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Schrödingers Sophie
Sophie lebt – und ist tot. Was besser ist für sie? Ich weiß es nicht.
Crowdfunding für das Buch „Verrückt – ein Aufschrei“
Nicht zuletzt durch die Serie „The Big Bang Theory“ ist sie zur berühmtesten Katze der Welt geworden, die nie ein Mensch gesehen hat: Schrödingers Katze. Das Tier sitzt in einem Karton, zusammen mit tödlichem Gift. Das Gift kann jederzeit freigesetzt werden. Solange du nicht in den Karton schaust, weißt du nicht, ob die Katze noch lebt. Du stehst daneben und auch wenn du weißt, dass das Tier entweder lebt ODER tot sein muss, ist die Katze für dich eigentlich beides: tot UND lebendig.
Im Gegensatz zur Katze in diesem Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger lebt Sophie tatsächlich – oder sie lebte. 2015 lernte ich sie kennen, sie schrieb mich auf einer Plattform an, bei der es ums Unterhalten geht, aber die vor allem zur Suche nach dem passenden Deckel genutzt wird. Ihr Name war mit einer Warnung versehen: Ich sollte darauf achten, dass Sophie noch nicht 18 ist. Als sie mich – zu dem Zeitpunkt war ich 43 – anschrieb, glaubte ich an eine Falle: Wollte mich jemand in irgendetwas locken und mich zu erpressen?! Warum würde eine 25 Jahre jüngere Frau Kontakt zu mir suchen?! Doch es war keine Falle, Sophie war echt, knapp 18.
Sie lebte rund 300 km entfernt von mir – oder sie lebt noch immer dort. Warum die Frage offen ist bei einer so jungen Frau? Weil sich viel Gift im Karton mit Sophie befand. Mit 12 stand sie auf dem Balkon, sprungbereit. Vier Briefe hatte sie zuvor geschrieben. Ihr Karton war die Familie, die eigentlich ein sicherer Raum sein sollte. Ihr Gift waren ihre Eltern, ihr Bruder. Ein halbes Jahr hatte dieser Sophie immer wieder geschlagen. Die Eltern wussten davon, doch es war ihnen egal. Und so stand Sophie auf dem Balkon, zum Abschied bereit. Liebe, Zuneigung, Anerkennung fand sie bis dahin weder bei ihrer Mutter noch bei ihrem Vater. Entsprechend winzig war ihr Selbstwert. Wenn dich deine eigenen Eltern mobben, kannst du nichts wert sein.
Sophie sprang nicht. Doch sie glaubte, sie würde nicht älter als 27. In dem Alter starben Musiklegenden wie Janis Joplin, Kurt Cobain und Amy Winehouse. Sophie war nicht krank – nicht körperlich. Ihre Psyche war jedoch schon früh ein Trümmerfeld, sturmreif geschossen von jenen, die sie in diese Welt gesetzt hatten.
Entsprechend viel Kraft verlangte ihr die Ausbildung zur Altenpflegerin ab, aber auch das Leben an sich. Immer wieder tauchte sie länger ab, um sich dann mit einem neuen Account zurückzumelden. Zeitweise zog sie bei ihren Eltern aus und bei ihrer Oma ein. Diese schien der einzige Halt in der Familie für Sophie, wurde aber irgendwann „wunderlich“, teils giftig, vielleicht eine Alterserscheinung.
Immer wieder gab es psychische Einbrüche, Selbstverletzungen. Wirklich gut ging es ihr nie. Einem Kumpel zuliebe ging Sophie für kurze Zeit zu einer Psychologin. Doch diese kam ihr irgendwann „zu nah“. Mit ihren Fragen drohte die Therapeutin offenbar eine Tür bei Sophie zu öffnen, die diese aber geschlossen lassen wollte. Was genau sich hinter der Tür verbarg, konnte sie nicht sagen, es war ein absolut ungutes Gefühl und so brach Sophie die Besuche ab.
Für mich war Sophie wie eine Begegnung mit meinem 18-jährigen Ich. Ich stellte mir immer wieder vor, was ich hätte in diesem Alter gebraucht, um mein Schneckenhaus verlassen zu können. Erst mit 38 hatte ich erstmals das Gefühl, von einer Frau als Mann wahrgenommen zu werden, nicht nur als der gute Kumpel, der so gut zuhören kann. Diese kopfinterne Veränderung von einem Neutrum hin zu einem Mann bewirkte viel, löste eine Kettenreaktion aus, die ich mir rückblickend viel eher gewünscht hätte. So versuchte ich Sophie, nicht als Teenager, sondern als Frau wahrzunehmen und ihr das auch so zu vermitteln.
Anfang 2020 tauchte sie nach langer Stille wieder auf. Ohne Worte schickte sie mir das Foto eines Briefs, in welchem ihr zur bestandenen Prüfung zur Altenpflegerin gratuliert wurde. Ich fühlte mich versetzt in die Rolle ihres Ersatzvaters und gab mein Bestes, um ihren durchschimmernden Stolz auf den Abschluss und das Durchhalten der Ausbildung zu bestärken und ihr mageres Selbstbewusstsein ein wenig zu füttern. Wenn sie über ihre Arbeit schrieb, war immer wieder ein „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe“ zu spüren. Mein Vater war zu dieser Zeit selbst in einem Pflegeheim, wodurch ich ein klein wenig Einblick in die Arbeit des Personals hatte und Sophies Schaffen besser nachvollziehen konnte.
In den Tagen darauf präsentierte sie mir ihre neuen Schuhe, ganz in weiß. Auffällige Farben trug Sophie schon in den Jahren zuvor nicht. Auffallen wollte sie nie, lieber unsichtbar sein.
„Hab 5 Kilo abgenommen“ – mit ihrem Gewicht war sie nie glücklich, mit ihrer Figur kam sie nicht klar. Trotzdem hatte sie mir 2015 Fotos geschickt, von einem Kumpel gemacht. Einerseits fühlte ich mich damals geschmeichelt, denn solche Bilder hatte mir zuvor keine Frau geschickt. Andererseits hoffte ich, dass sie mit diesen Fotos nicht leichtfertig umgehen würde, auch wenn ihr Wunsch nach positivem Feedback verständlich war, so wie die Anerkennung im Elternhaus gegen Null ging.
Wer sein Kinderzimmer ohne gesundes Selbstbewusstsein verlässt, betritt Umwege zum Glück, die immer Wege ins Unglück sind. Du willst endlich Aufmerksamkeit, einen Hauch von Zuneigung, Liebe – all das, was du bisher nie bekommen hast.
Dafür nimmst du Sachen in Kauf, die dir am Ende nicht gut tun, ob toxische Beziehung, Sucht oder andere Umwege zum Glück. Wann immer es um Sophies Figur ging, versuchte ich vorsichtig, ihre großen Selbstzweifel ein wenig geradezurücken, brachte dabei die Bilder von 2015 in Erinnerung. Doch das Selbstbild hing dank ihres Elternhauses verdammt schief, mit langen Nägeln festgeklopft. Sie wolle bloß nicht so dick werden wie viele Pflegerinnen, denen sie begegnet war. Ihre Essgewohnheiten schwankten zwischen Magerkost und Pizza nebst Energy-Drink. Als Fan von geregelten Mahlzeiten wünschte ich ihr jemanden an die Seite, mit dem sie eine Balance finden konnte – beim Essen wie im ganzen Leben.
Und einen potentiellen Kandidaten hatte Sophie inzwischen gefunden. Er wohnte nicht weit weg von ihr, sehr ländlich. Ihrem Hang zu mehr oder weniger älteren Männern war sie treugeblieben, 10 Jahre trennten beide. „Dieses Jahr kriegst du den Antrag, damit wir nächstes Jahr heiraten“, zitierte Sophie ihren Freund. Er wolle ein Kind, wenn es ein Junge wird, soll er Finn heißen. Sophie bevorzugte „Jonas“. Ich schrieb zwischendurch: „Gut, dass ihr es nicht eilig habt.“ Zu meiner leichten Beruhigung trat Sophie selbst etwas auf die Bremse: „Lass irgendwas sein und man merkt, das Zusammenleben funktioniert nicht …“
Bis zu dieser Zeit Anfang 2020 hatte ich reichlich Geschichten gesammelt mit dem Muster „Ich will ein Kind und Familie, dann wird endlich alles gut.“ Nur wurde es nie gut. Babys sind nicht die Lösung deiner Probleme, sie werden zum Erbe deiner Probleme. Ja, diese süßen Gesichter scheinen jeden Schmerz vergessen lassen zu können. Eine Frau, die als Teenager von ihrem Vater missbraucht worden war, ging diesen Weg. Auch sie glaubte, mit einem Kind werde alles gut. Das Kind war da, der Partner im Streit weg und die Frau merkte immer mehr, dass die alten Wunden nicht durch ein Kind geheilt werden.
Sophie hatte in den 5 Jahren zuvor immer wieder davon gesprochen, so bald wie möglich Mutter werden zu wollen – gleichzeitig glaubte sie, nicht älter als 27 zu werden. Ich gönnte ihr jedes Glück der Welt, aber ich gönnte keinem Kind, unter diesen Umständen geboren zu werden. Wer mit sich selbst nicht klarkommt, kann einem Kind nicht vorleben, wie es mit sich selbst klarkommt. Wer keinen Selbstwert hat, kann keinen Selbstwert weitergeben. Und so wünschte ich Sophie, dass sie von ihrem neuen Freund gut behandelt wird, aber dass sich die Familiengründung noch weit in die Zukunft verschieben würde.
Mitte Februar 2020 tauchte Sophie wieder ab. Im Gegensatz zu früher versuchte ich dieses Mal, ihr Verschwinden positiv zu sehen. „Wenn sie sich nicht melden, geht es ihnen gut.“ Ich glaubte, dass nun der neue Freund meine „Aufgaben“ übernommen hatte und Sophie so glücklich wäre, wie es unter ihren Umständen möglich war.
Anfang September 2020 war sie wieder da – und sie klang alles andere als glücklich. Sie sei wieder Single. Meine Antwort: „Autsch. Woran ist es mit dem jungen Mann auf dem Lande gescheitert? Hoffentlich nicht wieder so ne Nummer mit ner anderen wie der eine.“
Sophie: „Er ist nun Papa seit knapp nem Monat.“
Ich: „Ääähm, dank dir?!“
Sophie: „Nein. Ähnliche Situation wie 2017… Nicht getrennt, aber schon mit einer anderen zusammen. Ich ziehe sowas wohl magisch an. Aber es in Ordnung.“
Nichts war in Ordnung. Der Sohn wurde im Juli geboren – von der Ex des Freundes, von dem mir Sophie im Februar geschrieben hatte. Die Ex war damals ungefähr im 4. Monat schwanger – und der Freund schmiedete gleichzeitig mit Sophie Pläne über eine Familie, schwafelte von Heirat.
„Ich befinde mich derzeit in der schwierigsten Downphase, die ich bisher hatte … Ursache? Ich weiß es nicht“, schrieb Sophie. „Ich bekam im März dann auch Schlafprobleme bis Anfang August … wenns gut lief insgesamt 2-3 h geschlafen. 2-3 Tage wach war nicht mehr unnormal … abschalten ging nicht mehr. Ab 12 Uhr gearbeitet meist bis 23 Uhr… – freiwillig Juli, dann Diagnose Burnout die ich hinnahm aber ehrlich? … ich glaube nicht dran. Ja ich bin nicht mehr wirklich leistungsfähig bzw. belastbar aber es liegt größtenteils daran das ich kaum Zeit für einen Ausgleich habe und hier sowieso alleine lebe und jetzt nach knapp 12 Monaten anfange, den Ort kennenzulernen.“
Für mich stand außer Frage, dass die Trennung und vor allem die erneute heftige menschliche Enttäuschung die Gründe waren für die Schlafprobleme und Sophies rauschende Talfahrt. 2010 erlebte ich selbst drei Monate, in denen ich maximal 1-3 Stunden pro Nacht schlief. Genau wie bei Sophie ging eine extreme menschliche Enttäuschung voraus. Immer wieder dachte ich beim versuchten Einschlafen: „Wie kann ein Mensch so falsch sein …“
Doch Sophie wollte keinerlei Zusammenhang sehen zwischen dem „Übrigens werde ich Papa mit meiner Ex“ und den schlaflosen Nächten: „Es lag definitiv nicht an der Trennung. Hingenommen und alleine weiter gemacht. Mir ist das ehrlich gesagt alles Schnuppe und ich bin sehr gleichgültig geworden was auch okay ist.“
Mein Schlaf kehrte 2010 erst zurück, als ich mir sagte: „Ach egal, ob ich diese Nacht schlafe, leg ich mich halt tagsüber hin … Scheiß drauf …“ Meine Selbstständigkeit machte dies möglich, Sophie musste weiterhin auf Arbeit funktionieren. Ohne Gleichgültigkeit hätten sich meine Schlafstörungen immer weiter gezogen, weil ich weiterhin im Stressmodus gewesen wäre: „Du musst doch endlich mal wieder schlafen!!!“ Stresshormone verjagen aber Schlafhormone. Als der Schlaf zurückkam, blieb eine Leck-mich-am-Arsch-Einstellung, offenbar ein Selbstschutz der Psyche. Genauso blieb eine permanente Benommenheit bis heute, als würde man nachts um 2 aufstehen: Man funktioniert, aber irgendwie ist man nicht klar da.
Und es zeigten sich in der Zeit nach den schlaflosen Monaten zwei Autoimmunerkrankungen. In meinem Blut fanden sich Antikörper, die die Schilddrüse angreifen können und verschiedene Stellen meiner Haut wurden nicht mehr braun im Sommer, Diagnose: Vitiligo. Und auch hier sollte sich bald eine Parallele finden zu Sophie, nur dass es sie deutlich heftiger erwischte.
Wieder verschwand Sophie, dieses Mal nur einen Monat. Anfang Oktober 2020: „War heute beim Arzt… Verdacht auf Blutarmut… richtig nett.“
14 Tage später: erhöhte Entzündungwerte. Sophie beschrieb nun auch Symptome, die sie seit der Schlafentzug-Phase hatte: Schwindel, kraftlose Beine, unwillkürliche Zuckungen, neuerdings „zeitweise Blindfisch“: „Ich falle ab und zu um, vors Waschbecken, gegen Küchenschränke, vors Sofa, auf dem Weg zum Klo. Montag lag ich halb aufm Sofa und wurde hochgezogen, weil ich am Zucken war. Ich bin dann sofort wieder ansprechbar und kann reagieren. Passiert meist 1 bis 2 Mal am Tag. Licht aus und Tschüss.“
Wieder zwei Wochen später: Sophie schickte mir Fotos von der Kardiologie-Abteilung – nicht als Pflegerin, sondern als Patientin: „Es liegt wahrscheinlich eine Verengung der Halsschlagader vor. Am Mittwoch geht es wohl auf die Neurologie, Schädel-MRT war auffällig, Verdacht auf Multiple Sklerose.“
Vier Tage später: „MS konnte ausgeschlossen werden, dafür wurde eine hochgradige Gefäßwandentzündung festgestellt. Da bekomme ich demnächst Kortison. Macht ja nur das Immunsystem kaputt xD Nach der Entlassung gibts engmaschige Kontrolle beim Gefäßdoc. Ultraschall auch erledigt, um zu sehen, ob die Gefäße sich geweitet haben. Ist eher selten mit dieser Gefäßwandentzündung im europäischen Raum. Die Ärzte können es sich nicht erklären, da ich weder rauche, nur selten Alkohol trinke und relativ gut auf meine Ernährung achte. Drogen auch nicht. Und trotzdem Aneurysma im Kopf … Durch das bin ich umgekippt, weil das Hirn nicht richtig versorgt wird. Am Hals verengte Schlagadern, da bekomme ich Stents eingesetzt. Bluthochdruck am Bein, zu niedriger Blutdruck in den Armen. Gutartige Zyste am Eierstock, paar Gallensteine. Weiter arbeiten in der Pflege wird mir abgeraten, Ausbildung alles umsonst. Bekomme hier einige Mitleidsblicke.“
Zwei Tage später: „Bleibe länger. Ultraschall ergab, das es zwar eine Verbesserung gab aber auch gleichzeitig eine Verschlechterung. Irgendwann schaltest du ab und verdrängst, was der Doc zu dir sagt und lässt nur noch zu. Nach der Entlassung komme ich wenige Wochen später nochmal für einige Tage her … um dann kurz darauf ambulant weiterzumachen. Wurde heute entschieden.“
Einen Tag später: „Diagnose steht fest: Vaskulitis.“
Bei dieser Autoimmunerkrankung greifen körpereigene Zellen die Wände der Adern an. Die Gefäßwandentzündungen bei Sophie, die sich die Ärzte bis dahin nicht erklären konnten, waren nun kein Rätsel mehr – aber ein großes Problem. Autoimmunerkrankungen sind bisher nicht heilbar, man kann nur versuchen, die Symptome abzufedern. Und es gibt immer wieder Schübe, also Phase, in denen der Körper sich selbst stärker angreift. Bei Vitiligo wird dann das optische Problem größer, bei Adern wird es lebensgefährlich.
Wir hatten also beide eine heftige menschliche Enttäuschung, anschließend drei Monate massive Schlafstörungen und wenig später tauchten Autoimmunerkrankungen auf. Schwer zu glauben, dass die Erkrankungen auch ohne die Enttäuschungen aufgetaucht wären.
Einen Monat später, Mitte Dezember 2020, meldete sich Sophie kurz von Zuhause und beschrieb den nächsten Klinikaufenthalt: eine Infusion, welche die Autoimmunerkrankung in Schach halten soll und das Setzen der Stents in die linke Halsschlagader – „die rechte ist ja nicht mehr zu retten, Gefäße zu sehr betroffen, das dort ein Eingriff wenig Sinn macht. Option Bypass.“
Einen Tag vor Weihnachten postete sie ein Bild von sich bei Facebook, wieder aus der Klinik: Schlaganfall. Die Folge: eine Dysphasie: „Ich weiß was ich sagen möchte, aber kann nicht.“ Mit dem Lesen war sie schnell überfordert. In den drei Wochen danach antwortete Sophie selten und nur mit ein, zwei Wörtern. Auf meine Frage „Wie ist die Lage?“ kam: „Geht es …“ Auf meine Antwort bekam ich keine Reaktion mehr.
Heute, fast vier Jahre später, ist Sophie für mich gleichzeitig lebendig und tot, wie Schrödingers Katze. Ich weiß nicht, wie es weiterging. Und ich weiß nicht, was ich mir wünschen soll, wie es weiterging. Ich könnte ihre Schwester anschreiben und fragen, ob Sophie noch lebt und wenn ja wie. Aber ich weiß nicht, welche Antwort ich erhoffen soll.
Wenn Sophie über die Misshandlungen durch ihre Familie schrieb, über die psychischen Folgen, wenn sie mir Bilder ihrer Selbstverletzungen schickte und ihre Suizidgedanken andeutete, wünschte ich mir für sie einen riesigen Stinkefinger, den sie ihrer Familie hätte zeigen können: „IHR bekommt mich nicht klein! Ich werde leben! Ich werde älter als 27!“
Andererseits schien mir das Leben für sie ein einziger Kampf zu sein, den sie nie und nimmer gewinnen konnte. Wie so viele andere suchte sie doch noch Zuneigung in ihrer Familie – wie bei so gut wie allen wäre das ein sich nie erfüllender Wunsch geblieben. Mit ihrem kaputtgeschlagenen Selbstbewusstsein würde sie immer wieder bei Typen landen, die sie früher oder später enttäuschen. Wo auch immer sie Halt suchte, landete sie hart auf dem Boden. Mit der Gefäßentzündung hätte sie wohl immer zwischen Leben und Tod gestanden – oder sie steht. Ist Sophie Geschichte? Ist ihre Geschichte zu Ende? Ging sie weiter?
Für mich lebt sie und ist gleichzeitig tot. Wie Schrödingers Katze. So kann ich glauben, sie wäre von allen Sorgen befreit oder hat doch noch eine Chance, glücklich sein zu können. Vielleicht liegt sie nach weiteren Schlaganfällen dauerhaft in einem Bett, betreut von einer Altenpflegerin in Ausbildung, so wie Sophie einst eine war. Diese Fortsetzung der Geschichte würde ich ungern lesen, aber sie würde zu Sophies Leben passen. Und so werde ich es wohl dabei belassen: Der Karton bleibt geschlossen.
Sophies Geschichte wird mich zusammen mit all den anderen Geschichten immer dafür eintreten lassen, dass werdende Eltern ab dem Zeitpunkt, zu dem die Schwangerschaft feststeht, psychologisch betreut werden bis das Kind 18 ist. Ziel der Betreuung soll sein, Persönlichkeitsstörungen und Verletzungen aus der Kindheit der Eltern zu erkennen und zu behandeln, so dass das Kind eine viel bessere Chance hat, das Kinderzimmer mit einem gesunden Selbstwert zu verlassen. Ein solcher Mensch wird weder eine toxische Beziehung eingehen müssen, noch mit seinem selbstsüchtigem Verhalten einen anderen Menschen so krank machen wie Sophie.
Das letzte Wort überlasse ich ihr, „meinem Küken“, wie ich sie manchmal kopfintern bezeichnete. Vielleicht steckt ja auch darin des Rätsels Lösung, warum ich nichts mehr von ihr höre. Ein Jahr nach unserem ersten Kontakt hatte die mir damals 18-Jährige geschrieben: „Du bist fast der Einzige dem ich alles erzähle…Die Fragen stellen. Um Rat / Hilfe bitte. Und das länger wie nur 3 Monate oder so… Mein Kreis ist so klein, weil ich irgendwann nicht mehr mit Personen zurecht komme. Irgendwas stört mich dann und dann bin ich gestresst … Ende ist meistens dann der Kontaktabbruch.“
Den Blick hinter die Gardinen mit 80 weiteren Biografiesplittern gibt es in meinem Buch:
Wer Menschen verstehen will, muss ihnen zuhören, sie beobachten, hinter die Fassade schauen: Warum heiraten wir? Sind Frauen von Natur aus gute Mütter? Was erlebt man bei der Partnersuche? Wem verdanken Elon Musk und Kanye West ihre Erfolge? Was treibt andere Prominente an – und was ist dein eigener Antrieb? Fallen psychische Erkrankungen vom Himmel? Warum steht jemand 5 Stunden unter der Dusche? Wieso glaubt Käpt´n Crazy, die Chinesen würden kommen? Sind Krankenhäuser tatsächlich Hurenhäuser? Warum verheimlicht eine 50-Jährige, dass ihr Vater soff?
Mit den Antworten auf diese Fragen wird unerklärliches Verhalten entzaubert. Kein Hashtag, kein Gendern und keine Kampagne wird diese Welt retten können. Erst wenn wir einsehen, wie wir ticken, kann sich etwas verändern. Komm mit auf eine Reise, die Dich verändern wird!
Das Buch gibt es bei bod.de, bei Amazon, genauso bei allen anderen Onlinehändlern. Du kannst aber auch beim Buchhändler um die Ecke danach fragen. Die ISBN: 9783 7557 0721 9. (Da sich bisher kein Verlag interessiert hat, werden keine Exemplare zum Mitnehmen rumliegen, deshalb bitte vorerst direkt im Laden bestellen.)
Sophie lebt – und ist tot. Was besser ist für sie? Ich weiß es nicht.
„Da war nichts.“ Meggie hatte eine schöne Kindheit, dennoch geht es ihr schlecht. Warum?! Dann erwacht der Elefant.
„Ich habe mich gefreut, wenn Papa fünf Minuten Zeit für mich hatte.“ Jens hat den Arbeitseifer seines Vaters geerbt und wird in sechs Jahren sterben.
Elon Musk, Kanye West, Mel Gibson – denen ist doch allen der Erfolg zu Kopf gestiegen! Die spinnen doch einfach nur! Willst du mit ihnen tauschen?
„Warum hat er mich nicht lieb? Bin ich einfach ein Nichts?“ Diese Fragen stellt sich Katis jüngerer Sohn und denkt dabei an seinen Vater.
Suizid kann Freiheit bedeuten. 2020 hat Ulli die erste freie Entscheidung seines Lebens getroffen. Dieser Neubeginn bedeutete seine Freiheit. Und sein Ende.
Saskia gibt mit Ü40 die Hoffnung nicht auf, von ihrer Mum ein nettes Wort für ihr Dasein zu hören. Bettina bekam mit 20 ein Kind, um ihrem Elternhaus zu entkommen – und lebt seitdem in den gleichen Verhältnissen.
Natascha Kampusch als Hassobjekt?! Das macht keinen Sinn – doch beim Zuhören erklärt sich auch beim Thema Hass, wie sich unsere „Special Effects“ entwickeln.
Annie ist 16, 1,70 m, 40 kg. Ihr Vater versteht nicht, warum sie nicht einfach mehr isst. Er selbst steckt jeden Monat 500 Euro in sein Onlinespiel. Annies Mutter vermeidet Diskussionen mit ihm über ihr Rauchen. Verstehen des jeweils anderen? Fehlanzeige.
Die einen waschen ihre Firma grün, die anderen leben beim Yoga ihren Narzissmus aus. Was steckt hinter dem Gendern?
Wer Frauen sichtbar machen will, muss das komplette Bild ins Scheinwerferlicht rücken – auch die Schattenseiten.
Wo in der Geschichte sind die ganz konkreten Beispiele dafür, dass Appelle an die Vernunft etwas zum Guten verändern? Mein Vater kann nicht gemeint sein.
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Knapp 18 Mio. Menschen werden pro Jahr wegen psychischer Erkrankungen behandelt. So etwas können Parteien doch nicht ignorieren, oder?
Frage: Was muss passieren, damit diese Welt weniger verrückt ist? Antwort: Wir müssen zuhören lernen. Oder wir verbieten das Kinderkriegen.
Jochen wäre fast ertrunken, der Vater zerrte ihn wieder ins Wasser. Opfer und Täter, weiß und schwarz. Doch ist es wirklich so einfach?
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Und wieder glauben wir, Erwachsene umerziehen zu können – und wieder haben wir nichts aus der Geschichte gelernt.
Er verfolgt dich, er bespitzelt dich, er glaubt dir nicht, du machst Schluss mit ihm. 10 Jahre später sitzt du mit ihm und euren beiden Kindern am Frühstückstisch.
In dieser Welt passiert vieles, was aufgedeckt gehört. Gibt es jedoch zu einem Ereignis 101 unterschiedliche Wahrheiten, dann werde ich nachdenklich.
Die Welt wird von einer unsichtbaren Macht geleitet – sagen nicht nur Verschwörungsanhänger, sondern Milliarden Menschen.
Er baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Sie spricht vom Angriff der Roboter. Wenn du ihre Geschichten kennst, wirst du sie verstehen.
„Als ich Krebs hatte, bekam ich Mitleid, Zuspruch und Unterstützung. Als Depressionskranke war ich immer die faule Sau.“
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Als Robert Enke durch Suizid starb, herrschte große Trauer. Doch längst jagen wir seine Nachfolger Richtung Abgrund.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
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Anfang 2022 hatte ich es endlich geschafft: Ich schmiss mein Buch „Verrückt – ein Aufschrei“ auf den Markt, an dem ich Monate bis Jahre gesessen hatte. All die Geschichten derer, für die sich kein Schwein interessiert, füllten 700 Seiten – mehr waren von der Druckerei her nicht möglich. Die Moral all dieser Geschichten: Jede psychische Erkrankung entsteht durch einen Einschlag in der Kindheit. Ich bin nicht der Entdecker dieser Erkenntnis, sie ergibt sich aus dem Zuhören und dem Vorgehen der Psychologen. Bei ihnen geht es immer um die Kindheit. Nicht, weil sie gern lustige Geschichten von kleinen, süßen Zwergen hören möchten, sondern weil sie eben aus Erfahrung wissen, wo der rote Faden anfängt, der sich in Depressionen, Zwangsstörungen, Selbstverletzungen, Sucht, Selbstzweifel usw. fortsetzt.
Im Sommer 2024 konnte ich dies aus erster Hand recherchieren. Mein Körper machte in den Jahren zuvor immer weniger das, zu was er eigentlich in der Lage gewesen sein sollte. Während ich 2016 jeden Tag bei Wind und Wetter 6, 7, 8 km wanderte, schaffte ich inzwischen keine 500 m mehr aller paar Tage, ohne dass sich die Muskeln im Nachhinein darüber beschwerten. Um herauszufinden, wo der Hase im Pfeffer liegt, ging ich in eine psychosomatische Klinik. Für mich war es schwer vorstellbar, dass es keine organische Ursache gibt, dass alles „nur“ von der Psyche kommt. Ja, meine Kindheit war reich an Einschlägen und auch als Erwachsener hagelte es unregelmäßig Fäkalien in die Trompete. Aber wieso sollte ich deshalb kaum noch laufen können?
„Was der Kopf nicht verarbeiten kann, muss der Körper ausbaden“, so sagte es mir meine Psychologin in der Klinik. Hmm. Da ich inzwischen alles Mögliche an Diagnostik der Organe ohne Befund hinter mir hatte, fing ich an, diesen Satz zu glauben. „Sie müssen sich mehr um sich selbst kümmern“, war ein weiterer Satz, der in den Therapiesitzungen fiel. Ich hatte von einem ziemlich kleinen Teil jener Menschen erzählt, deren Geschichten ich über die Jahre zuvor gesammelt, ihnen zugehört hatte. Geschichten, die Psychologen täglich zu hören bekommen, aber sie haben ihre Techniken, damit es sie mit der Zeit nicht erschlägt. In mir steckten diese Geschichten nebst meiner eigenen. In meinem Buchtitel heißt es nicht umsonst „… – ein Aufschrei“. Das Buch war mein Versuch der Selbstreinigung, des Alarmschlagens, des „Hört doch endlich mal zu!“ – doch weder Journalisten noch Buchverlage wollten davon etwas wissen. Also muss mein Körper das ausbaden, was der Kopf nicht verarbeiten kann.
In der Klinik stellte ich mich deshalb in den Mittelpunkt meines Denkens – ich war aber auch einfach zu platt fürs weitere Zuhören. Und so fragte ich Mitpatienten keine Löcher in den Bauch über deren Geschichten, blieb so gut es ging bei mir.
Mit drei Mitpatienten (zwei Männer, eine Frau) erlebte ich lustige Abende. Wir saßen meist im Speiseraum zusammen und spielten. Unsere inneren Kinder kamen dabei nicht zu kurz. Jene Kinder, die in ihrer Kindheit nicht das bekamen, was Kinder bekommen sollten: Zuneigung, Anerkennung, Liebe von BEIDEN Elternteilen.
„Wie die Kinder“ ging es unter uns vieren auch zu, als eine neue Patientin auf Station kommen sollte. Sie wurde mit Anfang 30 angekündigt. Mein Hang zu ganz leicht jüngeren Frauen war allseits bekannt – auch, dass ich mich bis Mitte 40 erfolgreich von Frauen jeglichen Alters hatte fernhalten können. Und so hieß es von meinen Spielgefährten: „Die Meggie setzen wir im Speiseraum neben dich!“
Dutzende, furchtbar kindische Witze später saß sie dann neben mir. Ich war heilfroh, dass keiner dieser netten Leute nun einen dieser Witze neu auflegte und wir uns nicht vor Lachen auf den Boden legen mussten. Wer in eine solche Klinik kommt, hat äußerst selten ein stabiles Selbstbewusstsein und wenn du als „Die Neue“ dann scheinbar ausgelacht wirst, könntest du schnell wieder deinen Koffer packen, nur weil so ein paar Kinder im Alter von 30 bis 50 anwesend sind.
Doch Meggie wurde schnell warm mit uns Kindern. Gleich am ersten Tag war sie dabei bei einem weiteren Spieleabend. Die Kinder waren inzwischen ins Jugendalter gekommen und spielten „Flaschen drehen“. Eine Menge von eher eindeutigen als zweideutigen Fragen wartete auf Antworten: „Wie viele Menschen hast du leidenschaftlich geküsst?“ bis „Welches ist deine Lieblingsstellung?“ Nirgends geht es lustiger zu als in einer psychosomatischen Klinik.
Meggie machte mit, sie wirkte nicht peinlich berührt, ergriff nicht die Flucht – was ich durchaus verstanden hätte. Oft hatte sie ein spitzbübischen Lächeln auf den Lippen. Und immerhin hatte sie damit das Schlimmste hinter sich, denn meine drei Spielkameraden verließen zwei Tage später die Station.
Jede psychische Erkrankung entsteht durch einen Einschlag in der Kindheit. Das sagte ich auch Meggie in einem unserer ernsteren Gespräche. Sie kam mit der Diagnose Borderline in die Klinik, war zuvor auch schon in einer anderen. Borderline war für mich Neuland, ich hatte bis dahin niemanden, der mir aus seinem eigenen Leben darüber etwas erzählt hatte – zumindest glaubte ich das.
Meggie sagte mir, dass sie schwer neue Kontakte halten kann. Nach ca. drei Monaten lässt sie neue Verbindungen meist einschlafen. Das erinnerte mich sofort an eine Frau, mit der ich fünf Jahre zuvor immer mal wieder Kontakt hatte. Anne war 18, als sie mich anschrieb – ich verstand nicht, was sie mit mir altem Knochen wollte. Mit der Zeit wurde das Bild rund. In ihrer Familie hatte sie nur Gegner, Anne war der Sandsack für alle und schon mit 12 stand sie auf dem Balkon, zum Absprung bereit.
Ca. vier Jahre nach unserem ersten Kontakt schrieb sie mir: „Du bist fast der Einzige, dem ich alles erzähle…Die Fragen stellen. Um Rat / Hilfe bitte. Und das länger wie nur 3 Monate oder so… Mein Kreis ist so klein, weil ich irgendwann nicht mehr mit Personen zurecht komme. Irgendwas stört mich dann und dann bin ich gestresst … Ende ist meistens dann der Kontaktabbruch.“ Ich las Meggie diese Sätze vor und sie konnte es 1:1 nachvollziehen. Es sei typisch bei Borderline.
Als ich sagte, dass Anne mir ein Foto geschickt hatte, auf dem ein geritzter Unterarm zu sehen war, sprach Meggie von ihren eigenen Selbstverletzungen. Auch diese seien bei Borderline typisch. Normalerweise spreche sie nicht mit anderen darüber, weil sie bisher meist nur verständnisloses Kopfschütteln erntete. Ich erinnerte mich an einen Satz einer Verwandten, den auch eine Frau von einem Onlinedate mir gesagt hatte bezüglich ihrer Selbstverletzungen: „Der Schmerz zeigt, dass ich lebe.“ Auch dies konnte Meggie unterschreiben. Ja, diese Selbstverletzungen seien völlig sinnlos, das würde ihr natürlich auch jedes Mal klar, nachdem es passiert ist. Aber in dem Moment, wo es passiert, sei es wie eine Sucht und jegliche Vernunft hat in dieser Minute keine Chance.
Hätte ich anderen nicht zugehört, dann hätte ich nichts gewusst über all das, was Meggie mir erzählte und ich hätte vermutlich so reagiert, wie viele reagieren: Kopfschütteln. Nur weiß ich heute: Alles hat einen Grund, so unvernünftig es auch sein mag und dieser Grund ist immer in der Kindheit zu finden.
„Da war nichts.“ Meggie zuckte mit den Schultern und schien sich ein klein wenig über meine großen, ratlosen Augen zu freuen. Sie zerriss einfach mal so die 700 Seiten, an denen ich so hart gearbeitet hatte. „Meine Eltern sind selbst unter gewalttätigen Eltern groß geworden und sie wollten ihren eigenen Kindern das nicht antun. Sie haben uns Kindern viel Freiraum gelassen, haben uns auch aus dem größten Blödsinn rausgeholt, ohne uns danach die Ohren langzuziehen. Ich hatte eine schöne Kindheit.“
700 Seiten. Für die Tonne. Ich schrieb einer Freundin: „Wenn Meggie nicht irgendwas aus ihrer Kindheit extrem verdrängt hat, kann man bei ihr nicht sagen: An der Stelle haben die Eltern versagt und dort ist die Ursache für die Erkrankungen.“
Immerhin war ich mit Meggie in einem Punkt vereint: Auch sie suchte nach der Ursache für ihre körperlichen Probleme, von denen es eine Menge gab und die sie arbeitsunfähig machten.
In einem weiteren „Küchengespräch“ erzählte Meggie vom Tod ihrer Oma, als Meggie 15 war. Die Eltern hatten ihr nicht gesagt, dass es mit ihrer Oma zu Ende geht, so dass Meggie nicht Abschied nehmen konnte, was sie ihren Eltern stark verübelte. „Na dann ist das vielleicht der Grund für deine Probleme?“, stellte ich den Raum. Ganz geschlagen wollte ich mich mit meiner Einschlag-Erkenntnis nicht geben. Dass Meggie mir die Geschichte um ihre Oma unter Tränen erzählte, zeigte, dass die Wunde da war. Von ihrer Therapeutin bekam sie als Hausaufgabe, einen Abschiedsbrief an ihre Oma zu verfassen, um darin all das zu sagen, was sie ihr noch hätte sagen wollen. Auch sollte sie mit ihren Eltern über die Enttäuschung sprechen, die durch das Verschweigen entstanden war und wohl noch immer rumorte.
Aber reicht das für Borderline, für Selbstverletzungen? Reicht das für diese ständigen Selbstzweifel, das ständige „Ich bin schuld“ bei jeglichem Anlass, von dem Meggie mir erzählte? Hatte sie schlechte Gene, die aus einer großen Mücke einen Elefanten gemacht hatte?
„Als ich 9 war, hat mein Vater uns verlassen für eine andere.“ Meggie sagte dies fast beiläufig, als wir wieder zusammensaßen. „Ich war sooo wütend auf ihn. Und ich dachte, dass das ganz klar meine Schuld ist.“
Ich sah Meggie wie versteinert an: „Ähm, in deiner Kindheit ist also nichts passiert?!“ Sie musste grinsen und mir rauschten diverse Felsbrocken von meinem Herzen: Ich brauchte die 700 Seiten doch nicht einstampfen. Nach einem Jahr kehrte ihr Vater in die Familie zurück, bereute seinen Irrweg, aber klar, der Einschlag war da. In der Schule erlebte Meggie Mobbing, war aber zunächst auch selbst Täterin.
Auf jeden Fall: Rätsel gelöst.
Meggie wirkte meist eher unbeschwert, das spitzbübische, fast schon kindliche Lächeln auf den Lippen, wenn es ihr gut ging. Wenn es ihr mies ging – und sie es nicht überspielen konnte, war es deutlich zu sehen. Sie war inzwischen vielleicht zwei Wochen in der Klinik, als sie mit verheultem Gesicht zum Mittagessen kam. Auch während des Essens konnte sie sich nicht beruhigen. Ich versuchte, meinem Plan treu und bei mir selbst zu bleiben. Doch wenn neben mir jemand so mit sich kämpft, kann ich nicht einfach mit meinem Tablett aufstehen und gehen. Als die meisten Mitpatienten aus dem Raum waren, fragte ich leise, was los ist.
„Ich sehe ein Bild vor mir seit ein paar Tagen …“ Meggies Stimme war kaum zu hören und mit dem Kampf gegen die Tränen, die weiterhin liefen, überlagert. Auf meine Frage, was sie sieht, konnte sie nur sagen: „Ich sehe einen Raum, verschwommen … Jeden Tag wird das Bild ein bisschen deutlicher.“
Ob sie sagen könne, wie deutlich das Bild in Prozent sei, raunte ich.
„Vielleicht 60% heute.“
Meggie konnte keine Details nennen, nur, dass es eher dunkel sei und sie ein Kind war. Ich stellte mir ein Kellerabteil vor, fragte aber nicht nach solchen Details. Schon das, was sie jetzt sah, schien mehr als genug für sie zu sein. So, wie dieses verschwommene Bild in ihr arbeitete, blieb ich bei einer einzigen Vermutung hängen. Diese sprach ich nicht aus, ich war kein Fachmann, sondern Laie und nur wegen „Ich sehe einen Raum“ und den Tränen einen „Tipp“ abzugeben, schien mir völlig unangebracht, auch wenn ich mit meiner Intuition selten danebenliege.
Das Bild wurde mit jedem Tag etwas deutlicher und Meggies Kampf ging jeden Tag in eine neue, härtere Runde. Seit Jahren konnte sie nachts kaum schlafen, immer erst gegen 4 bis 6 Uhr, die Gründe waren unbekannt. Weder Körper noch Kopf bekamen in all der Zeit die Erholung, die es braucht. Und jetzt raubte dieses schärfer werdende Bild Energie, die in Meggie kaum vorhanden war. Die feuchten Augen und die kämpfenden Mundwinkel wurden häufiger, unbeschwerte Momente seltener.
Mit einem Mitpatienten versuchten wir, Meggie ein wenig Halt zu geben, sie ab und zu für ein paar Minuten auf andere Gedanken zu bringen, ohne dass es krampfhaft wurde. Auf dem Klinikgelände gab es einen Feldhasen, der eine gute innere Uhr zu haben schien. Gegen 20 Uhr tauchte er an einem Baugelände auf, manchmal mit Anhang, wir tauften ihn den 8-Uhr-Hasen. Mit Meggie und dem Mitpatienten gingen wir auf „Hasenjagd“. Wir Männer schwärmten von Hasenbraten, entwickelten Rezeptideen, während Meggie Meister Lampe um jeden Preis verteidigen wollte. Ich überlegte laut, ob mir eine Hasenpfote zu Liebesglück bei einer Mitpatientin verhelfen könnte und dass der Hase damit sicher einverstanden wäre, weil er mir jegliches Glück gönnen würde – Meggie sah das anders.
Natürlich ersetzte die Hasenjagd keine Therapieminute. Bei ihrer Psychologin konnte Meggie das Bild, das jeden Tag deutlicher wurde, nicht ansprechen. Sie hatte Angst, dass in dem Moment der komplette Staudamm in sich zusammenstürzen und Meggie in den Wassermassen ertrinken würde. Noch immer war nicht das Wort ausgesprochen worden, um welches es zu gehen schien. Noch immer hielt ich mich selbst beim Aussprechen zurück, auch wenn ich mir inzwischen sicher war, um was es geht. Ich hoffte, Meggie würde es als Erste über die Lippen bringen. Und ich hatte Angst, dass ich den Staudamm einreiße, wenn ich das Wort in den Mund nehme. Meggie wirkte eh schon jeden Tag näher am Ertrinken, ohne dass der Damm brach, der 20 Jahre unerschütterlich zementiert stand.
Nur irgendetwas musste passieren. Meggie ging zu ihrer Therapeutin, sie sprachen über Oma und Eltern – aber nicht über den gigantischen Elefanten. Dabei war ER es ja, der alles erklären würde. Er war der Einschlag in der Kindheit. Wegen ihm war sie hier – und wusste 20 Jahre nichts von ihm.
Sie vermied das Wort weiterhin, was ich problemlos verstehen konnte. Ich ging dazu über, „M-Wort“ zu sagen, wenn es um den Elefanten ging. Der Versuch, ein paar Steinchen vom Damm zu lösen, ohne dass er sofort explodiert. Für Meggie schien das in Ordnung zu sein und ich glaubte, dass es für sie auch befreiend sein müsse, wenn für uns klar war, um was es geht, ohne dass sie Einzelheiten nennen musste. Von denen gab es eh keine. Aus dem Bild des Raums wurde kein Video mit Handlung und Ton, es tauchte kein Akteur auf. Aber Meggie wusste, was in dem Raum auf dem Dachboden passiert war, auch das Haus kannte sie. Das Bild habe sie immer wieder ganz vage begleitet und irgendwie Unbehagen in ihr ausgelöst, aber den Grund erfuhr sie erst jetzt, 20 Jahre später.
An einem weiteren Sommerabend ging mein Mitpatient und ich zum Garten der Klinik, unweit des Hasen-Reviers, Meggie wollte hinterherkommen. Wir saßen auf einer Bank in der Sonne, als sie mit müden Beinen angeschlichen kam, wieder feuchte Augen und Wangen. Ihr Zustand war einfach übel, ein totaler Zusammenbruch schien nur eine Frage von Tagen. Noch immer wussten nur wir beiden Männer von dem, was in ihr so unglaublich arbeitete.
Später erfuhr Meggie, dass gerade Traumatisierte einen inneren Kreis von Menschen haben, denen sie sich anvertrauen können. In diesen Kreis passen oft nur ein, zwei Personen hinein. Einerseits ehrte es uns ja, dass Meggie ausgerechnet zwei Männern so sehr vertrauen konnte, obwohl sie damit bisher immer Probleme hatte – der Grund war nun klar. Andererseits konnten wir nicht helfen und Hilfe war dringendst nötig.
Wir stellten uns in den Garten, grübelnd, wie es weitergehen kann. Ich fragte Meggie, ob es für sie in Ordnung wäre, wenn wir für sie das Eis brechen würden. Der Plan war, der diensthabenden Schwester zu sagen, dass Meggie mit ihr reden müsste. Mit dieser Schwester kam sie gut klar, sie gehörte zu jenen, die über Empathie verfügen. Es sollte der kleine Schubs werden, der „die Sache“ ins Rollen bringt. Wenn die Schwester erst mal weiß, worum es geht, wird es die Therapeutin erfahren und diese hätte genug Erfahrung, wie ab da weiter zu verfahren ist.
Nach einem Besuch beim 8-Uhr-Hasen gingen wir wie die drei Musketiere Richtung Klinikgebäude. Okay, es fühlte sich schon arg seltsam an, Meggies Beine waren eher weich wie gekochte Nudeln statt stahlhart wie ein Säbel, Stress pur in ihr. Der Schwester kam es ein bisschen wie Kasperletheater vor, als wir drei vor ihr standen, wie wir später erfuhren. Aber wir hatten bis dahin keine Übung darin, wie man einem Missbrauchsopfer helfen kann, das Ende des Verdrängungsprozesses zu starten. Meggie sprach lange mit der Schwester, unter vielen Tränen. Diese trockneten auch danach nicht so schnell, aber Meggie war froh, dass der Elefant nun einen Namen hatte.
Das M-Wort kam ihr weiterhin nicht über die Lippen. Ich fragte sie, ob es für sie ein Anfang wäre, wenn sie „Ich bin ein Missbrauchsopfer“ sagt statt „Ich wurde missbraucht“, dann wäre ganz klar, wer Täter und wer Opfer war. Meggie gab sich andauernd die Schuld für alles Mögliche und mir gefiel der Gedanke überhaupt nicht, dass sie sich auch für das, was ihr mit 10 passiert war, Schuld zuschreiben könnte. Über die Jahre hatte ich immer wieder gehört, dass Opfer sich mit „Ich war daran schuld“ rumschleppen. Meggie konnte mit der Idee leben, doch es sollte dauern, bis sie es sagen konnte.
Jede psychische Erkrankung entsteht durch einen Einschlag in der Kindheit. So, wie ich Meggie weiterhin und zunehmend leiden sah, hätte ich sie gern als Gegenbeispiel genommen. Dann gibt es eben in einem von 100 oder 60 Fällen keinen Beginn des roten Fadens im Kinderzimmer. Mein Buch wäre trotzdem nicht gleich für die Tonne gewesen. In ihm findet sich die Geschichte von Claire. Mit 9 Jahren bekam sie erste Angstanfälle. Mit Männern schlief sie als Erwachsene nie aus Liebe oder aus eigenem Bedürfnis. Immer tat sie es, weil sie meinte, man erwarte dies von ihr und sie müsse es tun, damit der Mann zufrieden ist. Machte einer sie an, stieg in ihr das Schuldgefühl auf, ihm zu Willen sein zu müssen. Entsprechend groß wurde die Zahl der Männer, mit denen sie ins Bett ging.
Dieses von ihr selbst als gestört empfundene Verhalten war für Claire ein völliges Rätsel – bis ihr ein Mann über den Weg lief, als sie sich mit ihrem Sohn in einem Geschäft umsah. Mit einem Schlag war der Film wieder da, der in der Kindheit entstanden und bis zur Begegnung mit diesem Mann tief im untersten Fach ihres Unterbewusstseins hinter dicken Türen lag. Für Claire stand fest: Dieser Mann war Täter an ihr. An dem Tag, an dem Claire im Freien zum Opfer wurde, herrschte Wind. Als Erwachsene fiel Claire immer wieder um, wenn sie in Zugluft stand. Jetzt war für die Ärzte der Grund klar. Wind bedeutete Gefahr: „Gleich passiert was Schlimmes, also abschalten.“
Dass ich jemals selbst live dabei sein würde, wenn bei einem Missbrauchsopfer der alte Film aus dem Giftschrank des Unterbewusstseins geholt wird, hatte ich nicht im Geringsten erwartet. Wie oft kommt das schon vor, dass ein solcher Einschlag so lange verdrängt werden kann zum vermeintlichen Schutz des Opfers? Häufiger, als ich denke, aber es ist kein Thema, wie so vieles bei psychischen Erkrankungen? Wenn wir schon mit Depressiven nicht umgehen können, wie soll das erst aussehen bei Claire, bei Meggie?
Im Buch zitiere ich eine Frau, die 14 Jahre nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall so im Arsch war wie nie zuvor. Ihre Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung. Wann immer sie ihre Geschichte erzählte, hörte sie als Reaktion: „Aber nach xx Jahren musst du das doch mal hinter dir lassen können?!“ Vielleicht hätte Hanna das gekonnt, wenn beim Unfall nicht ihre 4 Wochen alte Tochter auf dem Rücksitz gesessen und nicht wie tot gewirkt hätte. Für Hanna war klar, dass ihr Kind tot ist, doch Constanze hatte einfach tief geschlafen. 14 Jahre später: In Hannas Träumen stirbt Constanze auf unterschiedlichste Weisen noch immer. Wie sollst du etwas hinter dir lassen, wenn die Bilder dich ständig verfolgen?
„Siehst du den Täter?“, fragte ich Meggie irgendwann – „Oder würdest du ihn überhaupt sehen wollen?!“
Meggie verneinte beides. „Wenn ich wüsste, wer das war, dürfte meine Papa das nicht wissen, er würde den umbringen.“
Aber irgendwie hatten wir beide das beklemmende Gefühl, dass auch das Gesicht des Täters irgendwann auftauchen würde, so, wie es sich bis dahin gesteigert hatte. Für Meggie hoffte ich, dass mit dem Wachwerden der Bilder nun immerhin das Trauma bearbeitet werden kann. Der Gegner stand fest, also ran an die Arbeit, ihr Psychologen!
„Es wird Ihnen erst mal schlechter gehen, bevor es besser wird.“ So prophezeite es Meggies Psychologin aus ihrer Erfahrung.
„Noch schlechter?!“, fragte ich entgeistert. Meggie schien schon jetzt auf blutrotem Zahnfleisch zu kriechen. Wie sollte es ihr denn noch schlechter gehen?!
Nach 8 Wochen verabschiedete ich mich aus der Klinik, wenige Tage nach meinem Mitpatienten, der mit mir zu Meggies innerem Kreis gehörte. Als er ging, heulte Meggie und ich bekam einen Vorgeschmack, wie der Abschied zwischen uns aussehen würde. An meinem Entlasstag versuchte ich, schon im Vorfeld etwas Wind aus dem Segel zu nehmen und irgendwann versiegt jeder Tränenvorrat vorübergehend, wenn man im Tal der Tränen sitzt. Klar gab es feuchte Augen, aber ich war ja nicht komplett aus der Welt.
In den nächsten zwölf Monaten traf ich mich drei Mal mit Meggie, ansonsten schrieben wir. Mit den Monaten verstand ich, was die Psychologin meinte mit „Es wird Ihnen erst mal schlechter gehen, bevor es besser wird.“ Meggie konnte nicht mehr allein mit fremden Männern sein, ob Arzt, Anwalt, Psychologe. Sie bekam Anflüge von Panikattacken im Beisein mancher Männer, echte Panikattacken traten auch auf. Sie konnte nicht mehr mit anderen in einem Zimmer schlafen, auch nicht mit ihrer Schwester. Der Schlaf blieb eine Katastrophe – und wenn sie schlief, dann landete sie immer wieder in Albträumen. Aus dem verschwommenen Bild vom Anfang wurde ein Film, auch mit Ton. Das Gesicht des Täters tauchte auf.
Dissoziationen kamen hinzu. Diese beschreibt Meggie so: „Jeder kennt ja, dass man mal dasitzt und so vor sich hin träumt. So kannst du dir Dissoziation vorstellen. Du kannst dich normal mit mir unterhalten und dann kann es passieren von jetzt auf gleich, dass ich weg bin. Dann kann es passieren, dass ich einfach umfalle oder vom Stuhl kippe. Es gibt unterschiedliche Formen: Bei einer kannst du vor mir stehen, mit den Fingern schnipsen und alles machen, Witze erzählen – ich reagiere aber nicht mehr.
Normalerweise, wenn ein Mensch nicht mehr mit dir reden will, bewegt er ja trotzdem seine Augen, er hat Mimik, reagiert auf sein Gegenüber. Aber ich bin dann wie erstarrt. Das kann kurz sein, wo ich dann bewusstlos werde, wenn z.B. Männer im Raum sind. Da merke ich, wie mein Kopf immer weiter nach unten sinkt und ich versuche, mich aufzuraffen, mit Kühlakku, die mir jemand bringt. Eine Mitpatientin hat mich immer wieder mal angefasst, mich angesprochen, die konnte damit umgehen. Ich kann dir danach sagen, was du gesagt hast, also ich höre und sehe alles, kann aber nicht reagieren. Manche Schwestern haben da mit mir gesprochen und ich hätte die in der Luft zerreißen können wegen ihrer Ahnungslosigkeit. Wenn ich so dissoziiere, hab ich keine Kontrolle über meinen Körper. Wenn ich wieder zu mir komme, brauche ich ne ganze Weile, bis ich wieder alles bewegen kann. Hände und Beine sind da wie gelähmt, das ist typisch. Manche Schwestern haben meine Finger oder Füße bewegt. Durch Kühlakkus kommt Gefühl zurück.
Eine Mitpatientin hat eine andere Form der Dissoziation. Keiner darf sie anfassen, bis auf eine Ärztin und eine Schwester, sonst fällt sie um und ist weg. In der Gruppentherapie fällt sie immer wieder vom Stuhl, knallt dann richtig auf den Boden, ungebremst. Aber sie versteht dich auch. Wenn sie wieder zu Bewusstsein kommt, krampft sie, es schüttelt sie, sie knallt mit dem Kopf irgendwo dagegen. Da muss man dann schnell was zum Polstern haben. Sie kann dann länger nicht laufen, hat Schmerzen durch den Krampf. Ich hoffe, dass das nicht so wird bei mir. Die Ärztin sagte, am Anfang ist Dissoziation milde, kann dann schlimmer werden.“
„Sie haben noch Freunde?!“, fragte ihre Psychologin überrascht nach einigen Monaten. Normalerweise würden sich in dieser Phase die sozialen Kontakte stark ausdünnen. Die Selbstverletzungen gerieten in immer mehr Phasen außer Kontrolle, konnten sich dann für einige Zeit legen, bis es wieder suchtartig und nahezu unkontrollierbar wurde.
Stress bekämpfte sie u.a. mit Zucker, was ihr Übergewicht verstärkte. Der Blick in den Spiegel wurde dadurch noch mehr zum Verzweifeln. Als ich in dieser Zeit die Meinung einer Influencerin las, dass Übergewichtige an den Folgekosten beteiligt werden sollten, wenn es keinen medizinischen Grund gibt, wusste ich nicht, was ich denken sollte. Diese Frau hatte selbst mit Magersucht zu kämpfen. Warum sie diese Erkrankung hatte, dürfte ihr in einer ihrer sicher stattgefundenen Therapien klargeworden sein. Warum ging sie dann davon aus, dass Esssucht entweder etwas Organisches als Ursache haben muss und wenn nicht, dann ist das einfach nur fehlender Wille?! Ich konnte es nur darauf schieben, dass diese Influencerin einmal mehr nach jener Aufmerksamkeit aus war, die sie in ihrer Kindheit vermisste und zu ihrer Magersucht geführt hatte. Aber vielleicht ist es bei ihr ja einfach nur ein medizinisches Problem. Über Selbstzweifel könnte sie sich aber ganz sicher mit Meggie unterhalten. Bei dieser waren die Zweifel schon vor dem Wachwerden der Bilder Stammgast und wurden nun nicht weniger.
In der Klinik war unter Therapeuten und Patienten vom inneren Kritiker oder Richter die Rede, der einem ständig in den Ohren liegt, was mit einem alles nicht stimmt. Meggie hatte keinen Kritiker oder Richter in sich, sondern einen Henker. Ohne langen oder kurzen Prozess stand das Urteil immer schon fest: „Schuldig!“ Auch jetzt, wo sie wusste, dass sie Null schuld an ihrer Schieflage hatte, bekam sie keine mildernden Umstände. Schuldig, schuldig, schuldig. Nichts wert. Gegen Suizidumsetzungen musste sie sich immer mehr wehren, Versuche gab es.
Ich war schon bei Hanna, der Frau mit dem Unfall, nicht gut darin, einem Menschen mit Suizidgedanken zu erklären, dass sich das Leben aus diesem oder jenem Grund doch lohnt. Wenn ein Mensch derart leidet und immer mehr leidet, bringe ich es nicht übers Herz, zu sagen: „Aber guck mal, heute ist es sonnig und da vorn gibts Eis!“ Vor allem bringe ich solche Durchhalteparolen nicht über die Lippen, wenn ich sehe, wie mit Menschen dicht am Abgrund umgegangen wird. Das, was wir als Gesellschaft bezeichnen, ist unglaublich gut darin geübt, sich empathisch, solidarisch, bunt, ökologisch, weltoffen, gutmenschelnd zu präsentieren. Seltsamerweise bin ich noch keinem Menschen begegnet, der das Leben lieber hinter sich gehabt und gesagt hätte: „Aber ich fühle mich so gut aufgehoben unter meinen Mitmenschen, dass ich bleiben will.“
Viel mehr erlebte ich bei diesen Menschen, wie sie von Behörden – möglichst in Gendersprache – mit Papierbergen zugeschüttet wurden. Wie sie von Kranken-, Rentenkassen und Versicherungen unter sehr einfühlsamen Firmenslogans hin- und hergeschickt wurden nach dem Motto: „Wir wollen nicht zahlen, sollen die anderen machen! Wie Sie bis dahin über die Runden kommen?! Nicht unser Problem.“ Seltsamerweise fühlen sich dann Menschen nah am Abgrund genau wie psychisch Erkrankte ohne Suizidabsichten überflüssig, hilflos, entkräftet, ernüchtert, enttäuscht, einsam. Und ich soll unter solchen Umständen Meggie sagen: „Ach, das Leben kann doch schön sein. Jetzt gehst du halt paar Jahre durchs tiefste aller Täler, aber danach wird bestimmt die Sonne scheinen“?! Nee, das kann ich nicht.
Der Satz „Verdrängen heißt nicht vergessen“ stammt von einer Frau, die ich 2011 online kennengelernt hatte und die mich aus meinem Schildkrötenpanzer holte. Sie war die erste Frau in meinem Leben, bei der ich mich als Mann wahrgenommen fühlte, nicht als der Typ, der so gut zuhören kann. Wir schrieben viel über Gott und die Welt, über die Einschläge, die es auch bei ihr reichlich gab.
Wir kannten uns ca. ein Jahr, als sie mir schrieb, dass da noch „ein Hammer“ sei, bei dem sie überlegt, ob sie mir davon schreibt. Ich reagierte mit einem lachenden „Oh je“ und wartete gespannt, was da kommt. Das Lachen verschwand ganz schnell, als sie den Hammer auspackte: Missbrauch mit 10, 11 Jahren. Also so ziemlich im gleichen Alter wie Meggie. Während Meggie sich mit Partnerschaften sehr schwer tat, war die Frau, die mich wachgeküsst hatte, verheiratet mit zwei Kindern.
Doch von Normalität konnte auch bei ihr nicht die Rede sein. Ihr Mann hatte in meinen Augen narzisstische Züge, was sie selbst nicht so sah. Übergewicht, vor allem durch reichlich Eis essen, war auch bei ihr Thema. Auf schwierige Lebensphasen reagierte sie mit Flucht in die Arme anderer Männer. Kurz nach dem völlig überraschenden Tod ihres Mannes ging sie auf Flirtversuche eines anderen ein, der sein Glück schon ein Jahr lang versucht hatte, als der Ehemann noch lebte. Bis dahin hatte sie die Nase über Frauen gerümpft, von denen ich ihr erzählte und die immer wieder neue Partner haben mussten: „Wie kann eine Frau denn bitte so verzweifelt sein?!“
Nach dem Tod ihres Mannes legte ich ihr dringendst ans Herz, zu einem Psychologen zu gehen. Neben dem Missbrauch im Kindesalter gravierte sich der frühere Tod ihres Vaters und der Suizid eines Freundes nach der Trennung in ihren Lebenslauf, zu dem Zeitpunkt war sie 20. Ihre Tochter verhielt sich als Kind aus meiner Sicht sehr auffällig, immer wieder gab es massive Wutausbrüche. Wenn Eltern ihre Traumata nicht bearbeiten, werden die Kinder meist zu den Erben dieser Einschnitte auf irgendeine Weise. Bücher über vererbte Traumata gibt es.
Vor allem zum Wohle ihrer Kinder legte ich ihr den Gang zum Psychologen ans Herz. Den Tod ihres Mannes hatte sie mitverfolgen müssen, Geräusche der Wiederbelebungsversuche blieben in ihrem Ohr – das nächste Trauma war perfekt. Als sie mir 9 Monate nach dem Tod ihres Mannes schrieb, sie werde nicht zum Psychologen gehen und der neue Mann werde im kommenden Jahr bei ihr einziehen, beendete ich den Kontakt. Für mich war es, als hätte ich zugucken sollen, wie ein Betrunkener ins Auto steigt mit den Worten: „Ich fahre jetzt mal schnell durch diese kurvige Allee.“ Klar, das kann gutgehen. Aber mir ging es zu dem Zeitpunkt schon körperlich mies und ich wollte nicht warten, was diese Fahrt bringt.
Als ich nun bei Meggie das Ende der unabsichtlichen Verdrängung erlebte und diese anhaltende Talfahrt, fragte ich mich, ob es nicht doch besser ist, wenn die alten Bilder im Archiv hinter Stahltüren bleiben. Ich sah keinen Nutzen für Meggie und verstand nicht, warum die Bilder gerade ab unserer Begegnung in der Klinik wach wurden. Bei Claire war es die Begegnung mit dem vermeintlichen Täter, der alles wachwerden ließ, aber bei Meggie schien es keinen Trigger zu geben, der den Staudamm zum Brechen brachte.
Ihre Psychologin sagte, dass die Psyche es wohl jetzt für den richtigen Zeitpunkt hält. Aber auch das leuchtete mir nicht ein. Meggie war nicht kraftstrotzend mit überflüssiger Energie in die Klinik eingerückt. Da gab es keine Reserven, um mit ihnen einfach mal für paar Wochen ein Trauma anzugehen. Meggie hatte das, was ihr mit 10 passiert war, überlebt. Die Psyche hätte doch sagen können: „Ja, das war Scheiße, aber seitdem ist nichts mehr passiert, also lass uns das Leben ab heute genießen.“ Nein, das Bild musste raus, es musste zum Film werden mit allen Details. Wozu?
Zu meinem Erstaunen sah und sieht Meggie das Ende der nie beabsichtigten Verdrängung als notwendiges Übel an, auch nach einem Jahr. Sie sagt nicht: „Ach wäre doch alles wie in den Tagen, bevor das Bild deutlicher wurde.“ Klar, wirklich gut ging es ihr auch da schon nicht, von normalem Leben war sie ein ordentliches Stück weit weg.
Wir waren und sind uns einig, dass das Trauma nie verarbeitet sein wird im Sinne von „Da ist jetzt alles tippitoppi.“ Traumata sind nicht heilbar, sie können nicht aus dem Lebenslauf radiert werden. Die Narbe wird immer da sein. Für Meggie geht es um eine Bearbeitung, um eines Tages von den stärksten Folgen befreit sein zu können. Es wird auch dann immer wieder Momente geben, in denen sie sich seltsam verhält, weil da ein Gesicht auftaucht, ein Geruch, ein Wort. Doch es wird sie nicht mehr so lange und heftig aus der Bahn werfen – hoffentlich.
Wer auch immer mit gut gemeinten Ratschlägen zu Meggie kommt, der sollte zuvor eintausend Mal Danke sagen, nicht in ihrer Lage zu sein.
Ihr Wunsch, eines Tages Mutter zu sein, ist wohl ihre stärkste Versicherung vor einem selbstgewählten Tod. Ob diese Versicherung ewig hält, bleibt abzuwarten. So, wie die „Gesellschaft“ mit ihr umgeht, würde ich nicht mein bisschen verbliebenes Geld darauf wetten. Im Frühjahr ´24 war sie wieder in der Klinik, so wie sie es nun in regelmäßigen Abständen sein wird. Versprochen wurde ihr ein Einzelzimmer, weil sie eben inzwischen nicht mehr mit anderen im gleichen Raum schlafen kann. Gelandet ist sie in einem Zweibettzimmer. Sie solle so versuchen, ihre Ängste zu überwinden. Dabei mangelt es Meggie nicht an innerem, hochgradigem Dauerstress. Jede Minute Schlaf würde ein Krümel Hilfe sein. Doch so wanderte sie eben nachts über den Flur mit innerer Panik, versuchte mit der Zeit, auch im Zimmer zu bleiben, der Puls hoch.
Versprochen wurden ihr 12 Wochen Aufenthalt. Kurz vor Ablauf der achten Woche wurde ihr der Entlasstermin für den übernächsten Tag mitgeteilt, für Meggie ein weiterer Schlag gegen den Kopf. Einige Schwestern zeigten sich absolut einfühlsam in Meggies Ausnahmezustand, andere Schwestern schienen Spaß daran zu haben, mit der Bombe zu spielen.
Ein Gutachten zu einer von Ärzteseite klar verpfuschten Rücken-OP mit drastischen Folgen fiel zugunsten der Klinik aus, der Prozess sollte eingestellt werden. Ein Mensch, der in seiner Kindheit großes Unrecht erfahren musste, erfährt als Erwachsene großes Unrecht wegen Geld – genau so macht man Menschen kaputt, jagt sie auf Brücken. Nein, einfach macht man es Meggie nicht.
„100% aller psychisch Erkrankten haben Wut in sich.“ Das sagte eine Psychologin, von der mir erzählt worden war. „Die meisten kommen aber nicht an diese Wut ran.“ Unterdrückte Gefühle waren auch Thema während meines Klinikaufenthalts. Vor allem bei Trauer und Wut reagierte mein Körper deutlich, dazu ein hohes Maß an Ungerechtigkeitsempfinden. Meggie kann die Wut nicht rauslassen, die auch in ihr kocht. Sie kann nicht in den Wald gehen und schreien, in der Klinik hatte sie es mit einem Therapeuten versucht, aber sich nicht getraut. Und ich merkte bei mir, dass man Energie braucht, um Wut rauslassen zu können. Energie dafür hat aber aber weder sie noch ich. Wenn überhaupt, dann richtet Meggie auch die Wut gegen sich selbst.
Nur ein Ventil scheint für sie greifbar, angeboten von Rechtspopulisten. Eine Partei, in deren Wahlprogramm psychisch Erkrankte nur vorkommen, wenn es um importierte Messerstecher geht. Eine Partei, in der Meggie am wenigsten Verständnis finden würde für ihre Problematik – von anderen Parteien wäre allerdings nicht haufenweise mehr Einfühlungsvermögen zu erwarten. Macht das Sinn? So wenig wie Selbstverletzungen – aber alles hat einen Grund. Auch das Rauslassen von Wut ist selten ein mit Vernunft verbundener Akt. Wer Parteien entzaubern will, die von Wut/Hass auf andere leben, muss dafür sorgen, dass Kinder psychisch gesund ihr Elternhaus verlassen können.
„Ich hoffe, dass wir in paar Jahren sagen können: War das eine irre Zeit damals …“, schrieb ich Meggie ein Jahr nach unserer ersten Begegnung. „Damals haben wir Flaschen drehen gespielt mit ziemlich eindeutigen Fragen und du warst mit dabei. Heute würdest du wohl nicht mitmachen, oder?“
„Nein.“
Ihr Leben hat sich extrem verändert – dabei ist ihr in diesen 12 Monaten nichts Dramatisches passiert. Nur ein 20 Jahre altes Bild wurde wach. Nur.
„Nach so vielen Jahren musst du das doch abhaken können?!“ Wer das sagt, sollte nach den Einschlägen in der eigenen Kindheit Ausschau halten und den roten Faden zu heutigen, seltsamen Verhaltensweisen suchen. Sie sind ganz sicher da. Jede psychische Erkrankung entsteht durch einen Einschlag in der Kindheit. Das braucht nicht Missbrauch sein, auch nicht andere Formen von Gewalt, kein Einsperren im Keller.
„Haben Ihre Mutter und Ihr Vater die Bedürfnisse nach Zuneigung, Sicherheit, Geborgenheit, Anerkennung erfüllt?“, so ist das Grundprinzip jeder Therapie. Stell dir diese Frage selbst, suche nach der Antwort. Wenn sie „Nein, meine Mutter/mein Vater waren nicht da für mich“ lautet, dann wirst du auch den roten Faden finden können, der aus deinem Kinderzimmer hin zu deinen heutigen „Special Effects“, also deinen Eigenheiten führt. Deinen Schuldgefühlen, deinen Schamgefühlen, deinen Ich-bin-nichts-wert-Gefühlen, deinen Ängsten, deiner Wut, deinem Hass, deinem Drang nach Aufmerksamkeit, deiner toxischen Beziehung, deinem Narzissmus, deiner Sucht, deinen Depressionen, deinem Borderline, deiner bipolaren Störung. Du kannst nichts davon einfach mal abhaken und damit nicht das, was in deiner Kindheit passiert ist.
Und stell dir die Frage: Wie hättest du ohne Verletzungen dein Kinderzimmer verlassen können? Was wäre dazu nötig gewesen, ganz praktisch? Die Antwort darauf würde dir sagen, was du heute selbst machen solltest, wenn du Kinder hast oder welche planst. Und wenn deine Antwort einfach nur lautet: „Ich hätte die Anerkennung von Mum/Dad gebraucht“, dann frage dich, ob deine Eltern einen Schalter hatten, mit dem man Empathie, Fürsorge, Zuneigung, Liebe ein- und ausschalten kann. Lautet die Antwort darauf „Nein, den Schalter gab es nicht“, dann suche weiter nach einer wirklich praktischen Antwort. Wenn diese anders ausfällt als „Sie hätten zum Psychologen gemusst, um ihre eigenen Verletzungen/Traumata zu bearbeiten“, dann lass es mich bitte wissen. Bis dahin bleibt meine einzige Lösung: Sie hätten das machen müssen, was Meggie macht.
Ich schreibe für mein Leben gern, der Umgang mit Worten erzeugt ein gutes Gefühl in meinem Hirn. Nur würde ich viel lieber Geschichten schreiben voller knisternder Erotik zwischen Menschen auf Augenhöhe, ohne Abhängigkeiten aus Kindheitsenttäuschungen. Das Verherrlichen toxischer Beziehungen inklusive wundersamer Selbstheilung von Narzissten wirst du von mir niemals lesen, auch nicht in 50 Schattierungen von Grau. Ich würde gern Geschichten schreiben zum Schieflachen. Geschichten über Paralleluniversen, wo mein Parallel-Ich ohne Hasenpfote doch noch die Frau aus der Klinik bekommt und mit ihr zu zweit Flaschen drehen spielt. Geschichten über die Leichtigkeit des Daseins. Aber Meggie existiert und ihre Geschichte ist die Geschichte vieler Menschen, für die sich kein Schwein interessiert und deren Leben ein Gang auf Messerspitzen ist.
„Kann es sein, dass Sie Frauen retten wollen?“, fragte mich meine Psychologin. So, wie sie es mir erklärte, klang es nachvollziehbar: „Sie haben in Ihrer Kindheit eine schwache Frau – Ihre Mutter – erlebt, die unter einem despotischen Mann – Ihrem Vater – zu leiden hatte. Eigentlich hätte Ihre Mutter SIE retten müssen, aber als Kind glaubten Sie, dass Sie Ihre Mutter beschützen müssten. Und deshalb kümmern Sie sich heute so um Frauen, vergessen sich dabei aber selbst völlig und sind dadurch so im Arsch.“
So plausibel das klang, bin ich inzwischen etwas anderer Ansicht. Ich möchte nicht Frauen retten, sondern Kinder davor bewahren, den gleichen Scheiß durchmachen zu müssen wie ich und wie andere. Bei erwachsenen Frauen, die gerettet werden müssten, ist das Kind ja schon längst im Brunnen gelandet, sie hätten genauso wie ich als Kind andere Umstände gebraucht, um heil das Kinderzimmer verlassen zu können.
Und wann immer sich heute Prominente, die einzig und allein nach Aufmerksamkeit zu gieren scheinen, mit Babys zeigen, überkommt mich starkes Mitleid mit diesen Kindern. Genauso geht es mir mit Kindern, die in vergifteten Beziehungen geboren werden. In meiner Kindheit gab es den Begriff „toxische Beziehung“ noch lange nicht, aber er trifft auf meine Eltern absolut zu. Eine Beziehung weit weg von Augenhöhe. Ich weiß, wie es sich als Kind in einem solchen Klima lebt und wie laut das Echo ist weit in die Zeit des Daseins als Erwachsener.
Aus Opfern werden Täter. Auch das sollten uns die Geschichten real existierender Menschen lehren. Dazu brauche ich mir nur die Geschichte meines Vaters ins Gedächtnis rufen. Wer keine Opfer will, muss dafür sorgen, dass es keine Täter gibt. Warum fing Meggie mit ca. 12 an, andere zu mobben, zwei Jahre nach dem Missbrauch? Einfach nur Pubertät? Oder musste die erlittene Verletzung „raus“, die Wut? Wollte sie hart sein, um nicht selbst wieder verletzt zu werden?
Wenn Meggie ihre Trauma-Bearbeitung überlebt, wird sie – hoffentlich – keinen Partner brauchen, der ihren schwachen Selbstwert schamlos ausnutzt, was das Markenzeichen toxischer Beziehungen ist. Meggie wird – hoffentlich – den inneren Henker los und ihn durch einen Berater ersetzen, der ihr Tipps ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit gibt. Die Selbstverletzungen werden verschwinden – hoffentlich restlos. Mit dem Abschied vom Henker wird sie – hoffentlich – weniger Zucker brauchen, weil weniger Stress anfällt. Sie wird abnehmen, der Blick in den Spiegel wird angenehmer. Sie wird Komplimente annehmen können, wenn auch am Anfang dezente. Die langsame Veränderung wird ihr guttun, kleine Rückschläge nicht ausgeschlossen. Männer werden in ihr nicht mehr pauschal Angst auslösen. Ob jener, der heute sehr geduldig wartet, dann noch im Rennen sein wird, bleibt abzuwarten. So wie sie ihn beschreibt, scheint er zu den sehr wenigen Menschen (m/w/d) zu gehören, die beziehungstauglich auf Augenhöhe sind.
Wenn Meggie ihre Trauma-Bearbeitung überlebt und eine Beziehung auf Augenhöhe eingehen kann, wird sie deutlich weniger Ballast an ein eigenes Kind vererben und dem Kind ein angenehmes, giftfreies Kinderzimmer bieten können. Die Gefahr, dass dieses Kind eines Tages Täter wird, wäre deutlich geringer – z.B. ein Täter wie der an Meggie. Sie hat in ihrer Hand, ob ein Erbe ihrer Geschichte irgendwann jemandem etwas Ähnliches antut wie ihr angetan wurde. Würde jeder seine Traumata bzw. schmerzhaften Erfahrungen aus der Kindheit bearbeiten unter professioneller Hilfe, anstatt sie der nächsten Generation in die Wiege zu werfen, sähe die Welt deutlich anders aus. Eigentlich sollten wir heilfroh sein, dass Meggie sich das antut. Eigentlich. Und eigentlich sollten wir ihr auf diesem Weg sämtliche Steine wegräumen, anstatt neue hinzuschmeißen. Eigentlich.
Den Blick hinter die Gardinen mit 80 weiteren Biografiesplittern gibt es in meinem Buch:
Wer Menschen verstehen will, muss ihnen zuhören, sie beobachten, hinter die Fassade schauen: Warum heiraten wir? Sind Frauen von Natur aus gute Mütter? Was erlebt man bei der Partnersuche? Wem verdanken Elon Musk und Kanye West ihre Erfolge? Was treibt andere Prominente an – und was ist dein eigener Antrieb? Fallen psychische Erkrankungen vom Himmel? Warum steht jemand 5 Stunden unter der Dusche? Wieso glaubt Käpt´n Crazy, die Chinesen würden kommen? Sind Krankenhäuser tatsächlich Hurenhäuser? Warum verheimlicht eine 50-Jährige, dass ihr Vater soff?
Mit den Antworten auf diese Fragen wird unerklärliches Verhalten entzaubert. Kein Hashtag, kein Gendern und keine Kampagne wird diese Welt retten können. Erst wenn wir einsehen, wie wir ticken, kann sich etwas verändern. Komm mit auf eine Reise, die Dich verändern wird!
Das Buch gibt es bei bod.de, bei Amazon, genauso bei allen anderen Onlinehändlern. Du kannst aber auch beim Buchhändler um die Ecke danach fragen. Die ISBN: 9783 7557 0721 9. (Da sich bisher kein Verlag interessiert hat, werden keine Exemplare zum Mitnehmen rumliegen, deshalb bitte vorerst direkt im Laden bestellen.)
Sophie lebt – und ist tot. Was besser ist für sie? Ich weiß es nicht.
„Da war nichts.“ Meggie hatte eine schöne Kindheit, dennoch geht es ihr schlecht. Warum?! Dann erwacht der Elefant.
„Ich habe mich gefreut, wenn Papa fünf Minuten Zeit für mich hatte.“ Jens hat den Arbeitseifer seines Vaters geerbt und wird in sechs Jahren sterben.
Elon Musk, Kanye West, Mel Gibson – denen ist doch allen der Erfolg zu Kopf gestiegen! Die spinnen doch einfach nur! Willst du mit ihnen tauschen?
„Warum hat er mich nicht lieb? Bin ich einfach ein Nichts?“ Diese Fragen stellt sich Katis jüngerer Sohn und denkt dabei an seinen Vater.
Suizid kann Freiheit bedeuten. 2020 hat Ulli die erste freie Entscheidung seines Lebens getroffen. Dieser Neubeginn bedeutete seine Freiheit. Und sein Ende.
Saskia gibt mit Ü40 die Hoffnung nicht auf, von ihrer Mum ein nettes Wort für ihr Dasein zu hören. Bettina bekam mit 20 ein Kind, um ihrem Elternhaus zu entkommen – und lebt seitdem in den gleichen Verhältnissen.
Natascha Kampusch als Hassobjekt?! Das macht keinen Sinn – doch beim Zuhören erklärt sich auch beim Thema Hass, wie sich unsere „Special Effects“ entwickeln.
Annie ist 16, 1,70 m, 40 kg. Ihr Vater versteht nicht, warum sie nicht einfach mehr isst. Er selbst steckt jeden Monat 500 Euro in sein Onlinespiel. Annies Mutter vermeidet Diskussionen mit ihm über ihr Rauchen. Verstehen des jeweils anderen? Fehlanzeige.
Die einen waschen ihre Firma grün, die anderen leben beim Yoga ihren Narzissmus aus. Was steckt hinter dem Gendern?
Wer Frauen sichtbar machen will, muss das komplette Bild ins Scheinwerferlicht rücken – auch die Schattenseiten.
Wo in der Geschichte sind die ganz konkreten Beispiele dafür, dass Appelle an die Vernunft etwas zum Guten verändern? Mein Vater kann nicht gemeint sein.
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Knapp 18 Mio. Menschen werden pro Jahr wegen psychischer Erkrankungen behandelt. So etwas können Parteien doch nicht ignorieren, oder?
Frage: Was muss passieren, damit diese Welt weniger verrückt ist? Antwort: Wir müssen zuhören lernen. Oder wir verbieten das Kinderkriegen.
Jochen wäre fast ertrunken, der Vater zerrte ihn wieder ins Wasser. Opfer und Täter, weiß und schwarz. Doch ist es wirklich so einfach?
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Und wieder glauben wir, Erwachsene umerziehen zu können – und wieder haben wir nichts aus der Geschichte gelernt.
Er verfolgt dich, er bespitzelt dich, er glaubt dir nicht, du machst Schluss mit ihm. 10 Jahre später sitzt du mit ihm und euren beiden Kindern am Frühstückstisch.
In dieser Welt passiert vieles, was aufgedeckt gehört. Gibt es jedoch zu einem Ereignis 101 unterschiedliche Wahrheiten, dann werde ich nachdenklich.
Die Welt wird von einer unsichtbaren Macht geleitet – sagen nicht nur Verschwörungsanhänger, sondern Milliarden Menschen.
Er baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Sie spricht vom Angriff der Roboter. Wenn du ihre Geschichten kennst, wirst du sie verstehen.
„Als ich Krebs hatte, bekam ich Mitleid, Zuspruch und Unterstützung. Als Depressionskranke war ich immer die faule Sau.“
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Als Robert Enke durch Suizid starb, herrschte große Trauer. Doch längst jagen wir seine Nachfolger Richtung Abgrund.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
#metoo (1) 2020 (2) 2022 (2) 2024 (2) abschied (1) Aluthutträger (2) Aurelie Joie (10) Ballast (2) beziehung (1) bipolare störung (3) bipolare Sörung (2) Bundestagswahl 2021 (1) corona (3) Covidioten (2) Depression (4) freiheit (2) gefühle (10) gendern (4) Hass (3) hilflosigkeit (3) interview (1) Journalismus (4) kampagnen (1) kinderwunsch (1) Kindheit (4) Krankenhäuser sind Hurenhäuser (1) liebe (2) manie (3) meinestimmegegenignoranz (19) missbrauch (2) Mutterliebe (1) narzisst (5) Politiker (3) psychische Erkrankungen (11) selbstverletzung (2) selbstzweifel (2) Spaltung der Gesellschaft (1) Sucht (1) tot (3) Vater & Sohn (2) Vernunft (1) verrückt (21) verschwörungsmythen (3) verständnis (4) wird nicht besser (3)
Was treibt dich dazu, wirtschaftlich erfolgreich zu sein und deinen Besitz vorzuzeigen? Und was lernt dein Kind daraus?
Jens ist 36, selbstständig mit mehreren Angestellten. Seit 16 Jahren hat er die gleiche Freundin, doch sie leben nach wie vor getrennt. Arbeit geht vor für Jens. Dadurch ist es für ihn extrem schwierig, nach der Aufnahme in der Psychiatrie drei Wochen ohne Handy und Laptop auskommen zu müssen. Doch in dieser Einrichtung gehört das Abschalten zum Therapieplan.
Auch nach den drei Wochen sind die Patienten angehalten, auf den Kontakt nach außen und damit das Ablenken/Verdrängen zu verzichten. Doch Jens ist sofort wieder aktiv, denn ohne ihn läuft seine Firma nicht, da ist er sich sicher. In die Klinik brachte ihn totale Überarbeitung. Absolut nichts ging mehr. Wäre noch minimal etwas gegangen, wäre er nicht in die Psychiatrie gegangen.
Seiner Therapeutin fällt Jens´ Haut auf trotz ständig langer Kleidung im Sommer: überall Schuppenflechte. Sie sagt, dass sich Dauerstress immer wieder auf den Zustand der Haut auswirkt. Demnach muss Jens unter heftigem Dauerstress stehen. Doch Jens muss schaffen. Mitpatienten vertröstet er immer wieder, wenn sie eigentlich gemeinsam etwas vorhatten. Stattdessen sitzt er an Laptop und Handy, gekleidet in Klamotten, die er sicher auch in der Firma trägt. Dass er Patient ist, sieht man ihm überhaupt nicht an.
Wie wird man so ein Arbeitstier? Durch Ehrgeiz? Sind solche strebsamen Menschen nicht genau das, was wir brauchen zur Wahrung unseres Wohlstandes? Menschen, die ihr Privatleben zurückstellen und etwas aufbauen? Ist dieser Arbeitseifer angeboren oder legt auch für diesen wieder die Kindheit die Weichen?
„Wenn Sie entlassen werden, können Sie Ihr Leben nicht so führen wie bisher – es sei denn, Sie wollen genauso kurz wie Ihr Vater leben.“ Als Jens diesen Satz hört, schaut er bedröppelt. Eigentlich hatte er gedacht, er könne sich in der Psychiatrie ein paar Wochen erholen und käme mit neuem Schwung in seine Firma zurück.
Jens wird in sechs Jahren sterben. Zumindest, wenn er auch in diesem Punkt der Linie seines Vaters treu bleibt und sich totarbeitet. Diese Linie des Vaters sieht Jens aber überhaupt nicht als Problem an, erst recht nicht für sich selbst. Zumindest nicht im ersten Anlauf. Probleme anderer analysiert er sofort und treffsicher – nur bei seinen eigenen funktioniert das nicht, wie bei so vielen. Erst wenn Therapeutin und Gruppe ihn die Augen mit deutlichen Worten öffnen, überlegt er und nickt nachdenklich.
In den Therapien geht es immer wieder um die Frage: Wie hat sich das Kind, dass du damals warst, gefühlt? Vernachlässigt? Übrig? Lästig? Und was hat das Kind empfangen? „Ich bin lästig“? „Ich werde nicht in den Arm genommen“?
Jens´ Vater arbeitete extrem viel, kam nach Hause und legte die Füße hoch. Jens selbst bekam nur wenige Minuten Aufmerksamkeit, ansonsten wollte der Vater seine Ruhe. Wie überflüssig muss sich der Junge gefühlt haben?
Der nächste Schritt: Jenen Elternteil, gegenüber dem du diese Gefühle hattest, sollst du nicht länger in Schutz nehmen. Du musst dich deinem Verdruss stellen: „Ja, mein Vater/meine Mutter hat Scheiße gebaut. Das Verhalten war nicht richtig.“ Nichts beschönigen. Du sollst dir bewusst werden, dass es für das kleine Kind ein Problem war, es beleidigt war und dass die Gefühle berechtigt waren. Gefühle von Kindern sind IMMER richtig und haben IMMER Berechtigung. Erst mit diesem „Erwachsen“ werden, beginnt das Beschönigen. Jens sagt, er habe sich als Kind sehr gefreut, wenn der Vater ihm doch fünf Minuten Zeit gewidmet hatte.
Es folgt die Frage: Was hätte das Kind, das ich damals war, eigentlich in dem Moment gebraucht? In Jens´ Familie war die Freude groß, wenn der Vater von der Arbeit kam. Dass er sich dann in den Sessel setzte, war egal, Hauptsache er war körperlich anwesend. Aber was nützt pure Anwesenheit? Was Jens gebraucht hätte, wäre entweder ein aufmerksamer Vater oder eine Mutter, die ihren Mann daran erinnert hätte, dass es da noch einen Jungen gibt und er nicht ignoriert werden darf. Ansonsten werde das deutliche Folgen haben für seinen Sohn, wenn dieser erwachsen ist.
Doch keiner griff ein und so vererbte der Vater seinem Sohn, dass du nur jemand bist, wenn du bis zum Umfallen arbeitest. Vergiss Privatleben, vergiss deine Kinder. Arbeite! Verdiene! Dann wirst du von deiner Familie auf Händen getragen, egal, wie du dich ansonsten um sie kümmerst. Bis zum Infarkt. Danach gehts zur Beisetzung.
Worüber definieren sich die wirtschaftlich Mächtigen der Welt wie Amazon-Gründer Jeff Bezos? Warum mussten seine Mitarbeiter immer wieder für bessere Löhne streiken? Was sagt sein geschäftliches Handeln über seine Persönlichkeit? Dass er ganz sozial so viele Menschen wie möglich in Lohn und Brot bringen will? Oder dass ihm 1 Mrd. Dollar längst nicht genug waren, um sich zur Ruhe setzen zu können, weil es da andere gab, die 1,1 Mrd. hatten und dies machte sein Belohnungszentrum nicht glücklich? Warum gilt einer der reichsten Männer als geizig, wenn es um soziale Projekte geht? Weil er diese in aller Bescheidenheit heimlich unterstützt? Oder weil ihm die Millionen fehlen könnten bei seiner Ego-Pflege? Hinter wie vielen so hart wie Jens arbeitenden Machern steckt eine ähnliche Geschichte? Was sagt es über den Menschen aus, wenn er unglaublich fleißig erscheint? Wie scheinheilig sind Werbespots, die zeigen sollen, wie unglaublich sozial Amazon mit Migranten und Menschen mit Einschränkungen umgeht?
Keine unserer grundsätzlichen Eigenschaften ist per Zufall entstanden: Wie wir unseren Partner suchen, wie wir mit diesem umgehen und wie wir andere Menschen behandeln, ob wir Mitgefühl empfinden können oder die Welt sich um uns zu drehen hat, ob wir uns verstecken oder auffallen wollen um jeden Preis, wie wir diskutieren, wie kompromissbereit wir sein können. Also welche Spur führt in die Kindheit der Macher und Mächtigen und was hat diese Kindheit angerichtet? Wie geht ein solcher Mensch als Führungskraft mit seinen Mitarbeitern um? Welche Erwartungshaltung hat er an diese, wenn für ihn das Arbeiten bis zum Umfallen ganz normal ist? „Du hast genauso viel zu arbeiten wie ich“ etwa?
Wo hört der Wettlauf der Egos auf? Für jene, die sich über Geld und Macht definieren, ist die Globalisierung ein unglaubliches Geschenk. Ihr Wachstum kennt keine Grenzen mehr. Es endet nicht mehr beim einzelnen Tante-Emma-Laden, du kannst wachsen und wachsen, dein Ego bekommt das, was es braucht. Du kaufst Firma um Firma, verdrängst andere. Diese anderen bringst du zwar um den Schlaf, aber dann hätten sie halt früher aufstehen müssen. Schlafen kannst du, wenn du tot bist. Mit deinem Geld kannst du Meinungen beeinflussen, indem du Verlage kaufst, TV-Sender, Lobbyisten losschickst, selbst in die Politik gehst. Du kannst darauf bauen, dass sich in deinem Glanz andere sonnen wollen, etwas vom Kuchen abhaben möchten – und du kannst bestimmen, wie viel sie bekommen. Du allein. Deine Macht wird immer größer, du bist systemrelevant, ohne dich und deinen Weltkonzern geht nichts mehr. Wenn du ein krummes Ding drehst, wird man mit dir schimpfen, aber ansonsten hast du wegen deiner enormen Bedeutung nichts zu befürchten. Für deine Kinder hast du Personal und sie sollen eh deine Firma weiterführen, also brauchen sie keine Zuneigung von dir. Denn es könnten ihnen Skrupel kommen, wenn sie Mitgefühl entwickeln würden und deine Geschäftsgebaren genauer betrachten.
Wie mächtig dürfen diese Menschen werden, dank denen die Spaltung in Arm und Reich voranschreitet? Wie lange bauen wir noch darauf, dass die wirtschaftlich Mächtigen schon irgendwie von Vernunft beherrscht werden und Verantwortungsgefühl haben? Woher soll dieses Gefühl kommen, wenn ein Mensch sich über Besitz definieren muss?
Den Blick hinter die Gardinen mit 80 weiteren Biografiesplittern gibt es in meinem Buch:
Wer Menschen verstehen will, muss ihnen zuhören, sie beobachten, hinter die Fassade schauen: Warum heiraten wir? Sind Frauen von Natur aus gute Mütter? Was erlebt man bei der Partnersuche? Wem verdanken Elon Musk und Kanye West ihre Erfolge? Was treibt andere Prominente an – und was ist dein eigener Antrieb? Fallen psychische Erkrankungen vom Himmel? Warum steht jemand 5 Stunden unter der Dusche? Wieso glaubt Käpt´n Crazy, die Chinesen würden kommen? Sind Krankenhäuser tatsächlich Hurenhäuser? Warum verheimlicht eine 50-Jährige, dass ihr Vater soff?
Mit den Antworten auf diese Fragen wird unerklärliches Verhalten entzaubert. Kein Hashtag, kein Gendern und keine Kampagne wird diese Welt retten können. Erst wenn wir einsehen, wie wir ticken, kann sich etwas verändern. Komm mit auf eine Reise, die Dich verändern wird!
Das Buch gibt es bei bod.de, bei Amazon, genauso bei allen anderen Onlinehändlern. Du kannst aber auch beim Buchhändler um die Ecke danach fragen. Die ISBN: 9783 7557 0721 9. (Da sich bisher kein Verlag interessiert hat, werden keine Exemplare zum Mitnehmen rumliegen, deshalb bitte vorerst direkt im Laden bestellen.)
Sophie lebt – und ist tot. Was besser ist für sie? Ich weiß es nicht.
„Da war nichts.“ Meggie hatte eine schöne Kindheit, dennoch geht es ihr schlecht. Warum?! Dann erwacht der Elefant.
„Ich habe mich gefreut, wenn Papa fünf Minuten Zeit für mich hatte.“ Jens hat den Arbeitseifer seines Vaters geerbt und wird in sechs Jahren sterben.
Elon Musk, Kanye West, Mel Gibson – denen ist doch allen der Erfolg zu Kopf gestiegen! Die spinnen doch einfach nur! Willst du mit ihnen tauschen?
„Warum hat er mich nicht lieb? Bin ich einfach ein Nichts?“ Diese Fragen stellt sich Katis jüngerer Sohn und denkt dabei an seinen Vater.
Suizid kann Freiheit bedeuten. 2020 hat Ulli die erste freie Entscheidung seines Lebens getroffen. Dieser Neubeginn bedeutete seine Freiheit. Und sein Ende.
Saskia gibt mit Ü40 die Hoffnung nicht auf, von ihrer Mum ein nettes Wort für ihr Dasein zu hören. Bettina bekam mit 20 ein Kind, um ihrem Elternhaus zu entkommen – und lebt seitdem in den gleichen Verhältnissen.
Natascha Kampusch als Hassobjekt?! Das macht keinen Sinn – doch beim Zuhören erklärt sich auch beim Thema Hass, wie sich unsere „Special Effects“ entwickeln.
Annie ist 16, 1,70 m, 40 kg. Ihr Vater versteht nicht, warum sie nicht einfach mehr isst. Er selbst steckt jeden Monat 500 Euro in sein Onlinespiel. Annies Mutter vermeidet Diskussionen mit ihm über ihr Rauchen. Verstehen des jeweils anderen? Fehlanzeige.
Die einen waschen ihre Firma grün, die anderen leben beim Yoga ihren Narzissmus aus. Was steckt hinter dem Gendern?
Wer Frauen sichtbar machen will, muss das komplette Bild ins Scheinwerferlicht rücken – auch die Schattenseiten.
Wo in der Geschichte sind die ganz konkreten Beispiele dafür, dass Appelle an die Vernunft etwas zum Guten verändern? Mein Vater kann nicht gemeint sein.
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Knapp 18 Mio. Menschen werden pro Jahr wegen psychischer Erkrankungen behandelt. So etwas können Parteien doch nicht ignorieren, oder?
Frage: Was muss passieren, damit diese Welt weniger verrückt ist? Antwort: Wir müssen zuhören lernen. Oder wir verbieten das Kinderkriegen.
Jochen wäre fast ertrunken, der Vater zerrte ihn wieder ins Wasser. Opfer und Täter, weiß und schwarz. Doch ist es wirklich so einfach?
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Und wieder glauben wir, Erwachsene umerziehen zu können – und wieder haben wir nichts aus der Geschichte gelernt.
Er verfolgt dich, er bespitzelt dich, er glaubt dir nicht, du machst Schluss mit ihm. 10 Jahre später sitzt du mit ihm und euren beiden Kindern am Frühstückstisch.
In dieser Welt passiert vieles, was aufgedeckt gehört. Gibt es jedoch zu einem Ereignis 101 unterschiedliche Wahrheiten, dann werde ich nachdenklich.
Die Welt wird von einer unsichtbaren Macht geleitet – sagen nicht nur Verschwörungsanhänger, sondern Milliarden Menschen.
Er baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Sie spricht vom Angriff der Roboter. Wenn du ihre Geschichten kennst, wirst du sie verstehen.
„Als ich Krebs hatte, bekam ich Mitleid, Zuspruch und Unterstützung. Als Depressionskranke war ich immer die faule Sau.“
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Als Robert Enke durch Suizid starb, herrschte große Trauer. Doch längst jagen wir seine Nachfolger Richtung Abgrund.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
#metoo (1) 2020 (2) 2022 (2) 2024 (2) abschied (1) Aluthutträger (2) Aurelie Joie (10) Ballast (2) beziehung (1) bipolare störung (3) bipolare Sörung (2) Bundestagswahl 2021 (1) corona (3) Covidioten (2) Depression (4) freiheit (2) gefühle (10) gendern (4) Hass (3) hilflosigkeit (3) interview (1) Journalismus (4) kampagnen (1) kinderwunsch (1) Kindheit (4) Krankenhäuser sind Hurenhäuser (1) liebe (2) manie (3) meinestimmegegenignoranz (19) missbrauch (2) Mutterliebe (1) narzisst (5) Politiker (3) psychische Erkrankungen (11) selbstverletzung (2) selbstzweifel (2) Spaltung der Gesellschaft (1) Sucht (1) tot (3) Vater & Sohn (2) Vernunft (1) verrückt (21) verschwörungsmythen (3) verständnis (4) wird nicht besser (3)
Veronika warnt vor dem Angriff der Roboter und frisst nebenbei ihrer Freundin den Kühlschrank leer. Katis Mann baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Elon Musk kauft Twitter für unglaublich viel Geld und treibt es innerhalb von Tagen Richtung Pleite. Kanye West lässt mit rassistischen Sätzen einen fetten Deal mit einer Sportartikelfirma platzen. Und der eine Schauspieler aus „Braveheart“ hat doch mal Juden beleidigt, oder?! Wer nächster Bundeskanzler wird, ist für einen Ü70er, den keiner kennt, glasklar: er selbst.
Wenn Du das unverständliche Verhalten von Elon Musk, Kanye West, Mel Gibson und anderen im Rampenlicht Stehenden verstehen möchtest, brauchst Du den Alltagsblick in die Geschichten anderer Menschen mit der gleichen Erkrankung: bipolare Störung. Und diese Geschichten machen eines klar: Wer diese Welt noch irgendwie retten will, muss Kindern das Aufwachsen mit gesundem Selbstbewusstsein ermöglichen.
Lesedauer: ca. 10 Minuten
2009 erzählte mir beim Klassentreffen eine ehemalige Schulfreundin, Katharina, von ihrem Mann. Sie, damals Mitte 30, lebte mit ihm und ihren beiden Söhnen in einem großen Haus, an dem ihr Mann in jeder freien Minute weiter baute. Von „fertig“ waren viele Räume weit entfernt. Im Erdgeschoss hatten sie gemeinsam einen Laden eingerichtet, in welchem Katharina verkaufte. Ihr Mann hatte sich eine eigene Firma aufgebaut und gestaltete mit drei Angestellten Gärten und Höfe mit wirklich beeindruckenden Ergebnissen. Die Ideen gingen ihm nie aus, er arbeitete sehr sauber und hielt Fristen ein. Entsprechend gut lief die Firma.
Weniger gut lief das Miteinander zwischen ihm und Katharina seit ca. zwei Jahren. Seine Trinkerei ließ ihn Dinge machen, die auf keine Kuhhaut gingen – zumindest nahmen alle an, dass es mit seinem Alkoholkonsum zu tun hatte. Diesen reduzierte er auch nicht nach einem lebensbedrohlichen Treppensturz. Da gab es kein Umdenken wie: „Oh Gott, jetzt hätte ich fast meine Kinder zu Halbwaisen gemacht! Ich hab ein Problem!“ Nein, es ging einfach weiter.
Auf seinem Schreibtisch hatte Katharina einen Zettel gefunden: „Zukunft Laden?“ Dieser machte gute Gewinne, es konnte also nicht darum gehen, ihn wegen Verlusten aufzulösen. War der Zettel eine Reaktion auf Katharinas Verhalten? Eine Woche zuvor war eine Ex-Freundin ihres Mannes aufgetaucht. Dieser bat Kati, ihm Bilder aus der gemeinsamen Vergangenheit zu bringen – also aus seiner Zeit mit der Ex. Für Kati war es eine Kränkung, sie machte auf bockig, erwartete ein: „Tut mir leid.“ Doch er drehte den Spieß um: Er ging nach einem Dorffest nicht mit ihr nach Hause, blieb am zweiten Tag bis morgens und schlief stockbesoffen im Keller, saß an den folgenden Tagen bis in die Nacht im Büro.
Letztlich entschuldigte sich Katharina für ihr Verhalten, um den Frieden wiederherzustellen. Außerdem hatte sie Angst, er würde ihr den Laden wirklich kündigen. Und es fiel ihr schwer, sich einzugestehen, dass sie für diesen Mann trotz allem noch etwas empfand. Dabei verzweifelte sie immer wieder daran, dass er niemals Fehlverhalten bei sich sah.
Aber es gab auch Phasen, in denen er absolut ihre Nähe suchte, an ihrem Rockzipfel hing, kuscheln und schmusen wollte. Und einige Zeit später war sie wieder nur die Haushaltshilfe und das Kindermädchen. Um die beiden Söhne kümmerte er sich dann kaum.
Katharina glaubte, der Stress mit dem Hausbau sei der Grund für das viele Trinken und damit für sein ganzes Verhalten. Doch auch als 2010 die Arbeit weniger wurde, änderte sich nichts. Nach dem Klassentreffen blieben wir in Kontakt und ich erfuhr jede neue Episode. Ohne Absprache hatte er sich ein verdammt teures Quad gekauft, düste damit durch Wald und Flur. In einer Nacht rief er Kati halb 3 an: Sie solle ihn bitte abholen, er sei im Wald steckengeblieben. Danach brach die Verbindung ab. Nach langem Überlegen und innerlichem Zittern – die Nerven lagen blank – ließ sie ihre Söhne (damals 6 und 8) allein, fuhr durch die Gegend, planlos, denn er hatte keinerlei Angabe gemacht, wo genau er im Wald gestrandet war. Nach einer Stunde fuhr sie wieder nach Hause, ohne Spur von ihrem Mann. Den befreite ein Kumpel am frühen Morgen aus dem Matsch.
Für Katharina ging das alles immer mehr an die Substanz, die Nächte blieben unruhig. Teils hatte sie Todesangst, über die sie mit mir aber erst mit viel zeitlichem Abstand sprach. Noch immer hoffte sie darauf, er würde sich ändern, auch wenn er nach wie vor keinen kleinsten Selbstzweifel zeigte in seinen energiegeladenen Phasen. Ich hatte ihren Mann inzwischen „Käpt’n Crazy“ getauft, weil es einfach so unerklärlich war, was er da machte und es schwerfiel, ohne schwarzen Humor mit dieser ewig anhaltenden Situation umzugehen. Ich verglich ihn auch mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde, weil diese völlig gegensätzlichen Seiten blieben: Mal verletzte er Kati zutiefst, dann war sie sein großer, einziger Halt im Leben.
Neue Episoden folgten. So packte ihr Mann eines Nachts seine Tasche, fuhr aus seinem Ort im Umkreis von Leipzig Richtung Hannover, dann gen Schweiz zu einem Cousin, bis ihm einfiel, dass er in Hamburg eine Rassekatze bestellt hatte, wovon Kati nichts wusste.
An anderen Tagen kam er nachts lautstark nach Hause oder stand ebenso rücksichtslos gegenüber Frau und Kindern auf. Zwei Stunden Schlaf reichten ihm, denn: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ Er schmiss mitten in der Nacht Bauschutt per Schaufel aus einem Fenster in einen Container.
Dann folgte wieder eine Phase, in der er ganz anders war. Wieder suchte er Katis Nähe, wurde ruhig, bereute all die Sachen, die er angestellt hatte, konnte nicht glauben, was er in den Monaten zuvor alles angestellt hatte und erinnerte sich an kaum etwas. Sein teures Quad konnte er nicht angucken, wollte es am liebsten loswerden.
Wenige Wochen später raste er wieder fröhlich durch die Gegend, rammte Ortseingangsschilder und kleine Bäume, fuhr mehrfach in einer Nacht los. Kati musste sich jedes Wort überlegen, denn ihr Mann ging beim kleinsten Hauch von Kritik an die Decke. So schaltete sie auf „polnisches Fernsehen“: nur Bild, kein Ton. Dennoch konnte die Lage jederzeit explodieren – in einfachsten Situationen. Katharina schrieb ihm eine Liste in Druckschrift und Großbuchstaben, welche Getränke er mitbringen sollte. Er brachte die falschen. Kleinlaut und zerknirscht murmelte Kati, sie werde die Flaschen halt am nächsten Tag umtauschen fahren gegen die, die sie wollte. Wer war in den Augen ihres Mannes schuld? Natürlich seine Frau.
Er vernachlässigte sein Geschäft, eine Angestellte suchte das Weite, der Alkohol floss wieder reichlich, betrunken setzte er sich immer wieder ans Steuer. Für das Dorffest richtete er den Hof vor dem Haus her, als käme die Königin von England, schnitt die Buchsbäume im perfekten Durchmesser. Noch immer hielten alle das Trinken für den Grund seines Verhaltens. Aber das Thema Entzug brauchte Kati gar nicht erst erwähnen.
Ihre Hausärztin schickte Kati zur Psychologin, machte ihr klar, dass Kinder und Kunden sie doch brauchen würden in einem stabilen Zustand. Ihr Mann habe wohl eine Sinnkrise, dazu der viele Alkohol. Eine wirkliche Diagnose konnte sie nicht geben, denn er ging zu keinem Arzt, ihm ging es doch bestens.
Wochen später, inzwischen 2011, brach er wieder zusammen, heulte. Kati und die Jungs nahmen ihn in die Arme, beteuerten, dass alles gut sei – im Nachhinein war Kati klar, dass dies wieder die falsche Reaktion war. Aber im Beisein der Kinder fühlte sie, so handeln zu müssen. Er redete einmal mehr wirres Zeug, sein Quad blieb wieder in der Garage, er schlief viel – bis zum nächsten Wechsel. Dann reichten die 2 Stunden Schlaf pro Nacht, das Quad war wieder interessant, im Keller sollten Vorräte angelegt werden, weil die Chinesen kommen. Er quatschte im Urlaub alle Menschen an, hatte absurde Theorien über das Weltgeschehen, kaufte sich eine verdammt teure Uhr, obwohl das Geschäft inzwischen bergab ging, wollte eine Fabrik bauen und diverse Dinge zum Patent anmelden, tanzte auf Tischen, kannte keinerlei Hemmungen, glaubte, bestimmte Lieder im Radio seien nur für ihn geschrieben worden.
Kati und ich konnten uns teils nur noch in Galgenhumor flüchten, denn das alles machte überhaupt keinen Sinn. Dieses sich immer wieder abwechselnde, grundverschiedene Verhalten war für uns unerklärlich: von Himmel hoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Alles andere als lustig war ihre Mail, in der sie schrieb: „Das, was mein Mann heute mit mir gemacht hat, könnte man als Vergewaltigung sehen.“
Ende 2011 schaute ich eher zufällig eine Sendung von Sandra Maischberger. Ein Mann erzählte, dass er sich teure Hotelzimmer genommen hatte, für die ihm eigentlich das Geld fehlte, auch sonst schmiss er mit der Kohle um sich – wie Katis Mann. Er fuhr im Bademantel durch Berlin und wollte den Regierenden Bürgermeister sprechen – völlig enthemmt wie Katis Mann. Er machte Dinge, die auf keine Kuhhaut passten – und irgendwann fiel er in ein riesiges Loch, um bald darauf wieder der Größte zu sein, der vor genialen Ideen sprühte – wie Katis Mann.
Am nächsten Morgen las ich bei Wikipedia den Artikel über die Diagnose des Mannes: bipolare Störung. Und alles passte! Katis Mann war ein lehrbuchhaftes Beispiel für diese Erkrankung. In den manischen Phasen: übertriebenes Selbstbewusstsein oder Größenwahn, Sprühen vor Ideen, verringertes Schlafbedürfnis, Drang zum Reden, Ideenflucht, Zerstreutheit, Kaufrausch, sexuelle Taktlosigkeiten, sinnlose geschäftliche Investitionen, Vernachlässigung von eigentlich wichtigen Dingen wie Familie.
In den depressiven Phasen: deutlich vermindertes Interesse oder Freude, Traurigkeit und Leere, Erschöpfung, Gefühl der Wertlosigkeit, Konzentrationsschwäche, Entscheidungsunfähigkeit.
Ich lernte auch: In den manischen Phasen gibt es keinerlei Gefühl, man sei krank. Krank sind alle anderen, die einen für krank halten. In den depressiven Phasen ist das anders. In diesen ging Katis Mann zum Arzt. Begleiterscheinungen der bipolaren Störung sind Alkohol- und sonstiger Drogenmissbrauch sowie Panik- und Persönlichkeitsstörungen. Bei starken manischen Phasen kann auch Realitätsverlust und Wahn hinzukommen – siehe die anrückenden Chinesen und die nur für ihn geschriebenen Lieder.
Ich schickte Kati umgehend den Link, sie las selbst und leitete den Artikel weiter an die Eltern ihres Mannes, die seit Jahren genauso wenig die Welt verstanden. Für niemanden gab es nach dem Lesen einen Zweifel: Dieser Mann hatte die bipolare Störung. Der Ausdruck „Käpt’n Crazy“ war Geschichte, das „Kind“ hatte nun den korrekten Namen.
Bei der bipolaren Störung wechseln sich Manien – Himmel hoch jauchzend – und Depressionen – zu Tode betrübt – immer wieder ab. Dies kann innerhalb eines Tages passieren oder in Abständen von Monaten wie bei Katis Mann. Da es in den Manien kaum Krankheitseinsicht gibt, ist eine Behandlung schwierig. Mit Medikamenten muss in den Depressionen die Stimmung aufgehellt und in den Manien gedämpft werden – ein Balanceakt. Die bipolare Störung verschwindet auch nicht einfach wieder. Die Suizidrate Erkrankter ist hoch, wird mit 15-30% angegeben.
Durch das Lesen des Artikels und das weitere Befassen mit dem Thema kam Mitleid in mir auf für diesen Mann, der sich phasenweise wie das größte Arschloch verhielt: Er konnte nicht anders. So wenig, wie man sich aus einer Depression mit guten Worten schaufeln kann, so wenig kann man sich aus der Manie auf den Boden zurückholen.
Bei dieser Erkrankung ist die Signalübertragung mehrerer Neurotransmitter gestört, darunter Glutamat, Serotonin und Dopamin. Medikamente sollen dies korrigieren. Bei Depressionen will man erreichen, dass Serotonin nicht zu schnell abgebaut wird. Bei Manien schießt Dopamin in schwindelerregende Höhen.
Wann warum bei wem eine bipolare Störung auftreten kann, ist offen. Viele Betroffene erlebten vor der ersten spürbaren Episode intensiven Stress. Andere überstehen ähnlichen Stress aber ohne diese Erkrankung. Gene spielen eine Rolle. Der Vater von Katis Mann zeigte ebenfalls Züge, die an Manien und Depressionen erinnerten.
Und der Vater scheint auch abseits der Gene ein Schlüssel zum Ausbruch der Störung zu sein. Auf ihn ist Katis Mann nie gut zu sprechen gewesen – und man kann es verstehen. Immer wieder vermisste er die Anerkennung seines Vaters. Er konnte noch so erfolgreich sein Geschäft von Null aufgebaut haben und mit dem Haus vorankommen – vom Vater kam nichts Aufbauendes.
Seiner Schwester ging und geht es nicht anders. Sie übernahm nach und nach das Geschäft des Vaters – und der spricht immer wieder davon, wie schön ein männlicher Nachfolger aus der eigenen Familie wäre, auch im Beisein seiner Tochter. Frauen scheinen in seinen Augen so wenig wert zu sein wie der zweitgeborene Sohn für Katis Ex. Seine Enkelsöhne animiert er immer wieder, beruflich eines Tages in seine Fußstapfen zu treten. Die Söhne mussten auch einen Vornamen bekommen, der mit dem gleichen Buchstaben anfängt wie der des Vaters und des Opas. Als ich dies das erste Mal hörte, fühlte ich mich an uralte Fürstenhäuser mit ihren Erbfolgern erinnert.
Wie ich über die Jahre seit 2010 lernte durch die Geschichten vieler Menschen: Psychische Erkrankungen haben immer etwas zu tun mit nie durch Eltern gesund entwickeltes Selbstbewusstsein. Ich erlebte keinen einzigen, der/die trotz angenehmer Kindheit psychisch erkrankte. Das Muster war immer das Gleiche.
Katharina beschloss nach unserer Diagnose, vorübergehend auszuziehen mit ihren Kindern bis zum Ende der aktuellen Manie. Dies war im Januar 2012. Ein Auszug für immer kam für sie nicht in Frage, es wäre viel zu aufwändig, z.B. der Ausbau der von ihr bezahlten Einbauküche. Außerdem wollte sie immer eine Familie und war bereit, einiges auf sich zu nehmen, wo andere den Kopf schütteln. Sie kam im Haus einer Freundin unter.
Drei Tage nach dem Auszug fuhr sie morgens wieder in ihren Laden. Auf dem Hof standen die Angestellten ihres Mannes und wussten nicht, was sie machen sollten. Als Kati fragte, was los sei, sagten sie, dass der Chef mit einer Unbekannten oben in der Wohnung ist und ihnen keine Aufgaben erteilt hatte. Als ihr Mann am späteren Nachmittag die Unbekannte heimlich in sein Auto brachte und mit ihr wegfuhr, ging Kati hoch in die Wohnung. Das gemeinsame Bett bot eine Ansammlung von Körperflüssigkeiten. Nach dem ersten Schock und mit heftig aufsteigender Wut steuerte sie einige Chilischoten bei, die Teil eines Buffets waren, welches ihr Mann aufgebaut hatte. Außerdem trat sie gegen einen alten Globus, der in viele Einzelteile zerbrach. Was sie sich drei Tage zuvor nicht vorstellen konnte, war mit diesem Anblick nun kein Problem mehr: Der unumkehrbare Auszug war beschlossen.
Nur ist mit einem Maniker nicht zu spaßen. Er ging zur Polizei und zeigte Kati wegen Sachbeschädigung, Vorenthaltung seines älteren Sohnes – der jüngere war ihm einmal mehr egal – und Hausfriedensbruch an. Für ihre Aussage kam Kati zur gleichen Polizistin, welche die Anzeige aufgenommen hatte. Diese sagte, der Mann habe einen ziemlich „komischen“ Eindruck gemacht, wollte ihr seine Lebensgeschichte erzählen.
Den Auszug versuchte er zu verzögern, nagelte an den Treppenaufgang ein Brett, tauschte das Schloss aus. Kati war mit den Nerven inzwischen restlos am Boden. Ich erkundigte mich für sie bei einer Anwältin, was Katharina nun noch durfte und was nicht. Die Anwältin sagte: Solange sie polizeilich in dem Haus gemeldet ist, kann sie in die Wohnung, beide haben Hausrecht. Verwehrt er den Zugang, könnte sie den Schlüsseldienst rufen. Das Brett am Aufgang solle sie fotografieren, um Entfernung bitten. Würde er der Bitte nicht folgen, müsste sie die Polizei rufen. Umzugshelfer müssten an der Grundstückseinfahrt warten. Die Einbauküche könne sie nur bekommen, wenn er einverstanden ist. Will er sie behalten, muss er den Verkehrswert zahlen. In dem Fall solle sie sich erst polizeilich ummelden, wenn sie das Geld bekommen hat. Und sie solle alles exakt im Übergabeprotokoll festhalten.
Als der Auszug überstanden war, fing der Kampf um die Kinder an, bzw. von seiner Seite aus nur um den älteren Sohn. Anwälte, Schreiben, die er nicht verstand, usw. folgten. Außerdem zog eine Neue bei ihm ein, die sich als Osteuropäerin herausstellte. Nach 14 Tagen scheiterte ein erster Versuch, sie wieder nach Warschau zu bringen. Letztendlich brauchte er vier Anläufe, damit sie wieder in ihre Heimat zurückkehren konnte. Informationen bekam Kati von seiner Sekretärin, die sich aber zunächst für einige Tage krankschreiben ließ und zum Ende des Februars kündigte. Sie war immer wieder niedergemacht worden und hielt den Psychostress nicht mehr aus.
Seine Firma vernachlässigte er, baute sich dafür einen Waffenschrank ein. Als Jäger durfte er Waffen besitzen. Auch wenn ich bis dahin von Katharina schon viel Haarsträubendes gehört hatte, aber diese Nachricht haute mich noch einmal ordentlich um: Waffen in den Händen dieses Mannes?! Immerhin griff hier sein Vater nach einiger Zeit ein und durch, nahm die Waffen an sich, auch er ist Jäger.
Ansonsten spielten seine Eltern eine schwierige Rolle. Am Anfang schienen sie zu akzeptieren, dass ihr Sohn krank ist. Doch dies kippte nach einigen Wochen. Für sie war plötzlich ER gesund, nur Kati mache das Treiben wild. Dass er beim Fasching mehrere Leute angemacht hatte, dass er bei einer Feier Leuten aufs Maul hauen wollte, spielte keine Rolle. Gipfel war ein Gespräch zwischen seiner Mutter und Kati, bei dem die Mutter ihren armen Sohn bedauerte, der an einem Sonntag wieder wegen eines Notfalls arbeiten müsse. Da platzte Kati der Kragen: „Der musste nicht zur Reparatur, der hat seine Nutte nach Warschau schaffen müssen!!!“ Daraufhin wurde die Mutter still.
Wochen später kehrte endlich wieder etwas Ruhe ein – für Kati höchste Zeit. Der Magen rebellierte, das Gewicht ging nach unten, immer wieder spürte sie kurze Herzrhythmusstörungen. Ihr Mann zog wieder seine blauen Arbeitsklamotten an und trug nicht mehr schwarz, das Quad blieb als rotes Tuch stehen, wegen der Kinder machte er keine Probleme. Langsam ging es aus dieser kurzen Phase der Normalität hinein in die Depression. Jetzt konnte sein Kopf realisieren, was in den Wochen zuvor alles kaputtgegangen war, was er seinen Kindern, Kati und sich selbst angetan hatte. Durch die Depression verstärkten sich die Schuldgefühle, er suchte die Nähe zu seinen Eltern, tat alles, um Kati milde zu stimmen, kam ihr in allem entgegen, was die Trennung und Kinder anging.
Wäre dies ein Film oder Roman, würde man an dieser Stelle die Schlussszene oder das letzte Wort finden: „Am Ende wurde doch noch alles irgendwie gut.“ Der Film „Silver Linings“ mit Jennifer Lawrence und Bradley Cooper macht es genau so. Cooper spielt einen bipolaren Mann, der auf eine psychisch instabile Lawrence trifft. Die Fetzen fliegen, manche Dialoge wirken nah an der Realität – bedrückend nah, wenn man aus seinem Umfeld solche Szenen kennt.
So gut ich den Film bis eine Minute vor Schluss fand: Das Ende machte für mich alles kaputt. Alle sitzen am Sonntag wie in guten alten Zeiten bei seinen Eltern zusammen und der Bipolare scheint dank der Liebe geheilt zu sein. Ja, es ist „nur“ ein Film. Ja, die Menschen gehen nicht mehr ins Kino, wenn sie kein Happy End für ihren Eintritt bekommen. Aber ein solcher Film prägt! Er hat die gleiche Moral wie all die Bad-Boy-Bücher: Die Liebe heilt ALLES. Halte nur lange genug durch und der Mensch mit psychischer Störung wird geheilt.
Als Kati in der Zeit zwischen unserer Erkenntnis, ihr Mann sei bipolar, und ihrem endgültigen Auszug bei einer Psychologin alles geschildert hatte, sagte diese klipp und klar: „Sie müssen mit Ihren Kindern da raus, sonst werden Sie auch krank.“ Neben dem Anblick des befleckten Ehebettes war diese Aussage für Kati der Türöffner nach draußen. Ansonsten wäre sie wohl geblieben, sagt sie noch heute.
Da diese Geschichte nicht dem Hirn eines Autoren entsprungen ist und auch nicht so gebogen werden muss, damit sie sich gut verkauft, ging es ohne Happy End immer weiter. Katharina bekam von den Angestellten ihres Mannes hin und wieder die neuesten Geschichten erzählt. Einer nach dem anderen kündigte über die Jahre, teils mit Bauchschmerzen aus Angst davor, nichts Neues zu finden. Aber die Atmosphäre in der Firma, die Sprüche des Chefs wie „ICH mach hier eh alles, ihr macht nichts!“, die immer seltener werdenden Aufträge – am Ende war der Weggang ohne Alternative.
Die Berichte drehten sich immer wieder um Frauen, immer aus Osteuropa. Manchmal präsentierte er eine bei Familienfesten, wobei die Eltern bemüht waren, sie als neue Freundin vorzustellen. Die Angst vor einem Gesichtsverlust der ganzen Familie im kleinen Ort war noch immer groß. 4 Jahre lang arbeiteten die Eltern gegen Kati, verteidigten immer wieder das Verhalten ihres Sohnes. Dem würde einfach nur der Kontakt zu seinen Kindern fehlen.
Vom Jugendamt bekam Katharina nur begrenzt die Unterstützung, die man als Mitleidender erhoffte. Mit dem Thema bipolare Störung schien sich die Mitarbeiterin überhaupt nicht auszukennen. Katis Mann wirkte bei Terminen, zu denen sie gemeinsam erscheinen mussten und bei denen er in einer Manie war, als könne ihm niemand etwas anhaben. In den wenigen Minuten zeigte er sich normal, was für Kati schwer zu ertragen war: Wie sollte sie der Mitarbeiterin deutlich machen, wie psychisch erkrankt ihr Mann war?
In einem Forum zur bipolaren Störung wollte ich mich erkundigen, ob ein Mensch mit dieser Erkrankung wenigstens gegenüber seinen Kindern berechenbar und verantwortungsvoll handeln kann. Den Satz „Das ist mir zu riskant“ schien Katis Mann für sein eigenes Leben in den Manien nicht zu kennen. Was würde er den Kindern zumuten an Risiko?
Allerdings konnte ich nicht lange im Forum bleiben, der Wind war von Seiten der Erkrankten rau. Ich könne doch nicht wegen einer TV-Sendung einen Menschen als bipolar diagnostizieren?! Dass Katis Mann diese Diagnose inzwischen auch von ärztlicher Seite hatte, war egal. Die Mutter einer Bipolaren schrieb mir in einer persönlichen Nachricht, dass die Erkrankten in diesem Forum dazu neigen, die Angehörigen recht schnell vertreiben zu wollen. Sie und andere Angehörige empfahlen dringend einen betreuten Umgang und den Kampf ums alleinige Sorgerecht.
Sprachlos machten Erzählungen. Eine Mutter schrieb, dass ihre manische Tochter Stimmen hörte, die ihr sagten, sie solle sich aus dem Fenster stürzen und ihr Ehemann sei in einer Sekte. Solche Wahnvorstellungen gehören nicht direkt zur bipolaren Störung, sind mögliche Begleiterscheinungen.
Katharina ließ sich scheiden – noch einmal ein Nervenkrieg. 2015 verunglückte der Vater ihrer Kinder mit seinem Quad mitten in der Nacht bei einer weiteren Fahrt durch den Wald. In seinem Blut stellte man 4 Promille Alkohol fest. Er überlebte, schrammte aber um zwei Millimeter an einer Querschnittslähmung vorbei. Für die Ärzte war klar, dass er operiert werden musste. Doch nach drei Tagen Klinik entließ er sich mit einer Halskrause selbst, ließ sich nach Hause fahren und musste erst einmal ein Bier mit dem letzten verbliebenen Angestellten trinken. Ja, er war wieder in der Manie.
Die Operation folgte beim Abklingen der Phase und als ihm Angst wurde, er den Kopf immer weniger schmerzfrei bewegen konnte und die Halskrause stank. In dieser Phase erwachte bei Kati das Helfersyndrom. Sie hatte noch immer Reste von Gedanken, sie selbst habe ihren Ex durch ihr Verhalten oder Druck mit dem Hausbau krank gemacht. So unterstützte sie ihn bei der Rückkehr in die Klinik, die OP lief gut. Nach dem Treppensturz hatte er zum zweiten Mal das berühmte Glück der Betrunkenen.
Die Frau, die eben noch vom Helfersyndrom gepackt worden war, bedauerte in der nächsten Manie ihres Ex-Mannes, dass er überlebt hatte. Das mag hart und kalt klingen, aber ich hatte kein Problem, diesen Gedanken nach all dem zu verstehen. Auch wenn sie inzwischen räumlichen Abstand zu ihm hatte, war er immer wieder durch die Kinder, Anrufe und Nachrichten präsent. Letztere wurden oft unter Alkohol geschrieben, anders konnte sich Kati Form und Inhalt nicht erklären: „Geld bekommst du später, Finanzamd macht mir Probleme. Würde gern auch meine Kinder zu Gesicht begrüßen würden. Läge mir sehr am Hertzen! Sind sicher auch meine Kinder wo der Vater wohl felt. Gebe mir die Kinder. Oder nur eins und ich gebe ihnen was für die Zukunft. Nein, so wollte ich das nicht sagen. Ich will sie nur ab und zu sehen. Gerantwortlich bist du ja. Es sind hoffe meine leiblichen Kinder.“
Er wollte endlos und immer wieder wirr diskutieren. Und wenn ein Maniker sagt, dass das Gras rot ist, dann ist es rot und man kann sich jedes Wort sparen, man wird ihn nicht umstimmen können.
Ja, mit dem Tod hätten die Kinder ihren Vater verloren – bzw. ihre drei Väter: den manischen, den depressiven und den in den Phasenübergängen ausgeglichenen. Wie schwer muss das für Kinder zu verstehen sein, was Erwachsene kaum ertragen können? Gerade der Manische zeigte sich immer wieder als schwer zu verdauen. Als sein älterer Sohn 16 wurde, rief der Vater ihn an und sagte, dass er wohl noch einen weiteren Sohn zeugen müsse, der eines Tages das Erbe antritt, denn seine bisherigen Kinder würden sich ja nicht um ihren Vater kümmern. Nach dem Gespräch heulte der Sohn. So sehr er über die Jahre gelernt hatte, mit der Krankheit seines Vaters irgendwie klarzukommen, so sehr verletzten ihn diese Worte. Und auch als Erwachsener willst du in diesem Moment dem Typen an den Kragen, ihn wachrütteln, ihn ohrfeigen, damit er endlich aufwacht – obwohl du dir immer wieder gesagt hast: Er verhält sich nur so durch die Manie und diese lässt sich nicht mit Vernunft steuern, genauso wenig wie die Depression.
Und wenn sich das Adrenalin gelegt hat und das rationalere Denken wieder eine Chance hat, dann sagst du dir einmal mehr: Diese Krankheit willst du nicht geschenkt haben. In einer einzigen manischen Phase, gegen die du nichts machen kannst, wenn du nicht mit Tabletten eingreifst, kannst du dir so viel kaputt machen. Katis Ex hatte sich seine Firma, seinen guten Ruf über Jahre aufgebaut – und inzwischen gibt es sie nicht mehr. Seine Mutter brach in einer manischen Phase ihres Sohnes psychisch ein und verbrachte mehrere Wochen in der Psychiatrie. Jedes Auf und Ab ist gerade für die Mutter belastend. Die Eltern haben ihre Verdrängung ablegen können und sind sich auch nach außen hin bewusst, dass ihr Sohn eine psychische Erkrankung hat. Sie legen Katharina keine Steine mehr in den Weg, unterstützen die Söhne.
Diese versucht Kati möglichst von Stress fernzuhalten. Die Angst, dass auch einer von ihnen die genetische Veranlagung zur bipolaren Störung in sich trägt, ist immer da. Aber wie kann man seine Kinder heute vor Stress, dem möglichen Auslöser, wirklich bewahren? Wer nimmt Rücksicht in dieser Ausbildungs- und Arbeitswelt?
Der jüngere Sohn musste sich durch die ersten Schuljahre kämpfen mit Nachhilfe und Ergotherapie, bekam dann sehr gut die Kurve. Doch die anfänglichen Misserfolge in der Schule, aber vor allem die Vernachlässigung durch seinen Vater machten es schwer bis unmöglich, Selbstbewusstsein aufzubauen – ein Muster, das sich durch alle Geschichten in meinem Buch zieht und deshalb sehr viele Menschen verbindet. Er zeigt deutliche depressive Züge, wiegt mit 15 Jahren 40 kg bei 1,71 m Körpergröße, weshalb ein stationärer Klinikaufenthalt angeraten wird. Wenn es um seinen Vater geht, kommen ihm die Tränen. Er sucht weiterhin die Anerkennung seines Vaters – die dieser selbst bei seinem Vater seit Kindertagen suchte und wohl nicht zuletzt deshalb krank wurde. Die Kette setzt sich weiter fort.
Für die Psyche beider Kinder – es ist schwer zu glauben, dass am großen Sohn alles abgeprallt sein soll – wäre es gut, wenn sie tief im Inneren akzeptieren könnten, dass ihr Vater durch seine Erkrankung und dessen eigene Kindheit die Anerkennung nicht leisten kann, auf die sie hoffen. Für ihre Psyche wäre es wichtig, zu verinnerlichen, dass es nicht an ihnen selbst liegt, dass ihr Vater seine Vaterrolle nicht ausfüllt. Sie könnten die klügsten, schönsten, tollsten, begabtesten Menschen der Welt sein – es würde nichts bringen. Selbst wenn sie berühmte Stars werden würden mit Millionen Fans und Milliarden auf dem Konto oder wenn sie eine riesige, erfolgreiche Firma aufbauen würden oder wenn sie jegliche Krankheit der Welt heilen könnten – es würde sich nichts verändern. Ihr Vater und seine Schwester hatten bei ihrem Vater ja ebenfalls keine Chance auf Anerkennung, so hart beide auch gearbeitet haben. Aber wie ich über die Jahre lernte, in denen ich die Geschichte von Kati und ihren Kinder verfolgte, können selbst 40- und 50-Jährige die Hoffnung auf Anerkennung von Vater und/oder Mutter nicht einfach mit Hilfe der Vernunft und Wissen über Erkrankungen aus ihrem Kopf löschen.
Vater und Sohn könnten sich stundenlang darüber unterhalten, was es mit dir macht, wenn du vergeblich auf der Suche nach Anerkennung deines Vaters bist. Vater und Sohn verbindet die Kindheit – und dieses Verbindende sorgt dafür, dass es die beiden trennt. Und sollten die Söhne eines Tages Väter werden, wird alles von vorn beginnen, wenn wir nicht endlich anfangen, zuzuhören und uns mit der Entstehung psychischer Erkrankungen zu befassen.
Ich habe keine Ahnung, wie lange es ohne mein zufälliges Stolpern über den Bipolaren in der Sandra-Maischberger-Sendung noch gedauert hätte, bis das Rätsel um das Verhalten von Katis Mann gelöst worden wäre. Wir alle waren völlig Ahnungslose und diese Ahnungslosigkeit hätte Katharina möglicherweise mit schweren gesundheitlichen Folgen bezahlen müssen. So hatte es die Psychologin ihr eindringlich erklärt, bei der sie nach unserer Diagnose war: „Sie müssen da raus, sonst werden Sie auch krank! Und die Kinder mit Ihnen.“
Dass die Warnung der Psychologin keine bloße Panikmache war, erfuhr ich 2015. Ich begegnete auf der Suche nach dem passenden Deckel Manuela, Anfang 30, die eine Krebserkrankung inklusive Verlust eines Organs hinter sich hatte – und eine dreijährige Beziehung mit einem Bipolaren. Während die manischen und depressiven Phasen bei Katharinas Ex im Abstand mehrerer Monate wechselten, erlebte Manuela bei ihrem Freund beide Phasen täglich: Für einige Stunden war er im tiefsten Loch, bezeichnete seine Freundin als einzigen Halt in seinem Leben, suchte ihre Nähe. Und noch am gleichen Tag wollte er mit der Nachbarin vögeln, stieß seiner Partnerin in jeder erdenklichen Weise vor den Kopf, strotzte vor Energie und war der Größte. Tag für Tag, drei Jahre lang Leben mit zwei extrem unterschiedlichen Persönlichkeiten. Für den Kopf ein unglaublicher Stress.
„Warum ist sie nicht einfach gegangen, bevor sie Krebs bekam?!“, ist die logische Frage. Diese kann man Männern und Frauen in zehntausenden Beziehungen stellen, dazu braucht es keine bipolare Störung. Und man kann die Frage auch Alleinstehenden oder Menschen in glücklichen Beziehungen stellen, die längst zum Arzt hätten gehen müssen, weil sie durch Stress auf Arbeit am Stock gehen oder irgendwo etwas wuchert, was da nicht hingehört. Menschen handeln oft erst dann, wenn der Leidensdruck im tiefroten Bereich ist, da schließe ich mich problemlos mit ein.
Bei Beziehungen mit psychisch Erkrankten spricht man immer wieder von Co-Abhängigkeit, wobei der Begriff umstritten ist, weil er den Partnern der Erkrankten unterschwellig eine Mitschuld geben könnte. Auch Kati war gesagt worden, dass eine Co-Abhängigkeit drohe, wenn sie bleiben würde. Co-Abhängige sagen nicht: „Jetzt reichts, ich schleif dich zum Arzt, egal, wer davon etwas mitbekommt!“, sondern sie verlängern die Krankheits- und damit die Leidensdauer, indem sie die Erkrankung vertuschen wollen, dem Erkrankten selbst laienhaft helfen möchten, „Alles ist gut“ sagen. Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Co-Abhängige tun all das, worüber sie beim besten Kumpel oder der liebsten Freundin die Hände über den Kopf zusammenschlagen würden mit den Worten: „Mensch, das kannst du doch nicht machen!!!“
Manuela hatte vor dem bipolaren Freund nur eine Beziehung. Ihr Selbstbewusstsein hatte sich unter ihren extrem dominanten Eltern nie entwickeln können, früh kämpfte sie mit Depressionen und starkem Übergewicht. Diskutieren braucht man mit ihr nicht. Sie weiß, wie der Hase läuft und lässt sich davon nicht abbringen, oft weicht sie vom eigentlichen Thema ab, fühlt sich schnell angegriffen. Damit ist sie in einer sehr großen Gemeinschaft von Menschen, die ähnlich ticken. Und auch dass Menschen mit geringem Selbstbewusstsein in Beziehungen landen, die überhaupt nicht das sind, was sie eigentlich suchen, traf auf sie zu. Wenn man von den Eltern gemobbt wurde, greift man nach jedem Strohhalm, der Zuneigung und Anerkennung verspricht. Hauptsache nicht mehr allein sein.
2016 fand sich die Tochter einer Verwandten in einer Realität wieder, die filmreif war. Nadine, 22, absolvierte ihre Ausbildung zur Altenpflegerin und hatte sich mit Veronika, 21, angefreundet. Deren Mutter hatte Veronika ein Jahr zuvor aus der elterlichen Wohnung geworfen, was unglaublich hart und nicht nachvollziehbar klang.
Beide Frauen waren gerade in der Prüfungszeit im Praktikum. Nadine wollte von ihrer Freundin per Telefon wissen, wie es gelaufen war, doch sie erreichte Veronika nicht. Diese reagierte weder auf Anrufe noch Nachrichten, auch die Wohnung machte sie nicht auf.
Als es doch zum Telefongespräch kam, redete Veronika „einen Haufen Mist“. Zum vereinbarten Treffen ein paar Tage später erschien sie nicht. Am späten Abend tauchte sie in Nadines Wohnung auf und erzählte, dass alle einen Chip unter der Haut haben und verfolgt werden. Sie hielt ihr das Handy vor die Nase und sagte immer wieder: „Das Video musst du dir angucken! Du musst genau hingucken!“ Wenig später sprach Veronika davon, dass Roboter angreifen würden und sie wolle noch auf eine Party.
In einer Zigarettenpause, in welcher Veronika auf den Balkon verschwand, machte die sehr schüchterne Nadine etwas, was sie ein, zwei Jahre zuvor nie gemacht hätte: Sie rief die 112. Doch Hilfe bekam sie keine: Erst, wenn diese Frau zur Bedrohung für sich oder andere werde, könne man etwas unternehmen. Veronika kam zurück, wollte bei Nadine bleiben, aß ihr den Kühlschrank leer, ging gegen 1 Uhr. Nadine war hundemüde, aber auch völlig durch den Wind.
Am nächsten Tag rief sie den Bruder von Veronika an, die Nummer hatte sie in der Nacht heimlich dem Handy ihrer Freundin entnommen. Wenig später meldete sich auch Veronikas Mutter, also jene Frau, die ihre Tochter ein Jahr zuvor vor die Tür gesetzt hatte. Sie erzählte, dass die bipolare Störung in der Familie liegt und bat Nadine, Veronika so zu lenken, dass sie in die Klinik geht. Sie sei die einzige, auf die ihre Tochter hört. Für eine 22-Jährige ist das nicht gerade wenig Last und das alles geschah in der Prüfungszeit.
Drei Tage später meldete sich Veronika bei Nadine: „Ich bin gerade an einer Haltestelle, aber verrate nicht an welcher.“ Sie erzählte auch etwas von einem Flüchtlingsheim. Nadine rief wieder den Bruder an, der eine Ahnung hatte, wo sich seine Schwester befand. Also fuhr Nadine durch die Stadt, zeigte am Eingang des Heims ein Foto ihrer Freundin und fragte, ob man sie hier gesehen habe. „Ja, die ist oben. Wir hätten sie sowieso gleich rausgeschmissen, die belegt die Kinder.“
Nadine ging hinein und rief wieder die 112 an. Dieses Mal hatte sie eine Frau mit mehr Verständnis für die Situation an der Leitung, sie schickte einen Krankenwagen vorbei. Veronika ließ sich überraschenderweise mitnehmen, zeigte sich sogar fast dankbar gegenüber ihrer Freundin.
Diese informierte die Mutter umgehend, die auf dem Heimweg aus dem Urlaub war. Auch sie dankte, traf sich mit Nadine und erzählte, warum sie ihre Tochter aus der Wohnung geworfen hatte: Veronika war gegenüber dem neuen Freund der Mutter immer wieder giftig geworden und hatte heftige Wutausbrüche. Zusammen holten sie zwei Wellensittiche aus Veronikas Wohnung, die recht eklig aussah, denn zwei Kaninchen liefen frei herum. In der Klinik redete die Mutter mit Engelszungen auf die Ärzte ein, sie mögen ihre Tochter wenigstens 3, 4 Tage behalten, denn die Entlassung lag bereits in der Luft.
Die Lage wurde ruhiger, als diese manische Phase abklang. In der anschließenden Depression wurde Veronika klar, dass sie durch die verpasste Prüfung die Ausbildung geschrotet hatte. Für eine Fortsetzung fehlte ihr durch die Depression die Kraft.
Nadine blieb der Halt für Veronika, auch in den nächsten Manien und sie brauchte dazu viel Energie. 2017 bekam sie im Urlaub einen Anruf von Veronika und verstand nichts: „Da da du die da du …“ Nach der Rückkehr besuchte sie ihre Freundin in der Psychiatrie und war kurz vor dem Ausrasten: Veronika sah bescheiden aus, aß kaum etwas und schlief genauso wenig, weil sie in der Zeit vor der Einweisung in die Klinik ihre Tabletten nicht mehr genommen hatte, dadurch tief in die Manie gerauscht war und – Manie typisch – lieber Party machte. Der Verfolgungswahn war zurück, an den Wänden hingen sehr seltsame Bilder.
Das alles setzte sich bis heute fort.
Ebenfalls 2017 begegnete ich einer Frau um die 30, die sich selbst als bipolar bezeichnete. Eine offizielle Diagnose gab es nie, von Psychologen hielt sie Null. Wir lernten uns wohl in einem Phasenwechsel kennen, sie verhielt sich am Anfang ausgeglichen. Ich erlebte mit ihr eine wunderbare Zeit mit Momenten, die man aus Liebesromanen kennt und bei denen man nicht glaubt, dass es so etwas in der Realität geben könnte. Eine Tante von ihr hatte die Diagnose bipolare Störung, sie starb nach einem Beziehungsdrama, welches in Regionalzeitungen erwähnt wurde.
Der Sohn dieser Tante, mit dem ich für ein paar Stunden ins Gespräch gekommen war, sah in der bipolaren Störung keine Erkrankung. Wenn jemand das Gras als rot bezeichnet, dann sei das doch einfach das Recht jedes Menschen, die Welt so zu sehen, wie er sie wahrnimmt. Sich selbst bezeichnete der 35-Jährige als Priester, der als solcher immer wieder wiedergeboren werde. Dies hatte eine Sitzung bei einer Hellseherin ergeben. Schicksalsschlägen könne man mit einer positiven inneren Einstellung begegnen, so seine Sichtweise. Opfer werden auch zu Opfern, weil sie es zulassen, Opfer zu werden.
In dem Moment, als er das sagte, fiel mir eine Freundin ein, die mit 10 missbraucht worden war und ich kochte, nachdem ich bereits am bisherigen Gesprächsverlauf verzweifelt war. Immerhin schob er nach, dass diese Aussage sehr verkürzt ist. Beruflich macht er etwas sehr Bodenständiges, Kreatives, ist damit erfolgreich selbstständig, hat sich einen Namen erarbeitet. Beim Abschied sagte er lächelnd zu mir: „Ist nicht einfach, mit einem Narzissten zu reden, was?“
Als Narzissten bezeichnete die vorübergehende Frau an meiner Seite auch sich selbst und ihren Ex vor mir. Dessen Vater war ebenfalls bipolar und in Behandlung. Durch eine Manie und der damit verbundenen völligen Veränderung ihres Wesens endete unsere Beziehung.
Was mir auf ihren Fotos auffiel, die sie in der Zeit nach der Trennung postete: Sie zeigte sich stark geschminkt. Während unserer Beziehung legte sie darauf kaum Wert, nur etwas Mascara und das wars. Ich schaute mir ältere Bilder an und auch hier zeigte sie sich sehr unterschiedlich stark geschminkt. Ihr Gesicht wirkte auf den Fotos nach der Trennung wie eine Maske.
Zwei Jahre später hatte ich ein Déjà-vu: Mit einer Bekannten kam ich auf das Thema bipolare Störung zu sprechen, denn auch ihre Tante schwankt seit über 20 Jahren zwischen Höhen und Tiefen. Die Diagnose bekam die Tante damals per Zufall. Seitdem geht sie immer in die Klinik, wenn sich die manischen Zeichen zeigen. Die Manien kündigen sich bei ihr immer mit einer tiefen Depression an und folgen immer auf Phasen mit purem Stress. Vor Beginn der Manie bei meiner Ex hatte sie auf Arbeit eine deutliche Stressphase.
Als ich mit der Bekannten dieses Gespräch führte, war ihre Tante gerade wieder in der Klinik. Auslöser war eine Wohnungskündigung wegen Eigenbedarfs. Auch hatte sie das Antidepressiva zu lange genommen. Der „Stimmungsaufheller“, der einem aus der Depression helfen soll, wirkte als Zug, der direkt in die Manie rauschte.
Seit 7 Jahren lebte sie in einer Beziehung, was aus meiner Sicht wirklich nur funktionieren kann, wenn der Erkrankte auch in den Manien zum Arzt geht. In der Klinik schimpfte sie über ihren Freund, weil er all ihre Bestellungen storniert hatte. Dabei hatte sie bereits in dieser manischen Phase ihr komplettes Erspartes, rund 4000 Euro, ausgegeben. Dass er ihr mit den Stornierungen einen Gefallen tat, sah sie erst nach dem Ende der Manie so. Zunächst war sie sauer auf ihn. Schließlich hätten sie getrennte Kassen und er bevormunde sie beim Thema Geld, auch in den Manie-freien Zeiten. Immer wieder schaue er darauf, was sie mit ihrem Geld macht.
Der Freund kannte sich mit der bipolaren Störung aus, denn auch sein Vater war davon betroffen und starb recht früh. Dennoch schien er die Krankheit nicht zu verstehen, was bei einer Therapiesitzung klarer wurde: „Ich verstehe nicht, wieso sie weiter Geld ausgibt, obwohl ich doch STOPP sage?!“
Darauf erwiderte die Therapeutin: „Wenn es so einfach wäre, dann wäre diese Station leer.“
Wieder sind wir beim: „Du musst nur …“ Damit lässt sich weder ein Maniker aus der Manie noch ein Depressiver aus der Depression bringen. Hormonstörungen kommen mit Worten und Zusammenreißen nicht wieder ins Lot.
Nun aber zum Déjà-vu, ich möchte Dich nicht weiter auf die Folter spannen: Auch diese Frau in der Klinik legte in den manischen Phasen viel mehr Schminke auf Lippen, Wangen und Augen als in den Übergangsphasen und den Depressionen. Für mich war dies ein weiteres Indiz dafür, dass meine Beziehung durch eine Manie zu Ende gegangen war, wodurch ich endgültig Frieden damit schließen konnte. Die Sätze, die zum Ende führten, hätte meine Freundin ohne Manie nie so gesagt, dazu hatte sie sich zuvor viel zu wohlgefühlt. Ich brauchte ihr nicht vergeben oder ihr verzeihen, denn sie hatte nichts falsch gemacht – außer vielleicht, dass sie längst etwas gegen ihre Erkrankung hätte tun können. Doch wie gesagt: In den Manien gibt es kein Krankheitsgefühl. Leider gibt sie inzwischen den Staffelstab an die nächste Generation weiter, obwohl sie keine Kinder wollte – aus Opfern werden Täter.
Ebenfalls 2017 ging es um den Verkauf eines kleinen Stücks Ackerlandes, an dem eine inzwischen 15-köpfige Erbengemeinschaft hing, einschließlich meiner Mum. Da alle Erben ausfindig gemacht werden mussten einschließlich der Erblinien, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichten, lernten wir kurzzeitig Verwandte kennen, von denen wir überhaupt keine Ahnung hatten, auch im eigenen Ort. Mit am Tisch saß eine Frau Mitte 60, die sich vor Jahren von ihrem Mann getrennt hatte. Auch dieser hatte es in regionale Zeitungen geschafft, als er seinen Vater als Geisel genommen und sich mehrere Stunden im Haus verschanzt hatte. Sich selbst bezeichnete er in den Verhandlungen mit der Polizei als Reichsbürger. Die offizielle Diagnose: bipolare Störung.
2019 lernte meine Mum in der Psychiatrie einen Mann Ü70 kennen. Er saß meist still und einsam da und war genau wie Mum in einer depressiven Phase. Allerdings hieß es, dass er die bipolare Störung hat. Nach der Zeit in der Klinik blieb Mum mit ihm in Kontakt, sie besuchte ihn fast jede Woche, telefonierte oft mit ihm. Die Gespräche waren meist einseitig und kurz, da er kaum sprach. Ein Pflegedienst kümmerte sich um diverse Belange wie Bankgeschäfte und nahm ihm viel ab, wozu er nicht die Energie zu haben schien. „Ein Häufchen Elend“ beschrieb ihn am besten. Zunehmend machte er sich Sorgen um sein Herz, glaubte immer wieder, dass da etwas nicht stimmt, konnte aber nichts Genaueres beschreiben. Seine Gedanken schienen sich nur um Erkrankungen zu drehen, es wirkte teils hypochondrisch.
Mit der Zeit zweifelten wir daran, dass die Diagnose Bipolare Störung stimmte, denn inzwischen war er über 2 Jahre in der „Häufchen Elend“-Verfassung und überhaupt nichts deutete darauf hin, dass er in eine Manie kippen könnte. Regelmäßig ging er zum Psychiater, der ihm seine Pillen verschrieb, aber scheinbar nichts dafür tat, dass der Mann mal wieder so etwas wie Lebensfreude finden konnte. Man schien ihn in der Depression halten zu wollen nach dem Motto „Solange er nicht in die Manie kommt, baut er keinen Mist“, was schwer anzusehen war im Angesicht des Häufchens Elend.
Anfang 2022 wurden die Telefongespräche zwischen Mum und ihrem „Mitbringsel“ deutlich länger. Sie musste ihm nicht mehr jedes Wort aus der Nase ziehen, sondern konnte sich mehr und mehr aufs Zuhören verlagern. Nur was sie zu hören bekam, wurde mit der Zeit immer schräger. Er selbst sagte: „Ich bin aus dem „Koma“ erwacht!“ Dass er sich in diesem befunden hatte, sei die Schuld der Ärzte gewesen. Den Pflegedienst, der sich jahrelang um ihn gekümmert hatte, verklagte er wegen Unterschlagung von Geldern.
Mitte 2022 plante er, Bundeskanzler werden zu wollen. Nach dem Wahlsieg mit einer Partei, die er noch gründen müsse, wollte er mit Russlands Präsidenten Putin über ein Ende des Ukraine-Krieges verhandeln. Er war erbost, dass man ihn in der depressiven Phase gegen Corona hatte geimpft, das sei doch alles Schwindel.
Er kaufte sich ein Auto, ein teures Produkt aus der Wunderheiler-Abteilung und diverse andere Sachen. Mum kannte seine Rente und konnte sich nicht vorstellen, dass diese für all das reicht. Und sie wusste, dass er Schulden hatte.
Um sein Einkommen aufzubessern, wollte er Menschen mit dem Wunderheiler-Ding behandeln. Bei Ärzten wollte er Werbung dafür auslegen. Entsetzt war er immer wieder, dass die Ärzte über das Wunderheiler-Ding nur müde lächelten: „Die wollen ja nur selbst Kohle verdienen!“ Er wollte Weihnachtsmann spielen, musste aber vorher eine neue Hüfte eingesetzt bekommen, lief zuvor wochenlang ohne linker Hüfte rum, weil es immer wieder Komplikationen gab – doch der Plan mit dem Weihnachtsmann hielt sich eisern.
In der Klinik spielte er seine mitgenommenen Musikinstrumente, bis es den Schwestern zu viel wurde. Dann fiel sein Interesse auf eine Villa gegenüber, die zum Kauf angeboten wurde. Gleichzeitig bat er meine Mum, ob sie seinem Handy 5 Euro aufladen könne, weil er gerade nichts flüssig habe. Im gleichen Telefongespräch wollte er, dass Mum bei den Ebay-Kleinanzeigen nach mehreren Musikinstrumenten schaut, die er kaufen wollte. Sie las ihm nur Angebote vor, die über 1000 Euro kosteten in der Hoffnung, der Preis würde ihn abschrecken.
Er rief einen alten Freund an, dem er vor 25 Jahren ein paar Hundert Euro geborgt hätte. Auch von seiner ehemaligen Schwiegermutter wollte er Geld zurück, das er ihr vor vielen Jahren geliehen hätte. Seiner Krankenkasse machte er einen Einlauf, weil er auch von dort Zahlungen erwartete. Er schwärmte von einem Laden, in dem man Kalaschnikow-Gewehre „einfach so“ kaufen könnte, mit so einer Waffe könne man ja sein Geld eintreiben.
Sein Ton hatte sich deutlich verändert. Vom Häufchen Elend war rein gar nichts mehr zu merken. Meine Mum fuhr er am Telefon immer wieder heftig an: „Was fragst du denn dauernd?! … Das hab ich dir doch gerade erzählt, begreifst du es nicht?! Oder hörst du schlecht?!“ Seine Stimme war laut, Mum versuchte, ihn immer wieder zu bremsen. Besuchen brauchte sie ihn nicht mehr, sein Interesse galt nun Frauen unter 40. Daraus machte er ihr gegenüber überhaupt keinen Hehl. In einer Kneipe hatte er angeblich seine Jugendfreundin zufällig getroffen und Mum sollte ihre Telefonnummer per Internet rausfinden. Eine Frau, die kurzzeitig bei ihm putzte, blieb bald wieder fern: „Die erzählt überall, ich hätte sie begrabscht!“
Mir bereitete dieser schroffe Umgang des Mannes mit meiner Mum leichte Bauchschmerzen. Erst war sie die einzige, die sich abseits von Pflegedienst und Ärzten um ihn kümmerte. Seine beiden Söhne hatten den Kontakt zum Vater schon lange abgebrochen. Und nun, wo er eigentlich raus aus dem Tal war und seine Dankbarkeit hätte zeigen können, behandelte er sie wie ein wertloses, notwendiges Übel, das gerade gut genug war für das Raussuchen von Telefonnummern und das „Auslegen“ von Geld.
Ohne die vorherigen Erfahrungen, beginnend mit Katis Ex, wäre das alles nicht zu fassen gewesen: Ein Mensch, der sich so extrem wandeln kann?! Von zu Tode betrübt zu Himmel hoch jauchzend?! Wie kann ein Mensch plötzlich so undankbar sein? Wie kann er so verletzend sein? Woher kommen diese völlig abwegigen Gedanken mit der Bundeskanzler-Kandidatur? Warum will der Mann eine Villa kaufen, wenn er nicht mal 5 Euro übrig hat?
Am Tag vor dem 2. Advent rief er Mum an: Sie brauche ihn morgen nicht anrufen und ihm einen schönen Advent wünschen, sondern solle sich erst wieder melden, wenn sie zur Vernunft gekommen sei. Er war zutiefst verletzt, dass sie ihre Augenerkrankung nicht mit seinem Wunderheilerdingens behandeln wollte, nicht mal testweise. Wieder war eines der Symptome der Manien deutlich: Alle anderen sind krank, nur der Maniker selbst ist vernünftig.
Mum kannte die Geschichten um Katis Ex und auch die der weiteren Begegnungen. Diese Erfahrungen halfen und helfen ihr, das alles zu begreifen und es nicht zu persönlich zu nehmen – aber klar bekommt man nie den absoluten Abstand zu Beleidigungen hin, gerade wenn man einem Menschen zuvor viel geholfen hat. Die Frage, ob die Diagnose Biopolare Störung wirklich so stimmte, stellte sich nicht mehr. Viele Symptome der manischen Phasen waren auch bei diesem Mann ab Anfang 2022 dabei: übertriebenes Selbstbewusstsein oder Größenwahn, Sprühen vor Ideen, Drang zum Reden, Kaufrausch, sexuelle Taktlosigkeiten, sinnlose geschäftliche Investitionen.
Überraschend war eigentlich nur, dass es so lange gedauert hatte, bis sich eine neue manische Phase zeigt. Wie der Phasenwechsel von der Depression zur Manie ausgelöst wurde, ist für uns völlig unklar, eigentlich hatte sich nichts verändert, es gab keine Phase mit erhöhtem Stress. Scheinbar kippte der Hormonhaushalt einfach so. Gespannt waren wir, wie lange es dauern würde, bis das Häufchen Elend wieder hervortreten und sich sein Charakter einmal mehr komplett verändern würde.
Hat man für ein Thema eine Antenne entwickelt wie ich durch den Ex von Katharina für die bipolare Störung, fällt es einem natürlich viel mehr auf. Dennoch registrierte ich diese Häufung mit zunehmendem Kopfschütteln: War es Zufall oder gibt es wirklich so viele Menschen, die mit dieser Erkrankung leben?
Wirklich verlässliche Zahlen findet man nicht, so wie bei allen psychischen Erkrankungen. Das „Weißbuch bipolar“ geht von bis zu 2% Betroffenen aus. Manche Studien kommen zum Ergebnis, dass bis zu 5% der Gesamtbevölkerung von den Erkrankungen des gesamten bipolaren Spektrums betroffen sein könnten. So oder so käme man auf mindestens 1,2 Millionen Menschen in Deutschland mit bipolarer Störung, wobei die Heftigkeit der Verläufe unterschiedlich ist. Nicht jeder Bipolare rauscht mit 4 Promille durch den Wald oder fühlt sich verfolgt. Energie raubend und verstörend ist das Auf und Ab für jeden im Umfeld dieser über 1,2 Millionen Menschen – und natürlich auch für die Erkrankten selbst. Über 1,2 Millionen einzelne Geschichten wie die von Katis Ex, Veronika, Manuela, Mums Mitbringsel und all den anderen. Und noch viel mehr Geschichten von Partnern, Kindern, Eltern, Angestellten, Kollegen. Dieses Thema hält Millionen Menschen jeden Tag in Atem – und man muss per Zufall darauf stoßen, um das Verhalten eines anderen Menschen enträtseln zu können, wenn es noch keine Diagnose gab.
Wer glaubt, keinen Menschen mit bipolarer Störung zu kennen, liegt falsch. Kannst Du Dir vorstellen, dass ein Mensch wie Katharinas Ex oder Mums Mitbringsel einen Weltkonzern leitet? Ein Mensch, der Geld zum Fenster rauswirft, wildfremde Menschen anquatscht, auf Tischen tanzt, sexuell keine Limits kennt, nachts nur 2 Stunden schläft, sich nicht überzeugen lässt, dass der Himmel blau und nicht grün ist, der wirre Sachen sagt und macht, sich für ein Genie hält, dem keiner das Wasser reichen kann und der vor genialen Einfällen sprüht?
Er gründete PayPal, Tesla und SpaceX. Mit 27 war er Millionär, inzwischen sind seine Firmen milliardenschwer. Sein Arbeitseifer, sein Sprühen vor Ideen machten ihn zu einem der einflussreichsten Menschen dieser Zeit – aber beides verdankt er den Manien. Die Frage, ob er bipolar sein könnte, beantwortete Musk mit einem „Yeah.“ Allerdings sei er nicht im medizinischen Sinne manisch-depressiv.
Sein Verhalten passt gut zu den bekannten Symptomen. Wer ihn um seinen Reichtum und all die damit verbundenen Möglichkeiten für ein finanziell sorgenfreies Leben beneidet, sollte sich immer wieder die Geschichten von Katis Ex und anderen Bipolaren durchlesen. Musk sagte einst selbst, man solle ihn nicht um sein Leben beneiden.
Die Vorgeschichte seiner Erkrankung ist die Übliche: Seine Kindheit war alles andere als angenehm. Als Schüler wurde er gemobbt und krankenhausreif geschlagen. Zumindest von Seiten des Vaters konnte er kein gesundes Selbstbewusstsein bekommen, auf ihn ist Musk gelinde gesagt „nicht gut zu sprechen“. (Mehr dazu in den Quellen unten)
Sein Hin und Her beim Kauf von Twitter – erst Ja, dann Nein, dann wieder Ja – ist für mich ein Indiz, dass er von Manie zu Normal/Depression und zurück zur Manie gewandelt sein könnte während des Kaufprozesses. Wenn ich über 40 Mrd. Dollar ausgebe und dafür Kredite aufnehme, dann weiß ich eigentlich, wofür und zeige mich nicht so unentschlossen. Seine Sätze, die die Übernahme begleiteten, könnten aus den Mündern der anderen in diesem Text genannten Bipolaren stammen.
Bisher zeugte Musk neun Kinder. Die Benennung seines sechsten Kindes machte Schlagzeilen: X Æ A-Xii. Mir tun die Kinder leid, denn ihre Chancen, psychisch gesunde Erwachsene zu werden, erscheinen mir nach all den Erfahrungen sehr gering. Auch dieser Vater kann aufgrund seiner Erkrankung seinem Nachwuchs kein stabiles Selbstbewusstsein geben, so wie es Katis Ex bei seinen Jungs nicht kann. Auch hier vererbt eine Generation der nächsten mehr oder weniger heftige psychische Probleme. Wer das für eine unhaltbare Behauptung hält, möge mir die Gegenbeispiele benennen.
Und mir macht es Angst, wenn ein solches Unternehmen in den Händen eines Mannes ist, der nur selten Kontrolle über sich haben kann durch seine Erkrankung. Seine Geschichte zeigt aus meiner Sicht: Wir brauchen psychologische Eignungstests für Firmenchefs, genauso wie für Politiker. Nur so kann verhindert werden, dass ein Mensch Firmen und Menschen zerstört.
Und nur so kann verhindert werden, dass ein Mensch mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung im Amt eines Präsidenten zur Stürmung des US-Parlamentssitzes animieren kann, so dass Menschen mit psychischen Erkrankungen dem Ruf folgen.
Wenn Journalisten über den Sturm auf das Kapitol in Washington vom Januar 2021 berichten, wird häufig ein Bild des „Büffelmannes“ verwendet. Er wurde durch sein markantes Äußeres zu einer Symbolfigur des Sturms und des ganzen Wahnsinns. In den Artikeln geht es immer wieder in hochtrabenden Worten um die Gefährdung der Demokratie durch Rechtsextremisten, angeleitet vom „Trumpismus“, eine Wortschöpfung, die es eigentlich nicht bräuchte, weil „Narzissmus“ als Beschreibung des Ex-Präsidenten völlig ausreichend ist. Aber sowohl bei Trump als auch beim „Büffelmann“ wird bei Erklärungen für ihr Verhalten um das Thema psychische Erkrankungen/Persönlichkeitstörungen der übliche, endlos große Bogen gemacht.
Laut Untersuchung des FBI hat der „Büffelmann“ mehrere psychische Erkrankungen, darunter vorübergehende Schizophrenie, bipolare Störung, Depressionen und eine Angststörung. Auch hier gilt: Je seltsamer das Handeln eines Menschen, desto wahrscheinlicher sind psychische Erkrankungen. Und diese entstehen nicht aus dem Nichts, sondern sind praktisch immer Folge einer mehr oder weniger furchtbaren Kindheit. Den Sturm auf das Kapitol hätte es nie gegeben, wenn man in den Kinderzimmern der Beteiligten für eine kindgerechte Atmosphäre gesorgt hätte und wenn man Politiker mit Persönlichkeitsstörung durch psychologische Eignungstests von Ämtern fernhalten würde. Nur müsste dazu das Thema überhaupt erst einmal wahrgenommen werden.
Darf man alle anderen, die sich an der Erstürmung beteiligten, als psychisch erkrankt einstufen? Natürlich nicht. Darf man davon ausgehen, dass alle anderen psychisch gesund waren und nur der eine nicht? Angesichts dessen, was in dieser Welt passiert und wie weit verbreitet psychische Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen sind, lautet meine Antwort: Nein, davon sollte man nicht ausgehen. Ereignisse wie der Sturms aufs Kapitol sollten Arschtritte sein, um sich endlich mit den Auswirkungen der Erkrankungen und Störungen zu befassen.
Und nein, es geht nicht darum, psychisch Erkrankte als das große Übel abzustempeln, sondern um das Lernen aus den Geschichten der Erkrankten und um den damit verbundenen Erkenntnisgewinn: Kinder müssen mit gesundem Selbstbewusstsein aufwachsen können. Nur so kann es psychisch gesunde Erwachsene geben.
Wie sieht es im Showgeschäft mit der bipolaren Störung aus?
Rapper Kanye West, einst Partner von Kim Kardashian, wuchs gutbürgerlich auf, was aber nicht heißen muss, dass seine Kindheit kindgerecht verlief. Seine Mutter arbeitete als Professorin für Anglistik und hatte sich von Wests Vater getrennt. Über seine frühen Jahre sagte er: „Während andere auf der Straße abhingen, war ich in der Mall shoppen.“ Psychische Erkrankungen entstehen nicht nur aus Vernachlässigung, auch der „Goldene Käfig“ kann Gift sein für die psychische Gesundheit.
2009 legte West einen verstörend-legendären Auftritt bei der Preisverleihung des Musiksenders MTV hin. Als Taylor Swift sich für den Preis für das beste Video bedankte, stürmte West auf die Bühne, schnappte sich das Mikro und erklärte, Beyonce hätte eines der besten Videos aller Zeiten abgeliefert. Swift wusste nicht, was ihr geschah und den Zuschauern ging es nicht anders.
Weitere verstörende Auftritte folgten, von sich selbst zeigt er sich immer wieder unglaublich überzeugt. Er will sich in einer Reihe sehen mit Jimi Hendrix, den Rolling Stones und den Beatles. West gilt als einer der reichsten Musiker und Unternehmer der Welt, stand zwischendurch am finanziellen Abgrund. 2016 schrieb er über Twitter, dass er 53 Mio. Dollar Schulden hat. Und er bekam 2017 die Diagnose Bipolare Störung. In den Manien leidet er unter Verfolgungswahn, genauso wie Veronika, was nicht selten ist in dieser Phase.
2020 kündigte er an, US-Präsident werden zu wollen. Seine Frau entschuldigte sich im Sommer für seltsame Nachrichten von West bei Twitter und verwies auf seine Diagnose.
2022 kündigte Adidas die Zusammenarbeit mit West auf, nachdem von rassistischen Aussagen die Rede war.
Ist Kanye West ein Rassist? Ein Geldverschwender? Ein Größenwahnsinniger? Ein Genie? Kommt drauf an, ob er in der Manie oder Depression ist.
Über Mariah Carey, eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Welt, wurde viel geschmunzelt, wenn sie einmal mehr mit ihren Starallüren Schlagzeilen machte: „Das gehört halt zu einem Weltstar dazu.“ Sie wurde zum Inbegriff der Diva – die Menschen, die unter den Allüren litten, lachten sicher weniger darüber. 2018 verriet sie, was sie schon 2001 diagnostiziert bekam: Bipolar II. Bei dieser Form der Störung folgt einer mindestens 14-tägigen Depression mindestens eine leichte Manie.
Lovato, eher den jüngeren Generationen bekannt, kann sieben Songs in einer Nacht schreiben und bis 5:30 Uhr wach bleiben, sagte sie dem Magazin „People“. Die Diagnose Bipolare Störung bekam sie während eines Klinikaufenthaltes aufgrund von Anorexie, Bulimie, Selbstverletzung und Drogenmissbrauch.
Schauspieler Mel Gibson, bekannt u.a. aus „Mad Max“, „Lethal Weapon“, „Braveheart“ und „Was Frauen wollen“, erklärte 2002, dass bei ihm die bipolare Störung festgestellt wurde. Neben seinen Filmen machte er Schlagzeilen mit verstörenden Auftritten und Aussagen gegen Schwule und Juden. Mehrfach wurde seine Alkoholsucht behandelt. Sein Vater war Anhänger von Verschwörungsmythen.
In einem Artikel bei web.de Anfang 2021 wurden unter der Überschrift „Zum 65. Geburtstag von Mel Gibson: Superstar und Hollywood-Rüpel“ dessen filmische Erfolge und Skandale aufgezeigt, versehen mit den Sätzen: „Immer wieder muss Gibson dementieren und sich entschuldigen, er verweist auf eine diagnostizierte Bipolare Störung und seinen Alkoholismus, um seine wiederholten Ausfälle zu entschuldigen. Auch wenn es aufgrund der Vielzahl der Vorfälle immer schwerer wurde, ihm aufrichtige Reue abzunehmen, gelang Gibson das Comeback in Hollywood.“i
Schon das Wort „Rüpel“ in der Überschrift zeigt, wie viel Aufklärungsarbeit bei Journalisten nötig ist, damit sie in der Realität ankommen. Wieder klingt es nach „Der will sich ja nur rausreden.“ Wer sich den Film „Der Biber“ mit Gibson anschaut und seine bipolare Störung im Hinterkopf hat und Menschen mit dieser Erkrankung selbst erlebt hat, der weiß, warum er dort verdammt überzeugend wirkt.
Carrie Fisher machte sich mit ihrer Rolle als Prinzessin Leia in den Star-Wars-Filmen auch über ihren Tod 2016 hinaus unsterblich. Ihr Privatleben hatte weniger Glanz: Drogen, Alkohol – und bipolare Störung. Über die Manien sagte sie: „Manie beginnt als einziger Spaß, tagelang kein Schlaf, nur du und dein Gehirn, das zu einem außergewöhnlichen Computer wird, der dir 24 TV-Kanäle nur über dich präsentiert. Nach einer Weile geht das jedoch gravierend schief.“
Schauspielerin Catherine Zeta Jones, die u.a. mitspielte in „Ocean´s 12“ und im Musicalfilm „Chicago“, machte ihre Erkrankung 2011 bekannt.
Ihr Kollege Ben Stiller („Nachts im Museum“) glaubt, er sei bipolar und führt darauf u.a. Ausbrüche am Set von „Zoolander“ zurück.
Richard Dreyfuss spielte in „Der weiße Hai“, „Mr. Hollands Opus“, „R.E.D. – Älter, Härter, Besser“ und bekam 1978 den Oscar als bester Hauptdarsteller für seine Rolle in „Der Untermieter“. Seit seiner Kindheit hat er mit der bipolaren Störung zu kämpfen und erlebte die typische Achterbahn, bis er sich in Behandlung begab und man die richtigen Medikamente fand für einen stabilen Zustand.
Die Aufzählung ist sicher weit weg von „vollständig“. Wer z.B. das Verhalten von Charlie Sheen, bekannt aus „Hot Shots“ und „Two and a half Man“, verstehen will, könnte ebenfalls bei dieser Störung fündig werden. Sind diese Menschen so berühmt, reich und einflussreich geworden und nebenbei bipolar? Oder verhalfen ihnen erst die Dopamin-Schübe in den Manien zu ihrer Kreativität? Können sie so scheinbar selbstbewusst vorgehen und Risiken eingehen, weil die Manie sie im Griff hat, wo andere sich aus Selbstzweifeln nicht aus dem Hemd trauen? Gäbe es Paypal, Tesla und SpaceX ohne die manischen Phasen von Elon Musk? Gäbe es diese Firmen, wenn er in seiner Kindheit nicht gemobbt worden wäre? Musste er nach so viel Macht und Einfluss und Geld streben, damit sein Selbstwert gefüttert werden konnte und weil die Manien ihn trieben? Er könnte mit seinem Einfallsreichtum ein einfacheres, ruhigeres und dennoch finanziell abgesichertes Leben führen. Wie viele manisch-verrückte Ideen fängt sein Umfeld in den Firmen ab, weil diese Geniestreiche in den Ruin führen würden? Wie ist das Umfeld psychisch aufgestellt? Wie viel Einfluss darf ein manischer Mensch bekommen? Wie kann man verhindern, dass die Erkrankung ausbricht? Hätte es schon ausgereicht, ihn als Kind zu beschützen?
Wer auch immer über Musk, West, Gibson und andere Menschen berichten will, die sich sehr auffällig verhalten, sollte immer bedenken: Kein Mensch ist einfach nur größenwahnsinnig, Extremist, Rassist, ausgeflippt, überdreht. Hinter all dem steckt eine Geschichte, die in der Kindheit beginnt. Aus Opfern werden Täter. Wer keine Täter will, muss dafür sorgen, dass es keine Opfer gibt.
Die Rolle der Medien ist für mich schwer zu ertragen. Spätestens 2022 gäbe es genug Möglichkeiten, um über die bipolare Störung und andere psychische Erkrankungen sowie Persönlichkeitsstörungen aufzuklären und ihre Auswirkungen auf die angebliche Spaltung der Gesellschaft zu zeigen. Doch Journalisten bedienen in ihren Artikel immer wieder nur Klischees. Und solange wir Menschen durch Klischees erklären, wird immer der Gedanke da sein: „Ach, wenn der mit mir zusammen ist, wird er sich schon ändern.“ Anstatt von Rassismus und anderen Formen von Hass zu sprechen und ständig neue Kampagnen zu starten, müssen wir uns um die psychische Gesundheit kümmern.
Die Leidtragenden der Ignoranz sind die Kinder. SIE müssen das ausbaden, was WIR verzapft haben. Auf ihren Schultern lastet das, was wir nicht wegräumen konnten oder wollten. Und eines Tages sind diese Kinder das WIR, so wie WIR einst genau diese Kinder waren. Aus Opfern werden Täter und Täter hinterlassen neue Opfer.
Wenn Kinder aufwachsen ohne die Anerkennung durch BEIDE Elternteile, dann sind die Umwege zum Glück vorbestimmt – und sie sind immer Wege ins Unglück.
Den Blick hinter die Gardinen mit 80 weiteren Biografiesplittern gibt es in meinem Buch:
Wer Menschen verstehen will, muss ihnen zuhören, sie beobachten, hinter die Fassade schauen: Warum heiraten wir? Sind Frauen von Natur aus gute Mütter? Was erlebt man bei der Partnersuche? Wem verdanken Elon Musk und Kanye West ihre Erfolge? Was treibt andere Prominente an – und was ist dein eigener Antrieb? Fallen psychische Erkrankungen vom Himmel? Warum steht jemand 5 Stunden unter der Dusche? Wieso glaubt Käpt´n Crazy, die Chinesen würden kommen? Sind Krankenhäuser tatsächlich Hurenhäuser? Warum verheimlicht eine 50-Jährige, dass ihr Vater soff?
Mit den Antworten auf diese Fragen wird unerklärliches Verhalten entzaubert. Kein Hashtag, kein Gendern und keine Kampagne wird diese Welt retten können. Erst wenn wir einsehen, wie wir ticken, kann sich etwas verändern. Komm mit auf eine Reise, die Dich verändern wird!
Das Buch gibt es bei bod.de, bei Amazon, genauso bei allen anderen Onlinehändlern. Du kannst aber auch beim Buchhändler um die Ecke danach fragen. Die ISBN: 9783 7557 0721 9. (Da sich bisher kein Verlag interessiert hat, werden keine Exemplare zum Mitnehmen rumliegen, deshalb bitte vorerst direkt im Laden bestellen.)
Sophie lebt – und ist tot. Was besser ist für sie? Ich weiß es nicht.
„Da war nichts.“ Meggie hatte eine schöne Kindheit, dennoch geht es ihr schlecht. Warum?! Dann erwacht der Elefant.
„Ich habe mich gefreut, wenn Papa fünf Minuten Zeit für mich hatte.“ Jens hat den Arbeitseifer seines Vaters geerbt und wird in sechs Jahren sterben.
Elon Musk, Kanye West, Mel Gibson – denen ist doch allen der Erfolg zu Kopf gestiegen! Die spinnen doch einfach nur! Willst du mit ihnen tauschen?
„Warum hat er mich nicht lieb? Bin ich einfach ein Nichts?“ Diese Fragen stellt sich Katis jüngerer Sohn und denkt dabei an seinen Vater.
Suizid kann Freiheit bedeuten. 2020 hat Ulli die erste freie Entscheidung seines Lebens getroffen. Dieser Neubeginn bedeutete seine Freiheit. Und sein Ende.
Saskia gibt mit Ü40 die Hoffnung nicht auf, von ihrer Mum ein nettes Wort für ihr Dasein zu hören. Bettina bekam mit 20 ein Kind, um ihrem Elternhaus zu entkommen – und lebt seitdem in den gleichen Verhältnissen.
Natascha Kampusch als Hassobjekt?! Das macht keinen Sinn – doch beim Zuhören erklärt sich auch beim Thema Hass, wie sich unsere „Special Effects“ entwickeln.
Annie ist 16, 1,70 m, 40 kg. Ihr Vater versteht nicht, warum sie nicht einfach mehr isst. Er selbst steckt jeden Monat 500 Euro in sein Onlinespiel. Annies Mutter vermeidet Diskussionen mit ihm über ihr Rauchen. Verstehen des jeweils anderen? Fehlanzeige.
Die einen waschen ihre Firma grün, die anderen leben beim Yoga ihren Narzissmus aus. Was steckt hinter dem Gendern?
Wer Frauen sichtbar machen will, muss das komplette Bild ins Scheinwerferlicht rücken – auch die Schattenseiten.
Wo in der Geschichte sind die ganz konkreten Beispiele dafür, dass Appelle an die Vernunft etwas zum Guten verändern? Mein Vater kann nicht gemeint sein.
Über Tote sagt man nichts Schlechtes. Wenn dir also nichts Positives einfällt, dann musst du schweigen. Doch jedes Leben erzählt eine Geschichte.
Knapp 18 Mio. Menschen werden pro Jahr wegen psychischer Erkrankungen behandelt. So etwas können Parteien doch nicht ignorieren, oder?
Frage: Was muss passieren, damit diese Welt weniger verrückt ist? Antwort: Wir müssen zuhören lernen. Oder wir verbieten das Kinderkriegen.
Jochen wäre fast ertrunken, der Vater zerrte ihn wieder ins Wasser. Opfer und Täter, weiß und schwarz. Doch ist es wirklich so einfach?
Du weißt, wie wahre Liebesgeschichten beginnen. Dies sind einige von ihnen.
Und wieder glauben wir, Erwachsene umerziehen zu können – und wieder haben wir nichts aus der Geschichte gelernt.
Er verfolgt dich, er bespitzelt dich, er glaubt dir nicht, du machst Schluss mit ihm. 10 Jahre später sitzt du mit ihm und euren beiden Kindern am Frühstückstisch.
In dieser Welt passiert vieles, was aufgedeckt gehört. Gibt es jedoch zu einem Ereignis 101 unterschiedliche Wahrheiten, dann werde ich nachdenklich.
Die Welt wird von einer unsichtbaren Macht geleitet – sagen nicht nur Verschwörungsanhänger, sondern Milliarden Menschen.
Er baut den Keller zur Wohnung um, weil die Chinesen kommen. Sie spricht vom Angriff der Roboter. Wenn du ihre Geschichten kennst, wirst du sie verstehen.
„Als ich Krebs hatte, bekam ich Mitleid, Zuspruch und Unterstützung. Als Depressionskranke war ich immer die faule Sau.“
Stille ist Luxus. Im Wald kannst du sie finden, kannst nackt herumrennen. Doch nun weicht die Stille der Sprachlosigkeit.
Als Robert Enke durch Suizid starb, herrschte große Trauer. Doch längst jagen wir seine Nachfolger Richtung Abgrund.
1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
Wir sind Ruth und Knut. Nimm uns an die Hand und komm mit auf deine spannendeste, tränenreichste und lustigste Reise. Wir reißen Wunden auf und kleben nicht einfach ein Pflaster drüber, um unsere Besitzerin auf einen entspannten Weg durchs Leben zu ermöglichen.
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„Warum hat er mich nicht lieb? Weil ich ein Nichts bin?„
Katis jüngerem Sohn kommen die Tränen, wenn er über seinen Vater spricht. In seinen 16 Jahren hat er viel mitmachen müssen, die Spuren sind deutlich zu merken. Und eigentlich hat er drei Väter.
2009 erzählte mir beim Klassentreffen eine ehemalige Schulfreundin, Katharina, von ihrem Mann. Sie, damals Mitte 30, lebte mit ihm und ihren beiden Söhnen in einem großen Haus, an dem ihr Mann in jeder freien Minute weiter baute. Von „fertig“ waren viele Räume weit entfernt. Im Erdgeschoss hatten sie gemeinsam einen Laden eingerichtet, in welchem Katharina verkaufte. Ihr Mann hatte sich eine eigene Firma aufgebaut und gestaltete mit drei Angestellten Gärten und Höfe mit wirklich beeindruckenden Ergebnissen. Die Ideen gingen ihm nie aus, er arbeitete sehr sauber und hielt Fristen ein. Entsprechend gut lief die Firma.
Weniger gut lief das Miteinander zwischen ihm und Katharina seit ca. zwei Jahren. Seine Trinkerei ließ ihn Dinge machen, die auf keine Kuhhaut gingen – zumindest nahmen alle an, dass es mit seinem Alkoholkonsum zu tun hatte. Diesen reduzierte er auch nicht nach einem lebensbedrohlichen Treppensturz. Da gab es kein Umdenken wie: „Oh Gott, jetzt hätte ich fast meine Kinder zu Halbwaisen gemacht! Ich hab ein Problem!“ Nein, es ging einfach weiter.
Auf seinem Schreibtisch hatte Katharina einen Zettel gefunden: „Zukunft Laden?“ Dieser machte gute Gewinne, es konnte also nicht darum gehen, ihn wegen Verlusten aufzulösen. War der Zettel eine Reaktion auf Katharinas Verhalten? Eine Woche zuvor war eine Ex-Freundin ihres Mannes aufgetaucht. Dieser bat Kati, ihm Bilder aus der gemeinsamen Vergangenheit zu bringen – also aus seiner Zeit mit der Ex. Für Kati war es eine Kränkung, sie machte auf bockig, erwartete ein: „Tut mir leid.“ Doch er drehte den Spieß um: Er ging nach einem Dorffest nicht mit ihr nach Hause, blieb am zweiten Tag bis morgens und schlief stockbesoffen im Keller, saß an den folgenden Tagen bis in die Nacht im Büro.
Letztlich entschuldigte sich Katharina für ihr Verhalten, um den Frieden wiederherzustellen. Außerdem hatte sie Angst, er würde ihr den Laden wirklich kündigen. Und es fiel ihr schwer, sich einzugestehen, dass sie für diesen Mann trotz allem noch etwas empfand. Dabei verzweifelte sie immer wieder daran, dass er niemals Fehlverhalten bei sich sah.
Aber es gab auch Phasen, in denen er absolut ihre Nähe suchte, an ihrem Rockzipfel hing, kuscheln und schmusen wollte. Und einige Zeit später war sie wieder nur die Haushaltshilfe und das Kindermädchen. Um die beiden Söhne kümmerte er sich dann kaum.
Katharina glaubte, der Stress mit dem Hausbau sei der Grund für das viele Trinken und damit für sein ganzes Verhalten. Doch auch als 2010 die Arbeit weniger wurde, änderte sich nichts. Nach dem Klassentreffen blieben wir in Kontakt und ich erfuhr jede neue Episode. Ohne Absprache hatte er sich ein verdammt teures Quad gekauft, düste damit durch Wald und Flur. In einer Nacht rief er Kati halb 3 an: Sie solle ihn bitte abholen, er sei im Wald steckengeblieben. Danach brach die Verbindung ab. Nach langem Überlegen und innerlichem Zittern – die Nerven lagen blank – ließ sie ihre Söhne (damals 6 und 8) allein, fuhr durch die Gegend, planlos, denn er hatte keinerlei Angabe gemacht, wo genau er im Wald gestrandet war. Nach einer Stunde fuhr sie wieder nach Hause, ohne Spur von ihrem Mann. Den befreite ein Kumpel am frühen Morgen aus dem Matsch.
Für Katharina ging das alles immer mehr an die Substanz, die Nächte blieben unruhig. Teils hatte sie Todesangst, über die sie mit mir aber erst mit viel zeitlichem Abstand sprach. Noch immer hoffte sie darauf, er würde sich ändern, auch wenn er nach wie vor keinen kleinsten Selbstzweifel zeigte in seinen energiegeladenen Phasen.
Ich empfahl Kati einen Intensivkurs „Bodybuilding“. Damit sollte sie Testosteron in rauen Mengen produzieren, womit die männliche rationale Seite gegen die weibliche emotionale siegen könnte. Ja, eine verzweifelte, verrückte Idee, aber ich wusste nicht, wie ich sie aus dieser Nummer herausbringen konnte. Sie selbst war ständig hin- und hergerissen zwischen „Ich muss mit meinen Kindern hier endlich raus“ und „Er hat ja sonst niemanden, er braucht mich und die Kids.“ Die Einrichtung ihres Ladens hatte sie selbst bezahlt, ein Umzug wäre also kein kompletter Neuanfang geworden – aber weitere Energie raubend.
Für ihre Gesundheit und für ihre Kinder schien es nur einen guten Weg zu geben: Sie musste weg von der Hoffnung, es würde keine neue Phase seines verrückten Verhaltens mehr geben. Dazu gab es inzwischen zu viele Stimmungswechsel. Ich hatte ihren Mann inzwischen „Käpt’n Crazy“ getauft, weil es einfach so unerklärlich war, was er da machte und es schwerfiel, ohne schwarzen Humor mit dieser ewig anhaltenden Situation umzugehen. Ich verglich ihn auch mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde, weil diese völlig gegensätzlichen Seiten blieben: Mal verletzte er Kati zutiefst, dann war sie sein großer, einziger Halt im Leben.
Für die Kinder konnte das alles genauso wenig gut sein wie für Katharina. Sie erlebten praktisch drei Väter: Der eine scherte sich kaum um sie, der andere konnte ohne seine Familie nicht leben, der dritte war „normal“. Wie soll ein Kind das verstehen, wenn man als Erwachsener komplett ratlos und überfordert ist?
Für mich war klar, dass sie allein zum Wohle ihrer Söhne dort weg musste. Ja, dieser Mann war der Vater und oft hört man den Satz: „Wir bleiben wegen der Kinder zusammen.“ Aber keinem Kind ist geholfen, wenn es in einer vergifteten Atmosphäre aufwächst. Kinder sind nicht doof, sie bekommen alles mit.
Dafür bekommen Eltern nicht alles mit, was in ihrem Nachwuchs vor sich geht. Ich beschrieb ihr meine eigene Kindheit unter einem Vater, der nur eine Seite hatte: die lieblose. Und auch er trank. Freitag- und Samstagabend ging er immer erst ins Bett, wenn er ein Körbchen mit 6 oder 10 Flaschen Bier leergemacht hatte. Dieses musste ich oft abends aus dem Keller holen. Vor diesem hatte ich riesige Angst, immer wieder waren Lampen defekt und dann half nur eine Taschenlampe. Hinter jeder Ecke vermutete ich jemanden. Per Handschlag verabschiedete ich mich von meinem Vater ins Bett – die einzige körperliche Nähe neben Kopfnüssen. Diese bekam ich, wenn ich etwas falsch gemacht hatte.
An den Samstagen lag ich immer solange wach, bis mein Vater ins Bett ging oder mein Bruder von der Disko nach Hause kam. Ich hoffte immer, dass mein Vater sein Körbchen leer hatte, bevor mein Bruder eintraf. Denn wenn sich beide betrunken begegneten, war die Gefahr groß, dass es laut und handgreiflich wurde.
Dass ich jedes Mal so lange wach lag mit Angst, bekam natürlich niemand mit. Als Kind musst du diesen Kampf selbst austragen und überstehen. Dann wirst du entweder zum Einzelkämpfer, weil keiner da ist, der diese für dich beschissene Situation beendet oder du wirst aggressiv. So oder so macht es sehr viel mit dir. Dann bleibt nur die Hoffnung, dass es noch genug positive Einflüsse während der weiteren Kindheit gibt, um die negativen auszugleichen. Aber was wie auf ein Kind wirkt, weißt du vorher nicht. Eigentlich bleibt nur, die negativen Einflüsse so weit wie möglich zu verringern, um eine positive Entwicklung nicht zu gefährden. Meine Entwicklung hätte vielleicht eine andere sein können, wenn sich meine Mum viel eher von Vater hätte getrennt. Ich hätte ihr niemals diesen Schritt verübelt. Noch besser wäre es auch für sie selbst gewesen, sie hätte sich niemals mit ihm eingelassen.
Nachdem ich Kati dies in einer langen Mail geschrieben hatte, musste sie mit den Tränen kämpfen. Und sie antwortete, dass sie dauernd das Gefühl habe, sie sei schuld an der Situation. Sie könne eben so furchtbar zickig sein, wenn etwas nicht nach ihrem Kopf geht und bestehe darauf, dass sie Recht hat. Aber anders kapiere ihr Mann ja nicht, was sie stört. Am liebsten hätte sie ihm meine Mail auf den Schreibtisch geknallt, denn sie bekomme es seit Ewigkeiten nicht hin, ihm genau das zu sagen. Wenn es zu Diskussionen kommt, erkläre ihr Mann, was er alles für seine Familie getan hat. In den Momenten komme sie sich so klein vor und denke, wie gering ihr Beitrag für die Familie sei.
Kati blieb. Neue Episoden folgten. So packte ihr Mann eines Nachts seine Tasche, fuhr aus seinem Ort im Umkreis von Leipzig Richtung Hannover, dann gen Schweiz zu einem Cousin, bis ihm einfiel, dass er in Hamburg eine Rassekatze bestellt hatte, wovon Kati nichts wusste.
An anderen Tagen kam er nachts lautstark nach Hause oder stand ebenso rücksichtslos gegenüber Frau und Kindern auf. Zwei Stunden Schlaf reichten ihm, denn: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ Er schmiss mitten in der Nacht Bauschutt per Schaufel aus einem Fenster in einen Container.
Dann folgte wieder eine Phase, in der er ganz anders war. Wieder suchte er Katis Nähe, wurde ruhig, bereute all die Sachen, die er angestellt hatte, konnte nicht glauben, was er in den Monaten zuvor alles angestellt hatte und erinnerte sich an kaum etwas. Sein teures Quad konnte er nicht angucken, wollte es am liebsten loswerden.
Wenige Wochen später raste er wieder fröhlich durch die Gegend, rammte Ortseingangsschilder und kleine Bäume, fuhr mehrfach in einer Nacht los. Kati musste sich jedes Wort überlegen, denn ihr Mann ging beim kleinsten Hauch von Kritik an die Decke. So schaltete sie auf „polnisches Fernsehen“: nur Bild, kein Ton. Dennoch konnte die Lage jederzeit explodieren – in einfachsten Situationen. Katharina schrieb ihm eine Liste in Druckschrift und Großbuchstaben, welche Getränke er mitbringen sollte. Er brachte die falschen. Kleinlaut und zerknirscht murmelte Kati, sie werde die Flaschen halt am nächsten Tag umtauschen fahren gegen die, die sie wollte. Wer war in den Augen ihres Mannes schuld? Natürlich seine Frau.
Er vernachlässigte sein Geschäft, eine Angestellte suchte das Weite, der Alkohol floss wieder reichlich, betrunken setzte er sich immer wieder ans Steuer. Für das Dorffest richtete er den Hof vor dem Haus her, als käme die Königin von England, schnitt die Buchsbäume im perfekten Durchmesser. Noch immer hielten alle das Trinken für den Grund seines Verhaltens. Aber das Thema Entzug brauchte Kati gar nicht erst erwähnen.
Ihre Hausärztin schickte Kati zur Psychologin, machte ihr klar, dass Kinder und Kunden sie doch brauchen würden in einem stabilen Zustand. Ihr Mann habe wohl eine Sinnkrise, dazu der viele Alkohol. Eine wirkliche Diagnose konnte sie nicht geben, denn er ging zu keinem Arzt, ihm ging es doch bestens.
Wochen später, inzwischen 2011, brach er wieder zusammen, heulte. Kati und die Jungs nahmen ihn in die Arme, beteuerten, dass alles gut sei – im Nachhinein war Kati klar, dass dies wieder die falsche Reaktion war. Aber im Beisein der Kinder fühlte sie, so handeln zu müssen. Er redete einmal mehr wirres Zeug, sein Quad blieb wieder in der Garage, er schlief viel – bis zum nächsten Wechsel. Dann reichten die 2 Stunden pro Nacht, das Quad war wieder interessant, im Keller sollten Vorräte angelegt werden, weil die Chinesen kommen, er quatschte im Urlaub alle Menschen an, hatte absurde Theorien über das Weltgeschehen, kaufte sich eine verdammt teure Uhr, obwohl das Geschäft inzwischen bergab ging, wollte eine Fabrik bauen und diverse Dinge zum Patent anmelden, tanzte auf Tischen, kannte keinerlei Hemmungen, glaubte, bestimmte Lieder im Radio seien nur für ihn geschrieben worden.
Kati und ich konnten uns teils nur noch in Galgenhumor flüchten, denn das alles machte überhaupt keinen Sinn. Dieses sich immer wieder abwechselnde, grundverschiedene Verhalten war für uns unerklärlich: von Himmel hoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Alles andere als lustig war ihre Mail, in der sie schrieb: „Das, was mein Mann heute mit mir gemacht hat, könnte man als Vergewaltigung sehen.“
Ende 2011 schaute ich eher zufällig eine Sendung von Sandra Maischberger. Ein Mann erzählte, dass er sich teure Hotelzimmer genommen hatte, für die ihm eigentlich das Geld fehlte, auch sonst schmiss er mit der Kohle um sich – wie Katis Mann. Er fuhr im Bademantel durch Berlin und wollte den Regierenden Bürgermeister sprechen – völlig enthemmt wie Katis Mann. Er machte Dinge, die auf keine Kuhhaut passten – und irgendwann fiel er in ein riesiges Loch, um bald darauf wieder der Größte zu sein, der vor genialen Ideen sprühte – wie Katis Mann.
Am nächsten Morgen las ich bei Wikipedia den Artikel über die Diagnose des Mannes: bipolare Störung. Und alles passte! Katis Mann war ein lehrbuchhaftes Beispiel für diese Erkrankung. In den manischen Phasen: übertriebenes Selbstbewusstsein oder Größenwahn, Sprühen vor Ideen, verringertes Schlafbedürfnis, Drang zum Reden, Ideenflucht, Zerstreutheit, Kaufrausch, sexuelle Taktlosigkeiten, sinnlose geschäftliche Investitionen, Vernachlässigung von eigentlich wichtigen Dingen wie Familie.
In den depressiven Phasen: deutlich vermindertes Interesse oder Freude, Traurigkeit und Leere, Erschöpfung, Gefühl der Wertlosigkeit, Konzentrationsschwäche, Entscheidungsunfähigkeit.
Ich lernte auch: In den manischen Phasen gibt es keinerlei Gefühl, man sei krank. Krank sind alle anderen, die einen für krank halten. In den depressiven Phasen ist das anders. In diesen ging Katis Mann zum Arzt. Begleiterscheinungen der bipolaren Störung sind Alkohol- und sonstiger Drogenmissbrauch sowie Panik- und Persönlichkeitsstörungen. Bei starken manischen Phasen kann auch Realitätsverlust und Wahn hinzukommen – siehe die anrückenden Chinesen und die nur für ihn geschriebenen Lieder.
Ich schickte Kati umgehend den Link, sie las selbst und leitete den Artikel weiter an die Eltern ihres Mannes, die seit Jahren genauso wenig die Welt verstanden. Für niemanden gab es nach dem Lesen einen Zweifel: Dieser Mann hatte die bipolare Störung. Der Ausdruck „Käpt’n Crazy“ war Geschichte, das „Kind“ hatte nun den korrekten Namen.
Bei der bipolaren Störung wechseln sich Manien – Himmel hoch jauchzend – und Depressionen – zu Tode betrübt – immer wieder ab. Dies kann innerhalb eines Tages passieren oder in Abständen von Monaten wie bei Katis Mann. Da es in den Manien kaum Krankheitseinsicht gibt, ist eine Behandlung schwierig. Mit Medikamenten muss in den Depressionen die Stimmung aufgehellt und in den Manien gedämpft werden – ein Balanceakt. Die bipolare Störung verschwindet auch nicht einfach wieder. Die Suizidrate Erkrankter ist hoch, wird mit 15-30% angegeben.
Durch das Lesen des Artikels und das weitere Befassen mit dem Thema kam Mitleid in mir auf für diesen Mann, der sich phasenweise wie das größte Arschloch verhielt: Er konnte nicht anders. So wenig, wie man sich aus einer Depression oder einer Sucht mit guten Worten schaufeln kann, so wenig kann man sich aus der Manie auf den Boden zurückholen. Bei dieser Erkrankung ist die Signalübertragung mehrerer Neurotransmitter gestört, darunter Glutamat, Serotonin und Dopamin. Medikamente sollen dies korrigieren. Bei Depressionen will man erreichen, dass Serotonin nicht zu schnell abgebaut wird. Bei Manien schießt Dopamin in schwindelerregende Höhen.
Katis Schwiegervater druckte den Wikipedia-Artikel über die bipolare Störung aus, ging damit zu seinem Sohn, knallte ihm das Papier auf den Schreibtisch: „Siehst du, jetzt weißt du, was mit dir los ist!“
Katharina beschloss nach unserer Diagnose, vorübergehend auszuziehen mit ihren Kindern bis zum Ende der aktuellen Manie. Dies war im Januar 2012. Ein Auszug für immer kam für sie nicht in Frage, es wäre viel zu aufwändig, z.B. der Ausbau der von ihr bezahlten Einbauküche. Außerdem wollte sie immer eine Familie und war bereit, einiges auf sich zu nehmen, wo andere den Kopf schütteln. Sie kam im Haus einer Freundin unter.
Drei Tage nach dem Auszug fuhr sie morgens wieder in ihren Laden. Auf dem Hof standen die Angestellten ihres Mannes und wussten nicht, was sie machen sollten. Als Kati fragte, was los sei, sagten sie, dass der Chef mit einer Unbekannten oben in der Wohnung ist und ihnen keine Aufgaben erteilt hatte. Als ihr Mann am späteren Nachmittag die Unbekannte heimlich in sein Auto brachte und mit ihr wegfuhr, ging Kati hoch in die Wohnung. Das gemeinsame Bett bot eine Ansammlung von Körperflüssigkeiten. Nach dem ersten Schock und mit heftig aufsteigender Wut steuerte sie einige Chilischoten bei, die Teil eines Buffets waren, welches ihr Mann aufgebaut hatte. Außerdem trat sie gegen einen alten Globus, der in viele Einzelteile zerbrach. Was sie sich drei Tage zuvor nicht vorstellen konnte, war mit diesem Anblick nun kein Problem mehr: Der unumkehrbare Auszug war beschlossen.
Nur ist mit einem Maniker nicht zu spaßen. Er ging zur Polizei und zeigte Kati wegen Sachbeschädigung, Vorenthaltung seines älteren Sohnes – der andere war ihm egal – und Hausfriedensbruch an.
Für ihre Aussage kam Kati zur gleichen Polizistin, welche die Anzeige aufgenommen hatte. Diese sagte, der Mann habe einen ziemlich „komischen“ Eindruck gemacht, wollte ihr seine Lebensgeschichte erzählen.
Den Auszug versuchte er zu verzögern, nagelte an den Treppenaufgang ein Brett, tauschte das Schloss aus. Kati war mit den Nerven inzwischen restlos am Boden. Ich erkundigte mich für sie bei einer Anwältin, was Katharina nun noch durfte und was nicht. Die Anwältin sagte: Solange sie polizeilich in dem Haus gemeldet ist, kann sie in die Wohnung, beide haben Hausrecht. Verwehrt er den Zugang, könnte sie den Schlüsseldienst rufen. Das Brett am Aufgang solle sie fotografieren, um Entfernung bitten. Würde er der Bitte nicht folgen, müsste sie die Polizei rufen. Umzugshelfer müssten an der Grundstückseinfahrt warten. Die Einbauküche könne sie nur bekommen, wenn er einverstanden ist. Will er sie behalten, muss er den Verkehrswert zahlen. In dem Fall solle sie sich erst polizeilich ummelden, wenn sie das Geld bekommen hat. Und sie solle alles exakt im Übergabeprotokoll festhalten.
Kati ließ sich den Wert auszahlen, auch wenn sie sehr an den Möbeln hing. Zum Ausräumen wollte sie mehrere Bekannte nehmen, ihr Mann wollte aber, dass nur sie beide ausräumen. Am Ende ließ er doch andere rein.
Als der Auszug überstanden war, fing der Kampf um die Kinder an, bzw. von seiner Seite aus nur um den älteren Sohn. Anwälte, Schreiben, die er nicht verstand, usw. folgten. Außerdem zog eine Neue bei ihm ein, die sich als Osteuropäerin herausstellte. Nach 14 Tagen scheiterte ein erster Versuch, sie wieder nach Warschau zu bringen. Letztendlich brauchte er vier Anläufe, damit sie wieder in ihre Heimat zurückkehren konnte. Informationen bekam Kati von seiner Sekretärin, die sich aber zunächst für einige Tage krankschreiben ließ und zum Ende des Februars kündigte. Sie war immer wieder niedergemacht worden und hielt den Psychostress nicht mehr aus.
Seine Firma vernachlässigte er, baute sich dafür einen Waffenschrank ein. Als Jäger durfte er Waffen besitzen. Auch wenn ich bis dahin von Katharina schon viel Haarsträubendes gehört hatte, aber diese Nachricht haute mich noch einmal ordentlich um: Waffen in den Händen dieses Mannes?! Immerhin griff hier sein Vater nach einiger Zeit ein und durch, nahm die Waffen an sich, auch er ist Jäger.
Ansonsten spielten seine Eltern eine schwierige Rolle. Am Anfang schienen sie zu akzeptieren, dass ihr Sohn krank ist. Doch dies kippte nach einigen Wochen. Für sie war plötzlich ER gesund, nur Kati mache das Treiben wild. Dass er beim Fasching mehrere Leute angemacht hatte, dass er bei einer Feier Leuten aufs Maul hauen wollte, spielte keine Rolle. Gipfel war ein Gespräch zwischen seiner Mutter und Kati, bei dem die Mutter ihren armen Sohn bedauerte, der an einem Sonntag wieder wegen eines Notfalls arbeiten müsse. Da platzte Kati der Kragen: „Der musste nicht zur Reparatur, der hat seine Nutte nach Warschau schaffen müssen!“ Daraufhin wurde die Mutter still.
Wochen später kehrte endlich wieder etwas Ruhe ein – für Kati höchste Zeit. Der Magen rebellierte, das Gewicht ging nach unten, immer wieder spürte sie kurze Herzrhythmusstörungen. Ihr Mann zog wieder seine blauen Arbeitsklamotten an und trug nicht mehr schwarz, das Quad blieb als rotes Tuch stehen, wegen der Kinder machte er keine Probleme. Langsam ging es aus dieser kurzen Phase der Normalität hinein in die Depression. Jetzt konnte sein Kopf realisieren, was in den Wochen zuvor alles kaputtgegangen war, was er seinen Kindern, Kati und sich selbst angetan hatte. Durch die Depression verstärkten sich die Schuldgefühle, er suchte die Nähe zu seinen Eltern, tat alles, um Kati milde zu stimmen, kam ihr in allem entgegen, was die Trennung und Kinder anging.
Als Kati in der Zeit zwischen unserer Erkenntnis, ihr Mann sei bipolar, und ihrem endgültigen Auszug bei einer Psychologin alles geschildert hatte, sagte diese klipp und klar: „Sie müssen mit Ihren Kindern da raus, sonst werden Sie auch krank.“ Neben dem Anblick des befleckten Ehebettes war diese Aussage für Kati der Türöffner nach draußen. Ansonsten wäre sie wohl geblieben, sagt sie noch heute.
Katharina bekam von den Angestellten ihres Mannes hin und wieder die neuesten Geschichten erzählt. Einer nach dem anderen kündigte über die Jahre, teils mit Bauchschmerzen aus Angst davor, nichts Neues zu finden. Aber die Atmosphäre in der Firma, die Sprüche des Chefs wie „ICH mach hier eh alles, ihr macht nichts!“, die immer seltener werdenden Aufträge – am Ende war der Weggang ohne Alternative.
Die Berichte drehten sich immer wieder um Frauen, immer aus Osteuropa. Manchmal präsentierte er eine bei Familienfesten, wobei die Eltern bemüht waren, sie als neue Freundin vorzustellen. Die Angst vor einem Gesichtsverlust der ganzen Familie im kleinen Ort war noch immer groß. 4 Jahre lang arbeiteten die Eltern gegen Kati, verteidigten immer wieder das Verhalten ihres Sohnes. Dem würde einfach nur der Kontakt zu seinen Kindern fehlen.
Kati wollte nicht um das alleinige Sorgerecht kämpfen, auch wenn die Empfehlungen eindeutig waren. Auch am Umgang wollte sie nichts ändern. Die Söhne gingen nach wie vor aller 14 Tage über das Wochenende zu ihrem Vater, zeitweise unter Betreuung, aber nur bis zum Ende einer manischen Phase. Ich war kein Fan dieses Umgangs: Katharina war froh, wenn sie so schnell wie möglich nach der Übergabe der Kinder verschwinden konnte von ihrem Mann – und den Kindern mutete sie knappe zwei Tage mit ihm zu. Sie wurde kreidebleich und war dem Zusammenbruch nah, als ihr älterer Sohn mit 11 vom Vater eine Luftdruckpistole geschenkt bekam – und beließ alles so.
Nur weiß ich selbst, dass man von außen immer viel leichter reden kann. Positiv war, dass der Vater sich an den Wochenenden kaum für die Jungs interessierte und diese vor allem bei seinen Eltern blieben. Gerade seine Fahrten unter Alkohol machten Sorge: Würde er auch mit seinen Söhnen betrunken fahren?
Katharina ließ sich scheiden – noch einmal ein Nervenkrieg. 2015 verunglückte der Vater ihrer Kinder mit seinem Quad mitten in der Nacht bei einer weiteren Fahrt durch den Wald. In seinem Blut stellte man 4 Promille Alkohol fest. Er überlebte, schrammte aber um zwei Millimeter an einer Querschnittslähmung vorbei. Für die Ärzte war klar, dass er operiert werden musste. Doch nach drei Tagen Klinik entließ er sich mit einer Halskrause selbst, ließ sich nach Hause fahren und musste erst einmal ein Bier mit dem letzten verbliebenen Angestellten trinken. Ja, er war wieder in der Manie.
Die Operation folgte beim Abklingen der Phase und als ihm Angst wurde, er den Kopf immer weniger schmerzfrei bewegen konnte und die Halskrause stank. In dieser Phase erwachte bei Kati das Helfersyndrom. Sie hatte noch immer Reste von Gedanken, sie selbst habe ihren Ex durch ihr Verhalten oder Druck mit dem Hausbau krank gemacht. So unterstützte sie ihn bei der Rückkehr in die Klinik, die OP lief gut. Nach dem Treppensturz hatte er zum zweiten Mal das berühmte Glück der Betrunkenen.
Die Frau, die eben noch vom Helfersyndrom gepackt worden war, bedauerte in der nächsten Manie ihres Ex-Mannes, dass er überlebt hatte. Das mag hart und kalt klingen, aber ich hatte kein Problem, diesen Gedanken nach all dem zu verstehen. Auch wenn sie inzwischen räumlichen Abstand zu ihm hatte, war er immer wieder durch die Kinder, Anrufe und Nachrichten präsent. Letztere wurden oft unter Alkohol geschrieben, anders konnte sich Kati Form und Inhalt nicht erklären: „Geld bekommst du später, Finanzamd macht mir Probleme. Würde gern auch meine Kinder zu Gesicht begrüßen würden. Läge mir sehr am Hertzen! Sind sicher auch meine Kinder wo der Vater wohl felt. Gebe mir die Kinder. Oder nur eins und ich gebe ihnen was für die Zukunft. Nein, so wollte ich das nicht sagen. Ich will sie nur ab und zu sehen. Gerantwortlich bist du ja. Es sind hoffe meine leiblichen Kinder.“
Er wollte endlos und immer wieder wirr diskutieren. Und wenn ein Maniker sagt, dass das Gras rot ist, dann ist es rot und man kann sich jedes Wort sparen, man wird ihn nicht umstimmen können.
Ja, mit dem Tod hätten die Kinder ihren Vater verloren – bzw. ihre drei Väter: den manischen, den depressiven und den in den Phasenübergängen ausgeglichenen. Wie schwer muss das für Kinder zu verstehen sein, was Erwachsene kaum ertragen können? Gerade der Manische zeigte sich immer wieder als schwer zu verdauen. Als sein älterer Sohn 16 wurde, rief der Vater ihn an und sagte, dass er wohl noch einen weiteren Sohn zeugen müsse, der eines Tages das Erbe antritt, denn seine bisherigen Kinder würden sich ja nicht um ihren Vater kümmern. Nach dem Gespräch heulte der Sohn. So sehr er über die Jahre gelernt hatte, mit der Krankheit seines Vaters irgendwie klarzukommen, so sehr verletzten ihn diese Worte.
Und auch als Erwachsener willst du in diesem Moment dem Typen an den Kragen, ihn wachrütteln, ihn ohrfeigen, damit er endlich aufwacht – obwohl du dir immer wieder gesagt hast: Er verhält sich nur so durch die Manie und diese lässt sich nicht mit Vernunft steuern, genauso wenig wie die Depression.
Und wenn sich das Adrenalin gelegt hat und das rationalere Denken wieder eine Chance hat, dann sagst du dir einmal mehr: Diese Krankheit willst du nicht geschenkt haben. In einer einzigen manischen Phase, gegen die du nichts machen kannst, wenn du nicht mit Tabletten eingreifst, kannst du dir so viel kaputt machen. Katis Ex hatte sich seine Firma, seinen guten Ruf über Jahre aufgebaut – und inzwischen gibt es sie nicht mehr. Seine Mutter brach in einer manischen Phase ihres Sohnes psychisch ein und verbrachte mehrere Wochen in der Psychiatrie. Jedes Auf und Ab ist gerade für die Mutter belastend. Die Eltern haben ihre Verdrängung ablegen können und sind sich auch nach außen hin bewusst, dass ihr Sohn eine psychische Erkrankung hat. Sie legen Katharina keine Steine mehr in den Weg, unterstützen die Söhne.
Wann warum bei wem eine bipolare Störung auftreten kann, ist offen. Viele Betroffene erlebten vor der ersten spürbaren Episode intensiven Stress. Andere überstehen ähnlichen Stress aber ohne diese Erkrankung. Gene spielen eine Rolle. Der Vater von Katis Ex zeigte ebenfalls Züge, die an Manien und Depressionen erinnerten.
Und der Vater scheint auch abseits der Gene ein Schlüssel zum Ausbruch der Störung zu sein. Auf ihn ist Katis Ex nie gut zu sprechen gewesen – und man kann es verstehen. Immer wieder vermisste der Sohn die Anerkennung seines Vaters. Er konnte noch so erfolgreich sein Geschäft von Null aufgebaut haben und mit dem Haus vorankommen – vom Vater kam nichts Aufbauendes.
Seiner Schwester ging und geht es nicht anders. Sie übernahm nach und nach das Geschäft des Vaters – und er spricht immer wieder davon, wie schön ein männlicher Nachfolger aus der eigenen Familie wäre, auch im Beisein seiner Tochter. Frauen scheinen in seinen Augen so wenig wert zu sein wie der zweitgeborene Sohn für Katis Ex. Seine Enkelsöhne animiert er immer wieder, beruflich eines Tages in seine Fußstapfen zu treten.
Kati versucht, ihre Söhne möglichst von Stress fernzuhalten. Die Angst, dass auch einer von ihnen die genetische Veranlagung zur bipolaren Störung in sich trägt, ist immer da. Aber wie kann man seine Kinder heute vor Stress, dem möglichen Auslöser, wirklich bewahren? Der jüngere Sohn musste sich durch die ersten Schuljahre kämpfen mit Nachhilfe und Ergotherapie, bekam dann sehr gut die Kurve. Doch die anfänglichen Misserfolge in der Schule, aber vor allem die Vernachlässigung durch seinen Vater machten es schwer bis unmöglich, Selbstbewusstsein aufzubauen. Er zeigt depressive Züge, wiegt mit 15 Jahren 40 kg bei 1,71 m Körpergröße, weshalb ein stationärer Klinikaufenthalt angeraten wird.
Wenn es um seinen Vater geht, kommen dem jüngeren Sohn die Tränen. Dabei könnten sich beide an einen Tisch setzen und stundenlang auf Augenhöhe darüber sprechen, was es mit dir macht, wenn du die Anerkennung eines Elternteils vergeblich suchst. Beide suchten und suchen seit Kindertagen nach dieser Anerkennung und wohl nicht zuletzt deshalb erkrankten sie psychisch. Die Erkrankung des Vaters macht ihn aber in den Manien zum unmöglichen Gesprächspartner. Vater und Sohn verbindet die Kindheit – und dieses Verbindende sorgt dafür, dass es die beiden trennt. Die Kette der weitergegebenden psychischen Erkrankungen setzt sich fort. Und sollten die Söhne eines Tages Väter werden, wird alles von vorn beginnen, wenn wir nicht endlich anfangen, zuzuhören und uns mit der Entstehung psychischer Erkrankungen zu befassen.
Für die Psyche beider Kinder – es ist schwer zu glauben, dass am großen Sohn alles abgeprallt sein soll – wäre es gut, wenn sie tief im Inneren akzeptieren könnten, dass ihr Vater durch seine Erkrankung und dessen eigene Kindheit die Anerkennung nicht leisten kann, auf die sie hoffen. Für ihre Psyche wäre es wichtig, zu verinnerlichen, dass es nicht an ihnen selbst liegt, dass ihr Vater seine Vaterrolle nicht ausfüllt. Sie könnten die klügsten, schönsten, tollsten, begabtesten Menschen der Welt sein – es würde nichts bringen. Selbst wenn sie berühmte Stars werden würden mit Millionen Fans und Milliarden auf dem Konto oder wenn sie eine riesige, erfolgreiche Firma aufbauen würden oder wenn sie jegliche Krankheit der Welt heilen könnten – es würde sich nichts verändern. Ihr Vater und seine Schwester hatten bei ihrem Vater ja ebenfalls keine Chance auf Anerkennung, so hart beide auch gearbeitet haben.
Aber wie ich über die Jahre lernte, in denen ich die Geschichte von Kati und ihren Kinder verfolgte, können selbst 40- und 50-Jährige die Hoffnung auf Anerkennung von Vater und/oder Mutter nicht einfach mit Hilfe der Vernunft und Wissen über Erkrankungen aus ihrem Kopf löschen. 2020 nahm sich mein einstiger Mitschüler Ulrich das Leben. Seine Schwester, 40, erzählte mir von ihrem Vater, der seine Frau und Ulrich während dessen Kindheit und Jugend geschlagen und der Ulrichs Leben lebenslänglich bestimmt hatte. Die Schwester hatte sich inzwischen sehr viel mit Narzissmus befasst und sah sowohl ihren Vater als auch ihre Mutter deutlich in dieser Persönlichkeitsstörung wieder.
Ich fragte sie, ob sie trotz allem, was sie nun darüber weiß und was sie 40 Jahre lang an Ablehnung und Zerstörung bei bzw. durch ihre Eltern erlebt hatte, noch immer auf ein Zeichen der Zuneigung von ihnen hofft. Aus Erfahrung ahnte ich die Richtung der Antwort und sie lautete: „Nein, auch dessen musste ich mir bewusst werden, das werde ich nie bekommen. Das nennt sich bedingungslose Kapitulation. Anzuerkennen, was nie sein wird. Es ist klar. Tut es weh? Ja, immer wieder mal, je nach Situation. Darf es weh tun? Ja, darf es und ich darf es fühlen und annehmen, damit es mich nicht mehr überrennt und niedergemacht. Ich bin jetzt groß, ich darf mir das Ich bin gut so wie ich bin selber geben. Ist es schon gefestigt? Nein. Braucht Übung, aber ich komm ganz gut klar damit.“
Wenn es Menschen mit 40, 50, 60 so schwerfällt, den Gedanken an dieses immer erhoffte Zeichen von Zuneigung und Anerkennung mit „Das werde ich niemals bekommen und ich verstehe, weshalb“ zu beantworten, wie soll man dann einem Menschen an der Schwelle zum Erwachsenenleben diese Utopie nehmen, ohne dass dabei neue Narben entstehen? Ist man schonungslos offen und erzählt alles, was gewesen ist, könnte es klingen wie: „Die wollen mir nur meinen Vater schlechtmachen, damit es mir besser geht.“ Oder das dann neue Bild des Vaters schafft einen breiteren Graben, doch der Wunsch nach Anerkennung bleibt.
Und wie ehrlich können und wollen die anderen sein, welche Verantwortung tragen? In der Geschichte von Kati, ihren Kindern und dem Ex kann man nicht allein die Schuld bei der Erkrankung des Vaters suchen. Kati selbst war in der Anfangsphase der Beziehung von mehreren Seiten vor ihrem Partner gewarnt worden, doch sie wollte unbedingt Kinder und nahm ihn praktisch dafür in Kauf. Kann man das, was nach Egoismus klingt, einfach ausklammern? Oder müsste es der Ehrlichkeit halber mit auf den Tisch, um den Kindern klipp und klar zu machen: „IHR habt nicht das Geringste falsch gemacht, sondern WIR!“?
Welchen Anteil tragen Medien und das, was wir Gesellschaft nennen? Wie lange hatte es gedauert, bis wir endlich wussten, warum Katis Mann sich so völlig unterschiedlich verhielt? Ja, letztlich half eine Sendung im TV. Aber hätte ich nicht zufällig eingeschaltet, dann wären wir noch sehr lange ratlos gewesen, weil das Thema psychische Erkrankungen kaum eine Rolle spielt. Solange wir Menschen durch Klischees erklären, wird immer der Gedanke da sein: „Ach, wenn der mit mir zusammen ist, wird er sich schon ändern.“ Die Leidtragenden sind die Kids. SIE müssen das ausbaden, was WIR verzapft haben – und gleichzeitig ignorieren wir die Erkrankten. Auf ihren Schultern lastet das, was wir nicht wegräumen konnten oder wollten.
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1,9 Millionen unserer erwachsen gewordenen Kinder verlassen offiziell psychisch kaputt ihr Elternhaus – und es ist uns egal. 28% der Erwachsenen insgesamt gelten als psychisch erkrankt – und es ist kein Thema. Die Gründe für diese Zahlen erklären aber, was mit dieser Welt nicht stimmt. Deshalb braucht das Thema psychische Gesundheit endlich maximale Aufmerksamkeit. Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du mit auf die Pauke hauen würdest, denn allein packe ich es nicht. Auch wenn du „nur“ Teil des Chors sein möchtest, dich in den hinteren Reihen verstecken möchtest oder dir die Kraft fehlt zum lauten Singen: absolut kein Problem. Hauptsache, du bist auf irgendeine Weise anwesend. Auch wenn du nur als Teil der Abonnentenzahl auftauchst, ist dem Thema geholfen.
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Meinen einstigen Mitschüler Ulrich sah ich 2018 durchs örtliche Freibad laufen – und ich beneidete ihn. Wir waren zusammen zwei Jahre in der POS (heute Realschule), anschließend zwei Jahre in der EOS (heute Gymnasium), hatten beide studiert. Nur hatte er daraus eine berufliche Karriere machen können und ich hatte abgebrochen. Er brauchte sich als Chirurg keinen Kopf zu machen, wie er den Monat finanziell überstehen würde. Er hatte Familie und so wie er über das Gelände lief, war für mich klar: Ulrich steht komplett auf der Sonnenseite des Lebens. Dazu trug auch sein Körper bei: Muskeln ohne Ende. Ich hätte mich nicht neben ihn stellen wollen und zu anderen sagen müssen: „Ja, wir sind der gleiche Jahrgang.“ Sein Body war fast schon eine Anklage, die da lautete: Mit Mitte 40 kann Mann durchaus noch so aussehen!
Als Ulrich mit der 8. Klasse zu uns kam, empfand ich seine Ausstrahlung als kühl bis arrogant. Klar: Das war ja auch der Sohn vom großen Doktor. Diese Familie lebte in ganz anderen sozialen Sphären als meine.
Der Eindruck von Arroganz bestätigte sich nie, wir kamen nach meiner Erinnerung ganz problemlos klar. Trotzdem mied ich den Kontakt im Freibad. Was sollte ich schon im Smalltalk erzählen, wenn dieser optische Fels in der Brandung von Job, Urlaub, Auto, Familie und seinem Fitnesszustand hätte gesprochen?! An ihm zeigte sich eben, wie vorteilhaft es ist, aus einer Familie von Lehrern und Ärzten zu kommen.
Zwei Jahre später habe ich die Blumen von Ulrichs Grab geräumt, die ich im Namen seiner einstigen Klassenkameraden hingestellt hatte. Suizid.
Als mich die Nachricht von seinem Tod über den Dorffunk erreicht hatte, verstand ich die Welt nicht mehr. Er war der Letzte meiner einstigen Mitschüler, von dem ich dies erwartet hätte. Er hatte doch alles?!
Aus Erfahrung ging ich davon aus, dass dieser Suizid keine kurzfristige Entscheidung war, sondern eine lange Vorgeschichte haben musste – nur welche?! War er bipolar? Depressiv? Aber wenn ja: Warum?! Wenn psychische Erkrankungen immer im Kinderzimmer ihren Lauf nehmen, hätte bei ihm ja auch etwas heftig schiefgelaufen sein müssen?! Sein Vater hatte das Image eines Schürzenjägers, aber dies klang immer so, als gehöre das halt irgendwie zu einem großen Chirurgen dazu. Von Ulrichs Mum war Alkoholkonsum bekannt. Lag es an ihr, so wie bei Anja, die sich lieber umbringen wollte, anstatt die Wahrheit über den Alkoholismus ihres Vaters erzählen zu dürfen?
Fürs Erste wurde mir nur eines wieder klar: Auf das, was man von einem Menschen sieht, darf man nichts geben. Was sich in ihm abspielt, weiß meist nur er selbst, vielleicht noch ein, zwei Menschen im Umfeld.
Ich fragte mich nun auch, wieso er so durchtrainiert war. Menschen tun nichts, was grundlos Energie verschwendet. Und um einen solchen Body zu bekommen wie er und diesen mit zunehmendem Alter zu erhalten, musste er viel Eisen gestemmt haben. Was war der Grund? Unser Antrieb für eine gutaussehende Fassade ist immer wieder unser Ego, ob Make up, Schönheits-OP oder Fitnesstraining. Also hatte der Sohn des Arztes, der so kühl bis arrogant wirkte, offenbar aus seinem Elternhaus kein stabiles Selbstbewusstsein mitbekommen. Soweit meine Theorie.
Im Kapitel „Was du siehst und was nicht“, in welches Ulrich ebenfalls passen würde, schrieb ich: „Und aus seltsamen Verhalten … wirst du immer nur Vermutungen anstellen können. Die wahre Geschichte wird dich aber umhauen, mit ihr hättest du nie und nimmer gerechnet.“
Dieser Satz, der Wochen bis Monate vor Ulrichs Tod seinen Platz im Manuskript gefunden hatte, sollte sich nun einmal mehr bewahrheiten.
Ein Beitrag bei Facebook, mit dem ich ein paar inzwischen über Deutschland verteilten Mitschülern vom Suizid erzählte, fand dank des Dorffunks seinen Weg zu Ulrichs Schwester. Dass er eine Schwester hatte, war mir nicht klar – für sie nichts Neues. Wir kamen ins Gespräch und sie schrieb, meist sei sie froh, dass praktisch keiner von ihrer Existenz weiß, aber teils sei es auch nicht gerade angenehm, wenn einen die halbe Welt so ignoriert. Der Familienruf eile immer voraus, der berühmte Schatten, der immer da ist: „Ekelhaft, widerlich.“
Und eigentlich hatte ich Ulrich um genau diesen Ruf beneidet, der von der hohen sozialen Herkunft kam und Türen öffnen kann. Doch für die Kinder bedeutete er laut seiner Schwester: „Erstmal Distanz wahren und checken, wie die Leute einem begegnen.“ Beide Kinder hatten dadurch den Stempel, kühl bis arrogant zu wirken. Doch Ulrich sei sehr feinfühlig gewesen, tiefgründig, einfühlsam: „Das können sich die wenigsten vorstellen.“
Ich konnte es mir vorstellen. Ulrich hatte ich nicht laut in Erinnerung, auch nicht extrovertiert. Gut, als wir mit der 12. Klasse unterwegs waren, zog er sich als Einziger bis auf die Badehose aus und stieg ins Wasser eines Stausees. Aber abseits davon taute er nur etwas auf, wenn Alkohol im Spiel war. Das sagte auch seine Schwester, ohne dass ich ihr eine Vorlage geboten hätte: „Wenn mein Bruder auf Feiern durch Alkohol lockerer wurde, dann konnte er sich aus seinem Panzer etwas lösen und war … ganz anders.“
Sie hatte zunächst gezögert, ob sie mir mehr über das Familienleben schreiben solle – zu viele negative Erfahrungen mit dem Dorfklatsch hatten sie sehr vorsichtig gemacht. Andererseits hätte sie längst ein Buch schreiben wollen über ihre Familie, nur fand sich nie die Zeit.
Der erste Satz, den sie mir über ihren Vater schrieb, lautete: „Mein Vater ist ein Narzisst.“ Ich hatte dieses Wort bis dahin ihr gegenüber nicht verwendet, ich hatte sie also nicht auf diesen Weg geführt, damit ich meine Narzissten-Liste erweitern hätte können.
Sie schrieb von jahrelangem Selbststudium – damit hatten wir etwas gemeinsam. Sie schrieb von der Selbstverherrlichung des Vaters, welche die Familie gefangen hielt. Sie erzählte, dass sie als Tochter auf Karten aus dem Urlaub nicht nur den Vor- und Nachnamen ihres Vaters als Empfänger angeben musste, sondern auch den Doktor-Titel. Sie schrieb von einer harten Erziehung, die durch Konkurrenzkampf geprägt war, von dem sie als weibliches Wesen aber ausgenommen blieb: „Ich hatte das Glück, als Mädchen auf die Welt gekommen zu sein. Habe aber auch mein Päckchen zu tragen. Meinem Bruder wurde keine andere Wahl gelassen. In meinen Augen wurde seine Kinderseele schon sehr früh zerrissen. Mama und Papa sind ja deine Bezugspersonen und die, von denen die Kinderseele ganz viel Unterstützung braucht. Wenn es im Leben aber nur scheiße läuft und das schon als Kind, dann fragt man sich schon mal, wie denn der Tod so ist. Denn das, was wir erlebt haben, konnte nicht der Sinn des Lebens sein. Und mein Bruder fragte sich das Zeit seines Lebens. Für mich sehr verständlich. Für Außenstehende natürlich nicht. Jetzt kann er endlich frei sein.“
Wie vermutet war es also keine kurzfristige Entscheidung. Die Geschichte seines Suizids nahm auch bei Ulrich ihren Beginn in dessen Kinderzimmer. Er wollte niemals beruflich in die Fußstapfen seines Vaters treten, wollte eigentlich zum Bau – aber dies hatte er nicht zu entscheiden.
Seine Schwester schrieb von Psychoterror, von Gewalt, hauptsächlich ihrer Mutter gegenüber. Aber auch ihr Bruder hatte einiges abbekommen – und begann deshalb früh mit dem Fitnesstraining.
„Die wahre Geschichte wird dich aber umhauen, mit ihr hättest du nie und nimmer gerechnet.“ Nein, hinter Ulrichs Leidenschaft für das Bodybuilding hätte ich nie und nimmer diesen Grund vermutet. Aber es hat eben alles einen tieferen Grund.
Sätze, die mir Ulrichs Schwester schrieb, kannte ich aus meinem eigenen Denken: „Als Kind bist du in diesem Prozess gefangen. Keiner redet mit dir darüber, also weißt du es nicht besser. Es ist für das Kind normal.“
So irrsinnig die Verhältnisse in der eigenen Familie sind und so wenig man davon ausgeht, es würde überall so zugehen: Diese irrsinnigen Verhältnisse sind für das Kind normal. Auch dem Schauspieler Johnny Depp wurde erst dann bewusst, wie es in einer Familie auch zugehen kann, als er am Tisch einer anderen saß.
Die Gedanken der Schwester zum Suizid ihres Bruders lesen sich so: „Ulrich, du bist jetzt frei. Keiner mehr, der dir sagt, was du tun und lassen sollst, was richtig ist und was falsch, keiner mehr, der dir Entscheidungen aufdiktiert. Diese, deine letzte Entscheidung hast du das einzige Mal in deinem Leben ganz allein getroffen. Und für dich war es gut so. Ich hoffe, dort, wo du jetzt bist, kannst du inneren Frieden empfinden. Eine große, große Last ist jetzt von dir abgefallen. Ich gehe meinen Weg jetzt auch für dich weiter.“
Mich nahm der Tod von Ulrich nicht mit – jedenfalls nicht so, wie ich es erwartet hätte bzw. wie ich es für angemessen gehalten hatte. Da nimmt sich einer das Leben, es ist einmal mehr der Beweis dafür, dass psychische Erkrankungen und Suizide im Kinderzimmer ihren Anfang nehmen – und alles geht einfach so weiter. Die Zeit steht nicht still, es gibt keinen Aufschrei, kein wachrüttelndes Beben. Nein, das Leben geht halt weiter – zumindest für jene, die es sich noch nicht genommen haben – und wir lernen Null aus einer solchen Geschichte.
Nach dem Einblick in das Familienleben von Ulrich und seiner Schwester konnte ich den Suizid problemlos nachvollziehen und ich gönnte ihm die Freiheit.
Aber ich konnte diese auch nicht bedenkenlos feiern, denn er hinterließ drei Kinder, darunter ein zwei Monate altes Baby. Im Dorffunk war von einer Affäre mit einer Kollegin die Rede. Ulrichs Schwester klärte mich auch in diesem Punkt auf und einmal mehr zeigte sich, dass Geschichten oft deutlich vielschichtiger sind als es die Überschrift verheißt:
„Das 3. Kind ist nicht in einer Affäre entstanden, sondern von schlichtweg 2x Sex. Wir konnten aus SMS-Nachrichten nachvollziehen, dass diese Frau meinen Bruder massiv unter Druck gesetzt hat, sprich: ihren Säugling als Mittel benutzt hat. Ihre Verführungsversuche, die letztlich erfolgreich gewesen sind, waren Mittel zum Zweck, schwanger zu werden. Um nichts anderes ging es ihr. Sie ist, soweit wir über sie Bescheid wissen, eine Einzelgängerin, oder anders gesagt: Bei ihr bleibt keiner. Das, was ich über sie weiß und aufgrund ihres Verhaltens rückschließe, ist: Sie ist ebenfalls Narzisstin. Eiskalt. Denn jetzt geht bei ihr der Kampf ums Erbe los. Das heißt, auch für meine Familie keine Ruhe. An dem Tag, als mein Bruder sich erhängt hat, hat er vom Jugendamt einen Brief erhalten. Dieser hat seine Schlinge zugezogen, die er im Kopf schon lange um den Hals trug.
Ich möchte meinen Bruder in der Sache nicht in Schutz nehmen, aber auch diese Geschichte ist von mehreren Seiten zu beleuchten. Menschen machen es sich – gerade wenn sie selbst keine Erfahrungen mit Narzissmus gemacht haben – einfach. Stempel drauf und gut. Mein Bruder hat meiner Mutter oft erzählt, schon Jahre vorher, wie penetrant Arztkolleginnen und Krankenschwestern sein können: Die werfen sich dir an den Hals, die ziehen sich vor dir aus, ob du das willst oder nicht, das sind Schlangen. Und wenn du denen klar einen Korb gibst, musst du damit rechnen, dass sie Möglichkeiten haben, die Zusammenarbeit mit dir zu boykottieren. Krankenhäuser sind Hurenhäuser.
Ich bin auch nicht für die MeToo-Bewegung in ganzer Breite. Es gibt viele wirkliche Opfer, keine Frage, aber Frauen können Mistkrücken sein, die ganz genau wissen, was sie einsetzen müssen, um ans Ziel zu gelangen. Sichtbar wird es nur an wenigen Stellen wie zum Beispiel in Krankenhäusern oder, um bei MeToo zu bleiben, in der Filmbranche. Der viel größere Teil läuft subtil ab, aber genauso wirksam.“
Ein kurzer Einschub dazu, weil hier eine gefühlte Tonne Dynamit liegt für das Auslösen eines Shitstorms: Für mich war der „Krankenhäuser sind Hurenhäuser“-Teil der Nachricht völliges Neuland und ich konnte damit nicht wirklich etwas anfangen. Ich schrieb Hanna diesen Satz und erntete ein: „Das wusste ich schon 1997.“
Mein Erstaunen wurde nicht geringer und es legte sich auch nicht beim Lesen ihrer folgenden Zeilen: „Eine damalige Freundin von mir, damals Krankenschwester in einer Klinik in Heidelberg, sagte: Nirgendwo wird wohl so kreuz und quer gefickt wie unter Klinikpersonal. Ist ganz schlimm.
Antje sagte mir damals, Sex im Dienstzimmer sei normal. Und sie sagte mir damals, die Weiber seien untereinander wie Hyänen. Wehe, eine käme mit einem Arzt gut aus, dann wäre nicht nur Eifersucht angesagt, sondern auch unsäglicher Neid und Unterstellungen. Auch nackt unter dem weißen Kittel zu sein, sei keine Seltenheit. Intrigen ohne Ende. Jede habe die Einstellung, sich den besten Arzt angeln zu müssen. Und sie sagte mir, wie extrem sich deshalb die meisten eben aufbrezeln und morgens zu Hause ewig vor dem Spiegel stehen würden, sich parfümieren, als würden sie im Puff arbeiten. Konkurrenz müsse ausgestochen werden. Aber es gäbe halt auch genug Ärzte, denen das durchaus gefallen würde und die sich eine nach der anderen nehmen würden. Was den Hass untereinander dann noch mehr schüre.“
Zurück zu Ulrich und seinen Kindern. Die Mutter seines ersten Kindes ging in meine Parallelklasse und soweit ich mich erinnere, war seine Beziehung mit ihr die erste in meiner Klassenstufe, die den Titel verdient hatte und lange halten sollte.
Ulrichs Schwester schrieb dazu: „Sie waren 17 Jahre zusammen. Mein Bruder war nach dem, was ich weiß, von Anfang an ehrlich und hat gesagt, dass er keine Kinder möchte. Hintergrund ist wieder unser Vater: Mein Bruder konnte sich nie vorstellen, ein guter Vater zu sein. Er hatte Angst davor, so zu werden wie seiner. Deshalb wollte er keine Kinder. Wie gefangen er in dem Narzissmusnetz war … Schrecklich. Und am Ende war er wie er.
Seine damalige Freundin bekam nach 17 Jahren Torschlusspanik. Das Thema Kind wurde zwischen ihnen immer mehr zum Druck- und Stressfaktor. Ich weiß, dass sie ohne Ulrichs Einverständnis die Pille abgesetzt hat. Vielleicht auch ohne sein Wissen. Ja, ich kann da wieder nur #MeToo sagen: Wir „armen“ Frauen. Wir haben es in der Hand, denken – und das ist das Fatale für unsere eigenen Kinder – aber nicht über den Tellerrand hinaus. Mein Bruder hatte diesen Weitblick – und fühlte sich verraten. Dann hatte er eine Affäre. Und er wollte bei seiner schwangeren Freundin bleiben. War hin- und hergerissen, wie so oft in seinem Leben. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, die schwangere Freundin machte Schluss und er wurde wieder mal zum Buhmann erklärt. So habe ich es erlebt und mitbekommen. Aus der Affäre wurde dann seine Frau, mit der er sein zweites Kind hatte. Auch ich war damals enttäuscht von ihm, weil ich aber da auch Verschiedenes nicht wusste. Leider hat er in mir, so fühlt es sich an, die kleine Schwester gesehen und nicht die ebenfalls erwachsen Gewordene, mit der man auf Augenhöhe reden kann.“
Ulrich war sich also des Dominoeffekts aus Opfer und Täter bewusst. Er wollte das machen, was ich viel mehr Opfern ans Herz legen möchte: keine Kinder bekommen, auch wenn das hieße, dass in 6 Jahren die Kitas leer sind und in 16 Jahren die Schulen. Er war nicht so blauäugig zu glauben, er würde es ganz gewiss besser machen, aus den Fehlern der vorigen Generation lernen. Seine Lehre aus der Geschichte war, ob bewusst oder unterbewusst: Die Gleise aus der Kindheit liegen einbetoniert.
Nun sind da drei Kinder, denen der leibliche Vater abhanden kam. Und leibliche Väter sind nach all meinen Erfahrungen nicht zu ersetzen, ihr Versagen oder ihr Fehlen hinterlässt tiefe Spuren, genau wie bei Müttern. Wieder beginnen steinige Wege im Kinderzimmer, deren weitere Verläufe man erahnen kann. Ein einzelner Narzisst hinterlässt kaum behebbare Schäden an Kindern und Enkeln – und nicht nur an denen. Aber der Vater war sicher auch wieder nicht das erste Glied in der Kette.
Nach Ulrichs Tod kramte ich Fotos aus Schulzeiten aus dem Karton mit alten Bildern und sah sie mir an. Beim Schulabschluss standen wir nebeneinander und mir wurde klar: Mich hatte damals mit dem Jungen, den ich anfangs als arrogant und kühl wahrgenommen hatte, viel mehr verbunden, als ich es je ahnen hätte können. Sein „Familien“-leben in Kinder- und Jugendtagen war deutlich härter als das meine, gerade weil ich meist nur Zuschauer war und mein Bruder das meiste abbekommen hatte. Wir hätten damals darüber reden können. Und wir hätten 30 Jahre später im Freibad darüber reden können, was ein kaputtes Elternhaus aus einem macht, wie schwer es die Gleise legt, anstatt Smalltalk über Job, Familie und Fitness zu betreiben.
Als ich das erste Mal zu seinem Grab ging, kam mir in den Sinn, dass das auch mein Grab sein könnte. Umso ernüchternder empfand ich die gefühlte Ignoranz gegenüber seiner Geschichte. Da ist halt einer gestorben, hatte wohl paar Probleme, bestimmt wegen dieser Affäre – passiert.
Aber ich selbst nahm dies ebenfalls viel zu wenig emotional nach meinem Empfinden. Offenbar hatten mich all die vorherigen Geschichten von Felix und anderen so abstumpfen lassen. An Ulrichs letzter Ruhestätte selbst war mein Kopf eher leer. Der Muskelprotz lag nun irgendwo unter Steinen in einer kleinen Dose, so wie Felix. Und wir lernen nichts daraus.
Nach Ulrichs Tod kam ich mit Menschen ins Gespräch, die über seinen Vater etwas erzählen konnten. Einmal hörte ich: „Der ist doch aber immer so nett und freundlich?!“ Die Worte klangen nach: „Na wer weiß, was dir da Ulrichs Schwester erzählt hat …“
Und ich hatte diesen Satz ja auch mehrmals über meinen Vater zu hören bekommen. Auch ich hatte das Gefühl, den so denkenden Menschen sehr schwer das bisher von meinem Vater gewonnene Bild geraderücken zu können. Auch hier saß ich mit Ulrich und dessen Schwester in einem Boot.
Von einer Verkäuferin hieß es, sie habe große Angst, wenn Ulrichs Vater den Laden betritt und sie war nah dran, zu kündigen. Er hatte sich geweigert, während der Corona-Pandemie den Mund-Nase-Schutz zu tragen: „Ich bin schließlich vom Fach! Ich weiß, was da läuft! Das ist alles ein Schwindel! Ich brauche nichts vor dem Gesicht!“ Worte und Auftreten eines gebildeten Mannes aus der Mitte der Gesellschaft. Und wir fragen uns, warum auch diese Mitte so durchgeknallt sein kann. Weil eben Persönlichkeitsstörungen nichts mit Intelligenz zu tun haben, genauso wie psychische Erkrankungen.
Eine ehemalige Krankenschwester war vertraut damit, dass man diesen Arzt mit „Herr Doktor“ anzureden hat. Sie hatte einst einen heftigen Einlauf bekommen, als sie ihn nur mit dem Nachnamen angesprochen hatte. Dieser Narzisst zeigte sein wahres Wesen also nicht nur im engsten Familienkreis, sondern ließ auch andere darunter leiden. Sein Nummernschild besteht aus dem ersten Buchstaben seines Nachnamens und dahinter einer 1. Donald Trump könnte es nicht besser.
Ohne den Narzissten als Vater wäre Ulrich noch am Leben. Deshalb kann ich es nur noch einmal sagen: Narzissten töten. Sie machen krank, psychisch und/oder körperlich. Menschen, die andere wie Scheiße behandeln, dürfen nicht als heil- oder wandelbar mit einfachen Mitteln dargestellt werden. Dieser Mann ist über 70 und hat sich nie zum Positiven verändert. Er macht nach wie vor seiner Familie das Leben zur Hölle auf Erden.
Seine Tochter schrieb ihm zwei Tage vor der Beisetzung einen Brief – normalerweise meidet sie den Kontakt zu ihrem Vater so gut es geht. Nach meinen gesammelten Erfahrungen würde ich niemandem empfehlen, einem Narzissten die Augen öffnen zu wollen. Man verschwendet nur Energie und ist am Ende frustriert, wenn das Gespräch wie üblich ins Nichts verlaufen ist. Aber wer ewig schluckt, stirbt von innen. Mit dem Brief konnte Ulrichs Schwester ihre Gedanken bezüglich der Schuld ihres Vaters am Tod ihres Bruders sortieren, so dass diese Gedanken nicht mehr ständig im Kopf kreisen mussten. Auch mir geht es immer besser, wenn ich länger kreisende Gedanken auf Papier bringen kann. Der Druck lässt nach und das Gedachte ist jederzeit wieder greifbar.
Und natürlich reagierte ihr Vater, wie man es von einem Narzissten erwarten kann. Da gab es kein: „Oh Gott, was habe ich nur angerichtet?! Was habe ich meinen Kindern und meiner Ex-Frau ihr Leben lang angetan?! Mein eigen Fleisch und Blut habe ich in den Tod getrieben …“ Nein, die Reaktion war: Er ignorierte sein anderes Kind komplett bei der Beisetzung seines Sohnes nach dessen Suizid.
Seine Danksagung in der Zeitung nach der Beisetzung wirkte so steril wie es seine einstigen Patienten bei den OPs waren. Natürlich musste er auch hier vor seinen Namen das „Dr.“ setzen lassen. DAS war wichtig.
Warum der Vater die narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickelt hatte, weiß ich nicht. Auch bei ihm wird es einen Grund geben und auch er wird einst Opfer als Kind gewesen sein, alles andere würde mich überraschen. Sein Narzissmus wirkte sich