer wieder um die Frage: Wie hat sich das Kind, dass du damals warst, gefühlt? Vernachlässigt? Übrig? Lästig? Und was hat das Kind empfangen? „Ich bin lästig“? „Ich werde nicht in den Arm genommen“?
Jens´ Vater arbeitete extrem viel, kam nach Hause und legte die Füße hoch. Jens selbst bekam nur wenige Minuten Aufmerksamkeit, ansonsten wollte der Vater seine Ruhe. Wie überflüssig muss sich der Junge gefühlt haben?
Der nächste Schritt: Jenen Elternteil, gegenüber dem du diese Gefühle hattest, sollst du nicht länger in Schutz nehmen. Du musst dich deinem Verdruss stellen: „Ja, mein Vater/meine Mutter hat Scheiße gebaut. Das Verhalten war nicht richtig.“ Nichts beschönigen. Du sollst dir bewusst werden, dass es für das kleine Kind ein Problem war, es beleidigt war und dass die Gefühle berechtigt waren. Gefühle von Kindern sind IMMER richtig und haben IMMER Berechtigung. Erst mit diesem „Erwachsen“ werden, beginnt das Beschönigen. Jens sagt, er habe sich als Kind sehr gefreut, wenn der Vater ihm doch fünf Minuten Zeit gewidmet hatte.
Es folgt die Frage: Was hätte das Kind, das ich damals war, eigentlich in dem Moment gebraucht? In Jens´ Familie war die Freude groß, wenn der Vater von der Arbeit kam. Dass er sich dann in den Sessel setzte, war egal, Hauptsache er war körperlich anwesend. Aber was nützt pure Anwesenheit? Was Jens gebraucht hätte, wäre entweder ein aufmerksamer Vater oder eine Mutter, die ihren Mann daran erinnert hätte, dass es da noch einen Jungen gibt und er nicht ignoriert werden darf. Ansonsten werde das deutliche Folgen haben für seinen Sohn, wenn dieser erwachsen ist.
Doch keiner griff ein und so vererbte der Vater seinem Sohn, dass du nur jemand bist, wenn du bis zum Umfallen arbeitest. Vergiss Privatleben, vergiss deine Kinder. Arbeite! Verdiene! Dann wirst du von deiner Familie auf Händen getragen, egal, wie du dich ansonsten um sie kümmerst. Bis zum Infarkt. Danach gehts zur Beisetzung.
Worüber definieren sich die wirtschaftlich Mächtigen der Welt wie Amazon-Gründer Jeff Bezos? Warum mussten seine Mitarbeiter immer wieder für bessere Löhne streiken? Was sagt sein geschäftliches Handeln über seine Persönlichkeit? Dass er ganz sozial so viele Menschen wie möglich in Lohn und Brot bringen will? Oder dass ihm 1 Mrd. Dollar längst nicht genug waren, um sich zur Ruhe setzen zu können, weil es da andere gab, die 1,1 Mrd. hatten und dies machte sein Belohnungszentrum nicht glücklich? Warum gilt einer der reichsten Männer als geizig, wenn es um soziale Projekte geht? Weil er diese in aller Bescheidenheit heimlich unterstützt? Oder weil ihm die Millionen fehlen könnten bei seiner Ego-Pflege? Hinter wie vielen so hart wie Jens arbeitenden Machern steckt eine ähnliche Geschichte? Was sagt es über den Menschen aus, wenn er unglaublich fleißig erscheint? Wie scheinheilig sind Werbespots, die zeigen sollen, wie unglaublich sozial Amazon mit Migranten und Menschen mit Einschränkungen umgeht?
Keine unserer grundsätzlichen Eigenschaften ist per Zufall entstanden: Wie wir unseren Partner suchen, wie wir mit diesem umgehen und wie wir andere Menschen behandeln, ob wir Mitgefühl empfinden können oder die Welt sich um uns zu drehen hat, ob wir uns verstecken oder auffallen wollen um jeden Preis, wie wir diskutieren, wie kompromissbereit wir sein können. Also welche Spur führt in die Kindheit der Macher und Mächtigen und was hat diese Kindheit angerichtet? Wie geht ein solcher Mensch als Führungskraft mit seinen Mitarbeitern um? Welche Erwartungshaltung hat er an diese, wenn für ihn das Arbeiten bis zum Umfallen ganz normal ist? „Du hast genauso viel zu arbeiten wie ich“ etwa?
Wo hört der Wettlauf der Egos auf? Für jene, die sich über Geld und Macht definieren, ist die Globalisierung ein unglaubliches Geschenk. Ihr Wachstum kennt keine Grenzen mehr. Es endet nicht mehr beim einzelnen Tante-Emma-Laden, du kannst wachsen und wachsen, dein Ego bekommt das, was es braucht. Du kaufst Firma um Firma, verdrängst andere. Diese anderen bringst du zwar um den Schlaf, aber dann hätten sie halt früher aufstehen müssen. Schlafen kannst du, wenn du tot bist. Mit deinem Geld kannst du Meinungen beeinflussen, indem du Verlage kaufst, TV-Sender, Lobbyisten losschickst, selbst in die Politik gehst. Du kannst darauf bauen, dass sich in deinem Glanz andere sonnen wollen, etwas vom Kuchen abhaben möchten – und du kannst bestimmen, wie viel sie bekommen. Du allein. Deine Macht wird immer größer, du bist systemrelevant, ohne dich und deinen Weltkonzern geht nichts mehr. Wenn du ein krummes Ding drehst, wird man mit dir schimpfen, aber ansonsten hast du wegen deiner enormen Bedeutung nichts zu befürchten. Für deine Kinder hast du Personal und sie sollen eh deine Firma weiterführen, also brauchen sie keine Zuneigung von dir. Denn es könnten ihnen Skrupel kommen, wenn sie Mitgefühl entwickeln würden und deine Geschäftsgebaren genauer betrachten.
Wie mächtig dürfen diese Menschen werden, dank denen die Spaltung in Arm und Reich voranschreitet? Wie lange bauen wir noch darauf, dass die wirtschaftlich Mächtigen schon irgendwie von Vernunft beherrscht werden und Verantwortungsgefühl haben? Woher soll dieses Gefühl kommen, wenn ein Mensch sich über Besitz definieren muss?
Den Blick hinter die Gardinen mit 80 weiteren Biografiesplittern gibt es in meinem Buch:
Wer Menschen verstehen will, muss ihnen zuhören, sie beobachten, hinter die Fassade schauen: Warum heiraten wir? Sind Frauen von Natur aus gute Mütter? Was erlebt man bei der Partnersuche? Wem verdanken Elon Musk und Kanye West ihre Erfolge? Was treibt andere Prominente an – und was ist dein eigener Antrieb? Fallen psychische Erkrankungen vom Himmel? Warum steht jemand 5 Stunden unter der Dusche? Wieso glaubt Käpt´n Crazy, die Chinesen würden kommen? Sind Krankenhäuser tatsächlich Hurenhäuser? Warum verheimlicht eine 50-Jährige, dass ihr Vater soff?
Mit den Antworten auf diese Fragen wird unerklärliches Verhalten entzaubert. Kein Hashtag, kein Gendern und keine Kampagne wird diese Welt retten können. Erst wenn wir einsehen, wie wir ticken, kann sich etwas verändern. Komm mit auf eine Reise, die Dich verändern wird!
Das Buch gibt es bei bod.de, bei Amazon, genauso bei allen anderen Onlinehändlern. Du kannst aber auch beim Buchhändler um die Ecke danach fragen. Die ISBN: 9783 7557 0721 9. (Da sich bisher kein Verlag interessiert hat, werden keine Exemplare zum Mitnehmen rumliegen, deshalb bitte vorerst direkt im Laden bestellen.)
Du bist Dir unsicher, was mich zu einer glaubhaften, seriösen Quelle macht? Fragst Du Dich, was mich zum Experten macht? Nichts.
Sophie lebt – und ist tot. Was besser ist für sie? Ich weiß es nicht.
„Da war nichts.“ Meggie hatte eine schöne Kindheit, dennoch geht es ihr schlecht. Warum?! Dann erwacht der Elefant.
„Ich habe mich gefreut, wenn Papa fünf Minuten Zeit für mich hatte.“ Jens hat den Arbeitseifer seines Vaters geerbt und wird in sechs Jahren sterben.
Elon Musk, Kanye West, Mel Gibson – denen ist doch allen der Erfolg zu Kopf gestiegen! Die spinnen doch einfach nur! Willst du mit ihnen tauschen?
„Warum hat er mich nicht lieb? Bin ich einfach ein Nichts?“ Diese Fragen stellt sich Katis jüngerer Sohn und denkt dabei an seinen Vater.
Suizid kann Freiheit bedeuten. 2020 hat Ulli die erste freie Entscheidung seines Lebens getroffen. Dieser Neubeginn bedeutete seine Freiheit. Und sein Ende.
Saskia gibt mit Ü40 die Hoffnung nicht auf, von ihrer Mum ein nettes Wort für ihr Dasein zu hören. Bettina bekam mit 20 ein Kind, um ihrem Elternhaus zu entkommen – und lebt seitdem in den gleichen Verhältnissen.
Natascha Kampusch als Hassobjekt?! Das macht keinen Sinn – doch beim Zuhören erklärt sich auch beim Thema Hass, wie sich unsere „Special Effects“ entwickeln.
Annie ist 16, 1,70 m, 40 kg. Ihr Vater versteht nicht, warum sie nicht einfach mehr isst. Er selbst steckt jeden Monat 500 Euro in sein Onlinespiel. Annies Mutter vermeidet Diskussionen mit ihm über ihr Rauchen. Verstehen des jeweils anderen? Fehlanzeige.
Die einen waschen ihre Firma grün, die anderen leben beim Yoga ihren Narzissmus aus. Was steckt hinter dem Gendern?
Wer Frauen sichtbar machen will, muss das komplette Bild ins Scheinwerferlicht rücken – auch die Schattenseiten.
Wo in der Geschichte sind die ganz konkreten Beispiele dafür, dass Appelle an die Vernunft etwas zum Guten verändern? Mein Vater kann nicht gemeint sein.
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Knapp 18 Mio. Menschen werden pro Jahr wegen psychischer Erkrankungen behandelt. So etwas können Parteien doch nicht ignorieren, oder?
Frage: Was muss passieren, damit diese Welt weniger verrückt ist? Antwort: Wir müssen zuhören lernen. Oder wir verbieten das Kinderkriegen.
Jochen wäre fast ertrunken, der Vater zerrte ihn wieder ins Wasser. Opfer und Täter, weiß und schwarz. Doch ist es wirklich so einfach?
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Und wieder glauben wir, Erwachsene umerziehen zu können – und wieder haben wir nichts aus der Geschichte gelernt.
Er verfolgt dich, er bespitzelt dich, er glaubt dir nicht, du machst Schluss mit ihm. 10 Jahre später sitzt du mit ihm und euren beiden Kindern am Frühstückstisch.
In dieser Welt passiert vieles, was aufgedeckt gehört. Gibt es jedoch zu einem Ereignis 101 unterschiedliche Wahrheiten, dann werde ich nachdenklich.
Die Welt wird von einer unsichtbaren Macht geleitet – sagen nicht nur Verschwörungsanhänger, sondern Milliarden Menschen.
Er baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Sie spricht vom Angriff der Roboter. Wenn du ihre Geschichten kennst, wirst du sie verstehen.
„Als ich Krebs hatte, bekam ich Mitleid, Zuspruch und Unterstützung. Als Depressionskranke war ich immer die faule Sau.“
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Als Robert Enke durch Suizid starb, herrschte große Trauer. Doch längst jagen wir seine Nachfolger Richtung Abgrund.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
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Veronika warnt vor dem Angriff der Roboter und frisst nebenbei ihrer Freundin den Kühlschrank leer. Katis Mann baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Elon Musk kauft Twitter für unglaublich viel Geld und treibt es innerhalb von Tagen Richtung Pleite. Kanye West lässt mit rassistischen Sätzen einen fetten Deal mit einer Sportartikelfirma platzen. Und der eine Schauspieler aus „Braveheart“ hat doch mal Juden beleidigt, oder?! Wer nächster Bundeskanzler wird, ist für einen Ü70er, den keiner kennt, glasklar: er selbst.
Wenn Du das unverständliche Verhalten von Elon Musk, Kanye West, Mel Gibson und anderen im Rampenlicht Stehenden verstehen möchtest, brauchst Du den Alltagsblick in die Geschichten anderer Menschen mit der gleichen Erkrankung: bipolare Störung. Und diese Geschichten machen eines klar: Wer diese Welt noch irgendwie retten will, muss Kindern das Aufwachsen mit gesundem Selbstbewusstsein ermöglichen.
Lesedauer: ca. 10 Minuten
2009 erzählte mir beim Klassentreffen eine ehemalige Schulfreundin, Katharina, von ihrem Mann. Sie, damals Mitte 30, lebte mit ihm und ihren beiden Söhnen in einem großen Haus, an dem ihr Mann in jeder freien Minute weiter baute. Von „fertig“ waren viele Räume weit entfernt. Im Erdgeschoss hatten sie gemeinsam einen Laden eingerichtet, in welchem Katharina verkaufte. Ihr Mann hatte sich eine eigene Firma aufgebaut und gestaltete mit drei Angestellten Gärten und Höfe mit wirklich beeindruckenden Ergebnissen. Die Ideen gingen ihm nie aus, er arbeitete sehr sauber und hielt Fristen ein. Entsprechend gut lief die Firma.
Weniger gut lief das Miteinander zwischen ihm und Katharina seit ca. zwei Jahren. Seine Trinkerei ließ ihn Dinge machen, die auf keine Kuhhaut gingen – zumindest nahmen alle an, dass es mit seinem Alkoholkonsum zu tun hatte. Diesen reduzierte er auch nicht nach einem lebensbedrohlichen Treppensturz. Da gab es kein Umdenken wie: „Oh Gott, jetzt hätte ich fast meine Kinder zu Halbwaisen gemacht! Ich hab ein Problem!“ Nein, es ging einfach weiter.
Auf seinem Schreibtisch hatte Katharina einen Zettel gefunden: „Zukunft Laden?“ Dieser machte gute Gewinne, es konnte also nicht darum gehen, ihn wegen Verlusten aufzulösen. War der Zettel eine Reaktion auf Katharinas Verhalten? Eine Woche zuvor war eine Ex-Freundin ihres Mannes aufgetaucht. Dieser bat Kati, ihm Bilder aus der gemeinsamen Vergangenheit zu bringen – also aus seiner Zeit mit der Ex. Für Kati war es eine Kränkung, sie machte auf bockig, erwartete ein: „Tut mir leid.“ Doch er drehte den Spieß um: Er ging nach einem Dorffest nicht mit ihr nach Hause, blieb am zweiten Tag bis morgens und schlief stockbesoffen im Keller, saß an den folgenden Tagen bis in die Nacht im Büro.
Letztlich entschuldigte sich Katharina für ihr Verhalten, um den Frieden wiederherzustellen. Außerdem hatte sie Angst, er würde ihr den Laden wirklich kündigen. Und es fiel ihr schwer, sich einzugestehen, dass sie für diesen Mann trotz allem noch etwas empfand. Dabei verzweifelte sie immer wieder daran, dass er niemals Fehlverhalten bei sich sah.
Aber es gab auch Phasen, in denen er absolut ihre Nähe suchte, an ihrem Rockzipfel hing, kuscheln und schmusen wollte. Und einige Zeit später war sie wieder nur die Haushaltshilfe und das Kindermädchen. Um die beiden Söhne kümmerte er sich dann kaum.
Katharina glaubte, der Stress mit dem Hausbau sei der Grund für das viele Trinken und damit für sein ganzes Verhalten. Doch auch als 2010 die Arbeit weniger wurde, änderte sich nichts. Nach dem Klassentreffen blieben wir in Kontakt und ich erfuhr jede neue Episode. Ohne Absprache hatte er sich ein verdammt teures Quad gekauft, düste damit durch Wald und Flur. In einer Nacht rief er Kati halb 3 an: Sie solle ihn bitte abholen, er sei im Wald steckengeblieben. Danach brach die Verbindung ab. Nach langem Überlegen und innerlichem Zittern – die Nerven lagen blank – ließ sie ihre Söhne (damals 6 und 8) allein, fuhr durch die Gegend, planlos, denn er hatte keinerlei Angabe gemacht, wo genau er im Wald gestrandet war. Nach einer Stunde fuhr sie wieder nach Hause, ohne Spur von ihrem Mann. Den befreite ein Kumpel am frühen Morgen aus dem Matsch.
Für Katharina ging das alles immer mehr an die Substanz, die Nächte blieben unruhig. Teils hatte sie Todesangst, über die sie mit mir aber erst mit viel zeitlichem Abstand sprach. Noch immer hoffte sie darauf, er würde sich ändern, auch wenn er nach wie vor keinen kleinsten Selbstzweifel zeigte in seinen energiegeladenen Phasen. Ich hatte ihren Mann inzwischen „Käpt’n Crazy“ getauft, weil es einfach so unerklärlich war, was er da machte und es schwerfiel, ohne schwarzen Humor mit dieser ewig anhaltenden Situation umzugehen. Ich verglich ihn auch mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde, weil diese völlig gegensätzlichen Seiten blieben: Mal verletzte er Kati zutiefst, dann war sie sein großer, einziger Halt im Leben.
Neue Episoden folgten. So packte ihr Mann eines Nachts seine Tasche, fuhr aus seinem Ort im Umkreis von Leipzig Richtung Hannover, dann gen Schweiz zu einem Cousin, bis ihm einfiel, dass er in Hamburg eine Rassekatze bestellt hatte, wovon Kati nichts wusste.
An anderen Tagen kam er nachts lautstark nach Hause oder stand ebenso rücksichtslos gegenüber Frau und Kindern auf. Zwei Stunden Schlaf reichten ihm, denn: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ Er schmiss mitten in der Nacht Bauschutt per Schaufel aus einem Fenster in einen Container.
Dann folgte wieder eine Phase, in der er ganz anders war. Wieder suchte er Katis Nähe, wurde ruhig, bereute all die Sachen, die er angestellt hatte, konnte nicht glauben, was er in den Monaten zuvor alles angestellt hatte und erinnerte sich an kaum etwas. Sein teures Quad konnte er nicht angucken, wollte es am liebsten loswerden.
Wenige Wochen später raste er wieder fröhlich durch die Gegend, rammte Ortseingangsschilder und kleine Bäume, fuhr mehrfach in einer Nacht los. Kati musste sich jedes Wort überlegen, denn ihr Mann ging beim kleinsten Hauch von Kritik an die Decke. So schaltete sie auf „polnisches Fernsehen“: nur Bild, kein Ton. Dennoch konnte die Lage jederzeit explodieren – in einfachsten Situationen. Katharina schrieb ihm eine Liste in Druckschrift und Großbuchstaben, welche Getränke er mitbringen sollte. Er brachte die falschen. Kleinlaut und zerknirscht murmelte Kati, sie werde die Flaschen halt am nächsten Tag umtauschen fahren gegen die, die sie wollte. Wer war in den Augen ihres Mannes schuld? Natürlich seine Frau.
Er vernachlässigte sein Geschäft, eine Angestellte suchte das Weite, der Alkohol floss wieder reichlich, betrunken setzte er sich immer wieder ans Steuer. Für das Dorffest richtete er den Hof vor dem Haus her, als käme die Königin von England, schnitt die Buchsbäume im perfekten Durchmesser. Noch immer hielten alle das Trinken für den Grund seines Verhaltens. Aber das Thema Entzug brauchte Kati gar nicht erst erwähnen.
Ihre Hausärztin schickte Kati zur Psychologin, machte ihr klar, dass Kinder und Kunden sie doch brauchen würden in einem stabilen Zustand. Ihr Mann habe wohl eine Sinnkrise, dazu der viele Alkohol. Eine wirkliche Diagnose konnte sie nicht geben, denn er ging zu keinem Arzt, ihm ging es doch bestens.
Wochen später, inzwischen 2011, brach er wieder zusammen, heulte. Kati und die Jungs nahmen ihn in die Arme, beteuerten, dass alles gut sei – im Nachhinein war Kati klar, dass dies wieder die falsche Reaktion war. Aber im Beisein der Kinder fühlte sie, so handeln zu müssen. Er redete einmal mehr wirres Zeug, sein Quad blieb wieder in der Garage, er schlief viel – bis zum nächsten Wechsel. Dann reichten die 2 Stunden Schlaf pro Nacht, das Quad war wieder interessant, im Keller sollten Vorräte angelegt werden, weil die Chinesen kommen. Er quatschte im Urlaub alle Menschen an, hatte absurde Theorien über das Weltgeschehen, kaufte sich eine verdammt teure Uhr, obwohl das Geschäft inzwischen bergab ging, wollte eine Fabrik bauen und diverse Dinge zum Patent anmelden, tanzte auf Tischen, kannte keinerlei Hemmungen, glaubte, bestimmte Lieder im Radio seien nur für ihn geschrieben worden.
Kati und ich konnten uns teils nur noch in Galgenhumor flüchten, denn das alles machte überhaupt keinen Sinn. Dieses sich immer wieder abwechselnde, grundverschiedene Verhalten war für uns unerklärlich: von Himmel hoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Alles andere als lustig war ihre Mail, in der sie schrieb: „Das, was mein Mann heute mit mir gemacht hat, könnte man als Vergewaltigung sehen.“
Ende 2011 schaute ich eher zufällig eine Sendung von Sandra Maischberger. Ein Mann erzählte, dass er sich teure Hotelzimmer genommen hatte, für die ihm eigentlich das Geld fehlte, auch sonst schmiss er mit der Kohle um sich – wie Katis Mann. Er fuhr im Bademantel durch Berlin und wollte den Regierenden Bürgermeister sprechen – völlig enthemmt wie Katis Mann. Er machte Dinge, die auf keine Kuhhaut passten – und irgendwann fiel er in ein riesiges Loch, um bald darauf wieder der Größte zu sein, der vor genialen Ideen sprühte – wie Katis Mann.
Am nächsten Morgen las ich bei Wikipedia den Artikel über die Diagnose des Mannes: bipolare Störung. Und alles passte! Katis Mann war ein lehrbuchhaftes Beispiel für diese Erkrankung. In den manischen Phasen: übertriebenes Selbstbewusstsein oder Größenwahn, Sprühen vor Ideen, verringertes Schlafbedürfnis, Drang zum Reden, Ideenflucht, Zerstreutheit, Kaufrausch, sexuelle Taktlosigkeiten, sinnlose geschäftliche Investitionen, Vernachlässigung von eigentlich wichtigen Dingen wie Familie.
In den depressiven Phasen: deutlich vermindertes Interesse oder Freude, Traurigkeit und Leere, Erschöpfung, Gefühl der Wertlosigkeit, Konzentrationsschwäche, Entscheidungsunfähigkeit.
Ich lernte auch: In den manischen Phasen gibt es keinerlei Gefühl, man sei krank. Krank sind alle anderen, die einen für krank halten. In den depressiven Phasen ist das anders. In diesen ging Katis Mann zum Arzt. Begleiterscheinungen der bipolaren Störung sind Alkohol- und sonstiger Drogenmissbrauch sowie Panik- und Persönlichkeitsstörungen. Bei starken manischen Phasen kann auch Realitätsverlust und Wahn hinzukommen – siehe die anrückenden Chinesen und die nur für ihn geschriebenen Lieder.
Ich schickte Kati umgehend den Link, sie las selbst und leitete den Artikel weiter an die Eltern ihres Mannes, die seit Jahren genauso wenig die Welt verstanden. Für niemanden gab es nach dem Lesen einen Zweifel: Dieser Mann hatte die bipolare Störung. Der Ausdruck „Käpt’n Crazy“ war Geschichte, das „Kind“ hatte nun den korrekten Namen.
Bei der bipolaren Störung wechseln sich Manien – Himmel hoch jauchzend – und Depressionen – zu Tode betrübt – immer wieder ab. Dies kann innerhalb eines Tages passieren oder in Abständen von Monaten wie bei Katis Mann. Da es in den Manien kaum Krankheitseinsicht gibt, ist eine Behandlung schwierig. Mit Medikamenten muss in den Depressionen die Stimmung aufgehellt und in den Manien gedämpft werden – ein Balanceakt. Die bipolare Störung verschwindet auch nicht einfach wieder. Die Suizidrate Erkrankter ist hoch, wird mit 15-30% angegeben.
Durch das Lesen des Artikels und das weitere Befassen mit dem Thema kam Mitleid in mir auf für diesen Mann, der sich phasenweise wie das größte Arschloch verhielt: Er konnte nicht anders. So wenig, wie man sich aus einer Depression mit guten Worten schaufeln kann, so wenig kann man sich aus der Manie auf den Boden zurückholen.
Bei dieser Erkrankung ist die Signalübertragung mehrerer Neurotransmitter gestört, darunter Glutamat, Serotonin und Dopamin. Medikamente sollen dies korrigieren. Bei Depressionen will man erreichen, dass Serotonin nicht zu schnell abgebaut wird. Bei Manien schießt Dopamin in schwindelerregende Höhen.
Wann warum bei wem eine bipolare Störung auftreten kann, ist offen. Viele Betroffene erlebten vor der ersten spürbaren Episode intensiven Stress. Andere überstehen ähnlichen Stress aber ohne diese Erkrankung. Gene spielen eine Rolle. Der Vater von Katis Mann zeigte ebenfalls Züge, die an Manien und Depressionen erinnerten.
Und der Vater scheint auch abseits der Gene ein Schlüssel zum Ausbruch der Störung zu sein. Auf ihn ist Katis Mann nie gut zu sprechen gewesen – und man kann es verstehen. Immer wieder vermisste er die Anerkennung seines Vaters. Er konnte noch so erfolgreich sein Geschäft von Null aufgebaut haben und mit dem Haus vorankommen – vom Vater kam nichts Aufbauendes.
Seiner Schwester ging und geht es nicht anders. Sie übernahm nach und nach das Geschäft des Vaters – und der spricht immer wieder davon, wie schön ein männlicher Nachfolger aus der eigenen Familie wäre, auch im Beisein seiner Tochter. Frauen scheinen in seinen Augen so wenig wert zu sein wie der zweitgeborene Sohn für Katis Ex. Seine Enkelsöhne animiert er immer wieder, beruflich eines Tages in seine Fußstapfen zu treten. Die Söhne mussten auch einen Vornamen bekommen, der mit dem gleichen Buchstaben anfängt wie der des Vaters und des Opas. Als ich dies das erste Mal hörte, fühlte ich mich an uralte Fürstenhäuser mit ihren Erbfolgern erinnert.
Wie ich über die Jahre seit 2010 lernte durch die Geschichten vieler Menschen: Psychische Erkrankungen haben immer etwas zu tun mit nie durch Eltern gesund entwickeltes Selbstbewusstsein. Ich erlebte keinen einzigen, der/die trotz angenehmer Kindheit psychisch erkrankte. Das Muster war immer das Gleiche.
Katharina beschloss nach unserer Diagnose, vorübergehend auszuziehen mit ihren Kindern bis zum Ende der aktuellen Manie. Dies war im Januar 2012. Ein Auszug für immer kam für sie nicht in Frage, es wäre viel zu aufwändig, z.B. der Ausbau der von ihr bezahlten Einbauküche. Außerdem wollte sie immer eine Familie und war bereit, einiges auf sich zu nehmen, wo andere den Kopf schütteln. Sie kam im Haus einer Freundin unter.
Drei Tage nach dem Auszug fuhr sie morgens wieder in ihren Laden. Auf dem Hof standen die Angestellten ihres Mannes und wussten nicht, was sie machen sollten. Als Kati fragte, was los sei, sagten sie, dass der Chef mit einer Unbekannten oben in der Wohnung ist und ihnen keine Aufgaben erteilt hatte. Als ihr Mann am späteren Nachmittag die Unbekannte heimlich in sein Auto brachte und mit ihr wegfuhr, ging Kati hoch in die Wohnung. Das gemeinsame Bett bot eine Ansammlung von Körperflüssigkeiten. Nach dem ersten Schock und mit heftig aufsteigender Wut steuerte sie einige Chilischoten bei, die Teil eines Buffets waren, welches ihr Mann aufgebaut hatte. Außerdem trat sie gegen einen alten Globus, der in viele Einzelteile zerbrach. Was sie sich drei Tage zuvor nicht vorstellen konnte, war mit diesem Anblick nun kein Problem mehr: Der unumkehrbare Auszug war beschlossen.
Nur ist mit einem Maniker nicht zu spaßen. Er ging zur Polizei und zeigte Kati wegen Sachbeschädigung, Vorenthaltung seines älteren Sohnes – der jüngere war ihm einmal mehr egal – und Hausfriedensbruch an. Für ihre Aussage kam Kati zur gleichen Polizistin, welche die Anzeige aufgenommen hatte. Diese sagte, der Mann habe einen ziemlich „komischen“ Eindruck gemacht, wollte ihr seine Lebensgeschichte erzählen.
Den Auszug versuchte er zu verzögern, nagelte an den Treppenaufgang ein Brett, tauschte das Schloss aus. Kati war mit den Nerven inzwischen restlos am Boden. Ich erkundigte mich für sie bei einer Anwältin, was Katharina nun noch durfte und was nicht. Die Anwältin sagte: Solange sie polizeilich in dem Haus gemeldet ist, kann sie in die Wohnung, beide haben Hausrecht. Verwehrt er den Zugang, könnte sie den Schlüsseldienst rufen. Das Brett am Aufgang solle sie fotografieren, um Entfernung bitten. Würde er der Bitte nicht folgen, müsste sie die Polizei rufen. Umzugshelfer müssten an der Grundstückseinfahrt warten. Die Einbauküche könne sie nur bekommen, wenn er einverstanden ist. Will er sie behalten, muss er den Verkehrswert zahlen. In dem Fall solle sie sich erst polizeilich ummelden, wenn sie das Geld bekommen hat. Und sie solle alles exakt im Übergabeprotokoll festhalten.
Als der Auszug überstanden war, fing der Kampf um die Kinder an, bzw. von seiner Seite aus nur um den älteren Sohn. Anwälte, Schreiben, die er nicht verstand, usw. folgten. Außerdem zog eine Neue bei ihm ein, die sich als Osteuropäerin herausstellte. Nach 14 Tagen scheiterte ein erster Versuch, sie wieder nach Warschau zu bringen. Letztendlich brauchte er vier Anläufe, damit sie wieder in ihre Heimat zurückkehren konnte. Informationen bekam Kati von seiner Sekretärin, die sich aber zunächst für einige Tage krankschreiben ließ und zum Ende des Februars kündigte. Sie war immer wieder niedergemacht worden und hielt den Psychostress nicht mehr aus.
Seine Firma vernachlässigte er, baute sich dafür einen Waffenschrank ein. Als Jäger durfte er Waffen besitzen. Auch wenn ich bis dahin von Katharina schon viel Haarsträubendes gehört hatte, aber diese Nachricht haute mich noch einmal ordentlich um: Waffen in den Händen dieses Mannes?! Immerhin griff hier sein Vater nach einiger Zeit ein und durch, nahm die Waffen an sich, auch er ist Jäger.
Ansonsten spielten seine Eltern eine schwierige Rolle. Am Anfang schienen sie zu akzeptieren, dass ihr Sohn krank ist. Doch dies kippte nach einigen Wochen. Für sie war plötzlich ER gesund, nur Kati mache das Treiben wild. Dass er beim Fasching mehrere Leute angemacht hatte, dass er bei einer Feier Leuten aufs Maul hauen wollte, spielte keine Rolle. Gipfel war ein Gespräch zwischen seiner Mutter und Kati, bei dem die Mutter ihren armen Sohn bedauerte, der an einem Sonntag wieder wegen eines Notfalls arbeiten müsse. Da platzte Kati der Kragen: „Der musste nicht zur Reparatur, der hat seine Nutte nach Warschau schaffen müssen!!!“ Daraufhin wurde die Mutter still.
Wochen später kehrte endlich wieder etwas Ruhe ein – für Kati höchste Zeit. Der Magen rebellierte, das Gewicht ging nach unten, immer wieder spürte sie kurze Herzrhythmusstörungen. Ihr Mann zog wieder seine blauen Arbeitsklamotten an und trug nicht mehr schwarz, das Quad blieb als rotes Tuch stehen, wegen der Kinder machte er keine Probleme. Langsam ging es aus dieser kurzen Phase der Normalität hinein in die Depression. Jetzt konnte sein Kopf realisieren, was in den Wochen zuvor alles kaputtgegangen war, was er seinen Kindern, Kati und sich selbst angetan hatte. Durch die Depression verstärkten sich die Schuldgefühle, er suchte die Nähe zu seinen Eltern, tat alles, um Kati milde zu stimmen, kam ihr in allem entgegen, was die Trennung und Kinder anging.
Wäre dies ein Film oder Roman, würde man an dieser Stelle die Schlussszene oder das letzte Wort finden: „Am Ende wurde doch noch alles irgendwie gut.“ Der Film „Silver Linings“ mit Jennifer Lawrence und Bradley Cooper macht es genau so. Cooper spielt einen bipolaren Mann, der auf eine psychisch instabile Lawrence trifft. Die Fetzen fliegen, manche Dialoge wirken nah an der Realität – bedrückend nah, wenn man aus seinem Umfeld solche Szenen kennt.
So gut ich den Film bis eine Minute vor Schluss fand: Das Ende machte für mich alles kaputt. Alle sitzen am Sonntag wie in guten alten Zeiten bei seinen Eltern zusammen und der Bipolare scheint dank der Liebe geheilt zu sein. Ja, es ist „nur“ ein Film. Ja, die Menschen gehen nicht mehr ins Kino, wenn sie kein Happy End für ihren Eintritt bekommen. Aber ein solcher Film prägt! Er hat die gleiche Moral wie all die Bad-Boy-Bücher: Die Liebe heilt ALLES. Halte nur lange genug durch und der Mensch mit psychischer Störung wird geheilt.
Als Kati in der Zeit zwischen unserer Erkenntnis, ihr Mann sei bipolar, und ihrem endgültigen Auszug bei einer Psychologin alles geschildert hatte, sagte diese klipp und klar: „Sie müssen mit Ihren Kindern da raus, sonst werden Sie auch krank.“ Neben dem Anblick des befleckten Ehebettes war diese Aussage für Kati der Türöffner nach draußen. Ansonsten wäre sie wohl geblieben, sagt sie noch heute.
Da diese Geschichte nicht dem Hirn eines Autoren entsprungen ist und auch nicht so gebogen werden muss, damit sie sich gut verkauft, ging es ohne Happy End immer weiter. Katharina bekam von den Angestellten ihres Mannes hin und wieder die neuesten Geschichten erzählt. Einer nach dem anderen kündigte über die Jahre, teils mit Bauchschmerzen aus Angst davor, nichts Neues zu finden. Aber die Atmosphäre in der Firma, die Sprüche des Chefs wie „ICH mach hier eh alles, ihr macht nichts!“, die immer seltener werdenden Aufträge – am Ende war der Weggang ohne Alternative.
Die Berichte drehten sich immer wieder um Frauen, immer aus Osteuropa. Manchmal präsentierte er eine bei Familienfesten, wobei die Eltern bemüht waren, sie als neue Freundin vorzustellen. Die Angst vor einem Gesichtsverlust der ganzen Familie im kleinen Ort war noch immer groß. 4 Jahre lang arbeiteten die Eltern gegen Kati, verteidigten immer wieder das Verhalten ihres Sohnes. Dem würde einfach nur der Kontakt zu seinen Kindern fehlen.
Vom Jugendamt bekam Katharina nur begrenzt die Unterstützung, die man als Mitleidender erhoffte. Mit dem Thema bipolare Störung schien sich die Mitarbeiterin überhaupt nicht auszukennen. Katis Mann wirkte bei Terminen, zu denen sie gemeinsam erscheinen mussten und bei denen er in einer Manie war, als könne ihm niemand etwas anhaben. In den wenigen Minuten zeigte er sich normal, was für Kati schwer zu ertragen war: Wie sollte sie der Mitarbeiterin deutlich machen, wie psychisch erkrankt ihr Mann war?
In einem Forum zur bipolaren Störung wollte ich mich erkundigen, ob ein Mensch mit dieser Erkrankung wenigstens gegenüber seinen Kindern berechenbar und verantwortungsvoll handeln kann. Den Satz „Das ist mir zu riskant“ schien Katis Mann für sein eigenes Leben in den Manien nicht zu kennen. Was würde er den Kindern zumuten an Risiko?
Allerdings konnte ich nicht lange im Forum bleiben, der Wind war von Seiten der Erkrankten rau. Ich könne doch nicht wegen einer TV-Sendung einen Menschen als bipolar diagnostizieren?! Dass Katis Mann diese Diagnose inzwischen auch von ärztlicher Seite hatte, war egal. Die Mutter einer Bipolaren schrieb mir in einer persönlichen Nachricht, dass die Erkrankten in diesem Forum dazu neigen, die Angehörigen recht schnell vertreiben zu wollen. Sie und andere Angehörige empfahlen dringend einen betreuten Umgang und den Kampf ums alleinige Sorgerecht.
Sprachlos machten Erzählungen. Eine Mutter schrieb, dass ihre manische Tochter Stimmen hörte, die ihr sagten, sie solle sich aus dem Fenster stürzen und ihr Ehemann sei in einer Sekte. Solche Wahnvorstellungen gehören nicht direkt zur bipolaren Störung, sind mögliche Begleiterscheinungen.
Katharina ließ sich scheiden – noch einmal ein Nervenkrieg. 2015 verunglückte der Vater ihrer Kinder mit seinem Quad mitten in der Nacht bei einer weiteren Fahrt durch den Wald. In seinem Blut stellte man 4 Promille Alkohol fest. Er überlebte, schrammte aber um zwei Millimeter an einer Querschnittslähmung vorbei. Für die Ärzte war klar, dass er operiert werden musste. Doch nach drei Tagen Klinik entließ er sich mit einer Halskrause selbst, ließ sich nach Hause fahren und musste erst einmal ein Bier mit dem letzten verbliebenen Angestellten trinken. Ja, er war wieder in der Manie.
Die Operation folgte beim Abklingen der Phase und als ihm Angst wurde, er den Kopf immer weniger schmerzfrei bewegen konnte und die Halskrause stank. In dieser Phase erwachte bei Kati das Helfersyndrom. Sie hatte noch immer Reste von Gedanken, sie selbst habe ihren Ex durch ihr Verhalten oder Druck mit dem Hausbau krank gemacht. So unterstützte sie ihn bei der Rückkehr in die Klinik, die OP lief gut. Nach dem Treppensturz hatte er zum zweiten Mal das berühmte Glück der Betrunkenen.
Die Frau, die eben noch vom Helfersyndrom gepackt worden war, bedauerte in der nächsten Manie ihres Ex-Mannes, dass er überlebt hatte. Das mag hart und kalt klingen, aber ich hatte kein Problem, diesen Gedanken nach all dem zu verstehen. Auch wenn sie inzwischen räumlichen Abstand zu ihm hatte, war er immer wieder durch die Kinder, Anrufe und Nachrichten präsent. Letztere wurden oft unter Alkohol geschrieben, anders konnte sich Kati Form und Inhalt nicht erklären: „Geld bekommst du später, Finanzamd macht mir Probleme. Würde gern auch meine Kinder zu Gesicht begrüßen würden. Läge mir sehr am Hertzen! Sind sicher auch meine Kinder wo der Vater wohl felt. Gebe mir die Kinder. Oder nur eins und ich gebe ihnen was für die Zukunft. Nein, so wollte ich das nicht sagen. Ich will sie nur ab und zu sehen. Gerantwortlich bist du ja. Es sind hoffe meine leiblichen Kinder.“
Er wollte endlos und immer wieder wirr diskutieren. Und wenn ein Maniker sagt, dass das Gras rot ist, dann ist es rot und man kann sich jedes Wort sparen, man wird ihn nicht umstimmen können.
Ja, mit dem Tod hätten die Kinder ihren Vater verloren – bzw. ihre drei Väter: den manischen, den depressiven und den in den Phasenübergängen ausgeglichenen. Wie schwer muss das für Kinder zu verstehen sein, was Erwachsene kaum ertragen können? Gerade der Manische zeigte sich immer wieder als schwer zu verdauen. Als sein älterer Sohn 16 wurde, rief der Vater ihn an und sagte, dass er wohl noch einen weiteren Sohn zeugen müsse, der eines Tages das Erbe antritt, denn seine bisherigen Kinder würden sich ja nicht um ihren Vater kümmern. Nach dem Gespräch heulte der Sohn. So sehr er über die Jahre gelernt hatte, mit der Krankheit seines Vaters irgendwie klarzukommen, so sehr verletzten ihn diese Worte. Und auch als Erwachsener willst du in diesem Moment dem Typen an den Kragen, ihn wachrütteln, ihn ohrfeigen, damit er endlich aufwacht – obwohl du dir immer wieder gesagt hast: Er verhält sich nur so durch die Manie und diese lässt sich nicht mit Vernunft steuern, genauso wenig wie die Depression.
Und wenn sich das Adrenalin gelegt hat und das rationalere Denken wieder eine Chance hat, dann sagst du dir einmal mehr: Diese Krankheit willst du nicht geschenkt haben. In einer einzigen manischen Phase, gegen die du nichts machen kannst, wenn du nicht mit Tabletten eingreifst, kannst du dir so viel kaputt machen. Katis Ex hatte sich seine Firma, seinen guten Ruf über Jahre aufgebaut – und inzwischen gibt es sie nicht mehr. Seine Mutter brach in einer manischen Phase ihres Sohnes psychisch ein und verbrachte mehrere Wochen in der Psychiatrie. Jedes Auf und Ab ist gerade für die Mutter belastend. Die Eltern haben ihre Verdrängung ablegen können und sind sich auch nach außen hin bewusst, dass ihr Sohn eine psychische Erkrankung hat. Sie legen Katharina keine Steine mehr in den Weg, unterstützen die Söhne.
Diese versucht Kati möglichst von Stress fernzuhalten. Die Angst, dass auch einer von ihnen die genetische Veranlagung zur bipolaren Störung in sich trägt, ist immer da. Aber wie kann man seine Kinder heute vor Stress, dem möglichen Auslöser, wirklich bewahren? Wer nimmt Rücksicht in dieser Ausbildungs- und Arbeitswelt?
Der jüngere Sohn musste sich durch die ersten Schuljahre kämpfen mit Nachhilfe und Ergotherapie, bekam dann sehr gut die Kurve. Doch die anfänglichen Misserfolge in der Schule, aber vor allem die Vernachlässigung durch seinen Vater machten es schwer bis unmöglich, Selbstbewusstsein aufzubauen – ein Muster, das sich durch alle Geschichten in meinem Buch zieht und deshalb sehr viele Menschen verbindet. Er zeigt deutliche depressive Züge, wiegt mit 15 Jahren 40 kg bei 1,71 m Körpergröße, weshalb ein stationärer Klinikaufenthalt angeraten wird. Wenn es um seinen Vater geht, kommen ihm die Tränen. Er sucht weiterhin die Anerkennung seines Vaters – die dieser selbst bei seinem Vater seit Kindertagen suchte und wohl nicht zuletzt deshalb krank wurde. Die Kette setzt sich weiter fort.
Für die Psyche beider Kinder – es ist schwer zu glauben, dass am großen Sohn alles abgeprallt sein soll – wäre es gut, wenn sie tief im Inneren akzeptieren könnten, dass ihr Vater durch seine Erkrankung und dessen eigene Kindheit die Anerkennung nicht leisten kann, auf die sie hoffen. Für ihre Psyche wäre es wichtig, zu verinnerlichen, dass es nicht an ihnen selbst liegt, dass ihr Vater seine Vaterrolle nicht ausfüllt. Sie könnten die klügsten, schönsten, tollsten, begabtesten Menschen der Welt sein – es würde nichts bringen. Selbst wenn sie berühmte Stars werden würden mit Millionen Fans und Milliarden auf dem Konto oder wenn sie eine riesige, erfolgreiche Firma aufbauen würden oder wenn sie jegliche Krankheit der Welt heilen könnten – es würde sich nichts verändern. Ihr Vater und seine Schwester hatten bei ihrem Vater ja ebenfalls keine Chance auf Anerkennung, so hart beide auch gearbeitet haben. Aber wie ich über die Jahre lernte, in denen ich die Geschichte von Kati und ihren Kinder verfolgte, können selbst 40- und 50-Jährige die Hoffnung auf Anerkennung von Vater und/oder Mutter nicht einfach mit Hilfe der Vernunft und Wissen über Erkrankungen aus ihrem Kopf löschen.
Vater und Sohn könnten sich stundenlang darüber unterhalten, was es mit dir macht, wenn du vergeblich auf der Suche nach Anerkennung deines Vaters bist. Vater und Sohn verbindet die Kindheit – und dieses Verbindende sorgt dafür, dass es die beiden trennt. Und sollten die Söhne eines Tages Väter werden, wird alles von vorn beginnen, wenn wir nicht endlich anfangen, zuzuhören und uns mit der Entstehung psychischer Erkrankungen zu befassen.
Ich habe keine Ahnung, wie lange es ohne mein zufälliges Stolpern über den Bipolaren in der Sandra-Maischberger-Sendung noch gedauert hätte, bis das Rätsel um das Verhalten von Katis Mann gelöst worden wäre. Wir alle waren völlig Ahnungslose und diese Ahnungslosigkeit hätte Katharina möglicherweise mit schweren gesundheitlichen Folgen bezahlen müssen. So hatte es die Psychologin ihr eindringlich erklärt, bei der sie nach unserer Diagnose war: „Sie müssen da raus, sonst werden Sie auch krank! Und die Kinder mit Ihnen.“
Dass die Warnung der Psychologin keine bloße Panikmache war, erfuhr ich 2015. Ich begegnete auf der Suche nach dem passenden Deckel Manuela, Anfang 30, die eine Krebserkrankung inklusive Verlust eines Organs hinter sich hatte – und eine dreijährige Beziehung mit einem Bipolaren. Während die manischen und depressiven Phasen bei Katharinas Ex im Abstand mehrerer Monate wechselten, erlebte Manuela bei ihrem Freund beide Phasen täglich: Für einige Stunden war er im tiefsten Loch, bezeichnete seine Freundin als einzigen Halt in seinem Leben, suchte ihre Nähe. Und noch am gleichen Tag wollte er mit der Nachbarin vögeln, stieß seiner Partnerin in jeder erdenklichen Weise vor den Kopf, strotzte vor Energie und war der Größte. Tag für Tag, drei Jahre lang Leben mit zwei extrem unterschiedlichen Persönlichkeiten. Für den Kopf ein unglaublicher Stress.
„Warum ist sie nicht einfach gegangen, bevor sie Krebs bekam?!“, ist die logische Frage. Diese kann man Männern und Frauen in zehntausenden Beziehungen stellen, dazu braucht es keine bipolare Störung. Und man kann die Frage auch Alleinstehenden oder Menschen in glücklichen Beziehungen stellen, die längst zum Arzt hätten gehen müssen, weil sie durch Stress auf Arbeit am Stock gehen oder irgendwo etwas wuchert, was da nicht hingehört. Menschen handeln oft erst dann, wenn der Leidensdruck im tiefroten Bereich ist, da schließe ich mich problemlos mit ein.
Bei Beziehungen mit psychisch Erkrankten spricht man immer wieder von Co-Abhängigkeit, wobei der Begriff umstritten ist, weil er den Partnern der Erkrankten unterschwellig eine Mitschuld geben könnte. Auch Kati war gesagt worden, dass eine Co-Abhängigkeit drohe, wenn sie bleiben würde. Co-Abhängige sagen nicht: „Jetzt reichts, ich schleif dich zum Arzt, egal, wer davon etwas mitbekommt!“, sondern sie verlängern die Krankheits- und damit die Leidensdauer, indem sie die Erkrankung vertuschen wollen, dem Erkrankten selbst laienhaft helfen möchten, „Alles ist gut“ sagen. Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Co-Abhängige tun all das, worüber sie beim besten Kumpel oder der liebsten Freundin die Hände über den Kopf zusammenschlagen würden mit den Worten: „Mensch, das kannst du doch nicht machen!!!“
Manuela hatte vor dem bipolaren Freund nur eine Beziehung. Ihr Selbstbewusstsein hatte sich unter ihren extrem dominanten Eltern nie entwickeln können, früh kämpfte sie mit Depressionen und starkem Übergewicht. Diskutieren braucht man mit ihr nicht. Sie weiß, wie der Hase läuft und lässt sich davon nicht abbringen, oft weicht sie vom eigentlichen Thema ab, fühlt sich schnell angegriffen. Damit ist sie in einer sehr großen Gemeinschaft von Menschen, die ähnlich ticken. Und auch dass Menschen mit geringem Selbstbewusstsein in Beziehungen landen, die überhaupt nicht das sind, was sie eigentlich suchen, traf auf sie zu. Wenn man von den Eltern gemobbt wurde, greift man nach jedem Strohhalm, der Zuneigung und Anerkennung verspricht. Hauptsache nicht mehr allein sein.
2016 fand sich die Tochter einer Verwandten in einer Realität wieder, die filmreif war. Nadine, 22, absolvierte ihre Ausbildung zur Altenpflegerin und hatte sich mit Veronika, 21, angefreundet. Deren Mutter hatte Veronika ein Jahr zuvor aus der elterlichen Wohnung geworfen, was unglaublich hart und nicht nachvollziehbar klang.
Beide Frauen waren gerade in der Prüfungszeit im Praktikum. Nadine wollte von ihrer Freundin per Telefon wissen, wie es gelaufen war, doch sie erreichte Veronika nicht. Diese reagierte weder auf Anrufe noch Nachrichten, auch die Wohnung machte sie nicht auf.
Als es doch zum Telefongespräch kam, redete Veronika „einen Haufen Mist“. Zum vereinbarten Treffen ein paar Tage später erschien sie nicht. Am späten Abend tauchte sie in Nadines Wohnung auf und erzählte, dass alle einen Chip unter der Haut haben und verfolgt werden. Sie hielt ihr das Handy vor die Nase und sagte immer wieder: „Das Video musst du dir angucken! Du musst genau hingucken!“ Wenig später sprach Veronika davon, dass Roboter angreifen würden und sie wolle noch auf eine Party.
In einer Zigarettenpause, in welcher Veronika auf den Balkon verschwand, machte die sehr schüchterne Nadine etwas, was sie ein, zwei Jahre zuvor nie gemacht hätte: Sie rief die 112. Doch Hilfe bekam sie keine: Erst, wenn diese Frau zur Bedrohung für sich oder andere werde, könne man etwas unternehmen. Veronika kam zurück, wollte bei Nadine bleiben, aß ihr den Kühlschrank leer, ging gegen 1 Uhr. Nadine war hundemüde, aber auch völlig durch den Wind.
Am nächsten Tag rief sie den Bruder von Veronika an, die Nummer hatte sie in der Nacht heimlich dem Handy ihrer Freundin entnommen. Wenig später meldete sich auch Veronikas Mutter, also jene Frau, die ihre Tochter ein Jahr zuvor vor die Tür gesetzt hatte. Sie erzählte, dass die bipolare Störung in der Familie liegt und bat Nadine, Veronika so zu lenken, dass sie in die Klinik geht. Sie sei die einzige, auf die ihre Tochter hört. Für eine 22-Jährige ist das nicht gerade wenig Last und das alles geschah in der Prüfungszeit.
Drei Tage später meldete sich Veronika bei Nadine: „Ich bin gerade an einer Haltestelle, aber verrate nicht an welcher.“ Sie erzählte auch etwas von einem Flüchtlingsheim. Nadine rief wieder den Bruder an, der eine Ahnung hatte, wo sich seine Schwester befand. Also fuhr Nadine durch die Stadt, zeigte am Eingang des Heims ein Foto ihrer Freundin und fragte, ob man sie hier gesehen habe. „Ja, die ist oben. Wir hätten sie sowieso gleich rausgeschmissen, die belegt die Kinder.“
Nadine ging hinein und rief wieder die 112 an. Dieses Mal hatte sie eine Frau mit mehr Verständnis für die Situation an der Leitung, sie schickte einen Krankenwagen vorbei. Veronika ließ sich überraschenderweise mitnehmen, zeigte sich sogar fast dankbar gegenüber ihrer Freundin.
Diese informierte die Mutter umgehend, die auf dem Heimweg aus dem Urlaub war. Auch sie dankte, traf sich mit Nadine und erzählte, warum sie ihre Tochter aus der Wohnung geworfen hatte: Veronika war gegenüber dem neuen Freund der Mutter immer wieder giftig geworden und hatte heftige Wutausbrüche. Zusammen holten sie zwei Wellensittiche aus Veronikas Wohnung, die recht eklig aussah, denn zwei Kaninchen liefen frei herum. In der Klinik redete die Mutter mit Engelszungen auf die Ärzte ein, sie mögen ihre Tochter wenigstens 3, 4 Tage behalten, denn die Entlassung lag bereits in der Luft.
Die Lage wurde ruhiger, als diese manische Phase abklang. In der anschließenden Depression wurde Veronika klar, dass sie durch die verpasste Prüfung die Ausbildung geschrotet hatte. Für eine Fortsetzung fehlte ihr durch die Depression die Kraft.
Nadine blieb der Halt für Veronika, auch in den nächsten Manien und sie brauchte dazu viel Energie. 2017 bekam sie im Urlaub einen Anruf von Veronika und verstand nichts: „Da da du die da du …“ Nach der Rückkehr besuchte sie ihre Freundin in der Psychiatrie und war kurz vor dem Ausrasten: Veronika sah bescheiden aus, aß kaum etwas und schlief genauso wenig, weil sie in der Zeit vor der Einweisung in die Klinik ihre Tabletten nicht mehr genommen hatte, dadurch tief in die Manie gerauscht war und – Manie typisch – lieber Party machte. Der Verfolgungswahn war zurück, an den Wänden hingen sehr seltsame Bilder.
Das alles setzte sich bis heute fort.
Ebenfalls 2017 begegnete ich einer Frau um die 30, die sich selbst als bipolar bezeichnete. Eine offizielle Diagnose gab es nie, von Psychologen hielt sie Null. Wir lernten uns wohl in einem Phasenwechsel kennen, sie verhielt sich am Anfang ausgeglichen. Ich erlebte mit ihr eine wunderbare Zeit mit Momenten, die man aus Liebesromanen kennt und bei denen man nicht glaubt, dass es so etwas in der Realität geben könnte. Eine Tante von ihr hatte die Diagnose bipolare Störung, sie starb nach einem Beziehungsdrama, welches in Regionalzeitungen erwähnt wurde.
Der Sohn dieser Tante, mit dem ich für ein paar Stunden ins Gespräch gekommen war, sah in der bipolaren Störung keine Erkrankung. Wenn jemand das Gras als rot bezeichnet, dann sei das doch einfach das Recht jedes Menschen, die Welt so zu sehen, wie er sie wahrnimmt. Sich selbst bezeichnete der 35-Jährige als Priester, der als solcher immer wieder wiedergeboren werde. Dies hatte eine Sitzung bei einer Hellseherin ergeben. Schicksalsschlägen könne man mit einer positiven inneren Einstellung begegnen, so seine Sichtweise. Opfer werden auch zu Opfern, weil sie es zulassen, Opfer zu werden.
In dem Moment, als er das sagte, fiel mir eine Freundin ein, die mit 10 missbraucht worden war und ich kochte, nachdem ich bereits am bisherigen Gesprächsverlauf verzweifelt war. Immerhin schob er nach, dass diese Aussage sehr verkürzt ist. Beruflich macht er etwas sehr Bodenständiges, Kreatives, ist damit erfolgreich selbstständig, hat sich einen Namen erarbeitet. Beim Abschied sagte er lächelnd zu mir: „Ist nicht einfach, mit einem Narzissten zu reden, was?“
Als Narzissten bezeichnete die vorübergehende Frau an meiner Seite auch sich selbst und ihren Ex vor mir. Dessen Vater war ebenfalls bipolar und in Behandlung. Durch eine Manie und der damit verbundenen völligen Veränderung ihres Wesens endete unsere Beziehung.
Was mir auf ihren Fotos auffiel, die sie in der Zeit nach der Trennung postete: Sie zeigte sich stark geschminkt. Während unserer Beziehung legte sie darauf kaum Wert, nur etwas Mascara und das wars. Ich schaute mir ältere Bilder an und auch hier zeigte sie sich sehr unterschiedlich stark geschminkt. Ihr Gesicht wirkte auf den Fotos nach der Trennung wie eine Maske.
Zwei Jahre später hatte ich ein Déjà-vu: Mit einer Bekannten kam ich auf das Thema bipolare Störung zu sprechen, denn auch ihre Tante schwankt seit über 20 Jahren zwischen Höhen und Tiefen. Die Diagnose bekam die Tante damals per Zufall. Seitdem geht sie immer in die Klinik, wenn sich die manischen Zeichen zeigen. Die Manien kündigen sich bei ihr immer mit einer tiefen Depression an und folgen immer auf Phasen mit purem Stress. Vor Beginn der Manie bei meiner Ex hatte sie auf Arbeit eine deutliche Stressphase.
Als ich mit der Bekannten dieses Gespräch führte, war ihre Tante gerade wieder in der Klinik. Auslöser war eine Wohnungskündigung wegen Eigenbedarfs. Auch hatte sie das Antidepressiva zu lange genommen. Der „Stimmungsaufheller“, der einem aus der Depression helfen soll, wirkte als Zug, der direkt in die Manie rauschte.
Seit 7 Jahren lebte sie in einer Beziehung, was aus meiner Sicht wirklich nur funktionieren kann, wenn der Erkrankte auch in den Manien zum Arzt geht. In der Klinik schimpfte sie über ihren Freund, weil er all ihre Bestellungen storniert hatte. Dabei hatte sie bereits in dieser manischen Phase ihr komplettes Erspartes, rund 4000 Euro, ausgegeben. Dass er ihr mit den Stornierungen einen Gefallen tat, sah sie erst nach dem Ende der Manie so. Zunächst war sie sauer auf ihn. Schließlich hätten sie getrennte Kassen und er bevormunde sie beim Thema Geld, auch in den Manie-freien Zeiten. Immer wieder schaue er darauf, was sie mit ihrem Geld macht.
Der Freund kannte sich mit der bipolaren Störung aus, denn auch sein Vater war davon betroffen und starb recht früh. Dennoch schien er die Krankheit nicht zu verstehen, was bei einer Therapiesitzung klarer wurde: „Ich verstehe nicht, wieso sie weiter Geld ausgibt, obwohl ich doch STOPP sage?!“
Darauf erwiderte die Therapeutin: „Wenn es so einfach wäre, dann wäre diese Station leer.“
Wieder sind wir beim: „Du musst nur …“ Damit lässt sich weder ein Maniker aus der Manie noch ein Depressiver aus der Depression bringen. Hormonstörungen kommen mit Worten und Zusammenreißen nicht wieder ins Lot.
Nun aber zum Déjà-vu, ich möchte Dich nicht weiter auf die Folter spannen: Auch diese Frau in der Klinik legte in den manischen Phasen viel mehr Schminke auf Lippen, Wangen und Augen als in den Übergangsphasen und den Depressionen. Für mich war dies ein weiteres Indiz dafür, dass meine Beziehung durch eine Manie zu Ende gegangen war, wodurch ich endgültig Frieden damit schließen konnte. Die Sätze, die zum Ende führten, hätte meine Freundin ohne Manie nie so gesagt, dazu hatte sie sich zuvor viel zu wohlgefühlt. Ich brauchte ihr nicht vergeben oder ihr verzeihen, denn sie hatte nichts falsch gemacht – außer vielleicht, dass sie längst etwas gegen ihre Erkrankung hätte tun können. Doch wie gesagt: In den Manien gibt es kein Krankheitsgefühl. Leider gibt sie inzwischen den Staffelstab an die nächste Generation weiter, obwohl sie keine Kinder wollte – aus Opfern werden Täter.
Ebenfalls 2017 ging es um den Verkauf eines kleinen Stücks Ackerlandes, an dem eine inzwischen 15-köpfige Erbengemeinschaft hing, einschließlich meiner Mum. Da alle Erben ausfindig gemacht werden mussten einschließlich der Erblinien, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichten, lernten wir kurzzeitig Verwandte kennen, von denen wir überhaupt keine Ahnung hatten, auch im eigenen Ort. Mit am Tisch saß eine Frau Mitte 60, die sich vor Jahren von ihrem Mann getrennt hatte. Auch dieser hatte es in regionale Zeitungen geschafft, als er seinen Vater als Geisel genommen und sich mehrere Stunden im Haus verschanzt hatte. Sich selbst bezeichnete er in den Verhandlungen mit der Polizei als Reichsbürger. Die offizielle Diagnose: bipolare Störung.
2019 lernte meine Mum in der Psychiatrie einen Mann Ü70 kennen. Er saß meist still und einsam da und war genau wie Mum in einer depressiven Phase. Allerdings hieß es, dass er die bipolare Störung hat. Nach der Zeit in der Klinik blieb Mum mit ihm in Kontakt, sie besuchte ihn fast jede Woche, telefonierte oft mit ihm. Die Gespräche waren meist einseitig und kurz, da er kaum sprach. Ein Pflegedienst kümmerte sich um diverse Belange wie Bankgeschäfte und nahm ihm viel ab, wozu er nicht die Energie zu haben schien. „Ein Häufchen Elend“ beschrieb ihn am besten. Zunehmend machte er sich Sorgen um sein Herz, glaubte immer wieder, dass da etwas nicht stimmt, konnte aber nichts Genaueres beschreiben. Seine Gedanken schienen sich nur um Erkrankungen zu drehen, es wirkte teils hypochondrisch.
Mit der Zeit zweifelten wir daran, dass die Diagnose Bipolare Störung stimmte, denn inzwischen war er über 2 Jahre in der „Häufchen Elend“-Verfassung und überhaupt nichts deutete darauf hin, dass er in eine Manie kippen könnte. Regelmäßig ging er zum Psychiater, der ihm seine Pillen verschrieb, aber scheinbar nichts dafür tat, dass der Mann mal wieder so etwas wie Lebensfreude finden konnte. Man schien ihn in der Depression halten zu wollen nach dem Motto „Solange er nicht in die Manie kommt, baut er keinen Mist“, was schwer anzusehen war im Angesicht des Häufchens Elend.
Anfang 2022 wurden die Telefongespräche zwischen Mum und ihrem „Mitbringsel“ deutlich länger. Sie musste ihm nicht mehr jedes Wort aus der Nase ziehen, sondern konnte sich mehr und mehr aufs Zuhören verlagern. Nur was sie zu hören bekam, wurde mit der Zeit immer schräger. Er selbst sagte: „Ich bin aus dem „Koma“ erwacht!“ Dass er sich in diesem befunden hatte, sei die Schuld der Ärzte gewesen. Den Pflegedienst, der sich jahrelang um ihn gekümmert hatte, verklagte er wegen Unterschlagung von Geldern.
Mitte 2022 plante er, Bundeskanzler werden zu wollen. Nach dem Wahlsieg mit einer Partei, die er noch gründen müsse, wollte er mit Russlands Präsidenten Putin über ein Ende des Ukraine-Krieges verhandeln. Er war erbost, dass man ihn in der depressiven Phase gegen Corona hatte geimpft, das sei doch alles Schwindel.
Er kaufte sich ein Auto, ein teures Produkt aus der Wunderheiler-Abteilung und diverse andere Sachen. Mum kannte seine Rente und konnte sich nicht vorstellen, dass diese für all das reicht. Und sie wusste, dass er Schulden hatte.
Um sein Einkommen aufzubessern, wollte er Menschen mit dem Wunderheiler-Ding behandeln. Bei Ärzten wollte er Werbung dafür auslegen. Entsetzt war er immer wieder, dass die Ärzte über das Wunderheiler-Ding nur müde lächelten: „Die wollen ja nur selbst Kohle verdienen!“ Er wollte Weihnachtsmann spielen, musste aber vorher eine neue Hüfte eingesetzt bekommen, lief zuvor wochenlang ohne linker Hüfte rum, weil es immer wieder Komplikationen gab – doch der Plan mit dem Weihnachtsmann hielt sich eisern.
In der Klinik spielte er seine mitgenommenen Musikinstrumente, bis es den Schwestern zu viel wurde. Dann fiel sein Interesse auf eine Villa gegenüber, die zum Kauf angeboten wurde. Gleichzeitig bat er meine Mum, ob sie seinem Handy 5 Euro aufladen könne, weil er gerade nichts flüssig habe. Im gleichen Telefongespräch wollte er, dass Mum bei den Ebay-Kleinanzeigen nach mehreren Musikinstrumenten schaut, die er kaufen wollte. Sie las ihm nur Angebote vor, die über 1000 Euro kosteten in der Hoffnung, der Preis würde ihn abschrecken.
Er rief einen alten Freund an, dem er vor 25 Jahren ein paar Hundert Euro geborgt hätte. Auch von seiner ehemaligen Schwiegermutter wollte er Geld zurück, das er ihr vor vielen Jahren geliehen hätte. Seiner Krankenkasse machte er einen Einlauf, weil er auch von dort Zahlungen erwartete. Er schwärmte von einem Laden, in dem man Kalaschnikow-Gewehre „einfach so“ kaufen könnte, mit so einer Waffe könne man ja sein Geld eintreiben.
Sein Ton hatte sich deutlich verändert. Vom Häufchen Elend war rein gar nichts mehr zu merken. Meine Mum fuhr er am Telefon immer wieder heftig an: „Was fragst du denn dauernd?! … Das hab ich dir doch gerade erzählt, begreifst du es nicht?! Oder hörst du schlecht?!“ Seine Stimme war laut, Mum versuchte, ihn immer wieder zu bremsen. Besuchen brauchte sie ihn nicht mehr, sein Interesse galt nun Frauen unter 40. Daraus machte er ihr gegenüber überhaupt keinen Hehl. In einer Kneipe hatte er angeblich seine Jugendfreundin zufällig getroffen und Mum sollte ihre Telefonnummer per Internet rausfinden. Eine Frau, die kurzzeitig bei ihm putzte, blieb bald wieder fern: „Die erzählt überall, ich hätte sie begrabscht!“
Mir bereitete dieser schroffe Umgang des Mannes mit meiner Mum leichte Bauchschmerzen. Erst war sie die einzige, die sich abseits von Pflegedienst und Ärzten um ihn kümmerte. Seine beiden Söhne hatten den Kontakt zum Vater schon lange abgebrochen. Und nun, wo er eigentlich raus aus dem Tal war und seine Dankbarkeit hätte zeigen können, behandelte er sie wie ein wertloses, notwendiges Übel, das gerade gut genug war für das Raussuchen von Telefonnummern und das „Auslegen“ von Geld.
Ohne die vorherigen Erfahrungen, beginnend mit Katis Ex, wäre das alles nicht zu fassen gewesen: Ein Mensch, der sich so extrem wandeln kann?! Von zu Tode betrübt zu Himmel hoch jauchzend?! Wie kann ein Mensch plötzlich so undankbar sein? Wie kann er so verletzend sein? Woher kommen diese völlig abwegigen Gedanken mit der Bundeskanzler-Kandidatur? Warum will der Mann eine Villa kaufen, wenn er nicht mal 5 Euro übrig hat?
Am Tag vor dem 2. Advent rief er Mum an: Sie brauche ihn morgen nicht anrufen und ihm einen schönen Advent wünschen, sondern solle sich erst wieder melden, wenn sie zur Vernunft gekommen sei. Er war zutiefst verletzt, dass sie ihre Augenerkrankung nicht mit seinem Wunderheilerdingens behandeln wollte, nicht mal testweise. Wieder war eines der Symptome der Manien deutlich: Alle anderen sind krank, nur der Maniker selbst ist vernünftig.
Mum kannte die Geschichten um Katis Ex und auch die der weiteren Begegnungen. Diese Erfahrungen halfen und helfen ihr, das alles zu begreifen und es nicht zu persönlich zu nehmen – aber klar bekommt man nie den absoluten Abstand zu Beleidigungen hin, gerade wenn man einem Menschen zuvor viel geholfen hat. Die Frage, ob die Diagnose Biopolare Störung wirklich so stimmte, stellte sich nicht mehr. Viele Symptome der manischen Phasen waren auch bei diesem Mann ab Anfang 2022 dabei: übertriebenes Selbstbewusstsein oder Größenwahn, Sprühen vor Ideen, Drang zum Reden, Kaufrausch, sexuelle Taktlosigkeiten, sinnlose geschäftliche Investitionen.
Überraschend war eigentlich nur, dass es so lange gedauert hatte, bis sich eine neue manische Phase zeigt. Wie der Phasenwechsel von der Depression zur Manie ausgelöst wurde, ist für uns völlig unklar, eigentlich hatte sich nichts verändert, es gab keine Phase mit erhöhtem Stress. Scheinbar kippte der Hormonhaushalt einfach so. Gespannt waren wir, wie lange es dauern würde, bis das Häufchen Elend wieder hervortreten und sich sein Charakter einmal mehr komplett verändern würde.
Hat man für ein Thema eine Antenne entwickelt wie ich durch den Ex von Katharina für die bipolare Störung, fällt es einem natürlich viel mehr auf. Dennoch registrierte ich diese Häufung mit zunehmendem Kopfschütteln: War es Zufall oder gibt es wirklich so viele Menschen, die mit dieser Erkrankung leben?
Wirklich verlässliche Zahlen findet man nicht, so wie bei allen psychischen Erkrankungen. Das „Weißbuch bipolar“ geht von bis zu 2% Betroffenen aus. Manche Studien kommen zum Ergebnis, dass bis zu 5% der Gesamtbevölkerung von den Erkrankungen des gesamten bipolaren Spektrums betroffen sein könnten. So oder so käme man auf mindestens 1,2 Millionen Menschen in Deutschland mit bipolarer Störung, wobei die Heftigkeit der Verläufe unterschiedlich ist. Nicht jeder Bipolare rauscht mit 4 Promille durch den Wald oder fühlt sich verfolgt. Energie raubend und verstörend ist das Auf und Ab für jeden im Umfeld dieser über 1,2 Millionen Menschen – und natürlich auch für die Erkrankten selbst. Über 1,2 Millionen einzelne Geschichten wie die von Katis Ex, Veronika, Manuela, Mums Mitbringsel und all den anderen. Und noch viel mehr Geschichten von Partnern, Kindern, Eltern, Angestellten, Kollegen. Dieses Thema hält Millionen Menschen jeden Tag in Atem – und man muss per Zufall darauf stoßen, um das Verhalten eines anderen Menschen enträtseln zu können, wenn es noch keine Diagnose gab.
Wer glaubt, keinen Menschen mit bipolarer Störung zu kennen, liegt falsch. Kannst Du Dir vorstellen, dass ein Mensch wie Katharinas Ex oder Mums Mitbringsel einen Weltkonzern leitet? Ein Mensch, der Geld zum Fenster rauswirft, wildfremde Menschen anquatscht, auf Tischen tanzt, sexuell keine Limits kennt, nachts nur 2 Stunden schläft, sich nicht überzeugen lässt, dass der Himmel blau und nicht grün ist, der wirre Sachen sagt und macht, sich für ein Genie hält, dem keiner das Wasser reichen kann und der vor genialen Einfällen sprüht?
Er gründete PayPal, Tesla und SpaceX. Mit 27 war er Millionär, inzwischen sind seine Firmen milliardenschwer. Sein Arbeitseifer, sein Sprühen vor Ideen machten ihn zu einem der einflussreichsten Menschen dieser Zeit – aber beides verdankt er den Manien. Die Frage, ob er bipolar sein könnte, beantwortete Musk mit einem „Yeah.“ Allerdings sei er nicht im medizinischen Sinne manisch-depressiv.
Sein Verhalten passt gut zu den bekannten Symptomen. Wer ihn um seinen Reichtum und all die damit verbundenen Möglichkeiten für ein finanziell sorgenfreies Leben beneidet, sollte sich immer wieder die Geschichten von Katis Ex und anderen Bipolaren durchlesen. Musk sagte einst selbst, man solle ihn nicht um sein Leben beneiden.
Die Vorgeschichte seiner Erkrankung ist die Übliche: Seine Kindheit war alles andere als angenehm. Als Schüler wurde er gemobbt und krankenhausreif geschlagen. Zumindest von Seiten des Vaters konnte er kein gesundes Selbstbewusstsein bekommen, auf ihn ist Musk gelinde gesagt „nicht gut zu sprechen“. (Mehr dazu in den Quellen unten)
Sein Hin und Her beim Kauf von Twitter – erst Ja, dann Nein, dann wieder Ja – ist für mich ein Indiz, dass er von Manie zu Normal/Depression und zurück zur Manie gewandelt sein könnte während des Kaufprozesses. Wenn ich über 40 Mrd. Dollar ausgebe und dafür Kredite aufnehme, dann weiß ich eigentlich, wofür und zeige mich nicht so unentschlossen. Seine Sätze, die die Übernahme begleiteten, könnten aus den Mündern der anderen in diesem Text genannten Bipolaren stammen.
Bisher zeugte Musk neun Kinder. Die Benennung seines sechsten Kindes machte Schlagzeilen: X Æ A-Xii. Mir tun die Kinder leid, denn ihre Chancen, psychisch gesunde Erwachsene zu werden, erscheinen mir nach all den Erfahrungen sehr gering. Auch dieser Vater kann aufgrund seiner Erkrankung seinem Nachwuchs kein stabiles Selbstbewusstsein geben, so wie es Katis Ex bei seinen Jungs nicht kann. Auch hier vererbt eine Generation der nächsten mehr oder weniger heftige psychische Probleme. Wer das für eine unhaltbare Behauptung hält, möge mir die Gegenbeispiele benennen.
Und mir macht es Angst, wenn ein solches Unternehmen in den Händen eines Mannes ist, der nur selten Kontrolle über sich haben kann durch seine Erkrankung. Seine Geschichte zeigt aus meiner Sicht: Wir brauchen psychologische Eignungstests für Firmenchefs, genauso wie für Politiker. Nur so kann verhindert werden, dass ein Mensch Firmen und Menschen zerstört.
Und nur so kann verhindert werden, dass ein Mensch mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung im Amt eines Präsidenten zur Stürmung des US-Parlamentssitzes animieren kann, so dass Menschen mit psychischen Erkrankungen dem Ruf folgen.
Wenn Journalisten über den Sturm auf das Kapitol in Washington vom Januar 2021 berichten, wird häufig ein Bild des „Büffelmannes“ verwendet. Er wurde durch sein markantes Äußeres zu einer Symbolfigur des Sturms und des ganzen Wahnsinns. In den Artikeln geht es immer wieder in hochtrabenden Worten um die Gefährdung der Demokratie durch Rechtsextremisten, angeleitet vom „Trumpismus“, eine Wortschöpfung, die es eigentlich nicht bräuchte, weil „Narzissmus“ als Beschreibung des Ex-Präsidenten völlig ausreichend ist. Aber sowohl bei Trump als auch beim „Büffelmann“ wird bei Erklärungen für ihr Verhalten um das Thema psychische Erkrankungen/Persönlichkeitstörungen der übliche, endlos große Bogen gemacht.
Laut Untersuchung des FBI hat der „Büffelmann“ mehrere psychische Erkrankungen, darunter vorübergehende Schizophrenie, bipolare Störung, Depressionen und eine Angststörung. Auch hier gilt: Je seltsamer das Handeln eines Menschen, desto wahrscheinlicher sind psychische Erkrankungen. Und diese entstehen nicht aus dem Nichts, sondern sind praktisch immer Folge einer mehr oder weniger furchtbaren Kindheit. Den Sturm auf das Kapitol hätte es nie gegeben, wenn man in den Kinderzimmern der Beteiligten für eine kindgerechte Atmosphäre gesorgt hätte und wenn man Politiker mit Persönlichkeitsstörung durch psychologische Eignungstests von Ämtern fernhalten würde. Nur müsste dazu das Thema überhaupt erst einmal wahrgenommen werden.
Darf man alle anderen, die sich an der Erstürmung beteiligten, als psychisch erkrankt einstufen? Natürlich nicht. Darf man davon ausgehen, dass alle anderen psychisch gesund waren und nur der eine nicht? Angesichts dessen, was in dieser Welt passiert und wie weit verbreitet psychische Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen sind, lautet meine Antwort: Nein, davon sollte man nicht ausgehen. Ereignisse wie der Sturms aufs Kapitol sollten Arschtritte sein, um sich endlich mit den Auswirkungen der Erkrankungen und Störungen zu befassen.
Und nein, es geht nicht darum, psychisch Erkrankte als das große Übel abzustempeln, sondern um das Lernen aus den Geschichten der Erkrankten und um den damit verbundenen Erkenntnisgewinn: Kinder müssen mit gesundem Selbstbewusstsein aufwachsen können. Nur so kann es psychisch gesunde Erwachsene geben.
Wie sieht es im Showgeschäft mit der bipolaren Störung aus?
Rapper Kanye West, einst Partner von Kim Kardashian, wuchs gutbürgerlich auf, was aber nicht heißen muss, dass seine Kindheit kindgerecht verlief. Seine Mutter arbeitete als Professorin für Anglistik und hatte sich von Wests Vater getrennt. Über seine frühen Jahre sagte er: „Während andere auf der Straße abhingen, war ich in der Mall shoppen.“ Psychische Erkrankungen entstehen nicht nur aus Vernachlässigung, auch der „Goldene Käfig“ kann Gift sein für die psychische Gesundheit.
2009 legte West einen verstörend-legendären Auftritt bei der Preisverleihung des Musiksenders MTV hin. Als Taylor Swift sich für den Preis für das beste Video bedankte, stürmte West auf die Bühne, schnappte sich das Mikro und erklärte, Beyonce hätte eines der besten Videos aller Zeiten abgeliefert. Swift wusste nicht, was ihr geschah und den Zuschauern ging es nicht anders.
Weitere verstörende Auftritte folgten, von sich selbst zeigt er sich immer wieder unglaublich überzeugt. Er will sich in einer Reihe sehen mit Jimi Hendrix, den Rolling Stones und den Beatles. West gilt als einer der reichsten Musiker und Unternehmer der Welt, stand zwischendurch am finanziellen Abgrund. 2016 schrieb er über Twitter, dass er 53 Mio. Dollar Schulden hat. Und er bekam 2017 die Diagnose Bipolare Störung. In den Manien leidet er unter Verfolgungswahn, genauso wie Veronika, was nicht selten ist in dieser Phase.
2020 kündigte er an, US-Präsident werden zu wollen. Seine Frau entschuldigte sich im Sommer für seltsame Nachrichten von West bei Twitter und verwies auf seine Diagnose.
2022 kündigte Adidas die Zusammenarbeit mit West auf, nachdem von rassistischen Aussagen die Rede war.
Ist Kanye West ein Rassist? Ein Geldverschwender? Ein Größenwahnsinniger? Ein Genie? Kommt drauf an, ob er in der Manie oder Depression ist.
Über Mariah Carey, eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Welt, wurde viel geschmunzelt, wenn sie einmal mehr mit ihren Starallüren Schlagzeilen machte: „Das gehört halt zu einem Weltstar dazu.“ Sie wurde zum Inbegriff der Diva – die Menschen, die unter den Allüren litten, lachten sicher weniger darüber. 2018 verriet sie, was sie schon 2001 diagnostiziert bekam: Bipolar II. Bei dieser Form der Störung folgt einer mindestens 14-tägigen Depression mindestens eine leichte Manie.
Lovato, eher den jüngeren Generationen bekannt, kann sieben Songs in einer Nacht schreiben und bis 5:30 Uhr wach bleiben, sagte sie dem Magazin „People“. Die Diagnose Bipolare Störung bekam sie während eines Klinikaufenthaltes aufgrund von Anorexie, Bulimie, Selbstverletzung und Drogenmissbrauch.
Schauspieler Mel Gibson, bekannt u.a. aus „Mad Max“, „Lethal Weapon“, „Braveheart“ und „Was Frauen wollen“, erklärte 2002, dass bei ihm die bipolare Störung festgestellt wurde. Neben seinen Filmen machte er Schlagzeilen mit verstörenden Auftritten und Aussagen gegen Schwule und Juden. Mehrfach wurde seine Alkoholsucht behandelt. Sein Vater war Anhänger von Verschwörungsmythen.
In einem Artikel bei web.de Anfang 2021 wurden unter der Überschrift „Zum 65. Geburtstag von Mel Gibson: Superstar und Hollywood-Rüpel“ dessen filmische Erfolge und Skandale aufgezeigt, versehen mit den Sätzen: „Immer wieder muss Gibson dementieren und sich entschuldigen, er verweist auf eine diagnostizierte Bipolare Störung und seinen Alkoholismus, um seine wiederholten Ausfälle zu entschuldigen. Auch wenn es aufgrund der Vielzahl der Vorfälle immer schwerer wurde, ihm aufrichtige Reue abzunehmen, gelang Gibson das Comeback in Hollywood.“i
Schon das Wort „Rüpel“ in der Überschrift zeigt, wie viel Aufklärungsarbeit bei Journalisten nötig ist, damit sie in der Realität ankommen. Wieder klingt es nach „Der will sich ja nur rausreden.“ Wer sich den Film „Der Biber“ mit Gibson anschaut und seine bipolare Störung im Hinterkopf hat und Menschen mit dieser Erkrankung selbst erlebt hat, der weiß, warum er dort verdammt überzeugend wirkt.
Carrie Fisher machte sich mit ihrer Rolle als Prinzessin Leia in den Star-Wars-Filmen auch über ihren Tod 2016 hinaus unsterblich. Ihr Privatleben hatte weniger Glanz: Drogen, Alkohol – und bipolare Störung. Über die Manien sagte sie: „Manie beginnt als einziger Spaß, tagelang kein Schlaf, nur du und dein Gehirn, das zu einem außergewöhnlichen Computer wird, der dir 24 TV-Kanäle nur über dich präsentiert. Nach einer Weile geht das jedoch gravierend schief.“
Schauspielerin Catherine Zeta Jones, die u.a. mitspielte in „Ocean´s 12“ und im Musicalfilm „Chicago“, machte ihre Erkrankung 2011 bekannt.
Ihr Kollege Ben Stiller („Nachts im Museum“) glaubt, er sei bipolar und führt darauf u.a. Ausbrüche am Set von „Zoolander“ zurück.
Richard Dreyfuss spielte in „Der weiße Hai“, „Mr. Hollands Opus“, „R.E.D. – Älter, Härter, Besser“ und bekam 1978 den Oscar als bester Hauptdarsteller für seine Rolle in „Der Untermieter“. Seit seiner Kindheit hat er mit der bipolaren Störung zu kämpfen und erlebte die typische Achterbahn, bis er sich in Behandlung begab und man die richtigen Medikamente fand für einen stabilen Zustand.
Die Aufzählung ist sicher weit weg von „vollständig“. Wer z.B. das Verhalten von Charlie Sheen, bekannt aus „Hot Shots“ und „Two and a half Man“, verstehen will, könnte ebenfalls bei dieser Störung fündig werden. Sind diese Menschen so berühmt, reich und einflussreich geworden und nebenbei bipolar? Oder verhalfen ihnen erst die Dopamin-Schübe in den Manien zu ihrer Kreativität? Können sie so scheinbar selbstbewusst vorgehen und Risiken eingehen, weil die Manie sie im Griff hat, wo andere sich aus Selbstzweifeln nicht aus dem Hemd trauen? Gäbe es Paypal, Tesla und SpaceX ohne die manischen Phasen von Elon Musk? Gäbe es diese Firmen, wenn er in seiner Kindheit nicht gemobbt worden wäre? Musste er nach so viel Macht und Einfluss und Geld streben, damit sein Selbstwert gefüttert werden konnte und weil die Manien ihn trieben? Er könnte mit seinem Einfallsreichtum ein einfacheres, ruhigeres und dennoch finanziell abgesichertes Leben führen. Wie viele manisch-verrückte Ideen fängt sein Umfeld in den Firmen ab, weil diese Geniestreiche in den Ruin führen würden? Wie ist das Umfeld psychisch aufgestellt? Wie viel Einfluss darf ein manischer Mensch bekommen? Wie kann man verhindern, dass die Erkrankung ausbricht? Hätte es schon ausgereicht, ihn als Kind zu beschützen?
Wer auch immer über Musk, West, Gibson und andere Menschen berichten will, die sich sehr auffällig verhalten, sollte immer bedenken: Kein Mensch ist einfach nur größenwahnsinnig, Extremist, Rassist, ausgeflippt, überdreht. Hinter all dem steckt eine Geschichte, die in der Kindheit beginnt. Aus Opfern werden Täter. Wer keine Täter will, muss dafür sorgen, dass es keine Opfer gibt.
Die Rolle der Medien ist für mich schwer zu ertragen. Spätestens 2022 gäbe es genug Möglichkeiten, um über die bipolare Störung und andere psychische Erkrankungen sowie Persönlichkeitsstörungen aufzuklären und ihre Auswirkungen auf die angebliche Spaltung der Gesellschaft zu zeigen. Doch Journalisten bedienen in ihren Artikel immer wieder nur Klischees. Und solange wir Menschen durch Klischees erklären, wird immer der Gedanke da sein: „Ach, wenn der mit mir zusammen ist, wird er sich schon ändern.“ Anstatt von Rassismus und anderen Formen von Hass zu sprechen und ständig neue Kampagnen zu starten, müssen wir uns um die psychische Gesundheit kümmern.
Die Leidtragenden der Ignoranz sind die Kinder. SIE müssen das ausbaden, was WIR verzapft haben. Auf ihren Schultern lastet das, was wir nicht wegräumen konnten oder wollten. Und eines Tages sind diese Kinder das WIR, so wie WIR einst genau diese Kinder waren. Aus Opfern werden Täter und Täter hinterlassen neue Opfer.
Wenn Kinder aufwachsen ohne die Anerkennung durch BEIDE Elternteile, dann sind die Umwege zum Glück vorbestimmt – und sie sind immer Wege ins Unglück.
Den Blick hinter die Gardinen mit 80 weiteren Biografiesplittern gibt es in meinem Buch:
Wer Menschen verstehen will, muss ihnen zuhören, sie beobachten, hinter die Fassade schauen: Warum heiraten wir? Sind Frauen von Natur aus gute Mütter? Was erlebt man bei der Partnersuche? Wem verdanken Elon Musk und Kanye West ihre Erfolge? Was treibt andere Prominente an – und was ist dein eigener Antrieb? Fallen psychische Erkrankungen vom Himmel? Warum steht jemand 5 Stunden unter der Dusche? Wieso glaubt Käpt´n Crazy, die Chinesen würden kommen? Sind Krankenhäuser tatsächlich Hurenhäuser? Warum verheimlicht eine 50-Jährige, dass ihr Vater soff?
Mit den Antworten auf diese Fragen wird unerklärliches Verhalten entzaubert. Kein Hashtag, kein Gendern und keine Kampagne wird diese Welt retten können. Erst wenn wir einsehen, wie wir ticken, kann sich etwas verändern. Komm mit auf eine Reise, die Dich verändern wird!
Das Buch gibt es bei bod.de, bei Amazon, genauso bei allen anderen Onlinehändlern. Du kannst aber auch beim Buchhändler um die Ecke danach fragen. Die ISBN: 9783 7557 0721 9. (Da sich bisher kein Verlag interessiert hat, werden keine Exemplare zum Mitnehmen rumliegen, deshalb bitte vorerst direkt im Laden bestellen.)
Du bist Dir unsicher, was mich zu einer glaubhaften, seriösen Quelle macht? Fragst Du Dich, was mich zum Experten macht? Nichts.
Sophie lebt – und ist tot. Was besser ist für sie? Ich weiß es nicht.
„Da war nichts.“ Meggie hatte eine schöne Kindheit, dennoch geht es ihr schlecht. Warum?! Dann erwacht der Elefant.
„Ich habe mich gefreut, wenn Papa fünf Minuten Zeit für mich hatte.“ Jens hat den Arbeitseifer seines Vaters geerbt und wird in sechs Jahren sterben.
Elon Musk, Kanye West, Mel Gibson – denen ist doch allen der Erfolg zu Kopf gestiegen! Die spinnen doch einfach nur! Willst du mit ihnen tauschen?
„Warum hat er mich nicht lieb? Bin ich einfach ein Nichts?“ Diese Fragen stellt sich Katis jüngerer Sohn und denkt dabei an seinen Vater.
Suizid kann Freiheit bedeuten. 2020 hat Ulli die erste freie Entscheidung seines Lebens getroffen. Dieser Neubeginn bedeutete seine Freiheit. Und sein Ende.
Saskia gibt mit Ü40 die Hoffnung nicht auf, von ihrer Mum ein nettes Wort für ihr Dasein zu hören. Bettina bekam mit 20 ein Kind, um ihrem Elternhaus zu entkommen – und lebt seitdem in den gleichen Verhältnissen.
Natascha Kampusch als Hassobjekt?! Das macht keinen Sinn – doch beim Zuhören erklärt sich auch beim Thema Hass, wie sich unsere „Special Effects“ entwickeln.
Annie ist 16, 1,70 m, 40 kg. Ihr Vater versteht nicht, warum sie nicht einfach mehr isst. Er selbst steckt jeden Monat 500 Euro in sein Onlinespiel. Annies Mutter vermeidet Diskussionen mit ihm über ihr Rauchen. Verstehen des jeweils anderen? Fehlanzeige.
Die einen waschen ihre Firma grün, die anderen leben beim Yoga ihren Narzissmus aus. Was steckt hinter dem Gendern?
Wer Frauen sichtbar machen will, muss das komplette Bild ins Scheinwerferlicht rücken – auch die Schattenseiten.
Wo in der Geschichte sind die ganz konkreten Beispiele dafür, dass Appelle an die Vernunft etwas zum Guten verändern? Mein Vater kann nicht gemeint sein.
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Knapp 18 Mio. Menschen werden pro Jahr wegen psychischer Erkrankungen behandelt. So etwas können Parteien doch nicht ignorieren, oder?
Frage: Was muss passieren, damit diese Welt weniger verrückt ist? Antwort: Wir müssen zuhören lernen. Oder wir verbieten das Kinderkriegen.
Jochen wäre fast ertrunken, der Vater zerrte ihn wieder ins Wasser. Opfer und Täter, weiß und schwarz. Doch ist es wirklich so einfach?
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Und wieder glauben wir, Erwachsene umerziehen zu können – und wieder haben wir nichts aus der Geschichte gelernt.
Er verfolgt dich, er bespitzelt dich, er glaubt dir nicht, du machst Schluss mit ihm. 10 Jahre später sitzt du mit ihm und euren beiden Kindern am Frühstückstisch.
In dieser Welt passiert vieles, was aufgedeckt gehört. Gibt es jedoch zu einem Ereignis 101 unterschiedliche Wahrheiten, dann werde ich nachdenklich.
Die Welt wird von einer unsichtbaren Macht geleitet – sagen nicht nur Verschwörungsanhänger, sondern Milliarden Menschen.
Er baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Sie spricht vom Angriff der Roboter. Wenn du ihre Geschichten kennst, wirst du sie verstehen.
„Als ich Krebs hatte, bekam ich Mitleid, Zuspruch und Unterstützung. Als Depressionskranke war ich immer die faule Sau.“
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Als Robert Enke durch Suizid starb, herrschte große Trauer. Doch längst jagen wir seine Nachfolger Richtung Abgrund.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
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