Über Tote sagt man nichts Schlechtes

Über Tote sagt man nichts Schlechtes. So will es eine dieser ungeschriebenen Regeln. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte und so sehr Menschen herzerwärmenden Kitsch mögen, so sehr sollten wir aus den weniger schönen Geschichten lernen. Schweigen wir über diese Geschichten, dann können wir auch nichts lernen – wenn wir das überhaupt wollen.

Zu den ungeschriebenen Regeln gehören auch eigentlich selbstverständliche Dinge: Bringe deinen Kindern Zuneigung entgegen, damit sie zu selbstbewussten Erwachsenen werden und den eigenen Kindern Zuneigung entgegenbringen können. Behandle den Partner an deiner Seite mit Respekt auf Augenhöhe, anstatt dass du dich ständig über den anderen erhebst und ihn niedermachst. Wenn du das nicht schaffst, dann trenne dich so früh wie möglich und zeuge mit ihm keine Kinder. Sei dir bewusst, dass auch DU nicht die Krone der Schöpfung bist, sondern genau wie alle anderen Fehler machst, Special Effects hast. Nimm Kritik nicht als Kriegserklärung wahr, welche dich zum sofortigen, blinden Gegenschlag ausholen lässt. Hör auf mit der Sauferei, wenn du merkst, dass du besoffen noch schlimmer drauf bist als nüchtern.

Das alles sollte selbstverständlich sein – sollte es. Warum es das nicht ist, könnten wir aus den wenig schönen Geschichten lernen. Doch dazu müssten wir sie jederzeit erzählen dürfen und wir müssten ihnen zuhören.

Eine Moral dieser Geschichten wäre: Wächst du als Kind ohne Zuneigung BEIDER Elternteile auf, entwickelst du dich zu einem Menschen, der für andere selten gut ist. Denn ohne diese Zuneigung kannst du kein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln und musst deinen Selbstwert über Umwege definieren. Also erhebst du dich über andere, ob über deine Frau oder deine Kinder, machst sie klein, damit du groß erscheinst.

Eine zweite Moral wäre: Aus Opfern werden Täter. Du wächst in einer Zeit auf, in der du als Bastard bezeichnet wirst, wenn du „im Vorbeigehen“ gezeugt wurdest. Eigentlich bist du schon so gestraft, wenn du ohne Vater aufwächst – sofern er ein guter Vater gewesen wäre. Im Dorf spricht sich herum, dass du ein Bastard bist und in der 1. Klasse fängt das an, was man heute Mobbing nennt. Wie reagierst du? Entweder du ziehst dich zurück, wirst unsichtbar – oder du wehrst dich mit den Fäusten. Dein Fell wird dicker, bloß keine Schwäche zeigen. Deine eigenen Kinder werden dich niemals weinen sehen und niemals erleben, dass du eine Schwäche zugibst.

Und so folgt die dritte Moral: Menschen ändern sich nicht. Die Gleise der Kindheit liegen fest einbetoniert und führen aus dem Kinderzimmer bis ins Grab. Das Mauerblümchen wird den narzisstischen Bad Boy nicht heilen. Der ein oder andere betrachtet auf dem Sterbebett sein Leben doch anders, wenn dazu noch die Gelegenheit bleibt. Er bereut Fehler, er gesteht, viel zu hart gegenüber jenen gewesen zu sein, die keine Härte verdient hätten. Diese Einsicht kommt selten und spät. Besser spät als nie? Nein, das Kind liegt längst im Brunnen und wieder bleibt nur die leise Hoffnung, dass Kinder, Enkel und Urenkel endlich die Moral der Geschichte verinnerlichen könnten und aus ihr lernen.

Doch auch sie werden es nicht tun, denn sie haben ihre eigenen Pläne, bei denen die Vernunft in die hintere Reihe geschoben wird: „ICH werde es besser machen und nicht die gleichen Fehler anstellen! Schließlich bin ich erwachsen!“ Und damit beginnt die nächste, wenig schöne Geschichte.

Was sagst du über einen Toten, wenn dir nichts Positives einfällt, du aber etwas sagen musst? Du kannst nicht sagen, dass er ein guter Vater war, wenn du kein einziges Lob von ihm im Ohr hast, sondern nur Kopfnüsse, wenn du etwas falsch gemacht hast. Du kannst nicht sagen, dass er ein liebevoller Opa war, wenn er seine Enkel nie gesehen hat.

Du könntest davon erzählen, dass du Menschen begegnest bist, die deinen Vater als sehr angenehm erlebt haben, als nett und hochanständig. Diesen netten, hochanständigen Mann hast du in deiner Kindheit und Jugend selbst erlebt – gegenüber Menschen außerhalb der Familie. Inzwischen hast du auch aus anderen Geschichten gelernt: Das wahre Wesen eines Menschen bekommen oft nur jene zu sehen, die ganz dicht an ihm dran sind: Partner und Kinder. Umso schwerer ist es, den Außenstehenden zu erklären, dass der nette, hochanständige Mann ganz andere Seiten hatte. Und es würde dir den Magen umdrehen, wenn du in einer Trauerrede vom netten, hochanständigen Mann hören müsstest, weil man eben über Tote nichts Schlechtes sagt.

Du könntest seine Hobbys erwähnen: Wie der einsame Wolf, zu dem er in seiner Kindheit geworden war, jedes Jahr im Spätsommer durch die Berge Österreichs streifte. Wie du staunend seine vielen Fotoalben durchblättert hast mit Bildern von schneebedeckten, gigantischen Bergen der Alpen und Dolomiten, von glasklaren Gebirgsseen, von weiten Tälern, vom blauen Himmel und vom Wintereinbruch im September, von der immer gleichen Tankstelle mit den aktuellen Spritpreisen an der Schweizer Grenze.

Du könntest die Alben und Körbe voller einsortierter und loser Briefmarken erwähnen – wenn du nicht Sätze im Hinterkopf hättest wie: „Ich will meinen Kindern kein Geld hinterlassen, deshalb setze ich alles um.“ Erwähnst du lieber nur das Sammeln und spielst heile Welt, damit sich niemand in seiner Trauer gestört fühlt? Oder lässt du auch diesen Punkt besser komplett weg, damit die hinterbliebenen Familienangehörigen nicht mit den Augen rollen brauchen beim Weichspülen der Geschichte? Der Nachruf könnte sehr kurz ausfallen, wenn man dieses Prinzip konsequent durchzieht und auf allgemeingehaltene Sätze verzichten möchte. Kaum haben sich die Anwesenden gesetzt, geht es auch schon wieder hinaus zur letzten Ruhestätte. Das bricht mit einer weiteren dieser ungeschriebenen Regeln, so wie: Über Tote sagt man nichts Schlechtes.

Der einsame Wolf ist gegangen und hat Spuren hinterlassen. Und Geschichten. Einige Menschen werden gute in Erinnerung behalten, andere weniger gute. Die Spuren werden nicht verblassen, weil die nächsten Generationen die gleichen Wege bestreiten, auch wenn sie dies nie wollten oder wollen. Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt, so soll Gandhi es gesagt haben. Wäre es anders, dann würde die Welt ein sehr friedlicher Platz sein und einsame Wölfe gäbe es nur auf vier Pfoten. Und niemand bräuchte sich Gedanken darüber machen, was man über einen Toten sagen darf.

Dass einer deiner Söhne deine Hand hielt in deinen letzten Tagen, war nicht dein Verdienst. Die Hände deiner Kinder hast du nie gehalten, zumindest gibt es keine Erinnerungen daran. Diese Gabe hast du deiner einstigen Frau zu verdanken, die du alles andere als auf Händen getragen hast. Dass dein anderer Sohn nicht zu deiner Beisetzung kommen wird, würde dich nicht überraschen dürfen, DAS ist dein Verdienst – aber du warst eben auch nur ein weiteres Glied in der Kette, genau wie wir es sind. Ob wir es besser machen? Die Geschichte wird es zeigen. Deine ist nun zu Ende.

Baba.

30.04.1944 / 28.8.2021

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Von Thorben Sonnestrant

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