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  • Erklär mir Gefühle: Freude, Glück, Leichtigkeit

    Erklär mir Gefühle: Freude, Glück, Leichtigkeit

    „Ich habe eine Überraschung für dich, komm dich dann holen, wenn das okay ist für dich.“ Maikes Blick strahlt, als sie vor Mats´ Tür steht. Wie könnte er jetzt „Hab schon was vor“ sagen?

    Zwei Tage sind vergangen, seit dem Versuch, Wut zu erklären. Der Versuch fiel ins Wasser, zusammen mit seinen Hoffnungen, die ihn nervten, weil sie so unvernünftig waren. Aber immerhin hatte er jetzt ein glasklares Zeichen: „Neeee.“

    Zwei Stunden später folgt er Maike ins Erdgeschoss der Klinik. Eine Zimmertür steht offen: die des Musikraums.

    „Wir dürfen eine Stunde allein rein!“ – wieder strahlt sie. „Wir können alles machen! Ich möchte nochmal ans Klavier. Und dann machen wir den Klangstuhl!“ Ihre Aufregung ist überhaupt nicht zu übersehen.

    Seine Gesichtszüge werden weich, die Mundwinkel gehen nach oben. Tags zuvor war er zum letzten Mal in der Gruppen-Musiktherapie, durfte das scheinbar letzte Mal am Klangstuhl spielen. Dieser Sessel aus Holz hat auf seiner Rückseite vom Kopfteil bis zum Boden an die 30 Saiten gespannt, wobei jeweils 15 den selben Ton erzeugen. Als er das erste Mal mit großer Neugier hinter diesem Sessel saß und spielte, war es Liebe auf den ersten Ton. So hatte er gestern auch gegenüber Maike geschwärmt.

    Der Stuhl steht bereits ein Stück von der Wand weg, daneben wartet ein Xylophon auf seinen Einsatz. Hier hat jemand Vorarbeit geleistet. All die anderen Instrumente stehen in einer Ecke parat. Wie kleine Kinder, die vor einer großen Spielzeugkiste rumzappeln, stehen die beide im Raum: „Was machen wir zuerst?“

    Sie probieren einige kleine Instrumente aus, deren Klänge sie teils an Märchenfilme erinnern. Ansonsten ist es völlig still in diesem Raum. Auf dem Flur vor der geschlossenen Tür ist niemand, Ärzte und Therapeuten sind im Feierabend.

    Dann entdecken sie ein zweites Xylophon und so sitzen sie sich gegenüber, schauen und hören, was der andere macht. Wortlos spielen sie sich aufeinander ein, immer mit einem Lächeln im Gesicht. Es wird breiter, wenn sie für ein paar Takte im Gleichklang sind.

    Die Zeit vergeht, doch eilig hat es keiner der beiden.

    „Jetzt den Klangstuhl?“, fragt Maike eher leise, so wie man sich unterhält, wenn man andächtig in einer Kirche steht.

    „Gerne. Ich würde zuerst spielen …“ Auch Mats´ Stimme will diese besondere Atmosphäre nicht stören.

    „Und ich setze mich rein?“

    „Wenn es für dich okay ist, dann sehr gern.“ In den bisherigen gemeinsamen Tagen gewann Mats ein großes Maß an Sicherheit, dass Maike sich bei ihm geborgen fühlt. Doch er will nicht ausschließen, dass es bestimmte Situationen gibt, wo ihr Vertrauen in ihn durch Kindheitserlebnisse nicht vorhanden sein könnte.

    Er nimmt hinter dem Klangstuhl Platz, sie setzt sich in den Sessel, Blickkontakt ist nicht möglich. Er möchte ihr Sicherheit geben, damit sie sich richtig fallenlassen kann: „Ich kann einen Arm auf die Lehne legen, dann kannst du auf meine Hand drücken, wenn es unangenehm wird.“

    „Hmm, ach, ich vertrau dir.“

    „Dann geht’s los …“

    Seine Finger gleiten langsam und mit wenig Druck über die linken Saiten, sie lassen den tieferen Ton erklingen. Die Schwingungen übertragen sich auf das Holz des Stuhls, können vom Körper wahrgenommen werden. Am Kopfteil sind links und rechts Blenden, so dass die Töne zwischen den Ohren hin- und herschwingen, sie verstärken. Wie laut Maike die Töne hört, kann er nur grob schätzen. Er vermeidet es, laut und chaotisch zu spielen, sie soll sich einfach nur wohlfühlen, entspannen.

    Mats bewegt seinen Kopf dicht neben die rechte Kopfblende, sieht nur Maikes rechten Arm und die Beine: „Ist es so okay?“, raunt er.

    In ihrer Antwort liegt ein Lächeln: „Ja. Und wie ist es für dich?“

    Wieder spricht er mit sehr gedämpfter Stimme: „Ich könnte das stundenlang machen. Es gibt zwar nur zwei Töne, aber es gibt so viele Möglichkeiten: über die Saiten streicheln, streichen, einzelne Saiten zupfen, härter, weicher, schnell, langsam, … Und es ist, als würde ich dir über den Rücken streicheln. Da überlegt man, was dir gut tun würde.“

    Sein Kopf lehnt sich zurück, er taucht wieder ab in die Welt der hauchenden Klänge. Minute um Minute vergeht, in denen kein Wort mehr fällt. Zwei Töne ersetzen Worte, nur sie durchqueren die Stille im geschlossenen Raum.

    Ihm fällt es schwer, einen letzten Ton zu setzen. Nachdem er sich dazu entschließt, hallt er sekundenlang nach. Langsam steht er auf, vermeidet Geräusche, schaut ebenso langsam und neugierig von oben über die Kopflehne. Maike bemerkt ihn, legt ihren Kopf in den Nacken, schaut ihn entspannt lächelnd an: „War schön. Hab sogar die Augen zumachen können. Danke.“

    „Gerne. War nicht zu laut?“

    „Nein, hätte ruhig bisschen lauter sein können.“ Sie wirkt, als wäre sie gerade aufgewacht nach einem langen, entspannenden Schlaf.

    Ohne Eile tauschen sie die Rollen. Für seine Größe ist der Stuhl nicht gedacht. Dennoch versucht Mats, ihn so gut es geht zu nutzen, legt die Hände und Arme an die hölzernen Seiten, um die Vibrationen spüren zu können. Auch er schließt die Augen, auch jetzt bleiben die Münder weitgehend geschlossen. Auch jetzt vergeht Zeit – und sie scheint gleichzeitig stillzustehen.

    Der letzte Ton erklingt. Leise sprechen sie über Erlebtes. Fotos zur Erinnerung entstehen. Er macht mehrere Fotos von Maikes Gesichtshälften aus Neugier, ob sie eine Schokoladenseite hat, doch er kann problemlos mit beiden leben. Sie selbst sieht sich auf den Bildern weniger unkritisch.

    „Und jetzt Klavier?“ – wieder strahlt Maike und wieder könnte Mats ihr angesichts dieses Lächelns nicht den geringsten Wunsch abschlagen. Der Hocker ist breit genug für beide. Sie sitzt links von ihm, so wie auf der Bank am See, nur dass sich hier die Hüften berühren Es ist nicht das erste Mal, dass Maike am Klavier sitzt, für Mats schon. So behutsam, wie sie zuvor an den Xylophonen und dem Klangstuhl spielten, so behutsam wandern die Hände über die Tasten. Hin und wieder schauen sie auf die Hand des anderen, nach einem gemeinsamen Takt suchend. Oder sie vertrauen ihren Ohren. Manchmal huscht ein entspanntes Lächeln über beide Gesichter, manchmal sind Maikes kleine und Mats´ große Hand dicht beieinander, um anschließend ihrer eigenen Wege zu gehen, bis zur nächsten Begegnung. Viele Töne hallen nach, im Raum und in den Köpfen. Die Momente, in denen sie einen gleichen Rhythmus finden, lassen sich an ihren Gesichtern ablesen. Minutenlang sitzen sie eng nebeneinander und würde nicht einer von beiden mit kräftigem Druck eine der weißen Tasten drücken, dann würden sie wohl noch morgen sitzen.

    Der Ton klingt aus, sie schauen sich in die Augen. So richtig mag keiner die Stille durchschneiden.

    „Zufrieden?“, raunt Mats.

    „Ja. Und du?“

    „Hatte was von Tanzen von zweien, die noch nie miteinander getanzt haben. Sagt ein leidenschaftlicher Nicht-Tänzer. Man versucht, sich auf den anderen einzustimmen, um sich nicht gegenseitig auf die Füße zu treten. Man weiß nicht, ob der andere Rock´n´Roll will oder Träumerei von Robert Schumann. Keiner hat geführt, zumindest hatte ich nicht das Gefühl. Und dann gabs die Momente, wo es einfach passte.“

    Sie lächelt: „Freut mich, schön. Oh, die Klangschalen! Die will ich unbedingt noch probieren. Legst du dich auf den Boden?“

    Aus der geplanten Stunde sind inzwischen anderthalb geworden. Wenn sie sich nicht oben auf Station zurückmelden müssten, würden es wohl noch einige mehr. Mats legt sich mitten in den Raum, Maike nimmt zwei Klangschalen vom Schrank, legt die kleinere auf seine Brust, schlägt vorsichtig an die goldglänzende Wand, dann stärker. Mats reagiert verhalten. Der Klang hallt ewig nach, er spürt aber nichts im Körper. Dann ist die größere Schale dran. Maike setzt sie vorsichtig ab, schlägt dagegen. Mats lacht dezent, die Vibrationen durchlaufen jetzt spürbar den Brustkorb, sein Lachen lässt die Schale beben. Maike schlägt stärker, Mats lacht intensiver, aber weiter darauf bedacht, die Schale nicht abzuwerfen.

    „Jetzt die große!“, Maike steht auf, geht wieder zum Schrank, kehrt zurück, tauscht die Schalen.

    „Boooaahh, ist das heftig“ – Mats traut seinen Empfindungen kaum, bittet aber auch um einen noch kräftigeren Schlag und ist noch mehr hin und weg von der Wirkung.

    „Jetzt auf deine Stirn.“

    Die große Schale hat keine Chance, auf der Stirn von Mats stehenzubleiben, bei der mittleren gelingt es. So wie der Ton durch den Raum schwingt, so schwingen zwischen Mats und Maike Neugier, Begeisterung, kindliche Freude.

    Dies bleibt, als sie die Rollen tauschen. Nun liegt Maike am Boden, Mats setzt die Schale auf ihre Stirn, schlägt vorsichtig gegen sie, danach kräftiger. Maike, die sensibler als die meisten Menschen Dinge spürt, durchfährt es: „Unglaublich … Ich merk das überall. Boahh … Heftig …“

    Die Uhr tickt.

    „Noch ein Selfie von uns im Liegen?“, fragt Mats.

    Nun liegen beide auf dem weichen Boden, diverse Male klickt die Kamera, welche völlig entspannte Gesichter einfängt.

    Mats legt das Handy beiseite, beide bleiben noch einen Moment liegen: „Schön“, sagt er kurz und entschlossen.

    Maike neigt den Kopf zu ihm: „Ja?“

    Er nickt voller Überzeugung: „Ja!“

    „Okay, wenn du das sagst, glaub ich dir.“

    Sein Blick zeigt sich mit Fragezeichen.

    Sie erklärt: „Wenn ich allein bin und Sachen erlebe, weiß ich nicht, ob das jetzt was Schönes ist oder nicht. Wenn jemand dabei ist und mir sagt, wie es für ihn ist, dann weiß ich, wie es war.“

    „Hmm, schräg“, raunt Mats nachdenklich, „Hab ich so noch nie gehört.“

    Stille.

    „Als wir am See saßen mit dem Regenbogen: Wusstest du da auch nicht, ob das jetzt schön ist?“

    Wieder schaut Maike zum Mann neben ihr: „Naja, am nächsten Tag hast du mir die Fotos gezeigt und ich hab gemerkt, dass du dich gefreut hast. Dann hab ich mir gesagt, dass es schön war und dann hab ich mich auch freuen können.“

    „Hmm … Dann sind wir wohl bei Teil 3 unserer Serie angekommen. Nach Liebe und Wut sind wir bei Freude. Wobei …“

    „Was?“

    „Ich überlege, ob das jetzt Freude ist oder Glücksgefühl oder Leichtigkeit …“

    „Kann es nicht alles zusammen sein?“

    „Klar, und am Ende ist es ja auch egal. Hauptsache, es fühlt sich so richtig gut an.“

    „Geht es dir so?“

    „Oh ja. Guck, wir fahren das erste Mal in unserem Leben zusammen an einen See und bekommen so ein Spektakel zu sehen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit? Wären wir eine halbe Stunde später dort gewesen, hätten wir den Regenbogen nicht gesehen. Und an wie vielen Tagen im Jahr wird es um die Uhrzeit, als wir dort waren, einen Regenbogen geben? Da war schon verdammt viel Glück dabei. Und wenn man Glück hat, müsste man Glücksgefühle haben.“

    „Dass das so selten ist, daran hab ich nicht gedacht. Wenn du das jetzt so sagst, war das wirklich was Besonderes.“

    „Und heute hier im Musikraum … Wie oft im Leben erlebt man so was? Wie oft werden wir noch mit einem anderen Menschen an einem Klavier sitzen, den wir gerade mal paar Tage kennen, in so einer Atmosphäre? Mach eine Umfrage unter Paaren und da werden nicht nur 10% sagen: Oaaah, so was will ich auch erleben. Klar, wir sind in einer Klinik, eigentlich will man hier nicht landen müssen. Aber wäre ich nicht hier gelandet, hätte ich das hier nie erlebt. Also auch wieder Glück. Naja, und ne Menge Leichtigkeit. Wir liegen hier nebeneinander auf dem Fußboden, als würden wir uns seit Monaten kennen. Ich muss mir immer mal wieder sagen, dass wir uns vor nicht mal zwei Wochen über den Weg gelaufen sind, weil ich mit dir diese Momente erlebt habe, die sich bei anderen auf Wochen bis Monate verteilen. Das ist verrückt.“

    „Schön, wie du mir das erklären kannst. Darüber denke ich bestimmt noch paar Mal nach. Ich wills ja lernen. Und man hat ja nicht immer nur ein einzelnes Gefühl, also können Freude, Glück und Leichtigkeit zusammen da sein, miteinander spielen, rumalbern, laut und leise sein, bunt, warm. Die drei sitzen in der Kneipe zusammen, quatschen über ihre Erlebnisse, machen neue Pläne. Dann kommen andere Gefühle zur Tür rein, Angst, Trauer, Schmerz, die wollen rumstänkern, die anderen ignorieren sie. Die Wut platzt dazwischen, es wird laut …“

    Mit einem Lächeln in der Stimme unterbricht er sie: „Jetzt wird es wieder laut und chaotisch in deinem Kopf, oder?“

    Sie grinst: „Ja, ich lauf schon wieder zu schnell, oder? Aber ich laufe jetzt wirklich manchmal langsamer. Dann denke ich, wenn der Mats jetzt neben mir wäre, würde er mich bremsen und das wäre okay. Ich muss ja nicht schnell irgendwo hin.“

    „Ich will dich ja nicht bremsen, aber ich hab dann manchmal das Gefühl, dass du dich selbst überholen willst, ob beim Laufen oder Denken.“

    „Das ist schon okay so, ich merk das ja nicht. Also nicht immer. Und dann werde ich schnell krank. Wo ich das Bild gemalt habe, da hast du gesagt, dass es doch jetzt schön aussieht. Da wusste ich, dass es fertig ist, sonst hätte ich immer weitergemacht.“

    „Dann bin ich beruhigt. Und ich werde noch heute ein Buch anfangen zu schreiben, wo zwei Menschen in einem ansonsten ganz stillen Raum Klavier spielen. Wird wohl ein Abenteuerroman.“

    Sie schaut, lachend und verwirrt: „Jetzt macht du das wieder so mit mir und ich weiß nicht, ob du es ernst meinst.“

    „Siehste, dank mir hast du immer wieder Zugriff auf das Gefühl der Verwirrung. Das können wir von der Liste für Erklärungen streichen.“

    Wieder lachte sie: „Du bist seltsam. Als Nächstes könntest du mir Demut erklären. Es gab mal eine Phase, wo ich Angst hatte und Schmerz. Da sagte man mir, dass ich Demut empfinde.“

    „Demut oder nicht viel eher Wehmut?“

    „Ich glaube Demut. Ist das nicht ähnlich?“

    „Nee. Also für mich nicht. Demut wäre für mich … Naja, dass ich das hier mit dir erleben durfte, würde ich mit dankbarer Demut quittieren. Demut hat für mich vor allem was von Wertschätzung. Wehmut wäre, wenn mir jemand erzählen würden, dass er DAS hier erlebt hat und ich würde denken: Oahh, das hätte ich gern selbst erleben wollen, wird aber wohl niemals passieren.

    „Kannst du mir das aufschreiben?“

    „Hmm, wenn ich es oben nochmal so zusammenkriege …“

    „Du musst ja nicht.“

    „Sagte sie mit ihrem entwaffnenden Charme …“

    Wieder lacht sie: „Ach Mensch. Dann sind wir mit Demut oder Wehmut ja auch schon durch. Reicht ja, wenn es auch mal kurz ist. Du hattest da gestern noch so ein Wort, was mir so gefiel?!“

    Er überlegt: „Hmm … Es klingelt so ein bisschen … Ach, Sanftmut?“

    „Jaaa! Sanftmut. Das mag ich.“

    „Aber morgen nach dem Mittag bin ich weg hier …“

    „Wir können uns ja nochmal treffen. Also nur so, nicht flirty oder so.“

    „Jupp.“

    Abends steht Mats allein am Fenster seines Zimmers, schaut auf den Weg, versinkt in Gedanken. In seinem Kopfhörer singt Philipp Poisel: „ Und ich schließe die Augen vor all diesen Fragen, ich bin müde vom Zweifeln nach all diesen Tagen. Also schließ ich die Augen …“ Einige Fragen beschäftigen seinen Kopf dennoch, als „Wolke 7“ ausklingt: Wie viel Freude, Glück oder Leichtigkeit hätte er gefühlt, wenn er mit einer x-beliebigen Mitpatientin am Klavier gesessen und auf dem Boden gelegen hätte? Hätte es sich genauso intensiv angefühlt, wenn er am Klangstuhl einen anderen Rücken als den von Maike vor Augen gehabt hätte? Auch wenn er niemals eine völlig unbeeinflusste Antwort auf diese Fragen bekommen würde – für Mats ist sie recht klar.

    „Erklär mir Gefühle“ – die Serie zum Fühlen

    Die Geschichten bauen immer auf der vorherigen auf, Du kannst Dir aber auch eine mittendrin rausgreifen.

    Mit Dir ist alles anders.

    Wieder versinkt sie im Meer der Tränen. Warum verändert sich ihr Bad Boy nicht zum Guten wie in all den Büchern? Als der Duft eines anderen sie fesselt, fühlt sie sich das erste Mal frei. Nur hat sie überhaupt Glück verdient?

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    Ohne erkennbare Regung im Gesicht schloss sie das Buch über den gezähmten Bad Boy und sein glückselig lächelndes Mauerblümchen und ließ es über den Rand der Wanne auf den Boden fallen. Seit vier Stunden saß sie hier. Kerzenlicht flackerte im ansonsten dunklen Raum. Noch mehr Geschichten über Bad Boys in allen Varianten fanden sich in ihrem Bücherregal. Immer endeten sie glücklich. Nur ihre eigene nicht.
    Das Smartphone meldete sich. Doch ihre Hände blieben im Wasser, ihre Augen starrten auf die Fliesen, sahen hindurch. Gedanken ließen sich nicht greifen. Einmal mehr.

    Inzwischen eingewickelt in eine Decke auf dem Sofa zusammengekauert sitzend, klingelte es erneut.

    „Hallo. Wo brennt´s? … Ja, hab gerade geheult. … Ja, wegen ihm. … Das war´s endgültig, ich mach das nicht mehr mit. … Weil ich dumm bin, ganz einfach. Dumm geboren und ich werde dumm sterben. … Doch doch. Du darfst mich erschießen, wenn ich wieder einknicke. Gebe ich dir schriftlich. … Ach, ich weiß doch, dass sich alle an den Kopf gegriffen haben, warum ich mir das immer wieder habe bieten lassen. … Ja klar, jeder trägt sein Päckchen. Trotzdem nervt es einfach nur. … Wieso? … Nicht dein Ernst?! … Sag mal, spinnen die alle?! … Das hat sie dir am Frühstückstisch gesagt?! … Hör auf. Wer zieht bitte zu jemandem, den man zwei Wochen kennt? Hält die dich für doof?! Das läuft doch schon länger. Und deine Kids? … Also musst du jetzt den Schock wegstecken und gleichzeitig für die Mädchen da sein. Die müssen auch am Verstand ihrer Mutter zweifeln. Fröhliche Weihnachten. … Das ist einfach krank. … Ach Scheidung ist schon Thema?! Wenigstens das bleibt mir erspart. … Er hat mich am Telefon angeschrien, dass ich eine verlogene Schlampe bin. Hab aufgelegt, da hagelte es Nachrichten. Ich hatte gestern Abend keine Lust auf ihn und sagte, dass es mir nicht geht und dass ich mich aufs Sofa legen will. Sofa ist in seiner Welt eh nur dazu da, entweder am TV oder Läppi zu hängen oder für Sex. Dazwischen gibt’s nichts. Hab dann aber Mädelsabend bei Svenja gemacht. Hätte ich ihm gesagt, ich treffe mich mit ihr, hätte er wieder gedacht, ich hab was mit einem anderen. Erst rief er mich fünfmal in der Nacht an. Heute schrieb er, dass er gestern Abend bei mir vorbeigefahren ist, alles war dunkel, dann hat er geklingelt und keiner hat aufgemacht. Ans Handy bin ich auch nicht gegangen, also MUSS ich einen anderen haben, ich Schlampe. Der liegt sicher neben mir im Bett. Er könne auch ohne App bis drei zählen, er ist im Bild, was da läuft und ich hätte schon immer einen Schaden gehabt und mir könne keiner über den Weg trauen … (Die Tränen sind zurück) … genauso wenig wie seiner Ex, alle Frauen schieben ihn ab. Aber ich werde schon mein blaues Wunder erleben, wenn der Neue meinen fetten Arsch nicht mehr erträgt. Hinter jedem Satz stand ein Ausrufezeichen. Und die letzte Nachricht endete dann mit Ich liebe dich! … Ja, Svenja hatte mich gewarnt vor seiner Eifersucht. Ich dachte, bei mir fühlt er sich sicher, weil ich nicht auf die Idee käme, was mit zwei Typen gleichzeitig laufen zu haben. Ich hatte mich ja schon eingeschränkt wegen ihm, bin nicht mehr mit meinen Kumpels weggegangen, auf dich war er auch eifersüchtig. … Ist dem doch egal, dass du Frau und Kinder hast – bzw. eine Frau hattest. Wir hätten ja trotzdem jederzeit übereinander herfallen können. Nach 15 Jahren würde es ja auch langsam Zeit … Das hat er ja nie begriffen, dass da nichts mehr passieren wird, das hat mich ja so genervt. Wenn mehr zwischen uns beiden sein könnte, hätten wir es doch schon längst probiert und uns den ganzen Mist mit dem Suchen sparen können, aber das kam ja alles nicht an bei ihm! Ich kann froh sein, dass du noch mit mir sprichst, so wie ich mich rar gemacht habe. Genauso bei meinen Mädels. Ich habe dauernd Fotos von ihm und mir gepostet mit Hashtag Love, Forever, NurDuUndIch, IchliebeDich, SeinMädel, damit er beruhigt ist und die Klappe hält. … Andauernd diese endlosen Diskussionen. Wenn er aller halben Stunde fragt, was ich mache, ist das ja nur, weil er sich Sorgen um mich macht. Und wenn ich mich eine Stunde nicht melde, dann hat er Angst, mir ist was passiert. Ja klar. Er hält mich echt für blöde. Aber hat er ja recht. … Mit wem hast du dich bei Whatsapp geschrieben, als du 8:14 Uhr online warst?! Immer wieder dieses Gefrage. (Sie wischt sich Tränen von der Wange und putzt sich die Nase.) … Ich stand schon paar Mal kurz davor bzw. gab es ja kleine Pausen. Aber ehrlich gesagt hab ich Angst, wie er reagiert. Ob er dann ständig vor meiner Wohnung steht oder ob er mich pausenlos mit Beleidigungen zutextet. … Ich weiß. Dem Typen, mit dem man eine angeblich glückliche Beziehung hat, sollte man nicht solche Psychodinger zutrauen dürfen. Das sagt doch schon alles, wie krank das ist. … Erzähl´s mir lieber nicht. … Ja, es nervt tierisch. Ich bin hundemüde, kann wieder nicht schlafen, Magen zwickt, Puls rast, ich zittere, Hals ist zu. Irgendwie ahnte ich, dass da wieder was kommt. Aber gut, muss ich durch. Hab ja Übung drin im Hinfallen, Aufstehen und Krone richten. Ich will nur ein einziges Mal glücklich sein. Oder einfach meine Ruhe haben. Glück macht eh den großen Bogen um mich, also Ruhe. Nichts hören, nichts sehen. Da kann man nicht enttäuscht werden … Wäre es nicht so weit weg, würde ich jetzt am Meer sitzen und die Welt könnte mich mal. … Ehrlich gesagt nein, ohne Rückfahrtticket. Was hab ich denn hier? Jeden Morgen aufstehen, damit man sich bis zum Abend durchkämpfen kann. Und wenn jemand fragt, wie es dir geht: Immer schön lächeln. Das soll Leben sein?! … Nein, keine Sorge. … Ich denke schon. Das kann ich einfach nicht mehr länger mit mir machen lassen. … Ich werde meinem Herzen folgen und das tun, was das Richtige für mich ist. … Ja, können wir gerne machen, am besten am Wochenende, hab frei. Dann kann er denken, ich hab was mit einem anderen. Deine Kids können sicher auch Abwechslung vertragen. … Das könnt ihr ja unter euch ausmachen, ich komme überall hin mit. Hauptsache, wir können quatschen und ich komme raus. Hier erinnert mich gerade alles an ihn und das geht mir auf den Magen. Ich werde nochmal meine Runde durch den Wald drehen. … Egal, hab meine LED. Vielleicht fressen mich die Wölfe. … Gut, dann vielleicht bis Samstag. Lass dich nicht unterkriegen. … Ja, mach ich. Danke für dein offenes Ohr, auch wenn du gerade selbst zehn brauchst. … Kein Problem. Geteiltes Leid … Genau. Also: Ciao.“

    Stille kehrte ins Wohnzimmer zurück. Sie trocknete sich Augen und Nase, verschwand im Bad und anschließend in dicken Klamotten aus der Tür.Ruhig blieb es auch in der oberen Schublade der Schrankwand. Darin standen sich zwei Plastikfiguren gegenüber. Schwaches Licht fiel durch einen schmalen Spalt auf die vier Zentimeter großen, völlig nackten Spielzeuge. In ihren Gesichtern mischte sich der Charme unschuldiger Kinder mit einer ordentlichen Portion Schlitzohrigkeit.
    Die zwei begleiteten ihre Besitzerin seit frühesten Tagen. Sie gingen mit in den Kindergarten, bewohnten vorübergehend eine Puppenstube, mussten ihren Platz jedoch zugunsten einer langen, blonden, äußerst dünnen Prominenten aus zweiter Hand räumen. Später landeten die nackten Zwei gemeinsam mit anderen Kindheitserinnerungen in einer dünnwandigen Dose. Diese deutlich schlichtere Unterkunft war freigeworden, als die bisherigen Bewohner – um die 20 Pralinen – während eines Frust-Essens innerhalb kürzester Zeit zwangsgeräumt worden waren.

    …”

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