Hanna
Hanna ist 27. Seit vier Wochen ist sie Mama. Mit der Geburt von Constanze soll ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Das winzige Wesen sitzt auf dem Rücksitz in der Babyschale, als ein Auto ins Heck von Hannas Fahrzeug kracht. Keine vereiste Fahrbahn, kein nasses Laub, kein Matsch – „nur“ Unachtsamkeit an einer Kreuzung. Hanna klemmt zwischen Lenkrad und Sitz, kann nicht raus, kann sich auch nicht umdrehen. Im Rückspiegel sieht sie ihr Baby ebenfalls kaum, weil es von den Splittern der Heckscheibe zugeschüttet ist. Constanze rührt sich nicht, Hanna glaubt, vier Wochen nach der Geburt sei ihre Tochter tot. Sie ist panisch. Dazu der Gestank nach Öl und Benzin, welches ausläuft. Rauch. Die Hitze durch die Sonne. Die ganze Zeit das Glotzen der Gaffer.
Es dauert ewig, bis Hanna herausgeschnitten ist. Zumindest fühlt es sich für sie wie eine Ewigkeit an. Ein Zeitgefühl hat sie nicht, auch nicht im Nachhinein. Aufgelöst und heulend wartet sie vor dem Auto, dass man ihr totes Baby aus der Schale hebt und es ihr übergibt.
Aber Constanze lebt. Ihr war nichts passiert, sie hatte überhaupt nichts mitbekommen, schlief einfach die ganze Zeit.
Ende gut, alles gut. Sollte man denken. Der Schaden am Auto war nicht dramatisch, der Schaden an Hanna ist dauerhaft. Heute ist sie Mitte 40, längst geschieden, in Frührente – und im Arsch. Ihr Weg in den 20 Jahren seit dem Unfall führte vorbei an zig Ärzten, durch viele Krankenhausbetten, entlang vieler falscher Diagnosen und auf unglaublich viel Unverständnis treffend. Immer wieder kehren die Bilder von damals zurück – bzw. EIN Bild: Wie sie vor dem Auto wartet, heulend, auf ihre tote Tochter wartend. Dazu Flashbacks mit Benzingeruch.
Einige Therapeuten glaubten, Hanna wolle einfach nicht wieder gesund werden. Zwei Therapeuten sagten ihr: „Ihnen wird es leider nie wieder besser gehen.“ Einer der beiden hatte mit 40 sein eigenes Kind bei der Ausfahrt aus der Garage überrollt. Auch 40 Jahre später ist für ihn nichts wieder normal. Der andere betreute traumatisierte Soldaten in Afghanistan. Beide wissen, was Trauma bedeutet.
Jan Philipp Reemtsma
Das weiß auch Jan Philipp Reemtsma. Er wurde 1996 entführt, hatte Anteile an einer Zigarettenfabrik geerbt, die er 1980 verkauft hatte. Nach der Zahlung von Lösegeld wurde er freigelassen. Seine Gefangenschaft dauerte einen Monat – die Folgen aber blieben: „[…] wo wir von Trauma sprechen müssen wir aufhören, in irgendeinem medizinischen, psychologischen oder sozialtherapeutischen Sinn von Heilung zu sprechen. Das traumatische Ereignis lässt sich aus der Biografie nicht mehr entfernen.“
Aber was bekommen Traumatisierte wie Hanna zu hören? „Du musst nur …“ z.B. in Form von: „Nach 20 Jahren musst du doch mal drüber hinweg sein?!“ Wieder Druck. Wieder Schuldgefühle, man wolle ja krank bleiben. Dabei hat Kranksein keinen Nutzen. Zumindest nicht, wenn du psychisch krank bist. Mit Krebs können die Menschen inzwischen umgehen. Aber nicht mit Depressionen & Co.
Krebs ist besser als Depression
Der Erfahrungsbericht einer Frau mit Depressionen UND Krebs: „Mit der Depression war ich allein. Keiner verstand mich, keiner kümmerte sich, keiner fragte, ob ich Hilfe brauche oder wie es mir überhaupt geht. Letztes Frühjahr bekam ich Krebs – und jetzt wird mir von allen Seiten der Arsch gepudert. Also wenn du krank wirst, darfst du Krebs haben, aber bitte keine Depri. Krebs kann man sehen, Depri nicht, also kannst du nicht wirklich so krank sein wie einer mit Krebs. Allerdings wurde um Krebskranke in den 80ern auch ein riesiger Bogen gemacht, vielleicht sind wir in 40 Jahren dann soweit, dass man auch bei psychischen Erkrankungen solche Unterstützung bekommt.“
Eine andere Frau, Anfang 40, erzählt es genauso: „In den Jahren vor dem Krebs hatte ich psychisch immer wieder schwere Phasen. 2018 bekam ich die Diagnose Brustkrebs. Ich habe die Chemo und alles durchlaufen und weggesteckt, als sei es ein Spaziergang gewesen. Jetzt, fast zwei Jahre nach der Krebs-Diagnose, bin ich wieder schwer im Eimer.
In der Zeit des Krebses hatte ich das Rundum-Sorglos-Paket, ob im Umfeld oder mit den Kliniken. Da hatte ich Verständnis für die momentane Verfassung, ich war doch schließlich so schwer krank und das müsse man erst mal verkraften. Ich wurde bewundert für meinen Kampfgeist und auch sehr bedauert wegen der Krankheit. Von allen Seiten habe ich Mitleid, Zuspruch und Unterstützung erhalten.
Als Depressionskranke habe ich das zuvor anders erfahren, da war ich immer die faule Sau. Und jetzt, wo es mir seit August durch die Depressionen wieder so mies geht, bekomme ich zu hören, dass ich es doch überlebt habe, also ist das doch vorbei! Ich soll einfach die Arschbacken zusammenklemmen und los geht’s. Von Mitleid, Zuspruch und Unterstützung ist nichts mehr zu merken, im Gegenteil. Ich vermisse das alles und ich vermisse das Bewundert werden.“
Dies war ein Zusammenschnitt verschiedener Ausschnitte aus meinem Buch. Wenn Du ähnliche Erfahrungen gemacht hast und es leid bist, wie mit psychischen Erkrankungen umgegangen wird, dann schließ Dich an:
#MeineStimmeGegenIgnoranz


1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.

Buch sucht Öffentlichkeit
Dieses Buch ist keine philosophische Abhandlung, sondern ein Blick hinter die Gardinen. Wer die Menschen verstehen will, muss ihnen zuhören, sie beobachten.
Literaturagenten finden hier das Exposé.

Der Zuhörer
Jeder Mensch hat zwei Ohren. Nur was wir damit anfangen, ist recht unterschiedlich. Umso erleichternder ist es in Krisenzeiten, wenn du jemanden findest, der zuhören kann. In den letzten Jahren lernte ich, dass dies offenbar meine Superkraft ist. Diese biete ich Dir hier an.
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